Haushalt in Dresden: Von einstürzenden Brücken, geschlossenen Bädern und VIP-Logen

Foto: Eingestürzte Carola-Brücke, von "Chemnitzer Eisenbahner" CC-by-sa 4.0, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Dresden_Carolabr%C3%BCcke_Einsturz_11.09.2024_2.JPG

Was auf die Dresdner*innen zukommt, dürfte in den letzten Jahrzehnten ohne Beispiel sein

Gäbe es so etwas wie eine Haushalts-Bad-Taste-Party, Dirk Hilbert dürfte sie vor wenigen Tagen treffsicher organisiert haben. Gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadtratsfraktionen der CDU, der Grünen, der SPD, der FDP/Freie Bürger besprach das Stadtoberhaupt mit FDP-Parteibuch in der Tasche in den VIP-Logen des neu sanierten Rudolf-Harbig-Stadions seine Kürzungsabsichten für den in diesem Jahr zu beschließenden Haushalt der Stadt Dresden.

von Steve Hollasky, Dresden

Die „Liste der Grausamkeiten“, wie unlängst die „Dresdner Neuesten Nachrichten“ (DNN) die Rotstiftliste genannt hatten, wurde hinter verschlossenen Türen besprochen, von Parteien, deren Stadträte keine Mehrheit im Parlament der Elbmetropole haben.

Kürzen werden sie wohl dennoch und das kräftig: Soziales, Sport und Kultur – kurz die freiwilligen Aufgaben einer Kommune – werden zusammengestrichen werden. Und dafür basteln die Fraktionen scheinbar schon an den Mehrheiten. Bereits am 10. September kündigte der finanzpolitische Sprecher der Christdemokraten in der DNN an, er wolle über den Haushalt auch mit der AfD reden, denn Reden sei keine Zusammenarbeit.

Man kann nur erahnen, ob sich beide Fraktionen in diesen Treffen näherkommen werden. Immerhin wollen beide die Lasten nach unten weiterreichen. Die AfD will beim Dresden-Pass sparen. Die Rechtspopulist*innen haben trotz all dem Gerede vom deutschen Volk wenig Sympathien für die Ärmsten desselben. Der CDU könnte das gefallen.

Geplünderte Kassen

Schon die ersten Presseberichte malen ein erschreckendes Bild: Der sächsischen Landeshauptstadt fehlen plötzlich 200 Millionen Euro. Was nun folgt, wirkt wie ein Experiment zur sozialen Leidensfähigkeit, ist aber leider bitterer Ernst und droht die soziale und kulturelle Infrastruktur dauerhaft zu schädigen. Demokratieabbau gibt es gleich noch oben drauf.

Dass Dresden, wie die „Sächsische Zeitung“ am 11. September meldete, aufgrund der desolaten Haushaltslage die Brunnen bereits im laufenden Monat winterfest macht und somit die Wasserfontänen zum Schweigen kommen, dürfte aktuell die kleinste Sorge der Einwohner*innen der Barockstadt sein. Ein trauriges Symbol bleibt es allemal.

Schon Ende diesen Jahres werden der sächsischen Landeshauptstadt gut 45 Millionen Euro fehlen. Im kommenden Jahr wird der Fehlbetrag auf siebzig und 2026 auf satte achtzig Millionen schnellen. Und auch in den folgenden Jahren werden die Finanzmittel knapp bleiben. So viel zu den nüchternen Zahlen.

Entgegen der Behauptungen von Rechts, die Belastungen würden aus dem Zuzug Geflüchteter und erhöhten Tarifgehältern resultieren, liegen die Ursachen des Dramas an anderer Stelle: Allein 2025 wird das Land Sachsen die finanziellen Zuweisungen an seine eigene Hauptstadt um mehr als siebzig Millionen Euro drosseln.

Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) hatte längst angekündigt der Finanznot des Freistaats durch solcherlei Maßnahmen Herr werden zu wollen. Die klammen Kassen wiederum sind das Ergebnis einer in sich rationalen Politik: „Der kapitalistische Staat ist eine Unternehmervereinigung, die die Ausbeutung sichert“, hatten die russischen Marxisten Nikolai Bucharin und Jewgeni Preobraschenski 1920 geschrieben. Gemessen daran hat der deutsche Staat beachtliche Arbeit geleistet. Der von allen in Deutschland lebenden Menschen erwirtschaftete Reichtum beträgt gut 18 Billionen Euro. Doch die reichsten zehn Prozent besitzen davon zwei Drittel, die untersten zehn Prozent haben hingegen Schulden.

Während mit Steuergeschenken an Reiche und Superreiche und große Vermögen eben jene verwöhnt, die schon in überbordendem Luxus leben und die sozialen Ungleichheiten vergrößert werden, werden gleichzeitig die öffentlichen Kassen geplündert. Kein Wunder, dass Bund und Länder beim Blick in die Schatztruhen irgendwann den sprichwörtlichen Hund zu sehen bekommen. Aus Sicht der Herrschenden ist es dann auch rational, die Zuschüsse zu den Kommunen zu kürzen. Was dann auch den nicht zu unterschätzenden Vorteil mit sich bringt, den Rotstift nicht selbst anlegen zu müssen. Man lässt kürzen und Vorjohann den Ankündigungen Taten folgen: Den Kommunen wird der Geldhahn zugedreht.

Liste der Grausamkeiten“

Und Hilbert reicht die Einsparungen einstweilen nach unten weiter. Was folgt ist eine Kürzungspolitik, für die es schwer werden wird, in den letzten Jahrzehnten in Dresden Vergleichbares zu finden. Und auch das ist in sich rational – nur eben nicht aus Sicht derer, die die Folgen jener Politik im Namen der Superreichen zu ertragen haben. Aus deren Sicht ist die „Liste der Grausamkeiten“ höchst irrational.

Beispielsweise hat es aus Sicht der Dresdner*innen nichts mit Rationalität zu tun, das letzte Hallenbad im Dresdner Westen, das „Elbamare“ im schon arg geschunden Plattenbauviertel Gorbitz verschwinden zu lassen. Und dass im selben Stadtteil die Niederlassung der GerDA (Gerontologische Psychiatrie, Demenz, Alzheimer) weggekürzt werden soll, kann bestenfalls Kopfschütteln, wohl eher aber berechtigte Wut erzeugen. Dass wenige Straßen weiter das frisch aus der Taufe gehobene Gymnasium Gorbitz nicht weiter ausgebaut werden soll, dürfte den ohnehin existierenden Eindruck, man sei eben arm und daher „denen da oben“ egal, weiter festigen.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein zweiter Standort der GerDA im anderen großen Plattenbauviertel Dresdens, in Prohlis, ebenso verschwinden soll. Und auch dort braucht man nach Armut nicht lang zu suchen.

Doch die Liste der Kürzungen findet damit längst kein Ende: Die KITA-Gebühren sollen auf den per Gesetz zulässigen Maximalbeitrag klettern. Dass die Parkgebühren steigen werden, trifft besonders diejenigen, die beruflich auf ihr Auto und das Parken in der Innenstadt angewiesen sind und jene, die vom Umland mit dem ausgedünnten ÖPNV nicht mehr in die Stadt kommen. Zusätzlich wird der Umstieg auf die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) nicht eben erleichtert, denn auch dort soll gekürzt werden.

Auf den Bau einer Schwimmhalle in Klotzsche wird man weiter warten müssen, ebenso auf den Bau einer benötigten Oberschule (Haupt- und Realschule) auf der Cockerwiese. Auch der Bau des Berufsschulzentrums Technik fällt flach.

