Statement des Exekutivkomitees der Independent Socialist Group (ISG)
Am Samstag, den 13. Juli, feuerte ein einzelner Schütze bei einer Kundgebung in Pennsylvania Schüsse auf den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ab, tötete eine Person im Publikum und verletzte zwei weitere. Eine Kugel streifte Trumps rechtes Ohr, er hob eine Faust, als die Sicherheitskräfte ihn von der Bühne eskortierten. Dies verdeutlicht die große Spaltung und Polarisierung, die in der heutigen US-Gesellschaft herrscht.
Das versuchte Attentat verdeutlicht die Spannungen in der aktuellen US-Politik angesichts der bevorstehenden Wahlen im Jahr 2024. Viele Arbeiter*innen und Jugendliche, die von den Hauptkandidaten auf dem Wahlzettel desillusioniert sind, haben gehofft, dass ein außergewöhnlicher Unfall, eine Krankheit oder das Erliegen an Altersschwäche eine Abkürzung für einen Ausweg aus den düsteren Aussichten für die nächsten vier Jahre sein könnte.
Sowohl die demokratische als auch die republikanische Partei haben die Angriffe auf die arbeitenden Menschen verstärkt – sie haben die Löhne gesenkt und das Leben der Arbeiter*innen immer unsicherer gemacht. Das schafft eine Basis auf der die extreme Rechte rekrutieren kann.
Weder die “Entfernung” von Trump und Biden als Kandidaten noch die Wahl des „kleineren Übels“ werden die grundlegende Situation für die Arbeiter*innenklasse ändern. Was wir brauchen, ist der Aufbau einer unabhängigen linken Alternative zur Konzernpolitik der Demokrat*innen und Republikaner*innen als Schritt zum Kampf gegen das kapitalistische System als Ganzes.
Individueller Terrorismus wird das „Projekt 2025“ und die Plattform der extremen Rechten nicht aufhalten
Die Ermittler*innen der Bundesbehörden identifizierten den zwanzigjährigen Thomas Matthew Crooks aus Pennsylvania als den Schützen, aber seine Motive bleiben unklar. Aus den Unterlagen geht hervor, dass Crooks ein eingetragener Republikaner war und sich für Schusswaffen, Zerstörung und Schießkunst interessierte. In der High School spendete er einmal an Act Blue, den wichtigsten Webdienst der Demokratischen Partei zur Mittelbeschaffung. Auch wenn er möglicherweise ein politisches Motiv für den Anschlag auf die Kundgebung hatte, deutet nichts darauf hin, dass eine linke Organisation, die sich gegen den Trumpismus richtet, hinter dem Attentat steckt. Angesichts der häufigen Beschreibungen von Mitschüler*innen und Nachbar*innen als „stiller Einzelgänger“ ist es ebenso plausibel, dass er ein entfremdeter Jugendlicher war, der keinen offenkundigen politischen Grund für die Schüsse hatte.
Unabhängig vom Motiv müssen wir als Sozialist*innen darauf hinweisen, dass politische Attentate und Terrorismus nicht der Weg sind, um die extreme Rechte oder das kapitalistische System zu besiegen. Wie andere Attentate in der Geschichte, hat das Attentat Trumps Anhänger*innen wachgerüttelt und ihm eine Vorlage für einen PR-Erfolg geliefert.
Selbst wenn die Kugel getroffen hätte, bliebe die Unterstützung für den Rechtspopulismus intakt. Zahlreiche Republikaner*innen haben in Trumps Fahrwasser eine Marke rechter Hetze und Demagogie aufgebaut. Selbst wenn sich die Bewegung eine Zeit lang zerstreuen würde, würden sich die kleineren Kapitalist*innen und die „Fachleute“ der oberen Mittelschicht sowie ein Teil der Arbeiter*innen, die derzeit keine Alternative sehen und die zu Trumps Kernanhänger*innen gehören, mit der Zeit neu formieren, wenn das kapitalistische System zwischen internationalem, ökologischem und wirtschaftlichem Druck weiter in die Krise gerät.
