Ein besonderer Gewerkschafter ist verstorben
Nach langer Krankheit ist der Aachener Gewerkschafter Manfred Engelhardt im Oktober verstorben. Manfred und die Vorgängerorganisationen der Sol, VORAN und SAV, verband eine lange Zusammenarbeit trotz nicht unerheblicher ideologischer Differenzen. Manni, wie ihn seine Kolleg*innen und Mitstreiter*innen nannten, war ein kämpferischer und kompromissloser Gewerkschafter und, als gelernter Küchenmeister, Personalratsvorsitzender beim Aachener Studentenwerk. Nachdem er 1981 aufgrund des NATO-Doppelbeschlusses, wie so viele andere, aus der SPD ausgetreten war, wurde er zum Kommunisten. Trotz seiner Sympathien für Stalin und der Überzeugung, dass die stalinistische Sowjetunion eine Form des Sozialismus war, war er Klassenkämpfer genug, um auch mit uns Trotzkist*innen eng zusammenzuarbeiten, insbesondere in gewerkschaftlichen Fragen, aber nach der Gründung der Partei Die Linke auch für einige Zeit in dieser.
Nach seiner Verrentung 2008 und dann dem Austritt aus der Linkspartei im Jahr 2010 änderte sich das leider und die Zusammenarbeit ließ nach. Während der Corona-Pandemie beging Manni, wie manche andere Linke, den Fehler, seine Opposition gegen die so genannten Corona-Maßnahmen auch mit rechtspopulistischen Kräften und so genannten Querdenker*innen auf die Straße zu tragen.
Doch dies macht sein Lebenswerk nicht weniger bedeutsam. Manni war ein vorbildlicher Beschäftigtenvertreter und solidarischer Kommunist.
Wir veröffentlichen hier einen Artikel aus der „Solidarität“ von Juni 2008, in dem unser 2011 verstorbener Genosse Gaétan Kayitare anlässlich von Manfred Engelhardts Renteneintritt einen Blick auf sein Leben als Gewerkschafter wirft.
Manfred Engelhardt – Deutschlands dienstältester Personalratsvorsitzender geht in Rente
Gaetan Kayitare, Netzwerk-Unterstützer aus Aachen bilanzierte mit Manni Engelhardt seine Arbeit als Personalrat, Gewerkschafter und Sozialist.
Über drei Jahrzehnte Kampf für Arbeitnehmerinteressen scheinen wenig Spuren an Manni Engelhardt hinterlassen zu haben. Kampf- und angriffslustig ist er immer noch, genauso wie vor 33 Jahre als er zum ersten Mal mit 24 Jahren zum Personalratsvorsitzender des Studentenwerks Aachen und zum Vorsitzenden der “Arbeitsgemeinschaft der Personalräte der NRW-Studentenwerke” (ARGE) gewählt wurde. 246 Prozesse (davon 50 Strafverfahren, die er allesamt gewonnen hat), unzählige Abmahnungen und acht Kündigungen haben ihn nicht gefügig machen können.
„Als ich 1975 zum Personalratsvorsitzenden wurde, habe ich erst erfahren, welchem Druck man als Arbeitnehmervertreter ausgesetzt ist. Entweder du kämpfst oder du knickst ein, dann aber für immer. Erfolgreich kannst du nur sein, wenn du die richtige Einstellung und die volle Unterstützung der Kolleg*innen hast.“ Beides hat Manni gehabt. Die Kolleg*innen wählten ihn ohne Unterbrechung seit 1975 mit 80-90 Prozent der Stimmen zum Personalrat und einstimmig zum Vorsitzenden der ARGE .
Manni hat neben dem Studentenwerk verschiedene Funktionen in der organisierten Arbeiterbewegung bekleidet, beispielsweise als Delegierter der ÖTV (Vorläufer von ver.di) auf Landes-und Bundesebene. Er hatte als einer der ersten die Idee zum Aufbau einer organisierten innergewerkschaftlichen Opposition, war Mitbegründer der Gruppe oppositioneller Gewerkschafter*innen in der ÖTV (GrOG) und Autor des Gründungsaufrufs, des sogenannten Niedersfelder Manifests. Diese oppositionelle Gruppierung war eine Vorläufergruppe des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“, das 1996 mit Beteiligung von Manni Engelhardt gegründet wurde. 1996 hatte Manni Engelhardt den Mut, beim ÖTV-Kongress gegen den damaligen Vorsitzenden Herbert Mai zu kandidieren und erhielt mit 5 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg. Er hat federführend daran gearbeitet, dass sich Personalräte der Studentenwerke auch in anderen Bundesländern zu Arbeitsgemeinschaften zusammenschlossen.
