Solidarität mit Palästinenser*innen ist kein Antisemitismus!
Zwischen dem 12. und 14. April findet in Berlin der “Palästina Kongress 2024” statt. Ziel soll eine weitergehende Vernetzung von palästina-solidarischen Aktivist*innen und Organisationen sein, um “praktische Schritte für Aktionen in Betrieb, Uni, Schule, Kunst und Kultur”1 zu beschließen und einzuleiten. Gleichzeitig rufen die Organisator*innen (darunter die Jüdische Stimme, das Vereinigte Palästinensische Nationalkomitee und linke Organisationen) für den 14. April zu einem internationalen Protest- und Aktionstag unter dem Motto “Wir klagen an! Stoppt die deutsche Beihilfe zum Völkermord in Gaza.” auf. Dafür ernten sie eine Hetzkampagne und Antisemitismus-Vorwürfe.
von Lars Becker, Berlin
In einer Hetzkampagne von pro-kapitalistischen Medien und Politiker*innen sollte der Palästina Kongress schon im Vorfeld gesellschaftlich gebrandmarkt werden. Die BILD spricht von einer “Hassveranstaltung” durch “radikale Palästinenser, Islamisten und Linksextremisten” und sogenannter “Israel-Hasser”23. Der Tagesspiegel titelte gar mit einem sinngemäßen Zitat des “CDU-Innenexperten” Burkard Dregger: “Antisemiten der Welt wollen sich in Berlin versammeln”4, während die BILD weitergehend titelte: “Juden-Hasser planen Gipfel in Berlin”.5
Verbot des Palästina Kongresses?
Dem medialen Trommelfeuer, das bereits Wochen vor Beginn des Palästina Kongresses startete, folgten schnell erste Forderungen nach einem Verbot des Kongresses. Auch der Berliner Senat meinte, er werde (alle) Maßnahmen “bis hin zu einem Verbot” prüfen.
Aktuell ist noch unklar, inwiefern ein Verbot nach bürgerlichem Recht möglich ist, doch alle pro-kapitalistischen Kräfte von CDU bis Grüne sind sich darin einig, den Kriegsgegner*innen und palästina-solidarischen Menschen, das Versammlungsrecht zu nehmen. “Vielleicht können wir ihn nicht verbieten […] Aber wir müssen alles uns Mögliche tun, damit eine solche Judenhasserveranstaltung nicht stattfindet”, meint CDU-Fraktionschef Dirk Stettner.6
Hausdurchsuchungen
Der Kongress und die Organisator*innen werden mit Repressionsmaßnahmen überzogen. Betreiber*innen für Veranstaltungsorte, wie zuletzt für eine Spendensammlung, werden durch die Polizei eingeschüchtert. Es gab unter anderem Hausdurchsuchungen bei Koordinator*innen des Palästina Kongresses, bei denen auch Mobiltelefone und weitere Datenträger beschlagnahmt wurden! 7Gründe, warum dieser massive Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte der Aktivist*innen nötig seien, konnte die Polizei nicht nennen.
Vor den Hausdurchsuchungen veröffentlichte der Tagesspiegel bereits hetzerische Artikel gegen die Aktivist*innen. Darin wurden die Aktivist*innen als hysterische, hassgetriebene Antisemit*innen dargestellt, die willkürlich Leute beleidigen würden und so den demokratischen Diskurs vergifteten.8
Die Organisator*innen wollen erst am Freitag den Ort des Kongresses bekannt geben, um Störaktionen zu erschweren. Die Jugendorganisationen von SPD, Grünen, Union und FDP haben bereits angekündigt, gegen den Kongress zu protestieren.
Kontoschließung der Jüdischen Stimme
Während das bürgerliche Lager den Palästina Kongress zum vermeintlichen “Antisemitismus Kongress” verklärt, wird zeitgleich (erneut) das Konto der jüdischen Organisation “Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost” unter fadenscheinigen Begründungen und ohne vorige Rücksprache mit dem Verein gesperrt.
Es wirkt alles andere als zufällig, dass ausgerechnet das Konto, das zur Spendensammlung für den Palästina Kongress dienen sollte und auf dem eine fünfstellige Summe an Spenden lag, wenige Wochen vor Beginn des Kongresses “vorsorglich” zur Aktualisierung der Kundendaten gesperrt wird.9 Es wirkt vielmehr so, als wäre von politischer Seite Druck auf die Sparkasse ausgeübt worden. Die Bank verlangte zudem eine Mitgliederliste mit Namen und Anschriften.
Solidarität gegen Repression!
