Ein Erfahrungsbericht aus Rostock
Der Europawahlkampf kommt in die heiße Phase. Nun machten die führenden Köpfe des Bündnisses Sahra Wagenknecht, auch in Rostock halt.
von Torsten Sting, Rostock
Mehrere hundert Menschen kamen zusammen, um zum Beispiel dem Spitzenkandidaten der Partei, Fabio De Masi und insbesondere der Führungsfigur, Sahra Wagenknecht, zuzuhören.
Zentrale Themen
Beide konzentrierten sich auf zwei Themen: die soziale Frage und den Frieden. Vielem konnten auch die anwesenden Rostocker Sol-Mitglieder zustimmen. So kritisierte Wagenknecht die Rentenpolitik der Bundesregierung und nahm einige Falschbehauptungen gut auseinander. Richtigerweise griff sie die Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung an. Ebenso war De Masis scharfer Kritik im Hinblick auf das Verhalten von Scholz bei der Cum-Ex-Affäre zuzustimmen und dass man wirksam gegen die Steuerhinterziehung der Reichen vorgehen muss.
Migration
Interessant war, dass ein Thema, mit dem speziell Sahra Wagenknecht in den letzten Monaten sehr häufig in den Medien von sich Reden machte, nur am Rande erwähnt wurde. De Masi merkte an, dass es darum gehen müsse, die Fluchtursachen zu bekämpfen und kritisierte in dem Zusammenhang etwa die Wirtschaftspolitik der Regierungen der reichen Länder. Auch der Hinweis, dass man die Probleme der globalen Armut nicht per Migration lösen könne, ist zweifellos nicht falsch – allerdings ist uns auch nicht klar, wer das behaupten würde. Dennoch stellt sich die Frage, wie man mit den Menschen umgeht, die sich aus sehr guten Gründen, auf den Weg nach Europa machen. Nicht nur in Talkshows, sondern auch im Bundestag, stellt sich das BSW hier klar an die Seite des politischen Establishments. So stimmten die Abgeordneten der Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete ebenso zu, wie der Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“. Wagenknecht forderte zuletzt die Streichung aller Leistungen für „abgelehnte Asylbewerber*innen“, was unter anderem jene über 100.000 Menschen einschließt, die „geduldet“ werden, weil in ihrem Land zum Beispiel Krieg herrscht. Das bricht mit internationalistischen Prinzipien und spielt Geflüchtete gegen länger hier Lebende aus, anstatt mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die für Krieg und kaputt gesparte Infrastruktur verantwortlich sind.
Ausblick
Laut den letzten Umfragen ist damit zu rechnen, dass die Partei sowohl bei den Europawahlen sowie den zeitgleich stattfinden Urnengängen auf kommunaler Ebene, gute Ergebnisse einfahren wird. Dies könnte eine zusätzliche Dynamik auslösen, der Partei eine Reihe zusätzlicher Mitglieder bescheren und die Voraussetzungen für weitere Erfolge bei den Landtagswahlen im Herbst schaffen.
Bei der Kundgebung konnte man anhand des Beifalls und den Gesprächen, die wir führen konnten, erkennen, was den Menschen bei Wagenknecht und Co. gefällt. Eine (vermeintlich) konsequente Verteidigung der Sozialsysteme bzw. deren Verbesserung, gerade bei der Rente. Zum anderen wird das BSW von Vielen als DIE Friedenspartei gesehen.
Diese Hoffnungen können schon schnell einer Zerreißprobe unterzogen werden. Diverse Vertreter*innen der Partei dienen sich den etablierten Parteien als Mehrheitsbeschaffer*innen bei den im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland an.
Das BSW ist, wie wir schon in vorherigen Artikeln deutlich gemacht haben, eine Abspaltung von der LINKEN, die politisch rechts von dieser steht. Auch bei der Kundgebung in Rostock, war keine Perspektive erkennbar, die das Profitstreben als zentrale Krankheit der Gesellschaft identifiziert hätte und eine Brücke zur Überwindung der Kapitalismus bauen würde. Kein Wunder: Bezieht sich das BSW in seinem Programm doch positiv auf „Marktwirtschaft“ und „Wettbewerb“.
Die Linke hat einen sozialistischen Anspruch, stellt das kapitalistische Eigentum zumindest auf dem Papier infrage und vertritt den Gedanken, dass sich Lohnabhängige und sozial Benachteiligte organisieren und kämpfen müssen. Die Sol ruft deshalb zu ihrer Wahl auf – ohne aber an Kritik zu verzichten, dass die Partei ihren Ansprüchen in der Praxis meilenweit hinterherläuft, sie in Regierungsverantwortung den kapitalistischen Status Quo mitverwaltet und prominente Vertreter*innen von den friedenspolitischen Positionen der Partei immer wieder abweichen.
Wagenknecht bietet aber den Menschen, die in großer Anzahl zu ihren Kundgebungen kommen, nur eine einzige Antwort, wie man denn die Vorschläge der Partei umsetzen kann: Wählt uns. Wie eine Politik im Interesse der Mehrheit und gegen Krieg und Aufrüstung in möglichen Koalitionen mit CDU oder SPD funktionieren soll, bleibt ihr Geheimnis.
Wenn merkliche soziale Verbesserungen durchgesetzt oder Kriege gestoppt werden sollen, ist stattdessen gewaltiger außerparlamentarischer Druck und der Aufbau von Bewegungen nötig.
Es ist absehbar, dass dies früher oder später zu Enttäuschungen bei ihrer Basis führen muss. Umso wichtiger ist es, mit jenen, die sich aus nachvollziehbaren Gründen von der LINKEN abgewandt und das BSW als eine Alternative für soziale und antimilitaristische Politik ansehen, bei Themen, wo es Übereinstimmung gibt, an einem Strang zu ziehen und zugleich eine sozialistische Perspektive anzubieten. Denn tatsächlich schreien die Verhältnisse nach einer Partei, die konsequent die Interessen der Arbeiter*innenklasse vertritt und diese gegen Krieg und Kapitalismus organisiert.