Ampel einigt sich auf Haushalt…

und zerlegt sich weiter

Die Bundesregierung hat sich nach wochenlangen Querelen auf einen Haushaltsentwurf geeinigt. Die Zerfallserscheinungen der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ werden dennoch immer offensichtlicher.

von Torsten Sting, Rostock

Wer aktuell dem Genre der Politsatire nachgeht, hat es nicht einfach. Was die Ampel-Koalition nun schon seit drei Jahren an Schauspieleinlagen aufführt, ist selbst für die Besten ihres Fachs kaum mehr zu toppen. Das Gezerre um den Haushalt für das kommende Jahr hat nun alles in den Schatten gestellt, was SPD, Grüne und FDP an Realsatire schon dargeboten hatten.

Haushalt

Anfang Juli traten der Kanzler und seine beiden Stellvertreter vergnügt vor die Presse und verkündeten eine Einigung in Sachen Haushaltsplanung 2025. Dieser war zwar auf Kante genäht, hielt aber die für die FDP heilige Schuldenbremse ein. Jede Seite musste irgendwo Federn lassen, aber der Koalitionsfriede schien mal wieder gerettet.

Hinter den Kulissen brodelte es aber weiterhin. Hintergrund: Nur mit einigen buchhalterischen Tricks wurde die Einigung erzielt. Finanzminister Christian Lindner fürchtete offensichtlich, dass ihm der Haushalt erneut um die Ohren fliegt und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, infolge von Klagen, einschreitet. Er ließ Gutachten erstellen, die prüfen sollten, ob diese Manöver verfassungsrechtlich bedenklich seien oder nicht.

Nachdem er diese anscheinend unabgesprochen veröffentlichte und deutete, entbrannte zwischen dem Kanzler und dem FDP-Chef ein öffentlicher Streit um deren Interpretation. In dessen Folge wurde nachverhandelt. Nun ist das Gros der ursprünglichen Pläne einerseits vom Tisch. Anderseits haben die Koalitionsspitzen das Kunststück fertiggebracht, sich auf einen Haushaltsentwurf zu einigen, der aber nach wie vor eine Finanzierungslücke von zwölf Milliarden Euro umfasst. Das ist die höchste Finanzierungslücke, die es jemals in einem Bundeshaushalt gab. Die Hoffnung der Beteiligten besteht darin, dass man im Laufe des Jahres nicht so viel Geld ausgibt und es dann schon irgendwie klappen wird. Das kommt einem Offenbarungseid gleich.

Ukraine

Kaum hatten diese Nachrichten, die bürgerlichen Kommentator*innen auf die Palme gebracht, kam das nächste pikante Detail ans Licht. Gemäß einer Verabredung zwischen Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner, soll es für die Ukraine keine weitere, über die zugesagten Lieferungen hinausgehende, militärische Unterstützung mehr geben, die über den deutschen Bundeshaushalt finanziert werden. Geradezu vernichtend und fast einhellig war das Urteil der bürgerlichen Presse und der einflussreichsten Lobby-Verbände des Großkapitals. Stellvertretend sei hier der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Scholareck angeführt: „Ich bin einigermaßen fassungslos, dass hier offenbar der Koalitionsfrieden auf Kosten der Ukraine und der europäischen Sicherheit gerettet werden soll.“ Hier fordern Teile des Kapitals also weitere Kürzungen an anderer Stelle, um das Kiewer Regime im Krieg mit Russland mit noch mehr Waffen auszustatten – es geht in diesem Stellvertreterkrieg schließlich auch um die Interessen des deutschen Kapitalismus.

Bahn

Hinzukommt der Streit um eine Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn, welche nicht auf die Schuldenbremse angerechnet wird. Die Bahn muss aber Zinsen darauf zahlen. Diese finanziert sie aus den Trassenpreisen, welche die Verkehrsunternehmen zahlen und ab 2026 demnach deutlich steigen sollen – im Schnitt fast 20 Prozent. Bezahlen werden das dann die Kund*innen. Die Ampel greift also in die Tasche der arbeitenden Bevölkerung.

Wirtschaftliche Probleme

Die beteiligten Parteien der Koalition stehen mit dem Rücken an der Wand und „geschafft“ hat sie den Haushalt auch noch nicht, der noch im Bundestag und Bundesrat beraten und beschlossen werden muss. Vor dem Hintergrund von schlechten Wirtschaftsnachrichten wird der Druck von Tag zu Tag größer. Insbesondere die Industriekonzerne sehen sich einem zunehmend härteren Wettbewerb ausgesetzt. Einige haben den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen angekündigt. Zusammen mit den internationalen Krisen erfordert dies aus Sicht der Herrschenden eine starke Regierung, die auch wieder den Mut haben soll, den Konflikt mit den Gewerkschaften zu suchen. Sie soll Sozialkürzungen durchsetzen und Arbeiter*innenrechte angreifen, um die Profitaussichten der Kapitalist*innen zu verbessern. Immer klarer wird, dass die Ampel diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Der Druck der Reichen nimmt zu, dass dem Spuk ein Ende bereitet wird.

Dilemma der Ampel-Koalition

Umso verzweifelter versuchen sich die jeweiligen Parteien frei zu strampeln.

Der FDP, die um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten muss, weht der Wind am kräftigsten ins Gesicht. Seit Monaten sind die Liberalen auf Krawall gebürstet und suchen die Konfrontation, um ihr Profil zu schärfen.

Grünen Co-Chef Nouripour hat die Hoffnung auf Besserung aufgegeben und spricht bereits von einer „Übergangsregierung“ zwischen der Merkel-Ära und etwas „Neuem“ – und hält sich damit alle Koalitionsoptionen offen. Auch in der SPD ist die lange herrschende Ruhe endgültig vorbei. Hinter den Kulissen bringt sich die jüngere Garde um Klingbeil und Kühnert bereits in Position für die Ära nach Scholz und wird Boris Pistorius von manchem als alternativer Kanzlerkandidat gehandelt.

Wie lange noch?

Angesichts der tiefen Krise der Ampel-Koalition ist nichts ausgeschlossen. Die anstehenden Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern und das zu erwartende Desaster für alle beteiligten Parteien, können eine finale Krise auslösen, die zu Neuwahlen führen. Die politische Linke und die Gewerkschaften sollten sich auf schnelle Wendungen vorbereiten.

Klar ist schon jetzt: Dieser Haushaltsentwurf ist ein weiterer Kürzungshaushalt. Selbst nominal (d.h. ohne die Finanzierungslücke von 12 Milliarden Euro) sind es 271 Millionen Euro nochmal weniger Ausgaben im Vergleich zum Kürzungshaushalt von 2024. Gegen die Kürzungspolitik auf Kosten der Arbeiter*innenklasse gilt es den Widerstand aufzunehmen und sich jetzt schon auf noch größere Angriffe von Seiten des Kapitals und dieser bzw. der nächsten Regierung vorzubereiten – sei es bei der Rente, dem Arbeitszeitgesetz, dem Streikrecht oder weiteren sozialen Kürzungen. Vor allem gilt es, sich jetzt schon auf noch größere Angriffe von Seiten des Kapitals und der Regierung vorzubereiten – sei es bei der Rente, dem Arbeitszeitgesetz, dem Streikrecht oder weiteren sozialen Kürzungen.

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