„Der Kampf um neue Arbeiter*innenparteien dauert länger als erwartet“

2003: Block der SAV (Vorgängerorganisation der Sol) beim Protest gegen die Agenda 2010

Interview mit Sascha Staničić zu WASG, der Partei Die Linke und der Rolle von Marxist*innen darin

Die Sol und ihre Vorgängerorganisationen VORAN und SAV waren zu verschiedenen Zeiten Teil größerer linker Parteien. Von der Gründung 1973 bis zur Mitte der 1990er Jahre in der SPD, ab 2004 in der WASG und nach deren Fusion mit der PDS auch in der Partei Die Linke. Warum?

Ich würde einen Unterschied zwischen unserer Mitgliedschaft in der SPD und später dann in WASG und Linke machen. Die Mitgliedschaft in der SPD war eine Taktik, die unter Trotzkist*innen als Entrismus bezeichnet wurde. Dabei stand die Überlegung Pate, dass die Arbeiter*innenklasse, wenn sie sich radikalisiert und in den Kampf tritt, versuchen wird, ihre traditionellen Organisationen instandzusetzen und Marxist*innen an diesen Prozessen teilnehmen sollten, um sich erstens nicht von der Klasse zu isolieren und zweitens aus diesen Prozessen proletarische Kräfte für die revolutionäre Organisation zu gewinnen. Aber die reformistisch-sozialdemokratischen Parteien und Apparate waren ein Hindernis auf dem Weg zur sozialistischen Revolution, die Mitarbeit in ihnen ein taktisches Zugeständnis.

Als die SPD und sozialdemokratische Parteien international in den 1990er Jahren vollständig verbürgerlichten und ihre aktive Massenbasis in der Arbeiter*innenklasse verloren, gab es keinen Grund mehr für uns, die Arbeit in diesen Parteien fortzusetzen. Gleichzeitig mussten wir jedoch erkennen, dass die Arbeiter*innenklasse damit jede Form einer, selbst reformistisch verzerrten, politischen Vertretung verloren hatte. Das politische Bewusstsein in der Klasse war enorm zurückgeworfen worden, die bis dahin existierende Schicht fortschrittlicher Arbeiter*innen mit einem grundsätzlich antikapitalistischen und sozialistischem Selbstverständnis gab es so nicht mehr, weil sich diese Leute zu einem großen Teil aus der politischen Aktivität zurückgezogen oder politisch angepasst haben. Daraus haben wir Mitte der 1990er Jahre die Schlussfolgerung gezogen, dass Marxist*innen fortan eine doppelte Aufgabe habe – den Aufbau der revolutionär-marxistischen Organisation und einen Beitrag dazu zu leisten, sozialistisches Bewusstsein wieder zu verbreiten und neue Arbeiter*innenparteien aufzubauen. Uns war klar, dass die Masse der Arbeiter*innenklasse wahrscheinlich nicht auf direktem Weg revolutionäre Schlussfolgerungen ziehen würde und politische Parteien, die den Anspruch haben die Interessen von Lohnabhängigen zu vertreten, ein notwendiger Schritt bei der Entwicklung der Arbeiter*innenklasse von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich zu werden, wie es Marx einmal formulierte.

Und die WASG war dann eine solche neue Arbeiter*innenpartei?

Die WASG wurde 2003/2004 gebildet, als die SPD-geführte Bundesregierung mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen den größten Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme in der Geschichte der Bundesrepublik durchführte und sich dagegen Massenproteste entwickelten. Sie war keine Massen- und auch keine dezidierte Arbeiter*innenpartei und konnte das in ihrer kurzen Geschichte bis zur Fusion mit der PDS 2007 auch nicht werden, aber sie war ein erster Schritt in diese Richtung. Sie brachte zum Ausdruck, dass sich die von der unsozialen Regierungspolitik betroffenen Lohnabhängigen und Erwerbslosen eine eigene politische Interessenvertretung schaffen mussten und auch, dass die PDS das nicht war und werden konnte. Wir haben von Anfang an begeistert an dem Projekt WASG teilgenommen und darin für eine sozialistische und klassenkämpferische Ausrichtung geworben.

Und was hattet Ihr in den Jahren zwischen dem Austritt aus der SPD und der Gründung der WASG gemacht?

