Jetzt den Kampf für eine neue Arbeiter*innenpartei aufnehmen
Die Tories (Konservative Partei) sind nicht nur rausgeschmissen, sie sind vernichtend geschlagen worden. Die Wähler*innen haben sie für vierzehn Jahre Kürzungspolitik, Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse, Lügen und Korruption abgestraft. Weniger als sieben Millionen Menschen sind zur Wahl gegangen und haben für die Tory-Partei gestimmt, ihre niedrigste Stimmenzahl in einem Jahrhundert. Zehn Kabinettsminister*innen und 250 Tory-Abgeordnete haben ihre Sitze verloren, die größten Verluste, die je eine scheidende Regierung in Großbritannien erlitten hat. Rishi Sunaks einziger Erfolg ist, dass es in seinem Wahlkreis noch einen Tory-Abgeordneten gibt – der einzige unter den Wahlkreisen der letzten fünf Tory-Premierminister. Beim Frühstück am 5. Juli konnten Millionen Menschen genießen, wie Ex-Premierministerin Liz Truss als Abgeordnete für South West Norfolk abgewählt wurde – ein Sitz, der zuvor eine Mehrheit von 24.180 Stimmen hatte.
Erklärung der Socialist Party (CWI England & Wales), 5. Juli 2024
Das Ergebnis ist gemessen an der Zahl der Sitze ein Erdrutschsieg der Labour-Party, der nur knapp den Sieg von Tony Blairs New Labour im Jahr 1997 verfehlt. Aber Begeisterung für Keir Starmers Labour war bei dieser Wahl nicht vorhanden. Die absolute Stimmenzahl für Labour lag bei 9,6 Millionen und damit unter den 10,2 Millionen Stimmen, die die von Jeremy Corbyn geführte Labour-Party 2019 erhielt, ganz zu schweigen von den 12,8 Millionen, die Corbyn 2017 erhielt. Labours Stimmenanteil ist mit rund 34 Prozent der niedrigste, den ein Wahlsieger je erreicht hat, während Corbyn 2017 vierzig Prozent der Stimmen erhielt, der größte Sprung für eine nationale Partei bei einer Wahl seit 1945.
Die Wahlbeteiligung war mit weniger als sechzig Prozent mindestens so niedrig wie 2001 und vielleicht die niedrigste jemals bei einer Parlamentswahl. Nichts von alledem hat natürlich die Sprecher von Labour davon abgehalten – was von den kapitalistischen Medien nachgeplappert wurde -, in der Wahlnacht endlos zu wiederholen, dass es nur Starmers erfolgreicher „Wandel” in der Partei (in Wirklichkeit zur pro-kapitalistischen New Labour) gewesen sei, der es ihnen ermöglicht habe, vom angeblich „schlechtesten Wahlergebnis seit 1935″ im Jahr 2019 zum Sieg im Jahr 2024 zu kommen.
Wahl gegen die Tories
In Wirklichkeit wählten die Wähler*innen die ihrer Meinung nach jeweils wirksamste Waffe, um eine Regierung zu schlagen, in deren Amtszeit es einen massiven Rückgang des Lebensstandards gegeben hat. In den Jahren 2022/23 stand die Regierung der größten Streikwelle seit den 1980er Jahren gegenüber: Jetzt mussten die Wähler*innen die Konsequenzen ziehen. In Schottland bedeutete das auch, Labour zu nutzen, um die schottische SNP-Regierung abzustrafen, aber in England waren die Tories der Regierungsfeind. Infolgedessen war der Stimmenanteil von Labour in England nicht höher als im Jahr 2019. Während in vielen Tory-Wahlkreisen ein deutlicher Wechsel zu Labour stattfand, blieben in Wahlkreisen, in denen Labour bereits in Führung lag, Rekordzahlen zu Hause oder stimmten für andere Parteien. In Wales verlief der Prozess ähnlich, obwohl der Stimmenanteil von Labour im Vergleich zu 2019 sogar zurückging, was die Wut über die Kürzungsmaßnahmen widerspiegelt, die auch vom Labour-geführten Senedd, dem walisischen Parlament, durchgesetzt wurden.
In anderen Wahlkreisen, insbesondere im sogenannten „Börsenmakler-Gürtel” von Surrey und im Südwesten Englands, galten die Liberaldemokrat*innen als die beste Möglichkeit, die Tories zu besiegen. Infolgedessen gewannen sie 63 zusätzliche Sitze, während sich ihr Gesamtstimmenanteil nur um 0,6 Prozent erhöhte.