Lars Kluge, der Präsident des Dresdner Sportbundes, kommentierte in den DNN die „Liste der Grausamkeiten“ mit den bitteren Worten, der Sport sei in der sächsischen Landeshauptstadt „noch nie auf Rosen gebettet gewesen“, nun drohe jedoch eine „gewachsene Struktur“ kaputt gespart zu werden. Für Investitionen zum Erhalt der Anlagen für den Breitensport benötige der Sportbund wenigstens zehn Millionen im Jahr und soll nicht einmal mehr ein Zehntel dessen erhalten. Doch die Aufzählung der Kürzungen beim Sport ist damit längst nicht vollständig.

Während sich die „Sächsische Zeitung“ in ihrem Kommentar vom 14. September nicht entblödete, die Kultur zu kreativen Formen des Sparens aufzufordern, sieht es gerade dort dramatisch aus. Und das, obwohl Dresden anteilsmäßig weniger Mittel für die Kultur in den Haushalt einstellt als die beiden anderen sächsischen Großstädte Chemnitz und Leipzig. Das Theaterpädagogische Zentrum hat sich bereits in einem Brief an die Stadt gewandt, um die Kürzungen zu verhindern.

Dem Europäischen Zentrum für Künste wird mehr als ein Drittel der Mittel vorenthalten werden. Dort geht man von einer Verringerung der Veranstaltungen von schlimmstenfalls neunzig Stück aus.

Beispiel Carolabrücke

Die „Liste der Grausamkeiten“ ließe sich fast endlos fortführen. Nur eine Folge von Kürzungen sei hier noch erwähnt. Mitten in der Phase um die Diskussion dieses Wahnsinns platschte einer der drei Stränge der Carolabrücke des nachts in die Elbe.

Der 1971 anstelle der 1945 von der SS in den letzten Kriegstagen gesprengten historischen Brücke errichtete Betonbau sei, so die jetzt präsentierte These, in sich zusammengefallen, weil in der DDR im Winterdienst mit zu aggressiven Mitteln gestreut worden sei. Gut 34 Jahre nach dem zweifelsohne mutigen Aufstand gegen den Stalinismus, der tragischerweise zu einer kapitalistischen Restauration führte, brach die Carolabrücke dann in sich zusammen.

Schaut man genauer hin, liegen die Ursachen des Kollaps nicht so weit zurück: Bereits seit spätestens 2018 war der bauliche Zustand der Brücke den Entscheidungsträger*innen bekannt. Damals fasste der Stadtrat einen entsprechenden Beschluss. Darin wird unmissverständlich festgehalten, die „Instandsetzung der Brücke“ sei „wegen des baulichen Zustandes dringend erforderlich“. Besonders die „Durchfeuchtung“ machte den Stadträt*innen damals zu schaffen.

Die chronisch klamme Kommune hoffte auf Mittel vom Land, das winkte ab und alles blieb wie es war. Ein Jahr später 2019 reihte sich dann zu dem Beschluss des Stadtrates ein Gutachten des Straßen- und Tiefbauamtes. Auch dort sorgte vor allem das ständige Einfließen von Wasser in die Brücke für Kopfschmerzen. Man fürchtete, dass Chloride, die tatsächlich vom Streuen im Winter stammen könnten, die Stahlkonstruktion erreichen würden. Das führe dann, so das Gutachten, zum „schlagartigen Versagen des Spanngliedes“, die Brücke drohe einzustürzen. Ohne Sanierung müsse neu gebaut werden, so das Fazit des Gutachtens.

Die Situation der Brücke duldete keinen Aufschub mehr: Im November begann die Sanierung des A-Stranges der Brücke. Zwei Jahre später hielt der Brücken-TÜV dann noch einmal fest, dass der Zustand der Brücke alles andere als gut sei und verpasste ihr die Note 3,4.

Im Jahr darauf wurde der B-Strang saniert, auch das kam wohl gerade noch zur richtigen Zeit. Im Januar diesen Jahres richtete sich dann Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) an Oberbürgermeister Hilbert und die Vorsitzenden der Fraktionen. Demnach müssten die Arbeiten an Strang C in jedem Fall vor dem Winter 2024/25 beginnen. Nur waren die angesetzten Kosten hierfür explodiert. Die Stadt musste die zusätzlichen Mittel irgendwoher beschaffen, der Baubeginn verzögerte sich, die Folgen dieser Verzögerung flimmern längst bundesweit über die Bildschirme. Der Zusammenbruch des C-Stranges zog die anderen beiden bereits sanierten in Mitleidenschaft. Abriss und Neubau werden wohl die Folgen sein.

