Polizei löst Palästina-Kongress auf

Proteste gegen Repression nötig – Grundrechte verteidigen

Die Polizei hat am Freitag Nachmittag den Palästina-Kongress, eine Konferenz von verschiedenen pro-palästinensischen und linken Organisationen, aufgelöst. Der wochenlangen Hetz- und Verleumdungskampagne – orchestriert von der Springer-Presse und anderen bürgerlichen Medien, sowie unter Beteiligung von Politiker*innen von CDU, FDP, SPD, Grüne und mit Klaus Lederer und Elke Breitenbach skandalöserweise selbst der Linken – folgten damit Taten. Ein Ort, an dem kritisch über Israels Krieg gegen Gaza, die deutsche Unterstützung mit (unter anderem) Waffenlieferungen und über die Repression pro-palästinensischer Proteste diskutiert werden sollte, wurde verboten. Die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wurden damit erneut massiv eingeschränkt. Dagegen braucht es unmittelbar Proteste (wie heute in Berlin – 14 Uhr am Neptunbrunnen).

von Tom Hoffmann, Berlin

Schon im Vorfeld dürften sich die wenigsten die Hoffnung gemacht haben, dass dieser Kongress reibungslos verläuft. 2500 Polizist*innen, teils aus anderen Bundesländern nach Berlin geschickt, sollten den Kongress von Freitag bis Sonntag „begleiten“. Was das heißen sollte, wurde im Vorfeld klar. Immer wieder ertönte der Ruf, u.a. der Bundesinnenministerin Faeser (SPD), der Innensenatorin Spranger (SPD) oder des Regierenden Bürgermeisters Wegner (CDU) nach einem „harten Einschreiten“ der Beamten im Kongressverlauf, sollte es zu vermeintlichen Straftaten kommen. 

Die Veranstalter*innen veröffentlichten den Veranstaltungsort erst am Freitag morgen aus Angst vor Störaktionen. Wer dann frühs zum Tagungsgelände in der Germaniastraße beim Tempelhofer Feld kam, sah einen mit Polizeiwagen und Hamburger Gittern umstellten, weiträumig abgesperrten Tagungsort. Begehungen von Bauamt, Feuerwehr und Polizei verzögerten den Kongressstart um mehrere Stunden – ebenso wie die darauffolgenden Kontrollen der Polizei. Bis allein die Redner*innen auf das Gelände gelassen wurden, vergingen mehrere Stunden.

Hetze und Diffamierung

Die Organisator*innen und der Kongress wurde über Wochen als antisemitisch verunglimpft. Wie wir in einem anderen Artikel schrieben, wurde dieser Vorwurf „daraus konstruiert, dass aus der Gegnerschaft zum Staat Israel und seiner rassistischen Politik Judenfeindschaft abgeleitet wird.“ Im Aufruf des Kongresses, der geflissentlich ignoriert wurde, wurde dagegen explizit gefordert, dass alle Menschen in der Region „egal ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeiten, egal ob muslimisch, jüdisch oder christlich – unter gleichen Rechten leben können.“ 

Wie es hingegen um die Rechte jüdischer Menschen in Deutschland steht, die sich gegen den Krieg organisieren, hat die Sperrung des Sparkassen-Kontos einer der mitorganisierenden Gruppen, der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, im Vorfeld des Kongresses gezeigt. Ein Mitglied der Jüdischen Stimme wurde noch am Tagungsgelände von der Polizei festgenommen, ohne dass dafür Gründe genannt wurden.

Vor dem Tagungsgelände kam es zu einem absurden Vorfall als die Polizei einen Menschen mit dem Transparent „Juden gegen Genozid“ abführte. Daraufhin soll die Polizei die Veranstalter*innen gefragt haben, ob diese Person beim Kongress erwünscht sei – was selbstverständlich bejaht wurde. Ein Sprechchor der Menge, die da noch auf ihren Einlass wartete, war dann: „Juden, Christen & Muslime – Gegen ihre Kriegsmaschine“. 

Verbot

Der Kongress, der mit massiver Verzögerung nur in begrenzter Teilnehmer*innenzahl starten durfte, wurde dann jedoch unterbrochen, als per Video die Rede von, Salman Abu Sitta gezeigt werden sollte, dem zuvor die Einreise nach Deutschland untersagt wurde. Die Polizei stürmte den Saal und kappte die Stromverbindung. Auf Videos in sozialen Medien kritisieren die Veranstalter*innen, dass die Polizei den Vorwurf volksverhetzender Aussagen in dem Video erhebt, diese aber nicht konkret benennt, sondern „prüft“. Auf Twitter schreibt die Polizei später, sie hätte den Kongress beendet, weil Abu Sitta ein Betätigungsverbot erteilt wurde und „die Gefahr [besteht], dass wiederholt ein Redner zugeschaltet wird, der sich schon in der Vergangenheit antisemitisch bzw. gewaltverherrlichend öffentlich geäußert hat.“ Die Organisator*innen haben in einer Pressemitteilung angekündigt, dass sie das Vorgehen juristisch anfechten werden.

