Was droht unter einem Kanzler Merz?

Der Banker und Lobbyist wird den Reichen dienen

Seit September ist klar: Friedrich Merz wird bei der nächsten Bundestagswahl für die Union als Kanzlerkandidat antreten. Da die Umfragen CDU/CSU vorne sehen, scheint ein Kanzler Merz wahrscheinlich. Was würde mit ihm drohen?

von Hans Neumann, Lemgo

Schon lange setzt sich Merz für umfassende Deregulierungen, Privatisierungen, die Abschaffung von Kündigungsschutzmaßnahmen und die Kürzung von Sozialleistungen ein und nutzt systematisch Demagogie, um Minderheiten zu Sündenböcken für die Probleme der kapitalistischen Wirtschaft und seiner Politik zu machen: So diffamierte er zum Beispiel im Jahr 2022 ukrainische Geflüchtete als “Sozialtouristen”, 2023 migrantische Schüler als “kleine Paschas” oder behauptete im gleichen Jahr irrsinnigerweise, Geflüchtete würden Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen. In diesem Jahr legte er nach und zeichnete sie verantwortlich für Probleme auf dem Wohnungsmarkt, in Unis, Krankenhäusern und Arztpraxen. Gleichzeitig forderte er bereits die Abschaffung von Bürgergeld, welche gegen eine “Neue Grundsicherung” ersetzt werden soll, die insbesondere die Daumenschrauben zur Annahme jedes noch so miesen Jobs anziehen wird und vorsieht, dass bereits das Versäumen eines einzigen Jobcentertermins zu Sozialleistungen führen wird.

CDU-Programm: Kiloweise Merz?

Unter der Führung von Friedrich Merz hat sich die CDU insbesondere durch die Debatten zum neuen Grundsatzprogramm spürbar weiter nach rechts bewegt, besonders in der gesellschaftspolitischen Haltung zur Migration, wo Merz eine noch härtere Linie gegen Geflüchtete verfolgt. Zugleich fördert er aber auch einen klarer neoliberal geprägten, wirtschaftspolitischen Kurs, der auf Sparmaßnahmen und Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche setzt. 

Auch wenn Merz und die Parteiführung besonders im Wahlkampf bemüht sein werden, eine Fassade der Einheit zu wahren, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der CDU reale, oft unausgesprochene Differenzen über den Kurs des Merzflügels bestehen, zum Beispiel zur Frage der Schuldenbremse oder der Migration. Es sei daran erinnert, dass Merz im Kampf um den CDU-Vorsitz wiederholt erst gegen Angela Merkel, später gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und sogar Armin Laschet verloren hat. Diese Konfliktlinien können erneut in Zukunft hervorbrechen – insbesondere, wenn eine CDU-Regierung an Unterstützung verliert und sich größere Proteste von unten entwickeln. 

Grundsatz: Kürzen

Ein weiterer Angriff auf die staatliche Rente scheint eines der Ziele der Union zu sein. Sie soll durch eine verpflichtende kapitalgedeckte Altersvorsorge ergänzt werden. Damit steht Merz für eine Teilprivatisierung der Altersvorsorge und damit für mehr Spekulation mit der Rente im kapitalistischen Casino. Merz schloss zwar die Rente mit 70 aus, aber im Grundsatzprogramm heißt es auch, dass die “Lebensarbeitszeit für diejenigen, die arbeiten können, steigen muss” (S. 58).

Das neue Grundsatzprogramm setzt zudem auch klar auf Deregulierung und marktwirtschaftliche Instrumente, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern (S. 51) und in der Steuerpolitik wird für eine deutliche Reform zugunsten von Unternehmen geworben (S. 54).

Leider stehen die Kürzungsvorhaben der CDU in einer langen Tradition der politischen Aktivität von Friedrich Merz: So erregte im Jahr 2008 sein Lob einer Studie der TU Chemnitz bundesweit Aufsehen, welche die Höhe einer ausreichenden Existenzsicherung zwischen lächerlichen im Rahmen von 132 bis 278 Euro schätzte und befürwortete damit drakonische Einsparungen für Bedürftige.