Die Konsequenzen von Kürzungen tragen am Ende alle. Und im Fall der Carolabrücke in Dresden kann man für den glimpflichen Ausgang, ohne jeden Personenschaden, nur dankbar sein.

Demokratieabbau

Einher mit der Planung der Kürzungen, den Treffen in VIP-Logen und der inzwischen kaum noch gelungenen Geheimniskrämerei geht ein enormer Abbau demokratischer Rechte. Normalerweise erfolgte die Aufstellung des Haushalts durch den Oberbürgermeister in den Monaten März bis August. Dann erfolgte die Einbringung in den Stadtrat und im September und Oktober die öffentliche Debatte unter den Fraktionen. In dieser Zeit durften Bürger*innen und Initiativen Einwendungen vorbringen. Im November wurde dann der Beschluss gefasst.

In diesem Jahr läuft all das anders. Im November wird erst die Einbringung erfolgen und dann wohl sehr schnell die Beschlussfassung.

Die Folge des Turboverfahrens wird zwangsläufig eine Verringerung der Mitbestimmung durch Bürger*innen sein. Wenn man so richtig im Kürzungsflow ist, stören deren Einwände auch nur… Zudem werden Initiativen und Einrichtungen erst sehr kurzfristig von möglichen Einsparungen erfahren.

Die Folgen all dessen sind bisher schwer absehbar: Eine kaputt gesparte soziale und kulturelle Infrastruktur, geschlossene Bäder und verfallende Sportanlagen schaden den Menschen, die in Dresden leben. Den Nutzen daraus und aus dem undemokratischen Vorgehen werden aller Voraussicht nach wieder jene ziehen, die nur zu gern ordentlich mit kürzen wollen: die AfD.

Alice Weidel wettert in ihrem Buch „Widerworte“ über einen Staat, der sich um zu viel kümmere und zu hohe Sozialausgaben bestreite. Der Dresdner Weg dürfte ihr also gefallen.

Kapitalismus bedeutet eben nicht nur eine Ungleichverteilung von Vermögen, er bedeutet auch rassistische Spaltung und eine Gefahr für unseren Lebensstandard, unsere Sicherheit und unsere Gesundheit. Wollen wir das dauerhaft ändern, brauchen wir eine gesellschaftliche Alternative zum kapitalistischen Irrsinn. Die kann nur sozialistisch und demokratisch sein: Wir müssen über unsere Städte, über die Verteilung des Reichtums und die Planung von Ausgaben demokratisch und zum Wohle aller entscheiden.

Sich zur Wehr setzen

Es muss darum gehen, die „Liste der Grausamkeiten“ in Dresden vom Tisch zu bekommen. Und sicher ist eines: Dresden ist der Prototyp für Sachsen. So wird es überall kommen, längst nicht nur im Freistaat, sondern bundesweit. Die Ampel bemäntelt ihren Sozialabbau damit, dass sie die Kürzungen an die Kommunen weiterreicht.

Längst müssten DGB und Die Linke auf dem Plan sein und Treffen organisieren, um Kürzungen zu verhindern. Nur geschieht das nicht. In Dresden lädt nun das „Bündnis für Pflege“ für den 26.09., um 17.00 Uhr ins Gewerkschaftshaus, in die Räumlichkeiten von ver.di ein. Geplant sind Veranstaltungen, Aktionen und eine Kundgebung am Tag der Einbringung des Haushalts. Dafür wirst Du, Deine Initiative, Deine Jugendgruppe und Deine Institution noch gebraucht. Komm vorbei und lass uns gemeinsam die Liste der Grausamkeiten vom Tisch wischen.