„Die da oben“ abstrafen

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Zu den Kommunalwahlen in Ostdeutschland

Es waren Werte, die zu erwarten waren und doch sind es Ergebnisse, die schockieren: In Ostdeutschland wurde die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) noch vor der CDU weithin stärkste Kraft bei den Kommunalwahlen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen und Sachsen-Anhalt (und in Thüringen einige Wochen zuvor).

Die Stärkung der rassistischen und aggressiv-nationalistischen Kräfte auf der Wahlebene ist eine ernste Warnung. Wenn man die relativ geringe Wahlbeteiligung und die Tatsache, dass Menschen ohne EU-Pass kein Wahlrecht hatten in Betracht zieht, ist die absolute Zahl der AfD- und Rechtsaußen-Wähler*innen geringer als die Prozentzahl den Anschein macht. Die Politik in den Kommunen wird trotzdem von den Rassist*innen stärker beeinflusst werden.

Von Steve Hollasky, Dresden

In Thüringen gaben etwa 30,7 Prozent der Wähler*innen der AfD ihre Stimme bei den Wahlen zum EU-Parlament, hinzu kommen weitere rechtsextreme Kleinstparteien, bei denen Menschen ihre Kreuzchen machten. In Sachsen erreichte die AfD sogar 31,8 Prozent.

Bei der Kreistagswahl in Bautzen gewann die AfD 34,8 Prozent. Hinzu kommen 2,8 Prozent für die „Freien Sachsen“. Dieser Zusammenschluss rechtsextremer Parteien hatte im Wahlkampf den Austritt des Freistaats aus der Bundesrepublik gefordert.

In der ostsächsischen Stadt Görlitz holte die AfD 37,2 Prozent. Mitunter vereinte die AfD in ländlichen Regionen in Ostdeutschland mehr als fünfzig Prozent der Stimmen auf sich.Gleichzeitig konnte sie bei den Stichwahlen um Bürgermeister*innen- und Landratsämter in Thüringen keinen Sitz gewinnen. Es scheint, dass die AfD zwar ihr Stimmenpotenzial weiter ausschöpfen kann, dass dieses aber nicht unbedingt gewachsen ist und sich stattdessen die Polarisierung verfestigt hat.

Etablierte abstrafen

Entscheidend für den Ausgang der Kommunalwahlen ist die Absicht vieler Ostdeutscher die Etablierten abzustrafen. Das Ergebnis ist das entsprechende: Die im Bund regierenden Parteien – SPD, Grüne und FDP – wurden haben massiv an Stimmen verloren, mancherorts wurden sie geradezu marginalisiert. Im Dresdner Stadtrat verfügt die SPD noch über ganze sechs von siebzig Sitzen. Die FDP, die den Oberbürgermeister in der Landeshauptstadt stellt, ergatterte gerade noch zwei.

Die Angst vor Krieg treibt – so zeigen zahlreiche Befragungen inzwischen deutlich – viele Menschen in Ostdeutschland um, mehr noch als im Westen. Die Waffenlieferungen der Ampelregierung an die Ukraine und damit die wenigstens indirekte Beteiligung am imperialistischen Ringen zwischen NATO und Russland, disqualifiziert die drei Parteien gerade im Osten deutlich. Die CDU – sehr wohl ebenfalls bereit, Waffen zu liefern – kann aufgrund ihrer Position zum Ukraine-Krieg an dieser Frage auch nicht punkten.

Die AfD und das taufrische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die beide Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen, konnten auch wegen dieses Themas Stimmen gewinnen.

Die Linke nicht als Interessenvertretung wahrgenommen

Umso dramatischer, dass dies der Linken nicht gelang. Ein Umstand, der beweist, dass unsere Einschätzung über die Folgen der Regierungsbeteiligung mit pro-kapitalistischen Parteien richtig war. Die Linke wird nach den Jahren in Regierungsverantwortung in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Berlin, Brandenburg und in vielen Kommunen – auch Dresden hatte zeitweise faktisch eine rot-rot-grüne Koalition – von vielen Menschen in Ostdeutschland zum Establishments gezählt, nicht zuletzt weil die Regierungspolitik unter Einbeziehung der Linkspartei (und vorher der PDS) in ihrer Gesamtbilanz für die Arbeiter*innenklasse negativ ausfiel.

Aktuell wird Die Linke vielfach als eine von „denen da oben“ gesehen, die sich an SPD und Grüne anbiedert und jetzt im Falle Thüringens sogar bereit ist, mit der CDU zu koalieren.