Grundsatz: Repression!

Im Bereich der inneren Sicherheit wird eine klare Repressionsstrategie verfolgt. Ein zentrales Vorhaben ist der verstärkte Einsatz von intelligenter Videotechnik an sogenannten “Gefahrenorten” (S. 17) und eine harte Linie gegen “extremistische Bewegungen”, wobei auch linke Aktivist*innen sowie palästinasolidarische Bewegungen ins Visier genommen werden (S. 21f.). Mahnen sollten uns Merz’ Aussagen aus dem Jahr 2021, wo er selbst die Umweltverbände Greenpeace und NABU implizit als Gegner der Demokratie bezeichnete. 

Grundsatz: Rassismus!

Ein weiteres Element der „Merzausrichtung“ der CDU ist die strikte Einschränkung der doppelten Staatsbürgerschaft, die nach Willen der CDU nur noch in Ausnahmefällen gewährt werden soll. Wiederholt hat sich Merz bereits dafür ausgesprochen, das Asylrecht einzuschränken und tätigt auch immer wieder Aussagen, die in der Konsequenz auf eine Abschaffung hinauslaufen würden (1). Das Grundsatzprogramm will alle Asylsuchenden in einen „sicheren Drittstaat“ überführen. Bei positivem Bescheid soll „vor Ort“ Schutz gewährt werden. Das würde das Grundrecht auf Asyl völlig entstellen.

Vor diesem Hintergrund forderte Merz auch bereits einen generellen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien, wo ein verheerender Bürgerkrieg herrscht, sowie für Menschen aus Afghanistan, das unter der Herrschaft der islamistischen Taliban steht.

Dauerhafte Grenzkontrollen und eine pauschale Zurückweisung aller Geflüchteten an den Grenzen zu Polen und Österreich stehen ebenfalls auf der politischen Agenda, was auch zu Verwerfungen mit den Regierungen dieser Staaten führen wird.

Grundsatz: Rückschritt!

Das CDU-Grundsatzprogramm propagiert zudem ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, ähnlich dem Zivil-/Bundeswehrdienst, von dem aber vor allem die Bundeswehr profitieren soll (S. 40). Außerdem soll die Verwendung von „Gendersprache“ in Behörden, Schulen, Hochschulen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk komplett verboten werden (S. 42).

Angriffe auf Rechte von Frauen möglich

Insbesondere Frauen haben von einer Regierung Merz nichts Positives zu erwarten. Mahnen sollte, dass Merz stets für strengere Regelungen bei Abtreibungen stimmte und 1997 sogar auch gegen einen Antrag, der die Vergewaltigung in der Ehe als strafbare Handlung führte. Zuvor galt sie lediglich als Nötigung, was die Strafen deutlich milder ausfallen ließ und eine deutliche Barriere dafür war, dass die Vergewaltigung als solche überhaupt ernst genommen wurde, obwohl sogar laut einer damaligen Studie dreiviertel aller Vergewaltigungen im häuslichen Umfeld stattgefunden hatten. Ein Vorschlag für eine Gesetzesreform der CDU sah eine sogenannte Widerspruchsklausel vor, die dazu geführt hätte, dass bei einer Anzeige die Strafverfolgung gestoppt worden wäre, sobald die Ehefrau ihre Anzeige zurückgezogen hätte, auch wenn dies unter Druck des Täters geschehen wäre. Da diese Initiative im Bundesrat blockiert wurde und stattdessen ein parteiübergreifender Antrag für eine Gesetzesnovelle ohne Widerspruchsklausel initiiert wurde, stimmte Merz hiergegen und stellte sich damit implizit an die Seite von Tätern.

