Gemeinsam statt alleine fahren

ÖPNV, S-Bahn

Für eine sozialistische Verkehrswende

Derzeit laufen in allen Bundesländern Verhandlungen für einen neuen Tarifvertrag Nahverkehr (TV-N). Unterstützung gibt es auch durch Fridays for Future. Dafür wurde die Kampagne #wirfahrenzusammen mit ver.di gestartet. Es geht darum, den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten mit dem für eine Rettung der Umwelt zusammenzubringen. 

von Johannes Bauer, Köln

Wie dringend ein besserer öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist, sieht man daran, wie sehr die Gesellschaft auf das Auto, also den Individualverkehr, ausgerichtet ist. In Deutschland beträgt der Motorisierungsgrad 584, im weltweiten Durchschnitt 184. Deutschland steht kurz vor der Schwelle, in der derzeit höchsten Kategorie anzukommen, die jenseits von 600 Autos pro 1000 Einwohnern beginnt, denn der Motorisierungsgrad wächst ungebremst. 

Frühe Kritik am Autoverkehr

Es gibt keine Statistik, aus der man ableiten könnte, dass es eine natürliche Obergrenze für den Motorisierungsgrad einer Gesellschaft gäbe. Eine Sättigung wurde bisher nirgends beobachtet. In kapitalistischen Gesellschaften schon gar nicht. Die Veröffentlichung der Zulassungszahlen  in jedem Quartal hat in Deutschland den Status eines verkürzten Wirtschaftsgutachten der Gesellschaft. Steigen die  Zulassungszahlen – alles in Butter. Sinken sie – Achtung: Wohlstand in Gefahr. Überraschenderweise gab es selbst im Autoland Deutschland schon früh Zweifel an der Autogesellschaft. In der Stuttgarter Zeitung vom 18.05.1963 beklagt der Autor Erich Peter die „Verstopfung der Innenstädte“ und kritisiert „die Dauerparker, die des Morgens ihren Wagen auf den ohnehin zu engen Straßen und Plätzen des Zentrums abstellen und sie erst wieder am Abend, bei der Fahrt nach Hause, benützen“. Damals waren in Deutschland weniger als fünf Millionen PKW zugelassen. Aktuell, Stand 2023, sind es mehr als 48 Millionen Stück.

Das Auto ist ineffektiv

Die durchschnittliche Nutzungsdauer eines PKW beträgt nur etwa eine Stunde pro Tag. Jeden Tag steht jedes Auto in Deutschland also durchschnittlich 23 Stunden lang ungenutzt herum. Welch eine Verschwendung von Arbeitszeit und Energie! Hinzu kommt, dass das Auto immens viel Raum benötigt. Im Jahre 2021 umfasste das deutsche Straßennetz 630.000 Kilometer. Die proppenvollen Innenstädte kommen immer mehr an ihre Belastungsgrenzen, ein Parkhaus jagt das nächste. Dennoch raubt die Suche nach einem freien Platz fürs Auto Zeit und Nerven.

Gesellschaftliche Folgekosten des Kapitalismus am Kipppunkt

Im Zusammenhang mit der Klima-Katastrophe sind die ökologischen Kipppunkte in den allgemeinen Sprachgebrauch gelangt. Die Erwärmung der Atmosphäre, der Ozeane, das Abschmelzen der Gletscher und der polaren Eisschilde. In der populären Berichterstattung wird der Blick weiterhin auf die Umweltphänomene gelenkt. In Wahrheit handelt es sich bei den Umweltkatastrophen um die verschleierten Folgekosten des Kapitalismus. Der Kauf von einigen Hektar Weideland in Texas erlaubte die private Verwertung von Milliarden Litern Erdöl zu Profitzwecken, die ein oder zwei Generationen später zu gesellschaftlichen Kosten von Billionen führen. Es ist dokumentiert, dass die gerade beschleunigt ablaufende Katastrophe bereits vor mehr als fünfzig Jahren erkannt worden ist. Wissenschaftler*innen der Mineralölkonzerne sagten bereits 1971 voraus, wie sich die Erderwärmung entwickeln würde.

Kapitalistische Verkehrswende ist kontraproduktiv 

Als Lösung aller Probleme wird uns der Wechsel von Autos mit fossilem Antrieb hin zur Elektromobilität angepriesen. Bereits 2019, hat der im letzten Jahr verstorbene linke Verkehrsexperte Winfried Wolf detailliert dargelegt, dass Elektromobilität die Klimakatastrophe beschleunigt.

 Für die Herstellung eines Elektroautos werden etwa sechsmal so viele Mineralien benötigt wie für ein herkömmliches Auto. Ein umfassender Ausbau der E-Mobilität würde eine gigantische Steigerung des Bedarfs nach solchen Mineralien auf ein über den heutigen Kapazitäten liegendes Niveau mit sich ziehen. 

So ist der Lithiumabbau, der sich hauptsächlich im Dreieck zwischen Chile, Argentinien und Bolivien abspielt, mit einem extrem hohen Wasserverbrauch verbunden. Kobalt wird vorrangig im Kongo abgebaut, unter miserabelsten Arbeitsbedingungen und mit dem Nebeneffekt der Versäuerung des Grundwassers. Die Raffinierung von Kobalt verursacht zudem hohe Emissionen von Treibhausgasen.

Darüber hinaus sind Mineralien weltweit noch ungleicher und konzentrierter verteilt als fossile Brennstoffe. Die zunehmende Bedeutung dieser Rohstoffe birgt in einer kapitalistischen Welt die Gefahr neuer internationaler Spannungen und imperialistischer Einflussnahme. 

Für eine sozialistische Verkehrswende

Statt dem Irrsinn der Umstellung auf Elektromobilität zu folgen, ist ein radikaler Wandel hin zum Ausbau des öffentlichen Nah-und Fernverkehrs nötig.

Dabei muss die Abkehr vom Individualverkehr keine Arbeitslosigkeit für die hunderttausenden Arbeiter*innen in der Autoindustrie bedeuten. Deren Kapazitäten könnten genutzt werden, um Busse, Züge, Straßenbahnen und andere gesellschaftlich sinnvolle Produkte herzustellen. 

Voraussetzung dafür ist die Überführung der Autokonzerne in öffentliches Eigentum und ihre demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten, Vertreter*innen der Gewerkschaften, von Umweltverbänden und des Staates. Solange sich VW und Co. in der Hand einzelner Kapitalist*innen befinden, werden diese ihre Produktion allein auf ihren eigenen Profit ausrichten.

Statt der Förderung von Elektroautos muss es massive Investitionen in Bus und Bahn, vor allem im ländlichen Raum, geben. Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr, die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets für den Regionalverkehr und der Ausbau von Taktzeiten und Netzen sind wichtige Schritte, um Menschen zum Umstieg vom Auto zum ÖPNV zu bewegen. Konzerngewinne und das Vermögen der Superreichen müssen deutlich stärker besteuert werden, um diese Infrastrukturprojekte zu finanzieren. 

Aber machen wir uns nichts vor. Unter den kapitalistischen Verhältnissen sind die nötigen Verbesserungen nicht dauerhaft zu erreichen. Nur eine demokratisch geplante Wirtschaft ermöglicht sozialistische Maßnahmen im Interesse der Mehrheit der Gesellschaft und einer nachhaltigen Umwelt.

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