Keine Bettler

Bericht von der Geld- und Wert-Streikdemonstration in Berlin

Am 02. Oktober demonstrierten etwa 150 streikende Kolleg*innen aus der Geld- und Wertdienstleistungsbranche durch die Berliner Innenstadt. Im Rahmen der aktuellen Tarifauseinandersetzung um Löhne, Zulagen und Arbeitsbedingungen rief ver.di Kolleg*innen der Unternehmen Prosegur, Ziemann und WSN in Berlin und Brandenburg zum Warnstreik von Montag bis Mittwoch auf. Mitglieder der Sol waren ebenfalls vor Ort, zeigten sich solidarisch und sammelten unter anderem Unterschriften für den Gewerkschafter*innen-Aufruf „Wir schlagen Alarm“.

von Tom Hoffmann, Berlin

„Tagsüber Millionär, abends Bettler?!“ – hinter diesem Banner liefen die Kolleg*innen, die jeden Tag u.a. enorme Summen Bargeld transportieren, von der Friedrichstraße zum Roten Rathaus. Doch von Betteln kann an diesem Mittwoch keine Rede sein: Mit Sprechchören machten die Kolleg*innen deutlich, dass sie bereit sind, sich mit Streik zu nehmen, was sie fordern.

In der bundesweiten Tarifrunde streikten in den letzten Tagen über 2.000 der 10.000 Beschäftigten in den Geld- und Wertdienstleistungen. Das hatte bei manchen Sparkassen und Supermärkten schon den Effekt, dass Bargeldbestände knapp wurden. Die Beschäftigten haben durch ihre Arbeitskraft potenziell die Kontrolle über eine wichtige Schaltstelle im Wirtschaftskreislauf, die ordentlichen ökonomischen Schaden für die Unternehmen anrichten kann. Dieses Selbstbewusstsein war zu spüren.

Deutliche Lohnerhöhungen (in Berlin auf 21,10 Euro/Std im mobilen und 18 Euro/Std im stationären Bereich), Überstundenzuschläge ab der vollendeten 8. Stunde pro Arbeitstag, bundesweit einheitliches Urlaubs und Weihnachtsgeld und Mindest-Urlaubsanspruch von 31 Tagen – dafür streikten über 200 Kolleg*innen die letzten Tage auch in Berlin, neben den Kolleg*innen in den anderen Bundesländern. Es ist damit auch ein Kampf gegen die gespaltene Tariflandschaft und auch die Schlechterstellung von Beschäftigten in Ostdeutschland fast 35 Jahre seit der Wende, was mehrere Redner*innen erwähnten.

Bosse blockieren

Die Bosse blockieren aber nicht nur Verbesserungen, sondern fordern umgekehrt heftige Einschnitte. Eine geforderte Laufzeit von drei Jahren statt der 12 Monate begleitet Forderungen nach Abschaffung von Weihnachts- und Urlaubsgeld und dreiste implizite Unterstellungen, dass der hohe Krankenstand nicht mit den miesen Arbeitsbedingungen, sondern mangelnder Arbeitsmoral der Kolleg*innen zusammenhängt. Eine Frechheit, wenn man bedenkt, dass die Beschäftigten zum Teil 10 bis 11 Stunden am Tag ohne wirkliche Pause arbeiten und fahren müssen – so erklärten Kolleg*innen von WSN Mitgliedern der Sol vor Ort, dass sie in der Pause nicht ihr Fahrzeug verlassen dürften und ohnehin die Tour nicht schaffen, wenn sie länger stehen bleiben würden. Die Wut darüber entlud sich auch vor der Zentrale des Arbeitgeberverbandes BDGW in der Friedrichstraße mit lauten Pfiffen und Buhrufen.

Doch Kolleg*innen wiesen uns darauf hin, dass die Haltung der Bosse auch ein Geschenk für den Streik sei – peitscht das doch die Stimmung weiter auf und erleichtert es zumindest, Kolleg*innen vom Arbeitskampf zu überzeugen. Das gelingt. Der Streik wuchs über den Warnstreik an, übertraf die Erwartungen und es wurde berichtet, dass auch einige Kolleg*innen, die noch nicht ver.di-Mitglieder sind und aus verschiedenen Gründen Skepsis gegenüber der Gewerkschaft haben, schon für den Streik gewonnen werden konnten. Darauf lässt sich aufbauen.

Keine Demo mit Erzieher*innen möglich

Ein Wermutstropfen musste ver.di-Sekretärin Magdalene Waldeck allerdings schon auf der Auftaktkundgebung feststellen. Eigentlich hätte es am Mittwoch eine gemeinsame Aktion mit den Erzieher*innen der städtischen Kita-Eigenbetriebe geben sollen, die einen Erzwingungsstreik planten, für den sich eine überwältigende Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder aussprachen. Doch das Arbeitsgericht Berlin macht dem, auf Antrag des Berliner Senats, einen Strich durch die Rechnung und untersagte den Streik. Die Begründung des Gerichts hat es in sich und wird von ver.di zurecht in der höheren Instanz angezweifelt: Ein angeblicher Bruch der Friedenspflicht, wegen einer laut ver.di überhaupt nicht mit den aktuellen Tarifforderungen vergleichbaren Vertragsklausel im bestehenden Tarifvertrag der Länder, sowie die Erklärung, dass das Land Berlin nicht den vom bundesweiten Arbeitgeberverband angedrohten Rausschmiss im Falle von Tarifverhandlungen riskieren müsste. Das bedeutet nicht weniger, als dass den Kolleg*innen ihr Streikrecht wegen einer Satzungsregelung des bundesweiten Arbeitgeberverbandes genommen wird. Käme das durch, hätte das auch verheerende Auswirkungen auf andere Beschäftigte, die für zum Beispiel zusätzliche Tarifverträge kämpfen wollen. Dass hingegen der Arbeitgeberverband auf das Recht der Kolleg*innen, sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zu wehren, Rücksicht nehmen müsste, kam dem Gericht nicht in den Sinn. Umso wichtiger, dass sich Kolleg*innen, wie am Mittwoch von der Geld- und Wertbranche, solidarisieren und Protest äußern.

Wie weiter?

Vor dem Roten Rathaus angekommen gab es noch Reden von der ver.di-Verhandlungsführerin Sonja Austermühle und dem Berliner Mitglied der Bundestarifkommission, Rachid Vater von Prosegur. Letzterer wies zurecht und unter großem Applaus auf die Mittel hin, die die Kolleg*innen noch in der Hand halten und spielte darauf an, dass Kolleg*innen bei Prosegur 2015 mit einem sechswöchigen Streik ihre Forderungen nach einem zusätzlichen Haustarifvertrag durchsetzen konnten. Angesichts der Blockadehaltung der Bosse ist in der Tat davon auszugehen, dass Warnstreiks nicht reichen, um die berechtigten Forderungen voll durchzusetzen. Eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Urabstimmung spätestens nach der nächsten Verhandlungsrunde und die Vorbereitung von längeren Warnstreiks bis hin zu einem bundesweiten Erzwingungsstreik könnten nicht nur den Bossen, sondern auch noch mehr Kolleg*innen beweisen, dass ver.di es ernst meint und die Streikfront damit stärken.