Der Deal in letzter Minute

Foto: Arno Mikkor (EU2017EE) CC BY 2.0

Das Brexit-Abkommen bedeutet nicht das Ende der Instabilität in Großbritannien

Die Brexit-Abstimmung in Juni 2016 war einer der vielen Ausdrücke der Wut von Millionen Arbeiter*innen über die sich verschlechternden Lebensumstände und der Suche nach einem Protestmittel. Durch das Fehlen einer linken Massenkraft, die eine sozialistische Opposition zu dem neoliberalen Diktat der EU anbietet, entstand ein Vakuum, in dem sich rechtspopulistische Kräfte einnisten und die Debatte dominieren konnten. 

Hannah Sell, Generalsekretärin der Socialist Party

So hätte es nicht passieren müssen. Hätte Jeremy Corbyn – zur Zeit der Brexit-Abstimmung gerade gewählter Labour-Vorsitzender – die Interessen der Beschäftigten in den Vordergrund gestellt und, wie die Socialist Party vorschlug, zu einer Stimme für Brexit in Opposition zur EU der Bosse und auf Basis von internationaler Solidarität der Arbeiter*innenklasse aufgerufen, wäre der Brexit ganz anders verlaufen. Diese Haltung während des Referendums und danach wäre ein wichtiger Faktor gewesen, der Corbyn zum Sieg in den Parlamentswahlen hätte verhelfen können.

Kein Ende des Brexit-Chaos

Jetzt nach der Aushandlung des hauchdünnen Brexit-Deals durch die Tories, der die Krise des britischen Kapitalismus weiterhin verschärfen wird, ist ein solches Szenario kaum mehr vorstellbar: Aber eine linke Regierung, die sozialistische Maßnahmen unternimmt und sich an die Arbeiter*innenklasse von Europa wendet, hätte eine sehr viel stärkere Verhandlungsbasis als die schwache und zerstrittene Tory-Regierung. 

Johnson behauptet, einen großartigen Deal ausgehandelt zu haben, der dem Kapital mehr „Freiheiten“ bietet. Aber es ist nur eine kleine Minderheit der britischen Kapitalist*innen, die mit dem Ergebnis zufrieden ist – auch wenn fast alle erleichtert darüber sind, dass es nicht zu einem noch schlimmeren No-Deal-Brexit kommt. Der Deal erlaubt zollfreien Handel zwischen Großbritannien und der EU, während Großbritannien von den Wettbewerbsbedingungen der EU abweichen darf. Diese Einigung wird allerdings weitere Streitigkeiten nur vertagen, da die EU  sich sicherlich das Recht nehmen wird, gegen britische Importe auch mit Zöllen vorzugehen, wenn Großbritannien dies ausnutzt. Außerdem werden bereits die steigenden Grenzkontrollen einen signifikanten Nachteil für die Exporteure haben. Gleichzeitig gibt es noch keinen Deal für die Finanzservices und Dienstleistungen, die 80 Prozent der britischen Wirtschaft ausmachen. 

Niedergang der Tories

Die Tories unter Johnson haben auf ihre rechtspopulistische Kampagne „get Brexit done“ gesetzt, um die Parlamentswahlen 2019 zu gewinnen. Trotz ihrer Propaganda, aus Großbritannien wieder eine Großmacht zu machen, wird ihre Politik auf Niedrigsteuern für Unternehmen und Deregulierung der Wirtschaft hinauslaufen. Johnson hofft, dies mit staatlichen Hilfen für die Tech-Industrie zu verbinden. Aber die Geschichte der Tories zeigt, dass jeder solcher Versuch mit dem Verschenken der staatlichen Gelder an ihre Freunde endete. Und sicherlich kann Großbritannien – mit Ausnahme von wenigen kleinen industriellen Sektoren – nicht mit großen Blöcken wie USA, China, Japan oder EU konkurrieren.

Der Brexit-Deal wird keine Ruhe für die Tories bringen. Das Wegbrechen der sozialen Basis der Partei ist ein Ausdruck des Niedergangs des britischen Kapitalismus. In den 1950ern besaß die Partei mehr als zwei Millionen Mitglieder. 1990 waren es immer noch 400.000. Jetzt besteht die Mitgliedschaft gerade noch aus einem Viertel davon und widerspiegelt nicht die Ansichten der Mehrheit der herrschenden Klasse. Damit steht sie auf einer sehr kleinen sozialen Basis und war nur durch rechten Populismus in der Lage, die Wahlen zu gewinnen. Die vielen 180-Grad-Wendungen zeigen, wie leicht sie ihren Kurs unter Druck ändert. So ist sie nur ein schwaches und unzuverlässiges Werkzeug für die britischen Kapitalist*innen. Angesichts der zahlreichen Aspekte, die noch mit der EU verhandelt werden müssen, der wirtschaftlichen Krise und der anhaltenden Pandemie ist es zu erwarten, dass sich in kommenden Monaten Spaltungen in der Tory-Partei entwickeln. Konfrontiert mit einer vereinten Massenbewegung der Arbeiter*innenklasse könnten sie sehr schnell aus dem Amt gedrängt werden. 

Dies ist ein gekürzter Artikel . Die englischsprachige Langfassung findet sich hier: https://www.socialistparty.org.uk/articles/31784/30-12-2020/2020-a-year-which-drove-home-the-catastrophic-failures-of-capitalism

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