Im Jahr 2000 deckte Manni Engelhardt auf, dass die ÖTV-Führung seit 1997 mit den Geschäftsführern der Studentenwerke Geheimverhandlungen über die Herausnahme der Studentenwerke aus dem Flächentarifvertrag BAT und über einen Absenkungstarifvertrag mit weitgehenden Verschlechterungen geführt hatte. Manni Engelhardt war entsetzt: „In 26 Jahren Personalratstätigkeit ist mir soviel Mauschelei nie begegnet. Jetzt müssen wir nicht nur gegen die Arbeitgeber, sondern auch gegen die eigene Führung kämpfen“ äußerte er sich damals. Manni machte die Geheimverhandlungen über eine Pressekonferenz publik und drohte dem ÖTV-Hauptvorstand in Stuttgart, von Aachen nach Stuttgart zu laufen und unterwegs und vor der ÖTV-Zentrale Protestdemonstrationen abzuhalten. Als die Medien gierig die Idee aufgriffen, wurde Manni daraufhin vom ÖTV-Vorsitzenden Herbert Mai eingeladen.
Bei diesem Treffen verpflichtete Manni den ÖTV-Hauptvorstand, eine öffentliche Erklärung zu unterschreiben. In dieser wurde festgelegt, dass es keinen Ausstieg der Studentenwerke aus dem BAT geben werde. Allerdings wurde fünf Jahre später mit dem TVöD für alle Beschäftigten der BAT abgeschafft und viele Verschlechterungen, die früher schon für die Studentenwerke von der ÖTV verhandelt wurden, für alle zum Standard.
Sozialistische Überzeugung hilft
Früher war es einfacher, zur richtigen Einstellung zu gelangen. Als junger Lehrling wurde Manni von der Jugendbewegung der 68er politisiert und bei den Jusos in der SPD aktiv. Für die SPD war er eine Zeit lang im Stadtrat. Wegen des NATO-Doppelbeschlusses (Stationierung von atomaren US-Raketen in Westdeutschland) trat er 1981 aus der SPD aus und war bis zu seinem Eintritt in DIE LINKE vor kurzem parteilos.
“Wenn du erkannt hast, dass du als Arbeiter nichts als deine Ketten zu verlieren hast, kämpft es sich leichter und entschlossener. Wenn du verstehst, dass die Befreiung der Menschheit ein steiniger und bisweilen gefährlicher Weg sein kann, hilft es der Ausdauer. Du weißt auch, dass du keine Ruhe hast bis das ganz große Ziel erreicht ist. Wir tragen daher unsere Abmahnungen wie andere ihre Bundesverdienstkreuze. In dieser Gesellschaft musst du Amboss oder Hammer sein. Ich will lieber Hammer sein! Auch wenn ich den Kapitalismus nicht mit einem Schlag beseitigen kann, bin ich auf jeden Fall der Stachel im Fleisch… Der Kapitalismus versucht ja immer die objektive Interessenlage der Massen auszublenden und schürt eher den Kampf Rasse gegen Rasse um den Kampf Klasse gegen Klasse zu verhindern. Wir haben in den 80ern jahrelang im Studentenwerk Schulungsreihen für Vertrauensleute und Personalräte zum Beispiel über die Geschichte der Arbeiterbewegung oder über die politische Ökonomie durchgezogen. Politisches Wissen ist ein gutes Fundament und Anleitung zum Handeln.“
Altersteilzeit – Trotz Abzug am Ende besser dran
45 Arbeitsjahre sind sicher mehr als genug. Aber letzten Endes ließ die Rentenreform Manni keine andere Wahl als sich über die Altersteilzeit früher zurückzuziehen, um noch größere Einbußen bei der Rente zu vermeiden. Die Einschätzung seiner Rentenaussichten fiel von Jahr zu Jahr niedriger aus: 2003 wurde seine Rente auf 2010 Euro berechnet und 2004 bereits auf nur 1760 Euro. „Mir wurde klar dass meine Rente niedriger ausfallen würde, je länger ich weiterhin im Arbeitsleben stehe. Ich trat 2005 die Altersteilzeit an. Eine Anfrage 2006 ergab bereits eine Rentenerwartung von nur 1480 Euro, bei sinkender Tendenz. Und gab mir damit recht: trotz eines 10 Prozent Abzugs fahre