Der Kolonialismus war ein gutes Geschäft

Sklav*innen bei der Kautschukabwaage in der Kolonie "Deutsch-Ostafrika" (heute Tansania [ohne Sansibar], Burundi und Ruanda sowie ein kleines Gebiet im Mosambik) - Bundesarchiv, Bild 105-DOA0915 / Walther Dobbertin / CC-BY-SA 3.0

Eine Antwort auf Philip Plickerts Versuch, den Kapitalismus freizusprechen

Vor allem seit der Veröffentlichung von Eric Williams’ bahnbrechendem Werk „Kapitalismus und Sklaverei“, das 1944 erstmals erschien und den Beitrag der Sklaverei zur Entwicklung des Kapitalismus beleuchtet, versuchen bürgerliche Vertreter*innen diese Verbindung zu widerlegen. Statt den Sachverhalt zu widerlegen, produzieren sie eigene Mythen über einen angeblich rationaleren Kapitalismus nach dem Ende des Kolonialismus und drehen sich seit fast einhundert Jahren dabei im Kreis – so auch Philip Plickert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.1

von René Arnsburg, Berlin

Plickert schreibt in der faz in der klingenden Kategorie „Sonntagsökonom“ über das angeblich einflussreiche aber unbewiesene linke Narrativ der Profitabilität der Sklavenökonomie, wobei bei ihm nicht klar ist, ob er nun den Sklavenhandel, die Plantagenwirtschaft, den Kolonialismus als politisches Unternehmen oder den ganzen Komplex meint. Im Grunde hätte er sich den Artikel auch sparen bzw. ihn auf den Satz kürzen können: „Denn die Kolonialreiche brachten nicht nur Gewinne, vor allem für Plantagenbesitzer und Großhändler, sie verursachten auch gewaltige Kosten.“

Wer zahlt, wer profitiert?

Diese banale Aussage, dass die transatlantische Sklavenwirtschaft für private Investoren profitabel war, für den Staatshaushalt vor allem in Zeiten erhöhter Kriegsaktivität und steigender Militärausgaben jedoch nicht, ist alles andere als neu. Vor allem sind beide Dinge nicht voneinander zu trennen, denn die militärische Absicherung der Handelswege und Plantagenbesitzungen gegen indigene Bevölkerungen, aufständische Sklav*innen und rivalisierende Mächte sicherte die Rahmenbedingungen, unter denen Plantagenbesitzer und Großhändler Gewinne machen konnten. Bis heute ist es nicht unüblich, dass Staaten defizitäre Budgets beschließen, um der einen Bank oder dem anderen Großkonzern aus der Klemme zu helfen, wenn es mal wieder kriselt oder um Kriege zu führen.

Unter dem Abschnitt „Hohe Militärausgaben“ weist er auf die hohe Steuerlast hin, die die Aufrüstung zur Folge hatte. Sozialist*innen wie August Bebel haben schon zu jener Zeit verurteilt, dass die Allgemeinheit für die Expeditionen der Kapitalist*innen aus zum Beispiel der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft aufkommen soll. Doch das ist kein Argument gegen deren Profitabilität, sondern ein Hinweis darauf, dass Verluste im Kapitalismus sozialisiert werden, während die Gewinne in private Taschen fließen. Wenn man sich die momentan stattfindende Aufrüstung anschaut, die exorbitante Ausgabensteigerungen und Sondervermögen für die Bundeswehr in dreistelliger Milliardenhöhe verursachen, ist man geneigt, zu fragen, was da der eigentliche Gegensatz zur Gegenwartist. Denn diese Ausgaben werden durch laufende oder zukünftige Steuern finanziert, während sich Rüstungskonzerne über staatlich finanzierte Rekordgewinne freuen.

Alte Argumente, um den europäischen Kapitalismus reinzuwaschen

Die Debatte ist also nicht neu, genauso wenig wie die vorgebrachten Argumente, mit denen sich schon der von Plickert erwähnte Eric Williams mit seinem Grundlagenwerk „Kapitalismus und Sklaverei“ konfrontiert sah. In diesem stellt Williams zu ersten Mal in einer zusammenhängenden Untersuchung den Beitrag der Sklaverei und Plantagenwirtschaft zur Entwicklung des britischen Kapitalismus dar.2

Warum also wird diese alte Debatte jetzt wieder aufgelegt? Plickert selbst schreibt es: Im Zuge der antirassistischen Bewegungen wie „Black Lives Matter“ rückt auch das koloniale Erbe, bzw. die neokoloniale Ausbeutung, Unterdrückung und Unterentwicklung afrikanischer Länder durch imperialistische Mächte wieder in den Vordergrund.