Für viele Gewerkschafter*innen und Sozialist*innen ist das Besorgniserregendste am Wahlergebnis jedoch die Unterstützung für die rechtspopulistische Partei Reform UK von Nigel Farage. Reform UK hat vier Abgeordnete gewonnen, aber in absoluten Zahlen etwas mehr als vier Millionen Stimmen erhalten, eine halbe Million mehr als die Liberaldemokrat*innen. Dies ist eine Warnung für die Zukunft und zeigt die Gefahr, dass rechtspopulistische, rassistische Kräfte in das Vakuum eindringen, wenn der Ärger über die neue Labour-Regierung wächst. Nichtsdestotrotz war das Votum von Reform UK in diesem Stadium nicht der Durchbruch, den die kapitalistischen Medien erwartet hatten. Die direkte Vorgängerin von Reform, die Brexit-Partei, erhielt bei den Europawahlen 2019 mehr als fünf Millionen Stimmen, und ihre Vorgängerin, die UKIP, erhielt bei den Parlamentswahlen 2015 fast vier Millionen Stimmen.
Zusammenbruch der Tories
Was sich im Jahr 2024 geändert hat, ist der völlige Zusammenbruch der Tory-Stimmen. Historisch gesehen war dies die erfolgreichste kapitalistische Partei auf dem Planeten. In den 1950er Jahren hatte sie fast drei Millionen Mitglieder, jetzt ist sie wie paar Ratten, die in einem Sack miteinander kämpfen. Zweifellos wird es nach der Wahl zu weiteren Kämpfen in und um die Tory-Partei kommen, wenn die ernsthafteren Vertreter*innen des Kapitalismus mit der populistischen Rechten der Tories um die Kontrolle über die Trümmer ihrer Partei kämpfen.
Letztlich ist die Unbeliebtheit der Tories jedoch darauf zurückzuführen, dass sie im Interesse des britischen Kapitalismus handeln, der sinkende Reallöhne, steigende Lebenshaltungskosten und den Zusammenbruch der öffentlichen Dienste zu verantworten hat. Heute, am 5. Juli 2024, hat sich die Stimmung von Millionen Menschen durch die erfolgreiche Abwahl der Tories gehoben, aber leider hat die neue Regierung im Wesentlichen eine Fortsetzung der Tory-Politik versprochen. Ein Festhalten an den „fiskalischen Regeln” der Tories, wie es Starmer zugesagt hat, würde – bei einem durchschnittlichen Wachstum von 1,1 Prozent pro Jahr, wie es seit 2008 der Fall ist – ein „schwarzes Loch” in den öffentlichen Finanzen von rund sechzig Milliarden Pfund bedeuten. Mit anderen Worten: Starmers Labour Party, die im Interesse des britischen Kapitalismus handelt, wird eine neue Ära noch größerer Kürzungsmaßnahmen einleiten, einschließlich Steuererhöhungen und Angriffen auf die Lebensbedingungen der Mehrheit der Arbeiter*innenklasse. Aus diesem Grund haben die Sun, die Sunday Times, der Economist und die Financial Times Starmer unterstützt, was die Präferenz der Mehrheit der kapitalistischen Klassen für eine Labour-Regierung widerspiegelt – etwas, das unvorstellbar war, als Jeremy Corbyn noch Parteichef war.
Arbeiter*innen bereiten sich auf den Kampf für Veränderungen vor
Welche Schlussfolgerung muss die Arbeiter*innenbewegung daraus ziehen? Nicht, dass sich nichts ändern wird, sondern dass wir darauf vorbereitet sein müssen, dafür zu kämpfen, damit sich etwas ändert. Eine YouGov-Umfrage in der Woche vor der Wahl ergab, dass nur zwei Prozent der Labour-Wähler*innen erwarten, dass die neue Labour Party öffentliche Dienstleistungen kürzen wird. Das zeigt, dass trotz aller Versuche Starmers, die Erwartungen der Arbeiter*innen darüber zu dämpfen, wie wenig „Veränderung” er tatsächlich bringen wird, es unvermeidlich ist, dass einige Hoffnungen durch den Abgang der Tories geweckt werden. Starmer hat jedoch klargemacht, dass er nicht beabsichtigt, die vierzig Prozent der staatlichen Mittel, die den Kommunen gestrichen wurden, wiederherzustellen oder die Lohnkürzungen von (real) mehr als zehn Prozent auszugleichen, die Lehrer*innen, Pflegepersonal, Beamt*innen, Ärzt*innen und andere Beschäftigte des öffentlichen Sektors seit 2010 hinnehmen mussten. Auch hat er nicht zugesagt, Stahl, Post, Wasser oder andere privatisierte Versorgungsunternehmen rückzuverstaatlichen.