ich damit besser. Für mich beginnt aber keine ruhige Zeit. Das Gegenteil wird der Fall sein. Ich habe nicht vor, mich von gewerkschaftlicher oder betrieblicher Arbeit zurückzuziehen. Ich werde aber mehr Zeit für politisches Engagement haben und bin bereit, mich in die Linke einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Ich weiß, dass auch dort nicht nur Revolutionäre sitzen und dass man auch dort gegen einige neoliberale Einstellungen kämpfen muss. Mich ärgert sehr, dass ausgerechnet der Berliner Senat mit der Stimme der LINKEN – ähnlich der Rüttigers-Regierung in NRW – das Personalvertretungsgesetz zur Makulatur macht und die Rechte der Personalräte massiv beschneidet.“
Mitbestimmung statt Selbstbestimmung
„Nicht viele Kolleg*innen wissen, dass unsere Betriebsverfassung heute ein Nebenprodukt der Novemberrevolution von 1918 ist. Die Herrschenden ließen 1920 die Partizipation, die Mitbestimmung zu, um den Arbeitern ein Mitspracherecht vorzugaukeln, mit dem Ziel, die revolutionären Räte zu behindern und die Betriebe der Kapitalisten zu bewahren. Im Kapitalismus gibt es keine Partizipation der Arbeiterklasse; denn ohne Selbstbestimmung bleiben die Arbeiter fremdbestimmt. Erst die Enteignung der “Couponschneider“, der Kapitalisten, und die Übernahme der Produktion in Arbeiterhand kann die Selbstbestimmung sicherstellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die allgemeine Stimmung in diese Richtung. Das stand im Vordergrund für die Arbeiter*innenbewegung als 1944 der FDGB in Aachen gegründet wurde. Dies war aber den Alliierten zu viel, die massiv die Gründung des DGB als einen sozialpartnerschaftlichen Dachverband favorisierten.
Die Gewerkschaften haben sich leider nicht zum Besseren verändert. Niemand erwartet vom DGB revolutionär zu sein, aber als Interessenvertretung über Religionen und Nationalitäten hinweg sollte er verhindern, dass Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden. Die Sozialpartnerschaft geht heute leider soweit, dass der DGB Krieg gegen die GDL führt und nicht gegen Hansen, der rechten Hand von Mehdorn. Das macht den heutigen Aktivist*innen das Leben nicht leichter. Es ist schwieriger geworden, sich gegen die neoliberale Politik in Gesellschaft und Gewerkschaft zu wehren. Ich erinnere mich dran, dass zum Beispiel ein Sparerlass in den NRW-Studentenwerken einen Tag nach einer Großdemo im Mai 1981 sofort zurückgezogen wurde. Heute wird einiges ausgesessen.“
Wer kämpft, kann gewinnen…
Manni und seine Kollegen in den NRW-Studentenwerken sind aber ein Beispiel dafür, dass man nach wie vor Kämpfe führen und gewinnen kann. Sie haben sich mehr als zwei Jahrzehnte erfolgreich gegen Privatisierung und Stellenabbau gewehrt und dabei einige Geschäftsführer auf der Strecke gelassen. Streiks und Demonstrationen waren die Waffen. Dabei hat Manni öfters sein Talent als Marathonläufer eingesetzt. Er lief zum Beispiel die Strecke Münster-Aachen über das Ruhrgebiet. In allen Studentenwerken entlang des Weges wurde mit großer Medienaufmerksamkeit gestreikt und demonstriert.
Es passt zu Manni, wenn er meint mit seinem Engagement bei der Linken erst jetzt richtig aufzudrehen. Man nimmt ihm auch gerne sein Lieblingszitat von Bertolt Brecht ab:
“Die Schwachen kämpfen nicht. Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang. Die noch stärker sind kämpfen viele Jahr. Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich.”
Das Niedersfelder Manifest gibt es unter www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/niedersf.htm