Zur ökonomischen und politischen Lage in der Bundesrepublik
Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben die weit verbreitete Unzufriedenheit, allen voran mit der Ampel-Koalition, erneut offengelegt. Sie führen zu neuen, instabilen Verhältnissen in den Landtagen und verkomplizieren damit den bürgerlichen „Politikbetrieb“. Wie es mit der Bundesregierung weitergeht, ist aktuell völlig offen. Ein wichtiger Faktor dabei wird die sich zuspitzende ökonomische Krise. In deren Windschatten kündigen sich massive Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse an, die zu Widerstand führen werden. Die Linke und Gewerkschafter*innen stehen – angesichts von Stellenabbau, Haushaltskürzungen, der aufgepeitschten Migrationsdebatte und dem Niedergang der Linken – vor Herausforderungen, die einen Kurswechsel nötig machen.
von Tom Hoffmann, Sol-Bundesleitung
Es wird immer deutlicher, dass die deutsche Wirtschaft in einer Sackgasse steckt. Die Gesamtwirtschaftsleistung befindet sich zur Mitte des Jahres auf dem Niveau von Ende 2019. Blickt man unter die Oberfläche, trübt sich das Bild noch weiter. Das Baugewerbe und die Industrie, welche in Deutschland 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, sind in einer Rezession; die Industrieproduktion liegt 15 Prozent unter dem Stand von 2017. Ein Blick auf die Ursachen zeigt, dass keine schnelle und nachhaltige Erholung kommen wird: globale Überkapazitäten durch den schwächelnden Weltmarkt, mehr Konkurrenz vor allem mit Firmen aus den USA und China, gestiegene Energiepreise, fehlende Investitionen und Fachkräftemangel. Im Gegenteil: Ein neuer Schock, zum Beispiel an den Finanzmärkten oder in Form anderer Ereignisse, zum Beispiel im Zuge der vielen globalen Konflikte, könnten weiter Öl ins Feuer gießen.
Deutlich wird das im Kernstück der deutschen Wirtschaft, der Autoindustrie. Der VW-Vorstand, der mit der historischen Drohung von Werksschließungen und der Kündigung der Beschäftigungssicherung zum Frontalangriff bläst, spricht von Überkapazitäten von etwa zwei Millionen Autos in Deutschland. Zehntausende Beschäftigte und ganze Regionen sind potenziell allein dadurch betroffen. In der Zuliefererindustrie ist der Stellenabbau in vollem Gange, ebenso gibt es Abbau in der Chemieindustrie oder die Drohungen bei ThyssenKrupp Stahl. Die Krise in diesen wichtigen Industriezweigen wird auch Auswirkungen auf den Rest der Wirtschaft haben.
Kapitalismus bedeutet Stellenabbau
Doch das hält die einzelnen Unternehmen nicht davon ab, das zu tun, was aus ihrer Sicht nötig ist, um ihre Profite zu retten. Die Milliardengewinne der letzten Jahre sollen weiter in die Aktionärstaschen fließen. Im Rahmen des Kapitalismus sind solche Krisen zwangsläufig und sie werden auf dem Rücken der Beschäftigten „gelöst“ – durch Stellenabbau und Lohnverzicht, Verlagerung in „Billiglohnländer“, Steigerung der Arbeitshetze, kurz mehr Ausbeutung. Ein Bruch mit der Profitlogik, demokratisch kontrolliertes und verwaltetes Gemeineigentum an großen Banken und Konzernen und eine sozialistische Veränderung sind deshalb dringend nötig, um alle Arbeitsplätze zu retten und die Wirtschaft nachhaltig und demokratisch umzugestalten.
Die schlechte Wirtschaftslage setzt die Ampel weiter unter Druck. Das Kapital drängt auf eine härtere Gangart gegen die Masse der Arbeitenden – in den Betrieben, im Staatshaushalt und was Angriffe auf die Rechte der Lohnabhängigen angeht. Seine Vertreter*innen fordern Sozialkürzungen, um Geld für Aufrüstung, staatliche Förderungen und zumindest den Teil des Investitionsstaus freizumachen, der auch ihre Profite bedroht. Die Ampel-Regierung will dem gerecht werden. Doch parteipolitische Interessen sowie die unterschiedlichen Vorstellungen, wie den Wünschen des Kapitals am besten gedient wäre – zum Beispiel in Bezug auf die Schuldenbremse – werden den Dauerstreit weiter befördern.
