Kapitalist*innen wollen massive Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse

Jetzt Gegenwehr vorbereiten

Interview mit Angelika Teweleit, Mitglied im Kokreis des “Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di” sowie in der “Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften” (VKG)

Wie schätzt Du die Debatten über eine Agenda 2030 und die Einschränkung des Streikrechts ein?

Die Gefahr von weitgehenden Angriffen auf die gesamte Arbeiter*innenklasse muss sehr ernst genommen werden. Der Begriff der Agenda 2030 kommt von Unternehmerverbänden und aus der CSU und Teilen der CDU. Es kann sein, dass unter der Ampelregierung Verschlechterungen erstmal wie bisher scheibchenweise umgesetzt werden. Das deutsche Kapital verlangt aber vor dem Hintergrund der schlechten wirtschaftlichen Lage und dem verschärften internationalen Konkurrenzkampf immer härtere Einschnitte, die sie Reformen nennen. Genau wie Anfang der 2000er, als die rot-grüne Schröder-Regierung die Agenda 2010 einführte, wird auch jetzt damit argumentiert, dass solche „Reformen“ im Interesse aller seien, weil sie die deutsche Industrie zukunfts- und konkurrenzfähig machen würden. Tatsächlich geht es darum, den Lohnabhängigen zu nehmen und dadurch die Profite der Kapitalist*innen zu erhöhen. Eine Einschränkung des Streikrechts wird nun auch wieder massiv gefordert. 

Aber es gibt doch auch jetzt schon Kürzungen. Wie sind diese zu bewerten und was wäre der Unterschied, wenn es zu einer Agenda 2030 käme?

Die jetzigen Kürzungen haben bereits große Auswirkungen auf die arbeitende Bevölkerung. Leider ist das Ausmaß vielen noch nicht klar. Viele Kolleg*innen sind aber sauer über die auf Dauer gestiegenen Energiekosten. Andere Maßnahmen werden über die nächsten Monate und Jahre spürbar: 350 Millionen Euro weniger für den Schienenverkehr, mögliche Streichung des Bürgergelds für zwei Monate, Kaputtsparen der Kommunen, Einstieg in die  börsenfinanzierte Rente und Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge in den nächsten Jahren. Gleichzeitig dürfen sich die Unternehmensbosse mit dem „Wachstumschancengesetz“ über Entlastungen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro freuen. 

Mit einer Agenda 2030 wollen die Kapitalist*innen und ihre Vertreter*innen aber eine deutlich größere Umverteilung von unten nach oben durchsetzen. Zum Beispiel auch eine weitere Flexibilisierung bei der Arbeitszeit und mögliche Verlängerungen von Arbeitszeiten einschließlich der Lebensarbeitszeit. Zudem soll es noch härtere Sanktionen beim Bürgergeld geben, oder auch die Abschaffung des Bürgergeld-Systems. Mit der weiteren Aushöhlung sozialer Sicherungssysteme wird das Ziel verfolgt, Beschäftigte noch mehr unter Druck zu setzen und auszubeuten. Und wie schon gesagt, wollen sie das Streikrecht angreifen.

Wie sollten die Gewerkschaften und die politische Linke darauf reagieren?

Es ist dringend nötig, jetzt die Alarmglocken zu läuten. Auf allen Ebenen müssen die bereits verabschiedeten Kürzungen, aber auch die Androhung weiterer Angriffe in den Gewerkschaften, Betrieben wie auch in lokalen Versammlungen  auf die Tagesordnung gesetzt werden. Verbale Empörung reicht nicht, ein Abwehrkampf muss vorbereitet werden, und er sollte mit Forderungen nach einem Investitionsprogramm von hunderten Milliarden Euro in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnen, Soziales und Umwelt, statt in Rüstung, verbunden werden.

Die Gewerkschaften sollten eine bundesweite Aktionskonferenz organisieren. Erste Schritte sollten nach Versammlungen in den Betrieben Proteste auf Landes- und Bundesebene sein. 

Nun üben sich die Gewerkschaftsführungen ja eher in Sozialpartnerschaft und freundlicher Unterstützung der SPD-geführten Regierung. Was tun, wenn sie nichts tun?

Das ist leider schon abzusehen. Überall, wo es möglich ist, sollten entsprechende Anträge zur Organisierung von Gegenwehr in gewerkschaftliche Gremien eingebracht werden. Es soll auch einen Aufruf aktiver Gewerkschafter*innen geben, für den momentan Unterstützung gesammelt wird, in dem ein Aktionsplan gefordert wird. Aktive Kolleg*innen, die das unterstützen, sollten sich auch vernetzen. Das eröffnet die Möglichkeit, selbst Initiativen von unten anzustoßen. Das gelang zum Beispiel 2003, als die Agenda 2010 geplant wurde und die Gewerkschaftsführungen nicht reagierten. Auf Initiative von unten gelang es, zu einer Demonstration im November 2003 100.000 Menschen auf die Straße zu bringen. Der DGB reagierte dann verspätet mit einer Mobilisierung von einer halben Million im Mai 2004. Nötig ist auch, die Debatte in den Gewerkschaften über die Form des Widerstands anzustoßen, auch über die Möglichkeit des politischen Streiks. 

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