Wir haben damals als marxistische Organisation unter unserem eigenen Banner Kampagnen durchgeführt und in Klassenkämpfe eingegriffen und gleichzeitig Propaganda für die Bildung einer neuen Arbeiter*innenpartei mit sozialistischem Programm gemacht. Wir haben uns massiv an der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung beteiligt und zum Beispiel bei dem Netzwerk attac mitgemacht. Wir haben Schülerstreiks gegen den Afghanistan- und Irak-Krieg organisiert und waren natürlich in den Gewerkschaften aktiv. Und wir haben teilweise unter eigenem Namen, teilweise gemeinsam mit anderen in Bündnissen bei Wahlen kandidiert. So konnten wir zu Beginn der 2000er Jahre dann auch Stadtratssitze in Aachen, Köln und Rostock gewinnen – in Rostock direkt durch eine SAV-Kandidatur und in Aachen und Köln als Teil von lokalen Bündnissen. Nicht zuletzt haben wir eine entscheidende Rolle dabei gespielt am 1. November 2003 100.000 Menschen auf der ersten Massendemonstration gegen die Agenda 2010 zu mobilisieren. Diese Demonstration hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass die WASG sich entwickelte, weil sie unmissverständlich das Potenzial für eine neue politische Kraft gezeigt hatte.

Wie kam die WASG zustande?

Die WASG war letztlich ein Zusammenschluss von zwei Initiativen, die sich damals gebildet hatten und wesentlich aus linken Sozialdemokrat*innen und Gewerkschaftsfunktionär*innen und -hauptamtlichen, aber auch ehemaligen PDS-Mitgliedern und anderen Aktivist*innen bestanden. Hinzu kam eine Gruppe von Linken, die in Berlin zusammengekommen war, um eine linke Kandidatur bei den Abgeordnetenhauswahlen 2006 vorzubereiten. Wir waren nicht Teil des Initiator*innenkreises, sind dann aber sofort beigetreten, als dies möglich war, weil wir das Potenzial erkannten. 

Aber die WASG war doch nicht sozialistisch.

Das stimmt. Sie vertrat wesentlich anti-neoliberale, sozialstaatliche Positionen und war in diesem Sinne reformistisch und das nicht einmal in einem das kapitalistische System in Frage stellenden Sinne. Und trotzdem war die WASG radikal und hatte das Potenzial, die Parteienlandschaft in Deutschland durcheinander zu wirbeln. Das wurde vielleicht am besten durch den Slogan „Jetzt wählen wir uns selbst“ deutlich, der zum Ausdruck brachte, dass in der WASG so genannte einfache Leute sich organisierten und sich aus der oftmals existierenden Stellvertreterhaltung verabschiedeten. Marx und Engels haben sinngemäß einmal gesagt, dass ein Schritt realer Bewegung wichtiger sein kann als tausend Programme. Und genau das war die WASG: ein realer Schritt der Organisierung und des politischen Widerstands von Teilen der Arbeiter*innenklasse. Das war großartig und es wäre dumm und sektiererisch gewesen, daran nicht teilzunehmen, weil am Anfang dieses Prozesses noch kein Bekenntnis zum Sozialismus stand. Es wäre aber andererseits dumm und opportunistisch gewesen, teilzunehmen ohne für ein sozialistisches Programm einzutreten, wie es andere linke Gruppen damals getan haben.

Wofür seid Ihr denn eingetreten?

Wir sind für eine kämpferische Politik, demokratische Strukturen und ein sozialistisches Programm eingetreten. Kämpferische Politik bedeutete, dass der Fokus der Partei auf der Unterstützung von Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen liegen sollte, in den Betrieben und auf der Straße und in den Stadtteilen. Und dass Parlamentsarbeit in den Dienst von Kämpfen und Bewegungen gestellt werden sollte. Aus den Erfahrungen der politischen Anpassung der PDS gab es in der WASG die weit verbreitete Haltung, dass man keine Regierungskoalitionen auf Landes- und Bundesebene mit SPD und Grünen eingehen dürfe. Vor allem die rot-rote Koalition im Berliner Senat war ein abschreckendes Beispiel, denn diese hatte seit ihrer Wahl im Jahr 2002 massiven Sozialabbau betrieben und die Rechte der Landesbeschäftigten angegriffen. Wir haben diese Ablehnung von Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien aber verallgemeinert und als politischen Grundsatz vertreten und gleichzeitig erklärt, dass die sozialen Reformforderungen der WASG im Rahmen des Kapitalismus nicht dauerhaft umsetzbar wären und deshalb eine sozialistische Gesellschaftsveränderung nötig sei – und ergo auch ein sozialistisches Programm für die WASG.

