Das Kapital will uns an den Kragen

Gewerkschaften müssen Widerstand gegen drohenden Großangriff organisieren

Als „dramatisch schlecht“ bezeichnete Wirtschaftsminister Robert Habeck die wirtschaftliche Lage im Land, nachdem die Wachstumsprognosen für die deutsche Volkswirtschaft für dieses Jahr von 1,2 auf 0,3 Prozent reduziert wurden – nach einem Rezessionsjahr, das einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent brachte. 

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Kein Wunder, dass Deutschland in vielen internationalen Medien wieder als der „kranke Mann Europas“ bezeichnet wird. Das letzte Mal, als Deutschland dieses Stigma hatte, folgte 2003/04 mit der Agenda 2010 der schärfste Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme und die Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung in der Geschichte der Republik.

Agenda 2030?

Dementsprechend vergeht auch kein Tag, an dem nicht irgendein Kapitalvertreter oder ein*e prokapitalistische Politiker*in großen „Reformbedarf“ anmeldet, wobei „Reform“ schon lange nicht mehr für „Verbesserung“ steht. Konkret beinhalten die Forderungen Senkungen der Unternehmenssteuern, Verlängerung und weitere Flexibilisierungsmöglichkeiten bei Arbeitszeiten, schärfere Sanktionen für Bürgergeldempfänger*innen, Einschränkungen des Streikrechts, Begrenzung der Sozialabgaben, Abschaffung der Möglichkeit des Renteneinstiegs mit 63, Rückkehr zur Atomkraft und einiges mehr. 

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert entsprechend eine „wirtschafts- und sozialpolitische Wende“ und in den Kommentarzeilen von SPIEGEL bis Süddeutsche wird immer häufiger die Forderung nach einer „Agenda 2030“ erhoben.

Hinzu kommen die Forderungen nach einer weiteren drastischen Erhöhung der Rüstungsausgaben und Kürzungshaushalte auf allen Ebenen. Es steht außer Frage: die Kapitalist*innen und ihre politischen Vertreter*innen planen eine Klassenkampfoffensive von oben. Diese würde auf die Kürzungen folgen, die jetzt schon umgesetzt werden. Daran würde, nebenbei bemerkt, auch die vielfach geforderte Reform der Schuldenbremse nichts ändern. Eine solche würde durchgeführt, um mehr Verschuldung im Interesse des Kapitals zur Finanzierung bestimmter Investitionen und Subventionen zu ermöglichen, nicht aber um Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales tätigen zu können. 

Widerstand!

Deshalb schlagen wir Alarm und sagen: Gewerkschaften und Linke müssen reagieren und den Kampf gegen die drohende Agenda 2030 jetzt beginnen zu organisieren – und dazu den notwendigen Kampf für die jetzt schon laufenden Kürzungen ebenfalls führen und das miteinander verbinden! Die Bäuerinnen und Bauern haben vorgemacht, wie man Protest lautstark auf die Straße tragen kann. Würden die Gewerkschaften ihre fast sechs Millionen Mitglieder in ähnlicher Art und Weise mobilisieren, stünde das Land nicht nur still, Regierung und Kapital würden schnell in Panik geraten. Die Ampel-Koalition ist schwach und von Konflikten zerrissen. Das bedeutet aber nicht, dass sie keine Gesetze gegen die Interessen der Arbeiter*innenklasse auf den Weg bringen kann – und wenn nicht, wird sie möglicherweise früher statt später von einer CDU-geführten Regierung ersetzt werden. Doch Gewerkschaften und Linke dürfen nicht abwarten, sondern müssen jetzt informieren, organisieren, mobilisieren!

Aktionsplan

Wir schlagen dazu vor:

  • Informationskampagne in allen Betrieben und in der Öffentlichkeit durch Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen, Massenflugblätter, Plakatkampagnen
  • Durchführung lokaler, regionaler und bundesweiter Aktionskonferenzen, die gewerkschaftliche und andere Aktive zusammenbringen und einen Aktionsplan ausarbeiten
  • Ein solcher Aktionsplan könnte mit dezentralen und betrieblichen Aktionen beginnen und über lokale und regionale Demonstrationen zu einer bundesweiten Großdemonstration in Berlin führen
  • Diese Situation muss dazu führen, dass in den Gewerkschaften der Kampf um den politischen Streik geführt wird und deutlich gemacht wird: ohne Politikwechsel wird auf einen 24-stündigen Generalstreik hingearbeitet

Forderungen

Eine solche Kampagne kann nur erfolgreich sein, wenn sie für Forderungen geführt wird, für die es sich zu kämpfen lohnt. Das müssen Forderungen sein, die darauf abzielen, sich mit dem Kapital wirklich anzulegen, statt darauf die Profitbedingungen für die Kapitalist*innen zu verbessern, wie es DGB-Vorsitzende Fahimi tut, oder begrenzte staatliche Investitionen zu fordern, wie es von anderen Gewerkschaftsführungen kommt. Stattdessen müssen die Gewerkschaften endlich einen radikalen Kurswechsel weg von der Politik der Sozialpartnerschaft einleiten. Die Sol schlägt dazu unter anderem folgende Forderungen vor: 

  • Nein zu jeglichen Kürzungen und Verschlechterungen von Rechten der abhängig Beschäftigten
  • Für eine massive Erhöhung der Steuern auf Gewinne und Vermögen der Banken, Konzerne und Superreichen
  • Für die Abschaffung der Schuldenbremse
  • Für Milliardeninvestitionen in Bildung, Gesundheit, Klima und Soziales – statt Milliarden für die Bundeswehr
  • Rekommunalisierung und Ausbau von Krankenhäusern, ÖPNV, Wohnungsbaugesellschaften unter demokratischer Kontrolle
  • Verstaatlichung des Energiesektors unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung, um die Preissteigerungen für die Masse der Bevölkerung zu stoppen und eine ökologische Energiewende ohne Verlust von Arbeitsplätzen demokratisch geplant durchzuführen

Nicht abwarten

Linke und kämpferische Gewerkschafter*innen sollten aber nicht darauf warten, bis sich die Spitzen ihrer Organisationen bewegen. 2003 war es eine von unten organisierte Großdemonstration mit 100.000 Teilnehmenden, die weitere Massenproteste und auch gewerkschaftliche Großmobilisierungen auslöste. Eine Widerstandskonferenz von unten könnte möglicherweise einen ähnlichen Effekt erzielen. Sol-Mitglieder werden dafür in den nächsten Wochen und Monaten in Gewerkschaften, der Partei Die Linke und sozialen Bewegungen werben. 

Als Marxist*innen sind wir gleichzeitig davon überzeugt, dass nur durch eine Ersetzung des Kapitalismus durch eine sozialistische Demokratie massive Verschlechterungen der Lebensbedingungen der Arbeiter*innenklasse dauerhaft verhindert werden können.

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