Der koloniale Revisionismus, den Plickert betreibt, hat verschiedene Stränge. Er selbst repräsentiert dabei einen liberalen Strang, der sogar mit dem alten Adam Smith auf die Vorzüge freier Märkte und doppelt freier Lohnarbeiter*innen besteht.Dieser will den „reinen“ Kapitalismus von den Verbrechen der Sklaverei und des Kolonialismus freisprechen. Mit dem liberalenRevisionismus geht meist jedoch auch ein Revanchismus von rechts einher, der den zweiten Strang bildet und soweit geht, Nach- und angebliche Vorteile es Kolonialismusgegeneinander aufzuwiegen.

Wenn man jetzt den Kolonialismus als Minusgeschäft deklariert, schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens stellt man das in seiner heutigen Form existierende kapitalistische Weltsystem als die rationalere Form gegenüber einem früheren imperialistischen Expansionismus dar. Darüber könnten zum Beispiel die Massen in Niger, die sehr wohl wissen, warum sie mit Sprüchen wie „France dégage“ ein Ende der westlichen Dominanz fordern, nur müde lächeln. Dass das heutige System im Gegensatz zu früheren „Exzessen“ nicht weniger unterdrückerisch wäre, angesichts zunehmender Konflikte um die Neuaufteilung der Welt unter die imperialistischen Großmächte, inklusive regionaler (Stellvertreter)Kriege – das kann niemand wirklich glauben, auch nicht Plickert.

Wenn man, wie der Autor uns glauben machen will, annähme, dass das Zeitalter des Imperialismus vorbei wäre, müsste man erklären, warum die Länder, die sich im 20. Jahrhundert in langen Kämpfen vom Kolonialismus befreiten heute immer noch unterentwickelt sind. Die Schere zwischen ihnen und den entwickelten kapitalistischen Ländern hat sich sogar in den letzten Jahrzehnten noch weiter geöffnet.

Nun könnte man annehmen, dass auch nach der politischen Unabhängigkeit die wirtschaftliche Abhängigkeit der neokolonialen Welt von und die weitere politische (und nicht selten militärische) Einflussnahme durch die imperialistischen Länder nicht beendet wurde. Die Entwicklung des Kapitalismus hing und hängt weiterhin mit der Unterentwicklung dieser Teile der Welt zusammen. Autor*innen wie Walter Rodney3 gingen auf diese Frage intensiv ein.

Wenn man das jedoch verneint, bleiben nur anderen Erklärungen, die von strukturellen Problemen der Länder, den Kapitalismus mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeit „vernünftig“ umzusetzen, berichten oder von persönlichen Charaktereigenschaften politischer Führer*innen oder gar mal mehr oder weniger deutlich rassistischen Annahmen, dass es irgendwie in der Natur der Afrikaner*innen liege, dass sie noch nicht „aufgeholt“ hätten. Die Ursache darf auf jeden Fall nicht in der Funktionsweise des kapitalistischen Systems liegen.

Je weniger die Realität dem einflussreichen bürgerlichen Narrativ des rationaleren Kapitalismus entspricht, umso mehr muss man darauf beharren, damit die Menschen in denimperialistischen Ländernwie Deutschland nicht auf die Idee kommen, zu hinterfragen, welche Interessen Deutschland in Westafrika, dem südchinesischen Meer, Osteuropa, auf dem Balkan usw. verfolgt.

Zuletzt sei die Frage gestattet, wieso ein so verlustreiches Geschäft wie die Sklaverei über Jahrhunderte von allen europäischen Großmächten aufrecht erhalten wurde. Statt über angebliche Mythen aufzuklären, können wir nur spekulieren, welche Erklärung Plickert dafür liefern würde, denn er tut es nicht, aber man soll wohl selbst drauf kommen, dass es dafür keine rationale Erklärung gibt.

Das ist doppelt verwunderlich, wo doch der Sklavenhandel und die mit ihm verbundene Warenproduktion und deren Transport sowie die umfassenden Militäroperationen die Entstehung des modernen System der Buchführung, des Finanz-, Versicherungs- und Kreditwesen und die Zentralisierung der sich bildenden Nationalstaaten maßgeblich geprägt haben. Aber das Fazit soll sein, dass die heutigen europäischen Großmächte nichts mit dem alten Kolonialismus zu tun hätten und sich aus reiner Vernunft von diesem abgewandt hätten.