Das republikanische Programm mit massiven Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen, einer erheblichen Schwächung der Vorschriften für Großunternehmen, der Kürzung öffentlicher Dienstleistungen, Angriffen auf Gewerkschaften, Frauen, Migrant*innen und LGBTQ+-Personen sowie der Entmündigung von US-Wähler*innen ist in der Tat Jahrzehnte älter als Trump. Die Regierungen Nixon, Reagan und Bush-Cheney haben alle daran gearbeitet, die „Unified Executive Theory“ zu popularisieren, die derzeit in der Publikation „Project 2025“ der Heritage Foundation zitiert wird, um zu rechtfertigen, dass ein künftiger republikanischer Präsident den Kongress ablöst und einseitig eine schreckliche, konservative Politik umsetzt.
Das Dokument des “Projekts 2025” wird zwar aufgrund von Verbindungen seiner Verfasser*innen zu Trump in dessen Nähe gestellt, ist aber auch allgemein genug verfasst, um eine Plattform für jede*n künftige*n republikanische*n Präsidentschaftskandidat*in zu sein. In Anbetracht der Tatsache, dass Trump in der Vergangenheit mit der Heritage Foundation in außenpolitischen Fragen aneinandergeraten ist, ist Trump vielleicht nicht einmal deren idealer Kandidat.
Wie bei Reagan, Ford und Ted Kennedy ist es jedoch möglich, dass der Attentatsversuch nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf die bevorstehenden Wahlen hat. Zum jetzigen Zeitpunkt hat es Trump Auftrieb gegeben und die Folgen deuten auf einen Sieg Trumps hin. Dies ist jedoch nicht sicher und könnte sich noch ändern. Bis November sind es noch vier Monate und es kann noch viel passieren. Auch wenn die Schüsse einige „unentschlossene“ Wähler*innen beeinflussen können, ist es unwahrscheinlich, dass sie die Trump-feindlichen Demokrat*innen oder Unabhängigen überzeugen. Die wichtigste Folge könnte eine Eskalation der staatlichen Überwachung und Verfolgung von „Extremist*innen“ und „inländischen Terrorist*innen“ sein, die das FBI gegen Linke einsetzt. Es könnte auch die militanteren Rechtsextremen ermutigen, offene und bewaffnete Demonstrationen und andere Aktionen als Zeichen der Stärke auszurufen, wie es in Kenosha, Wisconsin, während der Black-Lives-Matter-Proteste geschah.
Politiker*innen verurteilen politische Gewalt in den USA und exportieren sie ins Ausland
Zahlreiche US-Politiker*innen, sowohl demokratisch als auch republikanisch, verurteilten die Schüsse im Besonderen und politische Gewalt im Allgemeinen. In einem Tweet des ehemaligen Präsidenten Barack Obama hieß es, wir sollten „diesen Moment nutzen, um uns wieder zu Anstand und Respekt in unserer Politik zu bekennen“. Dennoch hat Obama während seiner Präsidentschaft den Einsatz von Drohnenangriffen im gesamten Nahen Osten ausgeweitet und dabei sowohl politische, militärische als auch zivile Ziele getroffen. Im Jahr 2011 wurde bei einem von Obama angeordneten Drohnenangriff der 16-jährige US-Bürger Abdulrahman Al-Aulaqi bei einer Hochzeit im Jemen getötet, einem Land, mit dem sich die USA nicht einmal im Krieg befanden.
Trump selbst hat während seiner Amtszeit Coups gegen die Regierungen Venezuelas und Boliviens – ebenfalls Beispiele politischer Gewalt – angefeuert und Drohnenangriffe und Attentate im Nahen Osten angeordnet. Ganz zu schweigen von seiner Rolle bei der Mobilisierung weißer Rassist*innen in Charlottesville, Virginia, im Jahr 2017 und bei den Ausschreitungen auf dem Kapitol im Jahr 2020.