Die Streikwelle gegen die Tory-Regierung hat anschaulich gezeigt, wie mit kollektiven Maßnahmen Ergebnisse erzielt werden können, aber jetzt muss sich die Gewerkschaftsbewegung darauf vorbereiten, unter Starmers Labour für die Interessen der Arbeiter*innen zu kämpfen und die unvermeidlichen Versuche einiger Gewerkschaftsführer*innen zurückweisen, Labour zu decken, wenn diese die Interessen der Arbeiter*innen angreift. Eine Starmer-Regierung wäre nicht die erste kapitalistische Regierung, die zum Beispiel die Löhne im öffentlichen Sektor erhöht oder Zugeständnisse an Studierende macht, die mit Armut und hohen Schulden konfrontiert sind. Nichts davon wird jedoch durch nettes Bitten erreicht werden, sondern erfordert einen Massenkampf der Arbeiter*innen.
Eine Stimme der Arbeiter*innen
Und die Arbeiter*innenbewegung muss sich auch eine politische Stimme geben, um für die Interessen der Arbeiter*innenklasse im Parlament zu kämpfen und den Kämpfen in unseren Betrieben und Gemeinden eine Stimme zu geben. Im Vorfeld dieser Wahl kämpfte die Socialist Party für eine Liste von Arbeiter*innenkandidierenden mit dem Argument, dass selbst ein kleiner Block von Arbeiter*innenabgeordneten im nächsten Parlament von links Druck auf Starmer ausüben und den Boden für den Aufbau einer Massenarbeiter*innenpartei in der nächsten Legislaturperiode bereiten würde. Einige rechtfertigten die Wahl von Labour mit dem Argument, dass das Mehrheitswahlrecht es unmöglich mache, außerhalb der großen etablierten Parteien zu stehen, und dass die Wahl einer Handvoll Abgeordneter keinen Unterschied machen könne. Doch die Wahl von nur vier Abgeordneten für sowohl die Grünen als auch Reform UK hat bereits hohe Wellen geschlagen und lässt erahnen, was ein Block von Arbeiter*innenabgeordneten hätte erreichen können.
Man stelle sich vor, dass, als auf dem Höhepunkt der Streikwelle die Initiative „Genug ist genug” von prominenten Gewerkschaftsführer*innen ins Leben gerufen wurde und sich eine halbe Million Menschen anschloss, dies eine neue Partei gewesen wäre, die für die Arbeiter*innenklasse kämpft, und nicht eine nebulöse Kampagne. Sie hätte sicherlich einen Block von Abgeordneten gewählt bekommen. Sie wäre auch das beste Mittel gewesen, um Reform Stimmen abzunehmen. Man erinnere sich, dass 2017 mehr als eine Million UKIP-Wähler*innen zu Corbyn gewechselt sind, was zeigt, dass es möglich ist, Arbeiter*innen, die für die Rechtspopulist*innen gestimmt haben, für ein Anti-Kürzungsprogramm zu gewinnen.
Natürlich haben sich die Ereignisse nicht so entwickelt. Die Socialist Party beteiligt sich an der Trade Unionist and Socialist Coalition (TUSC), einem Wahlbündnis, das es Gewerkschafter*innen, kommunalen Aktivist*innen und Sozialist*innen, die für eine neue Massen-Arbeiter*innenpartei kämpfen, ermöglichen soll, unter einem klaren Banner gegen kürzungs- und kriegsbefürwortende Politiker des Establishments zu kandidieren. TUSC versuchte, verschiedene Kräfte unter einem Dach zu vereinen, aber während TUSC vierzig Kandidaten mit einem kämpferischen sozialistischen Programm aufstellte, traten viele andere als Unabhängige oder unter anderen Bannern an. Infolgedessen gab es bei dieser Wahl keine klare Arbeiter*innenliste, sondern ein Kaleidoskop verschiedener unabhängiger und linker Kandidat*innen, von denen einige zwar gute Stimmergebnisse erhielten, aber nur eine begrenzte Wirkung erzielten.