Zweitens: Es ist eine argumentative Untermauerung der Erzählung der europäischen Überlegenheit. Es gibt eine reale Debatte darüber, welche Faktoren in welchem Maße die Entwicklung des englischen und europäischen Kapitalismus beeinflusst haben – übrigens vor allem in marxistischen Kreisen, denen zumindest die Ablehnung des Kapitalismus gemeinsam ist. Es ist keine neue Erkenntnis, dass venezianisches und genuesisches* Handelskapital die ersten Expeditionen des 15. Jahrhunderts finanziert hatte oder die hochverschuldeten iberischen Königshäuser nicht aus Abenteuerlust Leute wie Kolumbus auf die Reise schickten, sondern mit handfesten ökonomischen Zielen wie der Erschließung von Edelmetallvorkommen.

Die Erzählung von der Unvernunft der Sklaverei erfüllt noch einen grundlegenderen Effekt: Es bestärkt die Überlegenheit der heute entwickelten kapitalistischen Länder, die sich – da die Sklaverei ja ein Verlustgeschäft war – nicht wegen, sondern trotz und entgegen dieser in Richtung dieses Systems entwickelt haben, also aus eigener Kraft.

Der Beitrag zur Entwicklung des Kapitalismus

Plickerts unseriöse Darstellung lässt sich in vielen Sätzen finden, wie beispielsweise in diesem: „Der Hauptteil des britischen Außenhandels fand mit Westeuropa und Nordamerika statt, viel weniger mit den Kolonien in der Karibik, Afrika und Indien.“ Wahrscheinlich hat er die oben beschriebene Ungenauigkeit, was genau er kritisiert absichtlich gewählt, um seine schwammige Argumentation nicht einstürzen zu lassen, aber hier wird es direkt falsch. Erstens waren Irland und Nordamerika wichtige Teile des britischen Kolonialreiches und zweitens ging auch nach der Unabhängigkeit der englischen Kolonien in Nordamerika ein bedeutender Teil des Handels in die Staaten, die Plantagenwirtschaft, also Sklaverei betrieben (ebenso wie der Handel mit Brasilien und Kuba, beides bis Ende des 19. Jahrhunderts bedeutende Sklavenökonomien).

Der britische Kapitalismus versorgte also noch lange nach der formalen Abschaffung der Sklaverei in den eigenen Kolonien (aufgrund des Verlusts Nordamerikas, der zunehmenden Erschöpfung der karibischen Kolonien und des gescheiterten Eroberungsversuchs von Saint Domingue [Haiti]) und des Sklavenhandels seine Arbeiter*innen mit billigem Zucker, Kaffee, Tabak und Baumwolltextilien von Sklavenplantagen, um den Lohn möglichst niedrig zu halten.

Nach der Einstellung des Sklavenhandels durch Großbritannien 1807 sollte es noch bis 1834 dauern, bis in den britischen Kolonien Sklav*innen formal befreit wurden. Sklav*innen, die älter als sechs Jahre waren, wurden durch ein „Lehrlings“system jedoch zwischen sechs und zwölf Jahren an ihre ehemaligen Herren und deren Plantagen gebunden, wo sie zu zehn Stunden Arbeit pro Tag verpflichtet wurden, bevor sie sie verlassen durften. Fernab davon, in den britischen Kolonien ein System der mit Europa vergleichbaren freien Lohnarbeit zu schaffen, gingen die Machthaber zum System der gebundenen Vertragsarbeit (indentured work) über. Damit wurden Arbeiter*innen aus Asien (vor allem Indien und China) in mehrjährigen Verträgen dazu verpflichtet, für einen Herren zu arbeiten, in einem der vorhergehenden Sklaverei ähnlichen Verhältnis. Sie mussten nicht nur die Kosten für die Überfahrt erwirtschaften, geringe Vergehen und Bußgeldzahlungen konnten schnell dazu führen, dass die Verträge einseitig verlängert werden und die Bindung an eine Plantage auf bis zu zehn Jahre erweiterte. (Vgl. u.a. Rodney, Walter. A History of the Guyanese Working People, 1881-1905. Johns Hopkins University Press, 1981.)*