Landtagswahlen
Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren eine Abreibung für die Ampel-Parteien. Gemessen an vorherigen Umfragen, nach denen alle Ampel-Parteien den Einzug in den einen oder anderen Landtag hätten verpassen können, sind aber die Worst-Case-Szenarien ausgeblieben (außer für die FDP, was aber zu erwarten war). Ein sofortiges Aus der Koalition nach den Wahlen war damit vom Tisch, aber von Stabilität kann keine Rede sein. Der Grünen-Bundesvorstand ist geschlossen zurückgetreten, viele führende Mitglieder der Grünen Jugend sogar ausgetreten. Aus der FDP kamen schnell Stimmen, die auf mögliche Bruchpunkte in den kommenden Wochen hindeuteten. Gerade über ihren Haushalt, dessen Entwurf große Finanzierungslücken aufweist, könnte die Ampel fallen.
Die Wahlen sind aber ein Wendepunkt für die ganze Parteienlandschaft – und das nicht nur in Ostdeutschland. Trotzdem ist es kein Zufall, dass ausgerechnet hier über dreißig Jahre nach der kapitalistischen Restauration der Niedergang der etablierten, bürgerlichen Parteien so krass ausfällt. Die AfD wurde enorm gestärkt. Die Erfolge von CDU und SPD in Sachsen und Brandenburg basierten nicht auf Unterstützung für ihre Parteien, sondern vor allem auf Angst vor der AfD. Trotz gestiegener Wahlbeteiligung sind in Brandenburg nur noch CDU und SPD als „etablierte“ Parteien im Landtag, neben AfD und BSW. Die Wahlen sind Ausdruck von Polarisierung, von Ängsten und vor allem Unzufriedenheit mit den sozialen und politischen Verhältnissen bei der Mehrheit der Bevölkerung.
Das Wachstum der AfD ist eine ernste Gefahr. Das ist auch ein Ergebnis der rassistisch aufgeladenen Migrationsdebatte, die nach dem Anschlag von Solingen noch mal intensiviert wurde. Die im Rekordtempo von der Ampel beschlossenen und von der Union geforderten Maßnahmen zur Verschärfung des Asylrechts hätten in jedem AfD-Programm stehen können. Nichts davon wird mehr Sicherheit bringen. Das hat aber niemanden davon abgehalten, AfD zu wählen.
Der Anteil derjenigen, welche in der Nachwahlbefragung angaben, die AfD „aus Überzeugung“ zu wählen, ist gestiegen. Das ist ein Warnsignal für Linke und Gewerkschafter*innen, weil es Ausdruck der Verfestigung von Vorurteilen, Rassismus und reaktionären Ideen ist. Die Aufgabe, dass man einen Teil dieser Menschen „zurückgewinnen“ muss, wird dadurch schwerer, aber auch dringlicher und sie ist erfüllbar! Das geht aber nur gegen und nicht mit den etablierten bürgerlichen Parteien. Die AfD kann auf dem Boden der sozialen Missstände und der Wut auf das Establishment gedeihen, auch weil es keine glaubhafte linke Alternative gibt. Der gemeinsame Kampf, unabhängig von Nationalität und Herkunft, gegen diese sozialen Missstände wird entscheidend sein, um Vorurteile und Rassismus zurückzudrängen und die AfD-Unterstützung effektiv zu untergraben.
Dass die AfD so stark werden konnte, hat auch Die Linke zu verschulden. Die Partei geht in ihren einstigen Ost-Hochburgen wie im Bund in Riesenschritten in Richtung Bedeutungslosigkeit. In Brandenburg fliegt sie sogar aus dem Landtag. Das ist die Quittung für die Erfahrung, die die Menschen mit der Linken in Regierungen mit SPD und Grünen gemacht haben: dass sich solche Regierungen nicht grundlegend von anderen Koalitionen unterscheiden und im schlimmsten Fall Krankenhausschließungen, Privatisierungen usw. mittragen. Ein Bruch mit der bisherigen Politik und ein Kurswechsel der Linken wäre bitter nötig, damit die Partei gegenüber der Arbeiter*innenklasse noch eine Chance hätte deutlich zu machen, dass sie einen Wert für sie hat. Das würde heißen, als sozialistische Opposition gegen die sozialen Missstände im Land und die zu erwartenden Angriffe der nächsten Regierungen zu kämpfen, sowie den Fokus auf den Aufbau von außerparlamentarischem Widerstand auf den Straßen, in den Betrieben, Schulen und Unis zu legen – ohne antirassistische Prinzipien zu verstecken. Leider gibt es keine Anzeichen, dass es dazu kommt.
