Baseballschlägerjahre 2.0?

Foto: Kai Schwerdt, CC BY-NC 2.0, https://www.flickr.com/photos/kaischwerdt/48568802257/

Kommt eine neue rechtsextreme Gewaltwelle in Ostdeutschland?

In den 1990er Jahren entwickelten sich in den neuen Bundesländern Neonazibewegungen, deren Hochzeit nach dem bevorzugten Tatinstrument der Akteur*innen „Baseballschlägerjahre“ getauft wurde.

von Max Eilers, Dresden

Jugendliche der DDR waren mit der Zweischneidigkeit des Stalinismus aufgewachsen: bürokratische Autorität und soziale Sicherheit. 

Mit dem Ausverkauf der bürokratischen Planwirtschaft nach der Wende an westliche Unternehmen fiel beides weg, und junge Menschen machten sich auf die Suche nach Identität und Halt. Dabei stießen sie auf illegale Neonazistrukturen aus DDR-Zeiten und vor allem auf Westkader, die aufbauend auf dem offiziellen „Wiedervereinigungs“-Patriotismus und staatlichem Rassismus Propaganda unter der ostdeutschen Jugend betrieben. 

In aus dem Boden gestampften Jugendeinrichtungen wurde „akzeptierende Sozialarbeit“ praktiziert, die rechtsextreme Einstellungen hinnahm und so den Terror der Neonazis mitsamt der Verletzten und Toten subventionierte.

Und heute?

Die Hauptakteur*innen von damals sind in die Jahre gekommen. Die Existenz einer Elterngeneration mit militanter Erfahrung birgt die Gefahr einer Professionalisierung im Vergleich zu den oft spontanen und willkürlichen Angriffen der 1990er. 

Die Ursachen der Gewalt der Baseballschlägerjahre sind nicht verschwunden. Immer noch fehlen sichere Zukunftsperspektiven, insbesondere auf dem Land, immer noch fühlen sich zwei Drittel der ostdeutschen Jugendlichen im Vergleich zu jungen Westdeutschen benachteiligt, immer noch fehlt Orientierung in Zeiten der Umbrüche.

In der Studie Aufwachsen in Deutschland (AIDA) zeigten sich bei der Zufriedenheit der 14- bis 35-Jährigen in allen erfragten Bereichen sichtbare Verschlechterungen im Vergleich von 2019 zu 2021, und auch der kürzlich erschienene Kinder- und Jugendbericht stellt fest, dass es Jugendlichen an Orientierung und Sicherheit mangelt. 

Mehrfachkrise als Motor der Radikalisierung

Wer als Kind die Finanzkrise von 2008, als Teenager die Panikmache um Migration ab 2015 und als junge Erwachsene den Beginn der Klimakrise, die Coronakrise und die Kriege in der Ukraine und in Gaza miterlebte, hat gute Gründe, Hass zu verspüren und sich gegen die Schuldigen wehren zu wollen.

Dass im Laufe des letzten Jahres Migrant*innen von den prokapitalistischen Parteien von der AfD bis zu den Grünen als Sündenböcke für die Krisen hingestellt wurden und man sich in der Forderung nach Abschiebungen gegenseitig überbot, hat bei relevanten Teilen der Jugend dazu geführt, diese von allen Seiten als Feind markierte Bevölkerungsgruppe ebenfalls als Feind zu markieren.

Bei einem Teil dieser Schicht droht stets die Gefahr, dass aus Worten Taten werden. Das bedeutet auch, dass sich aus Kleingruppen wie der „Elblandrevolte“, der lokalen Jugendgruppe der faschistischen Partei „Die Heimat“ (früher NPD), aus der heraus im Mai ein SPD-Politiker angegriffen wurde, im Windschatten der AfD und rechtspopulistischer Influencer*innen potenziell militante Bewegungen mit einer gewissen Massenbasis oder gar Terrorzellen entwickeln können.

Im August machte eine Demonstration der Jungen Nationalisten mit über 600 jugendlichen und enorm gewaltbereiten Neonazis in Bautzen gegen den Christopher Street Day Schlagzeilen. Einschüchterungsversuche wie dieser sind keine Ausnahmeereignisse. 

Das Bundesinnenministerium hat 2023 29.000 rechts motivierte Straftaten registriert, darunter 1270 Gewaltdelikte. Das sind 23 Prozent mehr Straftaten als im Vorjahr.

In weiten Teilen Ostdeutschlands, insbesondere auf dem Land, haben Personen, die in das Feindbild der Rechten passen, Angst. 

Was nun?

Das Ausmaß der 1990er ist noch nicht erreicht, aber der Ist-Zustand ist beängstigend. Es ist nicht zu spät, ein Wiederaufflammen der Gewalt einzudämmen und in den kommenden Klassenkämpfen die Wut auf die tatsächlichen Schuldigen zu lenken: Auf die Kapitalist*innen, für die dieses System mit all seinen regelmäßigen Existenzvernichtungen eingerichtet ist und die alles tun werden, um auf unsere Kosten ihre Profite zu retten.

Dem etwas entgegenzusetzen heißt vor allem, eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen System und Kämpfe für Verbesserungen anzubieten: gegen die Schließung von Schulen und Jugendclubs, für selbstorganisierte Jugendzentren und Bildungsangebote. Diese Kämpfe können nur Erfolg haben, wenn Jugendliche unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion gemeinsam kämpfen. Solche Kämpfe sind der beste Schutz gegen den zunehmenden Einfluss von militanten Rechtsextremen.