Wie kam das in der neuen Partei an?

Bei vielen kam das gut an und unsere Mitglieder waren überall anerkannte Parteimitglieder. Natürlich waren viele aus der damaligen Parteispitze letztlich doch überzeugte Reformist*innen und Gewerkschaftsbürokrat*innen, die uns nicht freundlich gesinnt waren. Das spitzte sich dann zu, als es nach der Ausrufung von Neuwahlen im Frühjahr 2005 durch den damaligen Bundeskanzler Schröder zum Vereinigungsprozess von WASG und PDS kam und es in dem Kontext eine scharfe Auseinandersetzung um den eigenständigen Wahlantritt der Berliner WASG bei den Abgeordnetenhauswahlen 2006 – also gegen eine sich damals in der Regierung befindende PDS – gab. 

War denn an der Fusion etwas auszusetzen?

Als klar war, dass es 2005 Bundestagswahlen geben würde, hat sich der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine zu Wort gemeldet und seine Rückkehr in die Politik unter der Bedingung angekündigt, dass PDS und WASG gemeinsam kandidieren und sich zusammen schließen. Er war in der ersten rot-grünen Bundesregierung 1998 Finanzminister gewesen und hatte sich dann mit Schröder und seiner eigenen Partei überworfen, weil er gegen die deutsche Beteiligung am Angriffskrieg gegen Rest-Jugoslawien 1999 und gegen die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung war. Lafontaine hatte natürlich einen Masseneinfluss wie niemand sonst und sein Schritt löste bei vielen Begeisterung aus. Wir sahen darin und vor allem in seinen Bedingungen jedoch die Gefahr, dass ein Zusammengehen mit der PDS viele der fortschrittlichen und rebellischen Aspekte der WASG zerstören könnte, vor allem wenn eine solche Fusion die Politik der Regierungsbeteiligungen der PDS mit SPD und Grünen als konstituierenden Bestandteil enthalten würde. 

Wir waren nicht gegen eine Fusion oder gegen die Einheit der Linken in Deutschland. Im Gegenteil. Aber wir wollten eine Einheit auf Grundlage klarer linker Prinzipien. Wir haben 2006 folgende Bedingungen für eine Zustimmung unsererseits zu einer Fusion formuliert: 1) Keine Beteiligung der neuen Partei an Sozialabbau, Stellenstreichungen, Privatisierungen etc, 2) Keine Regierungsbeteiligung mit neoliberalen Parten, 3) Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, 4) Für eine Schwerpunktsetzung auf gewerkschaftliche und außerparlamentarische Kämpfe, 5) Demokratische Strukturen innerhalb der Partei und 6) sprachen wir uns gegen einen Anschluss der WASG an die PDS aus, womit wir auch meinten, dass wenn, dann eine wirklich neue Partei gebildet werden sollte, die auch andere Kräfte der außerparlamentarischen Bewegungen hätte einbeziehen sollen, die bis dahin weder in WASG noch PDS waren. 

Also habt Ihr die Fusion, wie sie dann zustande kam, nicht unterstützt?

Nein. Wir haben davor gewarnt, dass das der WASG das Potenzial zu einer echten Massenpartei der Arbeiter*innenklasse zu werden, eher nehmen wird. Die Entwicklung der Partei Die Linke in den letzten 15 Jahren bestätigt leider unsere damaligen Warnungen.

Was geschah dann in Berlin?

Als der Prozess des Zusammenschlusses begonnen wurde, war uns klar, dass es eine Auseinandersetzung um die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin geben würde. Hier war die PDS als Teil des Senats unter weiten Teilen der Arbeiter*innenklasse und Gewerkschafter*innen und sozialen Aktivist*innen regelrecht verhasst. Wir haben damals innerhalb der damaligen SAV frühzeitig den Beschluss gefällt, unsere Kräfte auf den zu erwartenden Kampf in der Berliner WASG zu konzentrieren, der sich um die Frage entwickeln musste, ob man selbständig zu den Wahlen antritt oder die Kandidatur der Regierungs-PDS unterstützt. In Berlin wurde die Frage nach der Politik und Ausrichtung einer fusionierten Partei konkret. Es gelang uns, mit anderen Teilen der Berliner WASG im Landesverband eine Mehrheit dafür zu gewinnen, dass die WASG selbständig zu den Abgeordnetenhauswahlen antreten sollte. Das führte dann zu einer heftigen bürokratischen Reaktion der Parteiführung. Auf Bundesebene ging das so weit, dass Oskar Lafontaine und andere mit einer Parteispaltung drohten, sollte der Bundesparteitag im April 2006 sich nicht eindeutig gegen die Berliner WASG positionieren und administrative Maßnahmen ergreifen. Der Parteitag in Ludwigshafen beschloss mit knapper Mehrheit solche administrativen Maßnahmen, um eine Kandidatur der WASG in Berlin zu verhindern. Daraufhin wurde der Berliner Landesvorstand abgesetzt und durch einen Vertreter des Bundesvorstands übernommen. Das hat die Mehrheit der Berliner WASG aber nur enger zusammenrücken lassen und es wurde beschlossen, gegen die Amtsenthebung vor einem bürgerlichen Gericht zu klagen – was dem Landesvorstand dann auch Recht gab. Lafontaine und seine Unterstützer*innen waren gescheitert und der Weg für den Wahlantritt frei.