Doch nicht nur das, britische Sklavenbesitzer wurden mit der Abschaffung der Sklaverei fürstlich entschädigt. Das 1833 verabschiedete Gesetz zur Befreiung der Sklav*innen sah eine Zahlung von 20 Millionen Pfund vor, was heute kaufkraftbereinigt etwa 16,5 Milliarden Pfund entspricht. Die Abzahlung des Kredits selbst wurde aus den Kolonialsteuern finanziert, die befreiten Sklav*innen mussten selbst für ihren Freikauf durch die britische Regierung arbeiten. (Blackburn, Robin: The Overthrow of Colonial Slavery. Verso London, 2011. S. 457.; https://reparationscomm.org/reparations-news/britains-colonial-shame-slave-owners-given-huge-payouts-after-abolition/)*

Nehmen wir das komplette Bild, also den wirklichen und nicht ausgedachten Kolonialhandel, so sehen wir, dass das Verhältnis des Exports von Großbritannien nach Europa im Jahresschnitt 1699 – 1701 3.201.000 Pfund4 betrug, gegenüber 3.617.000 Pfund für die Jahre 1772 – 1774. Für Irland, Amerika, Afrika und Asien ergeben sich für den selben Zeitraum 672.000 Pfund zu 4.870.000 Pfund nur 75 Jahre später.5 Der Export war jedoch nur eine Seite. Wie im Absatz zuvor angedeutet, spielte der Import billiger Agrarprodukte von den Sklavenplantagen eine wichtige Rolle in der heimischen Reproduktion der Arbeiter*innen zu einem möglichst geringen Preis.

Es war die historisch einmalige Kombination aus vor allem englischen Kapital, schwarzer Arbeit (Sklav*innen) aus Afrika und dem angeeigneten Boden in der neuen Welt, die zum Aufschwung des Kapitalismus in Nordwesteuropa, vor allem Großbritannien führte. Der sich ab dem 15. Jahrhundert entwickelnde Agrarkapitalismus in England wäre im 17. Jahrhundert in eine Existenzkrise geraten, wäre der Kolonialismus nicht gewesen. Die durch die kapitalistische Entwicklung auf dem Land ihrer Subsistenzmittel beraubten Massen fanden keine Anstellung und belasteten die Wohlfahrt und destabilisierten das englische System. Hunderttausende von ihnen wurde bis ins 18. Jahrhundert in die Kolonien als gebundene Vertragsarbeiter*innen oder „Kriminelle“ und Vagabunden in die britischen Kolonien zwangsverschickt. Die Entwicklung der Plantagenwirtschaft und mit ihm der Schiffsbau und anderer wichtiger Industriezweige sorgte dann für den Kickstart des englischen Industriekapitalismus. Ab dem 18. Jahrhundert wurde die überschüssige Landbevölkerung von dieser Industrie absorbiert und führte zu einem einmaligen Aufschwung der englischen und später gesamtbritischen Wirtschaft. Der transatlantische Dreieckshandel, bei dem durch Sklavenarbeit gewonnene Rohstoffe aus den Überseekolonien der englischen Industrie zugeführt wurden, die dann mit den Waren und Profiten schwarze Sklav*innen in Afrika kaufte und diese und andere Waren in die Kolonien exportierte, war eine notwendige Bedingung für die heutige Existenz des europäischen, vor allem britischen, Kapitalismus.*

Ralph Davis schlussfolgert, dass etwa ein Drittel der englischen Industrieproduktion für den Gesamtzeitraum in den Export ging, ein wichtiger Teil davon war der wachsende Kolonialmarkt gegenüber einem stagnierenden europäischen Markt.

Will man Aussagen über den Beitrag der Sklavenökonomie zur Entwicklung des europäischen Kapitalismus treffen, sind Zeiträume wichtig. Gerade das 18. Jahrhundert war entscheidend für den Sprung vom Agrarkapitalismus zum Industriekapitalismus in England. Mit der kapitalistischen Entwicklung und fortschreitenden Industrialisierung in Europa und Nordamerika ab dem 19. Jahrhundert nahmen diese Märkte an Bedeutung gegenüber den Kolonien wieder zu. Auch die Art der Exporte ist dabei wichtig, so nahm der heimische Bedarf an Eisen im England des 18. Jahrhunderts stark zu, aber ebenso in den Kolonien, wo der Export 13 – 19 Prozent des heimischen Konsums entsprach.6 Der Export von Baumwolltextilien entsprach 15 – 50 Prozent.7

Bis die preußische Zuckerproduktion die Führung auf der Welt Ende des 19. Jahrhunderts übernahm und mit ursächlich für den Niedergang der kubanischen Plantagenwirtschaft war, war letztere der größte Zuckerproduzent mit einer Produktion im Wert von bis zu einhundert Millionen USD-Dollar jährlich. Kuba war eine spanische Kolonie, die auf der Ausbeutung hunderttausender schwarzer Sklav*innen beruhte. Ein höchst profitables Geschäft für die Produzenten, ein Verlustgeschäft für die spanischen Staat, der viele Jahre Krieg auf der Insel gegen Aufständische führen musste, gerade um die Profite der Plantageneigentümer zu verteidigen, in deren Interesse die spanische Regierung handelte.