Laut verschiedenen Medienberichten wurde das Einreiseverbot und auch das Betätigungsverbot für Salman Abu Sitta damit begründet, dass er die Teilnehmer*innen des Hamas-geführten Angriffs auf israelisches Gebiet als „Widerstandskämpfer*innen“ bezeichnet und gesagt hätte, er hätte – wenn er jünger gewesen wäre – einer von denjenigen sein können, die am 7. Oktober den Zaun (gemeint ist die Grenze zwischen Gaza und Israel) gestürmt haben. Dem Arzt Ghassan Abu Sitta, der von seiner Arbeit im al-Shifa-Krankenhaus unter den Bedingungen des Bombenterrors der IDF berichten sollte, wurde ebenfalls die Einreise verweigert – „im Sinne der Sicherheit der Konferenzteilnehmer und Wahrung der öffentlichen Ordnung“. Uns ist nicht bekannt, das dies weiter begründet wurde.

Wie oben dargestellt, weisen wir die Diffamierung des Kongresses und seiner Teilnehmer*innen als antisemitisch zurück – ebenso wie die willkürlichen Repressionsmaßnahmen der deutschen Behörden. Einige der Redner*innen und Organisator*innen haben ein aus unserer Sicht zu unkritisches Verhältnis zur Hamas und sehen sie als möglichen Bündnispartner im Kampf gegen Besatzung und Unterdrückung durch den israelischen Staat, was wir für falsch halten – aber das ist kein Antisemitismus. Die in den Medien zitierten Aussagen von Salman Abu Sitta aus dem Interview mit mondoweiss.net sind auch kein Beleg für die Unterstützung von Massakern an jüdischen Zivilist*innen. Sie können auch einfach als Verständnis für die Wut der jungen Menschen in Gaza über die anhaltende Vertreibung und Unterdrückung interpretiert werden. 

Polizei verhindert Debatte

Die Sol hat das Massaker an israelischen Zivilist*innen vom 7. Oktober verurteilt und sieht in der Hamas eine reaktionäre, arbeiter*innen- und frauenfeindliche Kraft, die keinen erfolgversprechenden Weg für die Befreiung der Palästinenser*innen aufzeigt. Mit ihr sollte es keine Zusammenarbeit von Linken geben.  Wir haben gleichzeitig immer auf die grundlegende Verantwortung des israelischen Staates für die Existenz der Hamas hingewiesen, welche unter den Bedingungen der Besatzung, Staatsterrors und Unterdrückung der Palästinenser*innen gedeiht und in der Vergangenheit von israelischer Seite sogar gefördert wurde. Wir sind davon überzeugt, dass die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser*innen nur auf Basis einer sozialistischen Veränderung in der Region möglich sein wird und dass es eine Massenbewegung der Palästinenser*innen unter ihrer demokratischen Kontrolle gegen Krieg, Besatzung und Unterdrückung braucht – welche auch versucht, die Unterstützung der israelisch-jüdischen Arbeiter*innenklasse zu erlangen. Das Verhältnis zur Hamas und der Aufbau linker Alternativen zu ihr hätte auf dem Kongress kritisch diskutiert werden können. Die Polizei hat diese Auseinandersetzung verhindert. Dass es ihr dabei nicht um Verhinderung von Antisemitismus oder Volksverhetzung geht, zeigt sich allein, wenn man bedenkt, wie viele Veranstaltungen, Parteitage, Reden und Aufmärsche von Nazis und Rechtsextremen in diesem Land von der Polizei seit Jahrzehnten geschützt werden, ohne dass solche Argumente angewandt werden. „Gewaltverherrlichend“ und „volksverhetzend“ tritt die auch mit Rechtsextremen besetzte israelische Regierung von Benjamin Netanjahu seit Jahren auf – und trotzdem wird sie von der Bundesregierung weiter unterstützt, weil sie im Nahen Osten die Interessen des westlichen Imperialismus sichern soll.

Protest nötig

Das Vorgehen der Berliner Polizei markiert heftige Einschnitte in das Versammlungsrecht und Recht auf freie Meinungsäußerung. Es trifft heute jene, die der Propaganda des deutschen Establishments und der Kriegsunterstützung durch die Bundesregierung entgegentreten. Doch es ist auch ein Präzedenzfall, um in Zukunft gegen andere vorzugehen, die sich kritisch zu den kapitalistischen Verhältnissen, zum wachsenden Militarismus, zu Unterdrückung und sinkendem Lebensstandard äußern und Gegenwehr organisieren wollen. Linke, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen sollten auch deshalb dagegen protestieren.

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