Und das Wahlergebnis?

Die Berliner WASG erzielte 52.000 Erst- und 40.000 Zweitstimmen (3,8 bzw. 2,9 Prozent). Das wäre für jede andere Partei bei ihrem ersten Wahlantritt zwei Jahre nach Parteigründung ein Durchbruch gewesen. Für die WASG Berlin nicht, weil es die Partei schon ein Jahr später nicht mehr geben sollte. Für eine nachhaltige Wirkung wäre der Einzug ins Abgeordnetenhaus nötig gewesen. Der wäre auch absolut möglich gewesen, wenn der Bundesvorstand der Partei dem Berliner Landesverband nicht so viele Knüppel zwischen die Beine geworfen hätte und auch, wenn nicht Teile des linken Flügels der WASG den Bundesvorstand dabei unterstützt hätten, vor allem die damalige Linksruck-Gruppe (heute Marx21, Sozialismus von unten und Revolutionäre Linke), deren Mitglieder sich nicht zu schade waren, den undemokratisch-bürokratischen Kurs der Parteiführung nicht nur mitzutragen, sondern teilweise wie deren Kettenhunde zu agieren und vor allem in Berlin gegen die eigenständige Kandidatur der WASG kämpften und folglich auch zur Wahl der PDS und nicht der WASG aufriefen.

Was war denn Eure Rolle in dem ganzen Prozess?

Von unseren Gegnerinnen und Gegnern innerhalb der WASG wurde das Gewicht der damaligen SAV übertrieben, weil sie den Berliner Landesverband als von Trotzkist*innen unterwandert und fremdgesteuert darstellen wollten. Aber wir hatten nie eine zahlenmäßig dominante Stellung. Von 140 Parteitagsdelegierten waren mit Schwankungen vielleicht zwölf SAV-Mitglieder, im Landesvorstand waren zwei SAV-Mitglieder. Wir kooperierten damals eng mit anderen Gruppierungen und Einzelpersonen und konnten gemeinsam für eine kämpferische Politik eine klare Mehrheit im Landesverband gewinnen. Trotzdem denke ich, dass unser Beitrag entscheidend war, weil wir eine klare Vorstellung in diesen innerparteilichen Kampf hinein getragen haben und auf internationale Erfahrungen in ähnlichen Situationen zurückgreifen konnten. Rat und Unterstützung durch die CWI-Leitung waren damals für uns sehr wertvoll. Unsere politische Stärke drückte sich dann darin aus, dass unser damaliges Mitglied Lucy Redler (die in der Spaltung des CWI 2019 leider nicht mit uns die Sol gegründet hat) zur Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl gewählt wurde. Sie war als Landesvorstandsmitglied im Rahmen der innerparteilichen Auseinandersetzung zu einer gewissen medialen Prominenz gekommen und hatte wichtige Fernsehauftritte und in so ziemlich jeder wichtigen Tageszeitung gab es Porträt-Artikel über sie. Wir konnten in dem Prozess aber auch wichtige WASG-Aktive und führende Aktivisten für das CWI gewinnen, gerade auch solche, die als Gewerkschafter aktiv waren.

Und dann kam die Fusion. Was passierte dann?