Bonzen-Kanzler Merz

Merz unternehmerfreundliche und arbeiter*innenfeindliche Politik führt er durchaus im eigenen Interesse: Bevor er 2018 wieder überwiegend in die Parteipolitik zurückkehrte, arbeitete er vorwiegend als einflussreicher Rechtsanwalt und Lobbyist. So war Merz etwa bis 2021 als Senior Counsel im Düsseldorfer Büro der internationalen Rechtsanwaltskanzlei “Mayer Brown” tätig. Dort wurden Mandant*innen betreut, die in die kriminellen Cum-Ex-Geschäfte verwickelt waren – dem größten Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik. Diese Geschäfte führten zu milliardenschweren Steuerverlusten und sind ein regelrechtes Symbol skrupelloser Finanzmanipulationen.

Bereits 2010 wurde Merz vom staatlichen Bankenrettungsfonds SoFFin beauftragt, den Verkaufsprozess der Landesbank WestLB an private Investoren zu leiten. Merz gehörte jedoch seit Juni 2010 auch dem Aufsichtsrat der Großbank HSBC an, die Verhandlungen über einen Teilkauf der WestLB führte. Für seine Tätigkeit bei der SoFFin ließ sich Merz 5.000 Euro vergüten. Pro Tag. Auch sonn- und feiertags! Insgesamt sollen so für die letztlich erfolglose Tätigkeit 1,98 Millionen Euro aus unseren Steuergeldern in seiner privaten Tasche gelandet sein.

Auch während der Zeit als Abgeordneter arbeitete Merz immer wieder nachweislich im Auftrag von diversen Kapitalist*innen. Aufsehen erregte Merz dabei 2006, als er mit acht weiteren Abgeordneten letztlich erfolglos eine Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichte, um sich gegen die Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte zu wehren. Merz begleitete damals im Auftrag seiner Kanzlei einen Börsengang der in Parteispenden an die CDU verwickelten und massiv staatlich subventionierten Ruhrkohle AG.

Zudem war Merz von 2016 bis 2020 als Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist für die berüchtigte Investmentgesellschaft BlackRock tätig, die laut Financial Times ein Vermögen in Höhe von atemberaubenden 11,5 Billionen US-Dollar verwaltet – fast das Dreifache des Bruttoinlandsprodukts Deutschlands. Laut Schätzungen soll das Unternehmen 2019 über Anteile an mehr als 17.000 Unternehmen weltweit verfügt haben, darunter auch nachweislich an den größten Immobilienkonzernen Deutschlands, wie etwa Vonovia, LEG und TAG Immobilien. Wenn in den nächsten Jahren die Mieten von Millionen deutscher Wohnungen steigen, profitiert davon unmittelbar das Unternehmen, zu dem Merz intensivste persönliche und geschäftliche Kontakte hegt. Dass somit eine Bundesregierung unter Merz alles in ihrer Macht Stehende versucht, gesetzliche Begrenzungen des Anstiegs von Wohnungsmieten zu verhindern und sie ein Gegner der Mietenbewegung und von Enteignungen der Immobilienkonzerne wäre, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Für Merz hat sich diese Form der legalen Korruption bisher gelohnt, so gab er in einem Interview mit der Bild im November 2018 an, rund eine Million Euro brutto pro Jahr zu verdienen. Dem gerne auch mit einem Privatflugzeug reisenden Multimillionär ist das aber noch nicht genug: 2018 jammerte dieser noch gegenüber “Bild”, lediglich zur “gehobenen Mittelschicht” zu gehören. Wer sich so fernab der Realität der Bevölkerungsmehrheit bewegt, wird noch weniger Probleme damit haben, die Folgen der Wirtschaftskrise auf die lohnabhängige Bevölkerung abzuwälzen.

