International Socialist Alternative (ISA) in “ernsthafter Krise”

Über die politischen Wurzeln der bevorstehenden Spaltung

Die Internationale Sozialistische Alternative (ISA) befindet sich in einer schweren Krise und steht kurz vor einer Spaltung, der womöglich weitere Spaltungen folgen werden. Die unmittelbare Ursache der gegenwärtigen Krise scheint in den Methoden zu liegen, die bei der Behandlung eines bestimmten “Vorfalls” angewandt wurden. Dahinter verbergen sich jedoch tiefere politische Fragen im Zusammenhang mit den Ideen, dem Programm, den Methoden, der Taktik und den Perspektiven für eine revolutionäre marxistische Internationale in dieser Periode.

Vom Internationalen Sekretariat des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI )

Die Minderheitsfraktion behauptet, dass der “Verhaltenskodex” der ISA bei dem “Vorfall” nicht befolgt wurde, und macht geltend, dass “die unbedingte Notwendigkeit besteht, all diejenigen aus der Führung zu entfernen, die direkt für die falsche Handhabung und die Vertuschung verantwortlich sind.”

Daraufhin gab die Mehrheit eine öffentliche Erklärung ab, in der sie einräumte, dass “bei der Behandlung dieses Falles schwerwiegende Fehler gemacht wurden”, aber “die in dieser Erklärung [der Minderheitsfraktion] enthaltenen Charakterisierungen des Prozesses in unserer internationalen Organisation zur Überprüfung dieses Falles und der daraus zu ziehenden Lehren vollständig zurückweist”.

Wir können uns zu dem “Vorfall” in der ISA nicht äußern und möchten dies auch nicht tun, da wir keine Kenntnis davon haben und nicht wissen, wie dieser gehandhabt wurde. Die derzeitige Krise der ISA geht jedoch über den Umgang mit einem einzelnen Vorfall hinaus, hat aber weitaus tiefere politische Wurzeln.

Die ISA ist aus der Bildung eines prinzipienlosen Blocks im CWI (Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale) im Jahr 2018 hervorgegangen, was zu einer Spaltung führte, als man vergeblich nach Abkürzungen suchte und sich von der organisierten Arbeiter*innenklasse abwandte. Das CWI hat damals vorausgesagt, dass ein solcher prinzipienloser politischer Block unweigerlich auseinanderbrechen und zersplittern würde. Unsere Warnungen haben sich voll bewahrheitet.

Die ISA-Mitgliedschaft ist von oben bis unten zunehmend politisch gespalten, angefangen bei den Gremien “Internationaler Vorstand” und “Internationales Komitee”. Die meisten ISA-Sektionen haben Minderheitsfraktionen. Eine umstrittene Sitzung des Internationalen Komitees im April verschob einen Showdown auf den Weltkongress im Dezember, vorausgesetzt die ISA kann so lange zusammenbleiben. Es scheint wahrscheinlich, dass aus dem erbitterten Fraktionskampf mindestens zwei Rumpfgruppierungen hervorgehen werden.

Zweifellos werden viele ISA-Mitglieder über die jüngsten unversöhnlichen Spaltungen innerhalb der Führungsgremien der ISA und die scheinbare Unvermeidlichkeit einer zweiten, noch tieferen Spaltung und zahlreicher weiterer Fragmentierungen nach nur fünf Jahren ihres Bestehens bestürzt oder demoralisiert sein. Wir fordern diejenigen ISA-Mitglieder, die einen wirklich marxistischen Ansatz anstreben, der auf der zentralen Rolle der Arbeiter*innenklasse im Kampf für den Sozialismus basiert, auf, die Dokumente des CWIs zu lesen, die während des Fraktionskampfes (2018-2019) mit der Oppositionsgruppe, die später zur ISA wurde, herausgegeben wurden1. Wir glauben, dass unsere Analyse und Kritik durch die spätere politische Entwicklung der ISA bestätigt wird.

Die Ursache für die tiefen Spaltungen innerhalb der ISA liegt im grundlegend falschen politischen Ansatz und den Methoden ihrer Führung, die eine Folge der Abkehr von einem prinzipiellen marxistischen Programm auf der Grundlage der Arbeiter*innenklasse sind.

In den Jahren 2018/19 brach innerhalb des CWI ein Streit vor allem über die Fragen von Sozialismus und Identitätspolitik, die Rolle der Gewerkschaften und der Arbeiter*innenbewegung sowie darüber, unter welchem Programm und wie sich Marxist*innen international und national organisieren sollten, aus. Die Opposition innerhalb des CWI, die zur ISA wurde, suchte in einer komplizierten objektiven Situation nach Abkürzungen. Die CWI-Genoss*innen verteidigten einen trotzkistischen Ansatz, der die Arbeiter*innenklasse in den Mittelpunkt stellte und der in der Neugründung des CWI und einer Neuformulierung der marxistischen Grundsätze und ihrer Anwendung in der heutigen Welt gipfelte2.