Die Fusion war keine Fusion der zwei Parteien auf Augenhöhe. Die Übermacht des PDS-Apparats wirkte sich aus. Programmatisch war das Paradoxe, dass mit der PDS zwar das formale Bekenntnis zum Sozialismus in die gemeinsame Partei kam, aber eben auch die grundsätzliche Akzeptanz von Beteiligungen an pro-kapitalistischen Regierungen. Gleichzeitig löste aber der Gedanke, dass es eine im Bundestag vertretene vereinigte linke Partei gibt, die – anders als die PDS zuvor – eine Basis in Westdeutschland hatte, auch Begeisterung und Hoffnung aus. Wir warnten davor, dass dies jedoch an Grenzen geraten würde aufgrund der Dominanz des PDS-Apparats und der Parlamentsfraktionen auf unterschiedlichen Ebenen und schrieben, dass sich die in der PDS herrschenden Verhältnisse in der neuen Partei reproduzieren würden. Deshalb stimmten unsere Mitglieder auch gegen die Fusion, wie sie dann vollzogen wurde, wie auch der Berliner Landesverband der WASG sich dagegen aussprach.

Wie siehst Du Eure Haltung 17 Jahre später?

Ich denke, dass wir grundlegend richtig lagen und die Entwicklung der Linkspartei unsere Vorbehalte und Warnungen bestätigt hat. Man muss aber auch sagen, dass das kein geradliniger Prozess war und es in der Linken in diesen 17 Jahren lebendige Kämpfe um die Ausrichtung gab, in der die Parteilinke auch in einigen Fällen Erfolge erzielte und sogar die Chance gehabt hätte, die Partei insgesamt auf einen anderen, kämpferischen und wirklich sozialistischen, Kurs zu bringen. Aber letztlich haben wir leider Recht behalten, was der desolate Zustand der Linkspartei im Moment zeigt. Trotzdem haben wir damals auch Fehler gemacht. So haben wir 2007 beschlossen, dass nur die SAV-Mitglieder in Westdeutschland in die neue Partei gehen sollten und die Mitglieder in Berlin und Ostdeutschland sind aus der fusionierten Partei ausgetreten. Grund war die – auch grundlegend richtige – Einschätzung, dass Die Linke in Berlin und Ostdeutschland weitgehend eine Fortsetzung der PDS sein würde und wenig Ausstrahlungskraft auf neue Schichten der Arbeiter*innenklasse und Jugend entfalten würde. Wir hatten daraus fälschlicherweise abgeleitet, dass es einen Raum für eine linke regionale Alternative in Berlin und im Osten geben könnte und haben uns daran beteiligt, aus der Berliner WASG die BASG (Berliner Alternative für Solidarität und Gegenwehr) zu machen. Für die Aktiven aus der Berliner WASG-Mehrheit war eine Mitarbeit in der fusionierten Partei keine Option. Tatsächlich sind nur 200 der 850 WASG-Mitglieder in Berlin in die Linkspartei eingetreten.  Dem Rest sollte mit der BASG ein Angebot gemacht werden, weiter gemeinsam politisch aktiv zu bleiben. Das gelang nicht. Manche wollten eine bundesweite Partei bilden, andere zogen sich aus der politischen Arbeit zurück oder konzentrierten sich wieder auf bestimmte Bewegungen oder gewerkschaftliche Arbeit. Aber letztlich hat damals die Partei Die Linke den parteipolitischen Raum links der SPD und der Grünen bundesweit besetzt und war, trotz aller Schwächen und Fehler, der Ort, wo Sozialist*innen sich für den Gedanken einer sozialistischen Arbeiter*innenpartei und ein sozialistisches Programm engagieren mussten. Dass wir das anfangs nur in Westdeutschland machten, war ein Fehler und für viele Menschen auch nicht vermittelbar.

Aber den Fehler habt Ihr relativ schnell korrigiert und seid schon 2008  auch in Berlin und in Ostdeutschland in die Linkspartei eingetreten.

Ja, aber da hatten wir schon ein wertvolles Jahr verloren und insbesondere die starke Position und Bekanntheit, die Lucy Redler, ich und andere Berliner SAV-Mitgleider hatten, nicht genutzt, um in der neuen Partei Einfluss gewinnen zu können. Als wir das dann korrigieren wollten, haben der damalige Parteivorsitzende Klaus Ernst und andere Einspruch gegen die Mitgliedschaft von zwölf SAV-Mitgliedern eingelegt. Das führte zu langwierigen Schiedsgerichtsverfahren, in denen zwar einerseits festgestellt wurde, dass es keinen Widerspruch zwischen einer SAV- und Linkspartei-Mitgliedschaft gibt, aber von den zwölf betroffenen Genoss*innen wurde dann mit fadenscheiniger Begründung den Mitgliedern der SAV-Bundesleitung die Parteimitgliedschaft verwehrt und diese war erst zwei Jahre später möglich.