In einem seiner umfassenden Werke schreibt Robin Blackburn, dass die einfache Anhäufung von Reichtum ein zweitrangiger Aspekt der „ursprünglichen Akkumulation“ ist, „denn die kapitalistische Industrialisierung erforderte einen geeigneten Rahmen von Institutionen und Produktionsverhältnissen, die in der Lage waren, Reichtum in Kapital umzuwandeln.“8 Nach Marx ist Kapital Kommando über menschliche Arbeit, einschließlich eines unbezahlten Teils, der die Grundlage des kapitalistischen Profits bildet. Diese Arbeit wurde nach der Vernichtung der indigenen Bevölkerung in den Amerikas durch schwarze Sklav*innen aus Afrika in die Kolonien importiert, bevor sie der reinen Lohnarbeit wich.

Man könnte Plickert die Lektüre der wichtigen Bücher von Blackburn empfehlen, der die Argumente beider Seiten ausgiebig untersucht und bewertet hat. Selbst wenn man der fadenscheinigen Argumentation seines Artikels folgen würde, dass der Kolonialismus und die Sklaverei nur bedingt profitabel waren (in der Konsequenz bejaht er das sogar, auch wenn die Profite seiner Darstellung nach nur gering waren), so müsste doch zumindest eines klar sein: Der Kolonialismus war die politische Form, die die Ausweitung des Kapitalismus ausgehend von Europa annahm. Und nicht nur das, trotz mal höherer, mal geringerer Profitraten half die Sklavenwirtschaft bei der Etablierung der modernen Lohnarbeit in England. Sie trieb die Trennung des entstehenden Proletariats vom Grund und Boden, wo Güter des täglichen Bedarfs neben der Lohnarbeit zum Teil selbst noch produziert wurden durch die Versorgung mit Kleidung, Nahrung usw. über den Markt durch billige Importe aus den Kolonien weiter voran – neben der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität in England selbst.

Die Unterwerfung Afrikas, der Amerikas und weiter Teile Asiens, die in der direkten militärischen und politischen Beherrschung der Kolonien ab Ende des 19. Jahrhunderts mündete, war der Prozess, mit dem diese Teile in die entstehende kapitalistische Welt eingegliedert wurde. Wenn Plickert und seinesgleichen auf die einzig existierende Rationalität in den liberalen Märkten und der Lohnarbeit bestehen, müssten sie doch zumindest anerkennen, dass Sklaverei und Kolonialismus die Vorbedingung waren, um die zugrundeliegende Produktionsweise weltweit gewaltsam zu etablieren.

Im Manifest Verlag erschienene Bücher:

1https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/der-kolonialismus-war-kein-gutes-geschaeft-19881907.html

2Wie es der „Zufall“ will, erscheint ein derartiger Artikel, während die Argumente Williams’ in englischsprachigen Veröffentlichungen in letzter Zeit wieder intensiv behandelt wurden und das Buch „Kapitalismus und Sklaverei“ selbst gerade für die erste deutsche Auflage im Manifest Verlag vorbereitet wird.

3Beispielsweise in seinem Hauptwerk „Wie Europa Afrika unterentwickelte“.

4Alle Geldsummen sind historische Angaben und entsprechen nicht den heutigen Preisen.

5Ralph Davis, ‘English Foreign Trade 1700–1774’, Economic History Review, Second Series, 15,1962

6Paul Bairoch, ‘Commerce international et genèse de la révolution industrielle anglaise’, Annales, XXVII, 1973

7Deane and Cole, British Economic Growth, p. 185; exports from Davis, The Industrial Revolution and British Overseas Trade

8Blackburn, The Making of New World Slavery, Verso 2010, S. 527

*Dieser Artikel wurde am 30. August durch Nachträge ergänzt, diese wurden kursiv und mit einem Stern (*) markiert.

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