Zum Zeitpunkt der Spaltung im Jahr 2019 war vorhersehbar, dass die ISA unweigerlich Krisen und Spaltungen erleben würde, da ihre Plattform in erster Linie auf einem prinzipienlosen Block gegen die CWI-Führung basierte. Dies wird nun von der Mehrheitsfraktion in der ISA in einem aufschlussreichen Dokument zugegeben: “Die CWI-Mehrheit [ISA] wurde in aller Eile und als eine Gruppe organisiert, die mehr durch ihre Opposition gegen die frühere Führung als durch ein klares positives politisches Projekt geeint war”3.

Zum Zeitpunkt der Spaltung 2019, als sich die ISA von einem prinzipientreuen trotzkistischen Programm und von den Methoden und Traditionen des CWI “losgesagt” hatte, brüstete sie sich mit ihrem angeblichen zahlenmäßigen Vorsprung und ihrer extremen internen Demokratie. Die ISA versuchte, aufgrund ihrer “ausgeprägten sozialistisch-feministischen Arbeit”, die ein “universelles Merkmal” der ISA-Sektionen sei, schnell zu wachsen.

Doch innerhalb weniger Monate geriet die ISA in eine schwere interne Krise. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 kam es zu einer Spaltung, als ISA-Sektionen aus Griechenland, Zypern, der Türkei, Australien und Taiwan sowie Einzelpersonen aus Belgien, Großbritannien und Spanien die ISA verließen und Internationalist Standpoint gründeten. Sie beriefen sich auf Differenzen in Bezug auf die Weltlage und beschrieben ein intolerantes internes Regime in der ISA, in dem “eine giftige Atmosphäre geschaffen wurde und alle, die Differenzen mit den führenden Gremien hatten, im Wesentlichen hinausgedrängt wurden”.

Die von Griechenland angeführte Abspaltung beanstandete auch den Verhaltenskodex der ISA, ein “sehr umstrittenes Dokument”, das von der “Mehrheit im Zusammenhang mit sexueller Belästigung” erstellt worden sei. Die griechisch geführte Abspaltung beschwerte sich über den “moralistischen Ton” und den undemokratischen Charakter des Kodexes. Im Gegenzug wurde die griechische Sektion von der ISA-Führung wegen “Pessimismus”, “Föderalismus”, “Revisionismus” und “fehlendem Verständnis für die Unterdrückung der Frauen” kritisiert.

Vor der Spaltung des CWI hatte die Führung der griechischen Sektion eine deutliche Tendenz zu einer föderalistischen Ausrichtung.

In den Jahren seit der Spaltung unter der griechischer Führung hat sich die Krise innerhalb der ISA sowohl politisch als auch organisatorisch verschärft. Die Mehrheitsfraktion drückte es so aus: “Die Realität ist, dass sich die ISA in einer ernsten Krise befindet (…) Fast fünf Jahre, nachdem wir uns nach dem Austritt unserer ehemaligen Minderheit neu aufstellen mussten, kann man nicht sagen, dass unsere Versuche, eine neue internationale Führung in der ISA aufzubauen, erfolgreich waren“4.

Neben der griechisch geführten Spaltung hat die ISA “kleine Spaltungen in den USA, Brasilien und anderswo” erlitten, die alle eine “demoralisierende Wirkung” hatten.

Die ISA-Führung machte übertriebene und großspurige Behauptungen, als sie das CWI verließ, aber jetzt geben die Autor*innen der ISA-Mehrheitsfraktion zu, dass “wir eine sehr kleine Internationale mit vielen Schwächen beim Parteiaufbau in unseren Sektionen sind”.

In der Tat sagen sie, dass die ISA kaum als “Internationale” funktioniert: “Diese Krise kommt auf allen Ebenen der Führung zum Ausdruck, insbesondere aber auf den höchsten Führungsebenen. Das ‘Team’ der Genoss*innen, das den Kern der täglichen Arbeit der Internationale bildet, ist seit geraumer Zeit nicht mehr in eine sinnvolle Zusammenarbeit eingebunden”.