In Dresden musste das „Bündnis für Pflege“ den Versuch der Linke-Sozialbürgermeisterin einen Standort des Städtischen Klinikums zu schließen durch Proteste verhindern.

Wirklich mutige Initiativen gegen Krieg, gegen drohenden Jobverlust, Privatisierungen und die Kürzung sozialer Leistungen oder gar einer Alternative zum kapitalistischen Irrsinn gingen von der Linken nicht aus. Was als Teil von Koalitionen mit Grünen und SPD ohnehin nicht zu erwarten war, gelang der Linken in der Opposition hingegen ebenfalls kaum. Die Wahl der Partei hat im Erleben gerade von Arbeiter*innen schlicht keinen Gebrauchswert.

Gewählt wird, was als „frisch“ verstanden wird

Gestärkt wurden im Osten nicht nur rechtsexteme Kräfte, sondern all diejenigen, die als „frisch“ galten. In Dresden holte die FDP-Abspaltung „Team Zastrow“, um den Kleinunternehmer Holger Zastrow, aus dem Stand sieben Sitze im Stadtrat und Zastrow kam an die zweite Stelle im Ranking der am meisten gewählten Kandidaten. Das BSW eroberte fünf Sitze. Anders als Holger Zastrow sind alle für das BSW Gewählten bislang gänzlich unbekannt.

In Zittau wurde das Wahlbündis „Zittau kann Mehr“ (ZkM) nach seiner Gründung 2013 bei dieser Kommunalwahl mit 18 Prozent zweitstärkste Kraft nach der AfD. Das ZkM will unter anderem den Klimawandel bekämpfen und mehr Radwege schaffen. Womit bewiesen sein dürfte, dass ein Eintreten gegen die drohende Klimakatastrophe kein Stimmenkiller sein muss – auch nicht im Osten. Verfolgt man hingegen eine Politik wie die Grünen, die die Menschen beim Wort :Klimawandel“ unwillkürlich aus Furcht an die Brieftasche greifen lässt, weil kleine Einkommen permanent belastet, die eigentlichen Klimakiller in der Großindustrie aber geschont werden, verliert man eben Stimmen.

In Freiberg gewann ein Wahlbündnis, das aus dem Kampf gegen die AfD entstanden ist, vier von vierunddreißig Sitzen im Stadtrat. Die Linke holte dort nur zwei Sitze. In Thüringen lagen Die Linke und das BSW bei den Kommunalwahlen etwa gleich auf.

Die Kommunalwahl und die Wahl zum EU-Parlament waren im Osten eine Absage an die etablierten Parteien. Enttäuscht sind vor allem Arbeiter*innen, Jugendliche und von Armut betroffene bzw. bedrohte Menschen. Eigentlich wäre das eine Voraussetzung für eine deutliche Linksentwicklung. Doch da Die Linke als eine Spielart eben dieses Establishments angesehen wird, gelang es ausgerechnet der AfD, die die etablierte Politik des Sozialabbaus mit verschärften Mitteln fortsetzen würde, zu punkten. Die Hoffnung einiger, das BSW werde die AfD schwächen, hat sich allenfalls zu Teilen erfüllt. Verhältnismäßig wenige frühere AfD-Wähler*innen sind zum BSW gewechselt, dafür umso mehr von SPD und Linke.

Wahlverhalten von Jugendlichen

Der Anteil der AfD bei den 16- bis 24jährigen mag überdurchschnittlich gewesen sein, doch das ist längst nicht der einzige bedeutende Befund. Mehr als ältere Wähler*innen neigten Jugendliche in der Wahl zum EU-Parlament in den ostdeutschen Bundesländern dazu kleine Parteien zu wählen.

Hervorgehoben sei hier das Abschneiden von „Volt“. Jugendliche sehen sich nicht nur einer als übermächtig empfundenen hohen Anzahl von Krisen ausgesetzt, sie begreifen sich laut mehrerer Studien zur Stimmung unter jungen Menschen aller Mitbestimmungsmöglichkeiten beraubt. Nicht zuletzt deshalb gab es den relativ großen Zuspruch für die „Europapartei“ Volt, die mit einer Ausweitung der Teilhabemöglichkeiten wirbt. Zudem hoffen viele Jugendliche durch eine Vertiefung der europäischen Integration auf eine stärkere internationale Zusammenarbeit, um Kriegsgefahr und Klimawandel, Armut und Rassismus zu begegnen. In ihrer Hoffnung auf die EU, die selbst² undemokratisch, neoliberal, militaristisch und rassistisch ist, mögen sie sich dabei täuschen, der Reflex ist zumindest verständlich. Es darf auch nicht unbeachtet bleiben, dass bei Jugendlichen der Stimmanteil für Die Linke sechs Prozent und damit weit über dem Bundesdurchschnitt lagen.