Kommende Angriffe

Die wirtschaftsliberale Agenda von Friedrich Merz birgt eine Vielzahl von Angriffen auf Arbeiter*innen, die sich in sehr unterschiedlichen Bereichen manifestieren können. Viel spricht dafür, dass die Union mit einigen Vorhaben zudem noch hinter’m Berg hält bis nach der Wahl. Wie andere Vertreter*innen des Kapitals forderte Merz aber gegenüber der Süddeutschen Zeitung bereits eine sogenannte “Agenda 2030” aufzustellen, eine Kürzungsorgie im Sinne der “Agenda 2010”. In diesem Zug strebt er gleichzeitig die Senkung von Unternehmenssteuern an, finanziert durch massive Senkungen der Sozialausgaben. Würden diese kommen, wäre er auch offen für eine Reform der Schuldenbremse. 

Aufgaben für Gewerkschaften und Die Linke

Sollte Friedrich Merz Kanzler werden, liegt das vor allem an der massiven Unbeliebtheit der Ampel und nicht an Euphorie für seine politischen Ideen und die Union. Eine Mehrheit der Bevölkerung hält aktuell alle Kanzlerkandidat*innen der Parteien für ungeeignet und glaubt, die Union würde einen ähnlichen Job machen wie die Ampel. Doch Merz will die Kürzungen und Angriffe der Ampel noch ausweiten. Die Gewerkschaften und die Linke müssen schon jetzt zeigen, dass ein gemeinsamer Kampf gegen Kürzungen und Angriffe der Scholz-Regierung möglich und dringend erforderlich ist – das ist die beste Vorbereitung auf eine Merz-Regierung. Das beinhaltet auch, sich gegen rassistische Politik zu positionieren, die die arbeitende Bevölkerung spaltet – egal von wem sie kommt. 

Leider hat die Arbeiter*innenklasse im Moment keine starke und massenbasierte politische Interessenvertretung. Je größer die Angriffe des Kapitals, umso nötiger wird diese. Um den Kampf für eine Politik im Interesse der arbeitenden Mehrheit erfolgreich zu führen, müssen deshalb Aktive aus Gewerkschaften, Linke und sozialen Bewegungen auch diskutieren, wie eine solche sozialistische Arbeiter*innenpartei aufgebaut werden kann.

Wir fordern deshalb:

– Keine Kürzungen, kein Stellenabbau und keine Privatisierungen

– Statt Bürgergeld: Soziale Mindestsicherung und Mindestrente von 900 Euro plus Warmmiete für jede*n Erwachsenen und 700 Euro pro Kind – ohne Bedürftigkeitsprüfung und Schikanen

– Keine Rente ab 67, Renteneinstiegsalter auf 60 Jahre senken

– Keine Privatrente – Altersvorsorge raus aus Unternehmerhand

– Öffentliches Investitionsprogramm in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit und Umwelt zur Schaffung sicherer und tarifgebundener Arbeitsplätze – finanziert durch die Profite der Banken und Konzerne

– Eine Vermögenssteuer von zehn Prozent ab einer Million Euro Vermögen, ein stark progressives Steuersystem und drastisch höhere Steuern auf Unternehmensprofite und Erbschaften.

– Eine einmalige Abgabe von 30 Prozent auf das Geldvermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen!

– Kapitalismus ausMerzen: Für eine sozialistische Demokratie weltweit!

(1) siehe z.B. https://www.stern.de/politik/friedrich-merz-und-sein-langes-ringen-mit-dem-grundrecht-auf-asyl-35016990.html oder in seinem Podcast „Merz trifft“, Folge 1, ab Min. 22 (https://open.spotify.com/episode/6T64P6yurPM9q6LXtCuLTa): In dem er seiner Aussicht nach nicht gegen jede Form der Einwanderung sei, aber „[…] das muss dann etwas anderes sein, als Asyl. Das ist dann gezielte Einwanderung und diejenigen, die gezielte Einwanderung auch ermöglichen und organisieren, definieren Einwanderung aus den Interessenlagen des Staates und nicht aus der Interessenlage der Einwanderer heraus. Das ist der entscheidende Unterschied.“

Dieser Artikel erschien in der November-Ausgabe der Solidarität (vor dem Zusammenbruch der Ampel-Regierung).