Die Mehrheitsfraktion der ISA beschreibt die internen Meinungsverschiedenheiten der ISA in einer Reihe von Schlüsselfragen: “Scharfe Debatten beherrschen das interne Leben der Internationale, u.a. über den Neuen Kalten Krieg, den Ukraine-Krieg, den sozialistischen Feminismus, das Übergangsprogramm, die doppelte Aufgabe, den Parteiaufbau und die Rolle der Führung. Eine deutliche Polarisierung – mit zwei sich abzeichnenden Tendenzen – hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und weiter verfestigt.”.5

Die ISA hat nicht weniger als “drei Positionen” zur Charakterisierung der Weltwirtschaft und der zwischenimperialistischen Beziehungen sowie zum Krieg in der Ukraine. Die politische Verwirrung und Inkohärenz erreichte ihren Tiefpunkt mit der Forderung der russischen Gruppe der ISA nach einem “Sieg für die Ukraine” und der Unterstützung für Waffenlieferungen des westlichen Imperialismus an die Ukraine.

Die Position der russischen Gruppe wird von großen Teilen der ISA-Führung gedeckt: “In Wahrheit haben wir als Internationale immer noch einen völlig föderalistischen Ansatz in dieser Frage, mit Anklängen an die USFI, wobei wir tolerieren, dass unsere Sektion vor Ort eine völlig skandalöse öffentliche Position vertritt (…) die von einem großen Teil der Führung verteidigt wird, [was] bedeutet, dass wir tolerieren, dass in unserem kollektiven Namen umgekehrte chauvinistische pro-imperialistische Positionen öffentlich vertreten werden.”

Führende ISA-Mitglieder zeigen weiterhin einen beklagenswerten Mangel an Verständnis für die Rolle von Arbeiter*innenmassenorganisationen wie Gewerkschaften und für die Perspektiven von Kämpfen der Arbeiter*innenklasse. In Bezug auf die äußerst bedeutenden Wellen von Arbeitskämpfen in den letzten Jahren betonte ein langes Dokument über die doppelte Aufgabe, das 2021 vom IE-Mitglied KMcL [ISA Irland] vorgelegt wurde, dass die Arbeiter*innenbewegung in den Kämpfen der kommenden Zeit eine weniger zentrale Rolle spielen würde, eine Perspektive, die durch die Ereignisse eindeutig widerlegt wurde.

Zu den “sozialistisch-feministischen” Kampagnen der ISA erklärt die Mehrheitsfraktion der ISA: “Es gab eine Tendenz, Komplikationen in der feministischen Bewegung zu leugnen, Bewusstseinsveränderungen in Bezug auf feministische Themen zu ignorieren, sich an nicht-marxistische Ideen anzupassen, um ‘an das Bewusstsein anzuknüpfen’, und eine Einheits-Taktik für sozialistische feministische Bannerarbeit durchzusetzen.”

Die sozialistisch-feministische “Theoretisierung” innerhalb der ISA hat dazu geführt, dass der Begriff als “Kürzel für den Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung verwendet wird. (…) Die Genoss*innen haben vorgeschlagen, dass alle Bewegungen, die in letzter Zeit zu verschiedenen Fragen ausgebrochen sind – von Black Lives Matter bis hin zur Bewegung gegen den Krieg in Gaza – als Teil eines einzigen Phänomens verstanden werden sollten: der feministischen Welle.”

Die Anpassung der ISA an die geschlechtsspezifische Politik sei so weit gegangen, beklagt die Mehrheitsfraktion, dass führende Mitglieder der Minderheitsfraktion “angedeutet” hätten, “dass wir, wenn wir die Identitätspolitik innerhalb der Bewegung in Frage stellen, uns in das gleiche Lager wie die Reaktionäre und der rechte Flügel stellen würden”6.

Die klaren Warnungen des CWI

Die CWI-Führung hat jedoch bereits vor einem halben Jahrzehnt klare Warnungen zu diesem Thema ausgesprochen: “Das Wachstum der schädlichen Ideen der Identitätspolitik war eine Prüfung für revolutionäre Sozialist*innen. Die Frage ist nicht, ob es notwendig ist, in der Frauen-, LGBTQ+-, Umwelt- oder anderen Bewegungen zu intervenieren. Wir unterstützen diese Bewegungen voll und ganz und müssen uns energisch in sie einmischen. Die Frage ist, wie? Als Marxist*innen müssen wir die positiven Merkmale dieser Bewegungen realistisch einschätzen und auch ihre Grenzen erkennen, einschließlich ihres Mehrklassencharakters. Es ist notwendig, mit dem sozialistischen Programm, das wir verteidigen, auf einer Klassenbasis in sie einzugreifen. Es ist nicht die Aufgabe revolutionärer Trotzkist*innen, sich dem kleinbürgerlichen und bürgerlichen Druck der Identitätspolitik und des Separatismus zu beugen, wie es die NFF-Fraktion [Vorläufer der ISA] und ihre Führung getan haben.” 7

Und dennoch hat die gesamte Führung der späteren ISA während des Fraktionskampfes 2019-2020 unsere Kritik an der irischen Sektion abgetan oder heruntergespielt oder ihre fehlerhafte Anpassung an die Identitätspolitik verteidigt.