Allerdings haben fast zwei Millionen Menschen für die Grünen gestimmt, die mit einem „Corbynistischen” Programm antraten, was die Suche nach einer linken Alternative bei dieser Wahl verdeutlicht. Leider sind die Grünen jedoch keine Arbeiter*innenpartei, Gewerkschaften haben keine demokratischen Rechte in der Partei. Und obwohl es in der Grünen Partei Sozialist*innen gibt, haben sie deutlich gemacht, dass sie keine sozialistische Partei sind. Sie haben zwar Stimmen gewonnen, indem sie Aspekte des Programms von Jeremy Corbyn übernommen haben, haben aber gegen ihn in Islington North kandidiert. Trotzdem hat er seinen Sitz als Unabhängiger gewonnen, was die Möglichkeit bietet, mit dem Aufbau eines linken Blocks im Parlament zu beginnen, der in den kommenden Wochen und Monaten zum Beispiel die Forderungen der Gewerkschaften des öffentlichen Sektors und der Tata Steel-Arbeiter*innen vertreten kann. Wenn die vier neuen grünen Abgeordneten bereit sind, als Teil dieses Blocks zu agieren, wäre das natürlich sehr willkommen und würde es den Grünen ermöglichen, eine positive Rolle im Kampf für eine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse zu spielen.
Neben Jeremy Corbyn und den Grünen gab es weitere Kandidat*innen, die von Wähler*innen gewählt wurden, die nach links protestieren wollten. Landesweit gingen die Stimmen der Labour-Party in Gebieten mit einem hohen Anteil von Wähler*innen mit muslimischem Hintergrund deutlich zurück, was die tiefe Verärgerung über Starmers Unterstützung des israelischen Angriffs auf Gaza widerspiegelt. Trotz unserer Meinungsverschiedenheiten mit ihm ist es bedauerlich, dass George Galloway, der für die Workers Party antrat, den Sitz in Rochdale, den er einige Monate zuvor bei der Nachwahl gewonnen hatte, knapp verlor. In vier Sitzen konnten jedoch unabhängige Kandidat*innen, die sich gegen den Krieg gegen Gaza stellten, Siege erringen: Leicester Süd, Birmingham Perry Barr, Blackburn und Dewsbury. Der erzrechte New Labour Abgeordnete Wes Streeting in Ilford South wurde fast ebenfalls von einem unabhängigen Kriegsgegner verdrängt. Die vier Siege von „Unabhängigen” sind zu begrüßen, aber wenn sie ein Schritt zum Aufbau eines Arbeiter*innenblocks im Parlament sein sollen, ist es wichtig, dass die neuen Abgeordneten den Kampf um Gaza mit allen anderen Themen verbinden, mit denen die Arbeiter*innenklasse in Großbritannien konfrontiert ist, und sich als Vertreter*innen der gesamten Arbeiter*innenklasse und nicht nur eines Teils von ihr sehen.
Unbeständigkeit
Die Krise des britischen Kapitalismus spiegelt sich zunehmend in der Unbeständigkeit der Politik wider. Labour wurde in einem „Erdrutschsieg” an die Macht gespült, Boris Johnson an der Spitze der Tories vor fünf Jahren aber auch. Damals sagten wir, dass es ein Pyrrhussieg sein würde, doch das Gleiche wird auch für Starmers Labour gelten. Jede kapitalistische Regierung wird auf Massenopposition stoßen – denn der Kapitalismus bietet der zur Arbeiter*innenklasse gehörenden Mehrheit nur endlose Kürzungsmaßnahmen. Deshalb stellt sich die Diskussion darüber, wie die Arbeiter*innenklasse ihre eigene Partei mit einem sozialistischen Programm aufbauen kann, immer dringlicher.
Die Socialist Party wird dafür eintreten, dass eine solche Partei für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft kämpft: für die Verstaatlichung der großen Monopole und Banken, die die Wirtschaft beherrschen, unter demokratischer Arbeiter*innenkontrolle, wobei Entschädigungen nur auf der Grundlage nachgewiesener Bedürftigkeit gezahlt werden. Dies ist ein entscheidender Schritt, um den Würgegriff der Kapitalist*innenklasse zu brechen und die Grundlage für die Entwicklung eines sozialistischen Produktionsplans zu schaffen, in dem die gesamte vom Kapitalismus geschaffene Wissenschaft und Technik zur Befriedigung der Bedürfnisse aller nutzbar gemacht und entwickelt werden könnte.