Sowohl die demokratische als auch die republikanische Partei und ihre Nominierten unterstützen die israelische Invasion des Gazastreifens, wo die israelischen Streitkräfte nach Angaben des örtlichen Gesundheitsministeriums schätzungsweise 38.000 Menschen getötet haben. In einem kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift „Lancet“ erschienenen Artikel wird die Zahl der Todesopfer auf 186.000 geschätzt, selbst wenn der Angriff heute eingestellt würde, da unzählige Leichen unter den Trümmern verschwunden sind und die palästinensische Bevölkerung unter den Folgen von Hunger, Dehydrierung und Epidemien leidet.
Zu Hause sind dieselben Politiker*innen schnell dabei, Gewalt gegen ihre Mitstreiter*innen in der Kapitalist*innenklasse zu verurteilen, aber sie befehlen der Polizei, friedliche Demonstrant*innen gewaltsam auseinanderzutreiben, wie man bei den jüngsten Universitätsprotestcamps, den Protesten gegen die Polizeiausbildungsstätte „Cop City“ in Atlanta und den BLM-Protesten des letzten Jahrzehnts gesehen hat. US-Politiker*innen beider kapitalistischer Parteien messen mit zweierlei Maß, wenn es um politische oder andere Gewalt geht, und Sozialist*innen müssen weiterhin darauf hinweisen und sie dafür anprangern.
Unabhängiger Kampf der Arbeiter*innenklasse zur Sicherung demokratischer Rechte notwendig
Die anhaltende Krise der Lebenshaltungskosten sowie die Klimakrise, gepaart mit der Entfremdung, die aus der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung resultiert, lassen Arbeiter*innen und Jugendliche ohne Hoffnung für die Zukunft zurück. Dies kann zu Gewalt oder Suizid führen, sei es aus persönlichen oder politischen Gründen, wie bei der Selbstverbrennung von Aaron Bushnell aus Protest gegen die US-Politik gegenüber Israel und Palästina.
Eine sozialistische Welt ist möglich, und die Arbeiter*innenklasse hat die Macht, sie zu schaffen. Wir können unsere Rolle, die wir für das Funktionieren der Gesellschaft spielen, nutzen, um Dinge zu beenden und einen Waffenstillstand, Gesundheitsversorgung, Wohnraum, eine saubere Umwelt, ein Ende der Diskriminierung und vieles mehr zu fordern. Wir können unsere Betriebe organisieren, für gute Verträge streiken und unabhängige, arbeiter*innenfreundliche Kandidat*innen unterstützen. Arbeiter*innen, Jugendliche, Gewerkschaften und Gemeindeorganisationen, die Proteste, Streiks und Wahlkampagnen koordinieren, können zur Bildung einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei führen, die sich auf die Macht der organisierten Arbeiter*innenschaft stützt und die eine echte Alternative zu den beiden Parteien des Krieges, des Imperialismus und des Kapitalismus darstellen kann.
Eine Arbeiter*innenpartei sollte nicht auf einen abstrakten Pazifismus setzen, sondern bereit sein, ihre Mitglieder gegen den Staat und rechtsextreme Milizen zu verteidigen, die die Kapitalist*innenklasse gegen sie einsetzen wird. Indem sie für die Bedürfnisse der Arbeiter*innenklasse kämpft, kann sie große Teile der Wählerschaft sowohl der Republikaner*innen als auch der Demokrat*innen von diesen Parteien wegbrechen und den massenhaften Klassenkampf als Alternative zum individualistischen Handeln organisieren. Wir können eine Arbeiter*innenbewegung aufbauen, um das gesamte System zu beseitigen, das Trumps, Bidens und alle Politiker*innen im Dienste von Big Business und gierigen Kapitalist*innen hervorbringt, um eine sozialistische Welt zu schaffen, die demokratisch geführt wird und den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt gerecht wird.
Mehr darüber, wie wir die Rechte besiegen und eine Alternative zu den beiden Parteien des Kapitalismus aufbauen können, finden Sie in diesen Artikeln der ISG:
The Working Class and the 2024 Presidential Election – Independent Socialist Group
Why Labor Unions and the Working Class Need a Workers’ Party – Independent Socialist Group