Die ISA-Mehrheit scheint zwar teilweise anzuerkennen, in welchem Maße die “Minderheitenplattform” vor der kleinbürgerlichen Identitätspolitik kapituliert hat, ist aber offensichtlich der Meinung, dass dieses Problem erst nach der Spaltung mit dem CWI aufgetreten ist. Dass die Kritik der CWI-Führung an dieser Entwicklung, insbesondere in der irischen Sektion, zentraler Ausgangspunkt der Debatte 2018/19 war, wird in keiner Weise gewürdigt. Es gibt auch keine Bilanz der anderen Themen in der Debatte, einschließlich der Notwendigkeit, sich an den Gewerkschaften zu orientieren, und der Frage, wie ein Übergangsprogramm und -methode in dieser Zeit formuliert werden kann.

Der Durchbruch in den USA durch die Wahl von Kshama Sawant in den Stadtrat von Seattle im Jahr 2013 wird erwähnt, aber es gibt keine Bewertung des schwerwiegenden Fehlers, den die ISA im Jahr 2022 begangen hat, als sie diese Position kampflos aufgab oder keine*n Kandidat*in aufstellte (eine Entscheidung, die Berichten zufolge nur von der ISA-Führung in den USA getroffen wurde), obwohl sie sich im Jahr 2021 erfolgreich gegen eine von den Rechtsdemokraten initiierte Abberufung gewehrt hatte. Tatsächlich scheint die ISA-Mehrheit keine klare Bilanz der Vergangenheit oder Perspektiven für den Klassenkampf und die sich daraus ergebenden Aufgaben für den Aufbau einer revolutionären Internationale zu haben, abgesehen von einem Plädoyer für “eine längere Periode von Debatten und Klärungen”, die “erforderlich sind, um diese Krise zu überwinden”.

Es ist klar, dass die politische und organisatorische Degeneration der ISA weitergehen wird, mit weiteren Spaltungen und Abspaltungen, da sie sich immer weiter von der Arbeiterklasse entfernt.

Im Gegensatz dazu hat das CWI durch Diskussionen und Debatten Klarheit und Einigkeit in Bezug auf die wichtigsten globalen Prozesse und Trends erreicht8 und erfolgreich in die wichtigsten Kämpfe der Unterdrückten und der Arbeiter*innenklasse eingegriffen, wie die Black-Lives-Matter-Bewegung, die Massenproteste gegen den Massenmord im Gazastreifen und die Streikwelle in verschiedenen Ländern.

Darüber hinaus hat das CWI Materialien zu den großen aktuellen Fragen der Arbeiter*innenbewegung, wie z. B. zur Covid-Pandemie und zu den “Lockdowns”, erstellt, die sich bewährt haben. Wir erörtern und debattieren auch strategische Fragen, z. B. wie revolutionäre sozialistische Kräfte in dieser Zeit aufgebaut werden können9 und in welchem Verhältnis diese historische Aufgabe für Marxist*innen zum Entstehen neuer Massenparteien der Arbeiter*innenklasse steht.

Wir appellieren an die Mitglieder und ehemaligen Mitglieder der ISA, die nach einem Weg nach vorn suchen, um eine revolutionäre sozialistische Internationale aufzubauen, die in der Arbeiter*innenklasse verwurzelt ist, die Lehren aus dem Crash zu ziehen, der sich in der ISA abspielt. Wir fordern sie auf, unser Material im Lichte dieser Erfahrung neu zu lesen und zu überdenken. Wenn sie bereit sind, Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen und mit der Aufgabe einverstanden sind, die Kräfte des Marxismus auf der Grundlage der zentralen Rolle der Arbeiter*innenklasse aufzubauen, dann sollten sie mit dem CWI diskutieren und einen Dialog führen.

1IS-Mehrheitsdokumente – Marxist.net und das Buch des CWI, “In Defence of Trotskyism”

2Rebuilding the CWI, Lessons and tasks | (socialistworld.net)

3‘Politisch die Krise in der ISA angehen’, Internationales Mitgliederbulletin der ISA, 15. März 2024

4‘Politically addressing the crisis in ISA’, ISA international members’ bulletin, 15. März 2024

5“Die Krise der ISA politisch angehen”, Internationales Mitgliederbulletin der ISA, 15. März 2024

6“Die Krise in der ISA politisch angehen”, Internationales Mitgliederbulletin der ISA, 15. März 2024

7“Wiederaufbau des CWI, Lehren und Aufgaben”, 1. September 2019

8Kapitalismus in globaler Krise und Konflikt und der Kampf für den Sozialismus | (socialistworld.net)

9The Struggle for a Revolutionary Party Today | (socialistworld.net)

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