BSW
Dem BSW hingegen sind ein Senkrechtstart und zweistellige Ergebnisse acht Monate nach seiner Gründung gelungen. Diejenigen, die das BSW wegen der klaren Positionierung gegen Waffenlieferungen und Kriegspolitik und dem Wunsch nach sozialerer Politik gewählt haben, werden nun Hoffnungen haben. Doch diese Hoffnungen wird das BSW enttäuschen. Wagenknechts Partei ist eine Partei, die nicht auf Klassenkampf setzt und den Kapitalismus überwinden will. Ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Koalition mit Union und SPD macht das deutlich und deshalb wird sie keinen Politikwechsel für die Arbeiter*innenklasse durchsetzen. Weiter angepasst hat sich das BSW, in dem es in den Chor derjenigen mit einstimmt, die die Zuwanderung für Terrorismus, Kriminalität und soziale Probleme verantwortlich machen. Damit setzt es fort, was Wagenknecht in der Vergangenheit bereits gemacht hat: einen kausalen Zusammenhang zwischen diesen Dingen herstellen, die Spaltung der einfachen Menschen voranzutreiben anstatt zu erklären, dass die sozialen Ursachen von Terrorismus und Kriminalität gemeinsam bekämpft werden müssen und der Kapitalismus das grundlegende Problem ist.
Bewusstsein und Migrationsdebatte
Denn was in den letzten Wochen von nahezu allen Seiten zu hören ist, ist ein einziges Täuschungsmanöver. Die massiv geschürten Ängste vor Zuwanderung sollen von den wahren Verursacher*innen der sozialen Missstände ablenken: Pro-kapitalistische Kürzungspolitiker*innen und ihre Freund*innen in den Chefetagen der Banken und Konzerne, für die Politik gemacht wird. Es sind höchstens Steuerflüchtlinge, die ernsthaft Mitschuld an Wohnungsmangel und kaputter Infrastruktur tragen und dafür sorgen, dass das Geld bei Bildung, Gesundheit und Sozialem fehlt – aber nicht diejenigen, die vor Krieg und Elend geflohen sind. Mehr Abschiebungen werden nichts daran ändern, dass Sozialkürzungen drohen, überall Personal fehlt oder so essenzielle Infrastruktur wie Brücken wortwörtlich den Bach heruntergeht.
Gleichzeitig wäre es falsch, aus dem mehrheitlichen Wunsch nach Zuwanderungsbegrenzung und den Wahlergebnissen abzuleiten, dass die Gesellschaft und die Arbeiter*innenklasse insgesamt nach rechts rückt. Dass es komplizierter ist, zeigt zum Beispiel eine ZEIT-Umfrage, nach der fast jede*r Zweite die Zuwanderung auch aus Angst vor wachsendem Rechtsradikalismus begrenzen will. Noch im Frühjahr gab es die größten Demonstrationen seit vielen Jahrzehnten in Deutschland gegen die AfD. Bestätigt hat sich aber die Warnung, dass diese erfolglos bleiben, wenn sie von Establishment-Politiker*innen (die selbst rassistische Politik umsetzen) dominiert werden und sich nicht gegen den sozialen Nährboden von Rassismus richten. Es gibt eine gesellschaftliche Polarisierung, deren linker Pol tragischerweise keinen politischen Ausdruck findet. Allein die Streikwellen der letzten Jahre und die Neueintritte in die Gewerkschaften sind ein Beleg dafür. Wenn es um Gesundheit, Bildung, Arbeitsplätze, soziale Ungleichheit usw. geht, gibt es Mehrheiten für linke Positionen.
Perspektiven
Die wirtschaftliche Entwicklung und der verstärkte Klassenkampf von oben sind ein Rezept für politische Instabilität. Ob die Ampel diesen Sturm bis zu den regulären Wahlen übersteht, ist nicht sicher. Schon jetzt wäre es die Aufgabe der Gewerkschaften, die Kämpfe gegen Stellenabbau, Kürzungen und die Gefahr von Rechts entschlossen zu führen und zu verallgemeinern und sich auf die Angriffe der nächsten, wahrscheinlich vom Ex-BlackRock-Lobbyisten Friedrich Merz geführten Regierung vorzubereiten. Mehr Klassenkampf von unten wird auch neue Chancen für den Aufbau einer so dringend nötigen Arbeiter*innenpartei bieten.