Seitdem haben viele unserer Mitglieder in der Linkspartei aktiv Strukturen aufgebaut, Kampagnen organisiert und innerhalb der Partei für eine kämpferische und sozialistische Politik gestritten. In Lemgo wurde unser Genosse Frank Redelberger für Die Linke in den Stadtrat gewählt, unser damaliges Mitglied Lucy Redler war vier Jahre im Linke-Parteivorstand, so wie andere in Gremien auf anderer Ebene mitgearbeitet haben. Wir sind weiterhin Teil der Antikapitalistischen Linken (AKL), dem linken innerparteilichen Zusammenschluss, der für demokratische Parteistrukturen und sozialistische Positionen eintritt. 

17 Jahre nach der Parteigründung hat sich Die Linke gespalten und Sahra Wagenknecht hat eine neue Partei gegründet. Die Linke wird es möglicherweise nicht mehr in den Bundestag schaffen. Wie bilanzierst Du diese Jahre und war und ist Euer Engagement in der Partei überhaupt sinnvoll?

Der Kampf um neue Arbeiter*innenparteien dauert länger als erwartet. Das liegt einerseits daran, dass sich das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer sozialistischen Veränderung der Gesellschaft, die Hoffnung, dass das möglich sein kann, aber auch politisches Klassenbewusstsein nach dem Sieg des Kapitalismus über den Stalinismus 1990 enorm zurück entwickelt hat. Es gibt da einen Bruch, der tiefer geht, als wir es damals und auch noch einige Jahre später verstanden haben, obwohl uns bewusst war, dass es sich um einen enormen Bruch handelt. Es liegt aber auch an der Politik derjenigen Kräfte, die in der Führung der Linkspartei waren und sind, vor allem derjenigen, die sich als Parteilinke verstehen. Diese haben durch ihre permanente Kompromisspolitik mit der Parteirechten und insbesondere aufgrund ihrer immer unkritischer werdenden Haltung zur Frage der Regierungsbeteiligung – in Bremen waren es gerade Mitglieder der Bewegungslinken, die die dortige Koalition mit SPD und Grünen mit auf den Weg gebracht haben – eine große Verantwortung dafür, dass Die Linke von den meisten Leuten als Teil des politischen Establishments betrachtet wird und nicht als ihre politische Interessenvertretung. Das ist ja leider auch ein internationales Phänomen. Die Chancen, die zum Beispiel Syriza in Griechenland und Podemos im spanischen Staat für den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei bedeutet haben, wurden durch die Politik ihrer Führungen vergeigt. Trotzdem war und ist es richtig, dass Marxist*innen an solchen Prozessen teilnehmen, statt mahnend am Rand zu stehen. Wir konnten unter anderem auch erreichen, dass es auf der Linken ein viel größeres Bewusstsein für das Problem der Regierungsbeteiligung im Rahmen des Kapitalismus gibt, als das vorher der Fall war. 

Und das, was in den letzten 17 Jahren gilt, gilt auch weiterhin: in einem Land, in dem selbst diese Linkspartei nicht im Bundestag vertreten ist, sind die Verhältnisse für die Arbeiter*innenklasse nicht besser, sondern schlechter. Deshalb sind Sol-Mitglieder auf verschiedenen Ebenen auch weiterhin in der Linkspartei aktiv, auch wenn wir zu dem Schluss gekommen sind, dass Die Linke sich wahrscheinlich nicht mehr aus ihrer Krise erholen wird und eine Anziehungskraft auf größere Teile der Arbeiter*innenklasse und der Jugend ausüben wird. Eine neue Massenpartei der Arbeiter*innenklasse ist weiterhin nötig und wird sich früher oder später entwickeln, aber sie wird nicht in erster Linie aus der Linkspartei heraus entstehen, sondern sich aus verschiedenen Quellen speisen, vor allem aus Klassenkämpfen und Organisierungsprozessen der Zukunft, und Die Linke wird nur eine Quelle sein. Bis dahin gilt es überall da, wo das möglich und sinnvoll ist, für sozialistische Ideen und Klassenkampf einzutreten. Für uns ist Die Linke da ein Feld von vielen. Vor allem aber gilt es, mit der Sol eine marxistische Organisation aufzubauen, die bei der Entwicklung einer zukünftigen Arbeiter*innenpartei eine Rolle spielen kann, wie sie CWI-Mitglieder in der Berliner WASG in den Jahren 2005 und 2006 gespielt haben. 

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