Die Stimmung bei Jugendlichen scheint sich – auch unter dem Eindruck der enormen Demonstrationen gegen die AfD in den letzten Monaten – weiter zu polarisieren. Die Stimmen für die AfD nehmen zu, doch auch Gegenstimmen werden wieder lauter. Genau hier liegen Anknüpfungsmöglichkeiten für sozialistische Politik.

Extreme Rechte weniger mobilisierungsfähig

Für viele war es ein Widerspruch, dass bis zum Abend vor den Wahlen noch teilweise sehr große Demonstrationen gegen die AfD, auch in Ostdeutschland, stattfanden und zugleich dieses Wahlergebnis tags darauf folgte. Dieser Umstand zeigt gleich mehrere Dinge: Zum Einen ist die extreme Rechte auf der Straße noch immer weniger mobilisierungsfähig als deren Gegner*innen. Zum anderen konnten diese, durch ihre Weigerung in den „Wir-sind-die-Brandmauer“-Bündnissen politische Argumente gegen rassistische Positionen zu formulieren, keine (potenziellen) AfD-Wähler*innen überzeugen. Nur wenn man die Ursachen des AfD-Wachstums angeht und auch die unsoziale Politik der etablierten Parteien kritisiert und gleichzeitig eine Alternative aufzeigt, wie durch gemeinsamen Kampf aller von arbeiter*innenfeindlicher Politik Betroffenen die gemeinsamen Interessen durchgesetzt werden können, kann man auch Wähler*innen der AfD zurückgewinnen.

Als wir inhaltliche Flyer gegen die AfD verteilten, erklärten uns Angesprochene, sie würden wissen, dass die AfD „nicht das Wahre“ sei, aber wüssten nicht, wen sie wählen sollen. Es müsse, so ihre weitere Darstellung, aber etwas geschehen. Man wird die achtzig Prozent, die gerade eben unzufrieden mit Scholz und Co. sind, nicht gewinnen, indem man ihnen sagt, sie sollen nicht AfD wählen, was sie vielfach tun, weil sie unzufrieden sind und keine politische Alternative sehen.

Kämpferischen Kandidat*innen können erfolgreich sein

Mit Dorit Hollasky trat eine Sol-Genossin auf der Liste der Dresdner Linken an, die als kämpferische Gewerkschafterin und Sprecherin des Dresdner „Bündnis für Pflege“ bekannt ist. Dorit kandidierte, um die Dresdner Linke zu unterstützen, hatte aber von Anfang an klar gemacht, dass sie und die Sol-Mitglieder andere Schwerpunkte haben und keinen aktiven Wahlkampf betreiben werden. Trotzdem erhielt sie mehr als eintausend Stimmen und lag in ihrem Wahlkreis nur knapp hinter dem Stadtvorsitzenden der Linken. Wir wurden auf die Kandidatur mehrfach begeistert angesprochen. Es gab sogar einen Aufruf auf Facebook, Dorit zu wählen. Die Bereitschaft kämpferische, sozialistische Kandidat*innen zu wählen ist also durchaus da.

Ernste Warnung

Das Ergebnis der Wahlen zu den Kommunal- und zum EU-Parlament muss für die Linke und die Arbeiter*innenbewegung eine ernste Warnung sein! Die Arbeiter*innenklasse benötigt eine wirkliche politische Vertretung. Eine solche kann nur kämpferisch, demokratisch und sozialistisch sein, muss also dem kapitalistischen Irrsinn von Krieg, Streichung sozialer Leistungen, Jobabbau, Unsicherheit und Klimawandel eine grundlegende Alternative entgegenstellen.

Nur dann kann man Wähler*innen von der AfD wieder loseisen. Das heißt aber auch die Brücken zu pro-kapitalistischen Parteien wie SPD und Grünen hinter sich abzubrechen. Die Übel des Kapitalismus, die Übel des Militarismus und die Übel des Rassismus könne man nur in einem Akt bekämpfen, hat Martin Luther King einmal gesagt. AfD, CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne sind Spielarten desselben Systems. Sie alle sind bürgerliche Parteien. Die Arbeiter*innenklasse braucht ihre eigene. Um die gilt es zu kämpfen.

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