Der Vorwurf des Antisemitismus gegen den Palästina Kongress ist absurd. Er wird vor allem daraus konstruiert, dass aus der Gegnerschaft zum Staat Israel und seiner rassistischen Politik Judenfeindschaft abgeleitet wird. Im Aufruf zum Kongress heißt es unter anderem: “Wir kämpfen für ein Ende des zionistischen Siedlerkolonialismus und seiner Apartheidpolitik im gesamten historischen Palästina, damit alle Menschen – egal ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeiten, egal ob muslimisch, jüdisch oder christlich – unter gleichen Rechten leben können. Dies schließt die Notwendigkeit der Durchsetzung des Rückkehrrechts aller palästinensischen Geflüchteten mit ein.”
Wir weisen die Diffamierung des Kongress als Sammelherd für Antisemit*innen daher zurück. Wir hoffen gleichzeitig, dass der Kongress ein Ort für eine kritisch-solidarische Debatte wird, wie der palästinensische Widerstand erfolgreich sein kann. Wir sehen die Positionen von einigen der organisierenden Gruppen, darunter zum Beispiel die Revolutionäre Linke oder die Gruppe Arbeiter*innenmacht kritisch, weil sie ungeeignet sind, um in der israelisch-jüdischen Bevölkerung Unterstützung für den berechtigten Kampf der Palästinenser*innen gegen Unterdrückung zu gewinnen, da sie deren Recht auf Selbstbestimmung nicht konsequent verteidigen. Die Sol vertritt die Perspektive, dass ein Ende von Besatzung, Unterdrückung und Ausbeutung nur durch Massenbewegungen und eine sozialistische Veränderung erreicht werden kann, welche allen Bevölkerungsgruppen, einschließlich der israelisch-jüdischen, das Recht auf Frieden und Selbstbestimmung, wenn gewünscht in einem eigenen Staat, zugesteht.
Mit der Instrumentalisierung des Antisemitismus-Begriffs als Waffe gegen Kritik an der Politik des Staats Israels, leisten oben genannte politische Akteure dem tatsächlichen Kampf gegen Antisemitismus/Jüd*innenfeindlichkeit einen Bärendienst. Viel mehr wird dieser vermeintliche Kampf gegen Antisemitismus dafür ausgenutzt, um den geopolitischen Interessen der BRD eine ideologische und gesellschaftlich akzeptierte Grundlage zu verschaffen.
Die Sol Berlin ist solidarisch mit den Organisator*innen des Palästina Kongresses und weist die mediale und politische Hetzkampagne und staatlichen Repressionsmaßnahmen zurück, die in den letzten Wochen vom Zaun gebrochen wurden! Wir hoffen, dass der Kongress tatsächlich ein Ort wird (und ungestört stattfinden kann), wo Diskussionen über die weiteren Schritte und die politische Ausrichtung der Palästina-Solidaritätsbewegung der nötige Raum gegeben wird. Mit prominenten Redner*innen besetzte Panels und praktisch-orientierte Workshops können nicht ersetzen, dass es in der Bewegung auch die Debatte um die politischen Forderungen und Zielsetzungen braucht – und wie für diese Unterstützung gewonnen werden kann.
Letzte Artikel der Sol:
- https://palaestinakongress.de/ ↩︎
- https://www.bild.de/regional/berlin/berlin-aktuell/gunnar-schupelius-hass-kongress-gegen-israel-wird-nicht-verboten-87744642.bild.html ↩︎
- https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/wird-die-stadt-die-hetze-stoppen-antisemiten-planen-riesen-kongress-in-berlin-87507926.bild.html
↩︎ - https://www.tagesspiegel.de/berlin/antisemiten-der-welt-wollen-sich-in-berlin-versammeln-behorden-prufen-verbot-des-israelhasser-kongresses-11381557.html ↩︎
- https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/wird-die-stadt-die-hetze-stoppen-antisemiten-planen-riesen-kongress-in-berlin-87507926.bild.html ↩︎
- https://www.morgenpost.de/berlin/article241937032/Geplanter-Palaestina-Kongress-eine-Schande-fuer-Berlin.html ↩︎
- https://www.tagesspiegel.de/berlin/umstrittener-palastina-kongress-in-berlin-polizei-uberrascht-mitplaner-mit-hausdurchsuchungen-11415113.html ↩︎
- https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/die-stimme-des-israelhasses-wenn-gewalt-die-einzige-option-ist-werden-wir-sie-anwenden-11284348.html ↩︎
- https://www.jungewelt.de/artikel/472272.repression-gegen-pal%C3%A4stina-bewegung-j%C3%BCdische-stimme-soll-schweigen.html ↩︎