Das Ende der Ampel und seine Folgen

Gewerkschaften und Linke müssen unabhängige und klassenkämpferische Haltung einnehmen

Das Ende der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP kam am Abend des 6. November nicht wirklich überraschend. Die Krise der Regierung hatte sich in den letzten Wochen und Monaten beständig vertieft und die Koalitionsparteien zeigten sich immer mehr unfähig, nicht nur eine gemeinsame Politik zu formulieren, sondern selbst gemeinsame Gipfeltreffen zur Wirtschaftskrise durchzuführen. Der Ausgang der ostdeutschen Landtagswahlen im September, die fortgesetzte Wirtschaftskrise und die immer lauter werdenden Forderungen der Kapitalist*innen nach einer „Wirtschaftswende“ hatten den Druck auf die Koalition erhöht.

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Nur wenige Stunden nach der Verkündung von Donald Trumps Wahlsieg in den USA, bedeutet das Ende der Regierung sicherlich, dass sich viele Menschen große Sorgen über die Instabilität der Verhältnisse und über ihre Zukunft machen. Gewerkschaften und Linke müssen darauf mit einem entschlossenen Gegenprogramm zu allen prokapitalistischen Parteien reagieren.

Konflikte unter Kapitalismus-Freund*innen

Die Konflikte in der nun zerbrochenen Koalition drücken unterschiedliche Vorstellungen unterschiedlicher Vertreter*innen des Kapitalismus darüber aus, wie ihr System am besten aufrecht erhalten werden kann. Kein Teil dieser Regierung vertritt die Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung. Es gibt Einigkeit über viele Fragen: die Profitbedingungen für Banken und Konzerne verbessern, Unterstützung der ukrainischen Kriegsführung und des Kriegs Israels gegen die Palästinenser*innen, Aufrüstung der Bundeswehr und Militarisierung der Gesellschaft, Migration einschränken und Geflüchtete abschieben. Uneinigkeit gibt es über den besten Weg, um diese Ziele zu erreichen.

Dabei prallen, vereinfacht ausgedrückt, zwei Strategien aufeinander: Frontalangriff auf die Arbeiter*innenklasse oder versuchen, die Gewerkschaftsführungen einzubinden und Angriffe etwas weniger scharf bzw. scheibchenweise durchzuführen. Der Konflikt um die Schuldenbremse drückt das in verzerrter Form aus – verzerrt, weil auch Teile des Kapitals eine Reform der Schuldenbremse befürworten, um mehr Spielraum für staatliche Investitionen zu erlangen, die ihren Profitinteressen dienen (nicht um gesellschaftliche sinnvolle und nötige Investitionen in Bildung, Gesundheit, Umwelt, Soziales etc. zu ermöglichen).

FDP: Fluch nach vorn?

Hintergrund des vor allem von der FDP provozierten Bruchs der Koalition sind auch die täglich lauter werdenden Forderungen von Kapitalvertreter*innen für eine so genannte „Wirtschaftswende“. Damit meinen sie drastische Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung, Steuererleichterungen für die Kapitalist*innen etc. – etwas wovor, wir seit Monaten warnen und weshalb Sol-Mitglieder die Kampagne „Wir schlagen Alarm“ gemeinsam mit anderen kämpferischen Gewerkschafter*innen ins Leben gerufen haben. Das vor einigen Tagen an die Öffentlichkeit gelangte Papier von FDP-Chef Lindner stellt ein Programm für diese von den Kapitalist*innen geforderte „Wirtschaftswende“ dar. Es war gleichzeitig, wie in bürgerlichen Medien genannt, ein „Scheidungspapier“ und eine Provokation gegenüber SPD und Grünen, die diese nicht unbeantwortet lassen konnten, ohne das Gesicht zu verlieren. Offenbar haben sich Scholz und Habeck dann entschlossen, nicht über dieses von Lindner hingehaltene Stöckchen zu sprinegn und ihrerseits die Frage der Ausrufung einer Notlage zur Aussetzung der Schuldenbremse aufgrund des Ukriane-Kriegs zum Bruchpunkt zu machen.

Politisch hat die FDP mit ihrem Vorgehen eine Flucht nach vorn angetreten. Ob dies erfolgreich sein wird oder sich als „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“ herausstellen wird, wird sich zeigen. Aber alle Ampel-Parteien müssen in den letzten Wochen abgewogen haben, ob ein Durchwurschteln in einer Dauerkrise und ein faktisch zehnmonatiger Wahlkampf bis zum regulären Wahltermin im September kommenden Jahres, ihre Ausgangssituation verbessert hätte. Offenbar sind sie zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht der Fall gewesen wäre und ein Ende mit Schrecken eher die Chance beinhaltet, in einem nun intensiven viermonatigen Wahlkampf bis zu den für März von Scholz geplanten Neuwahlen Boden gutzumachen.

SPD wird links blinken

Scholz’ Strategie wurde in seiner Rede vor der Presse am Mittwoch Abend deutlich. Einerseits links blinken, indem die FDP als unsozial und arbeiter*innenfeindlich (zurecht) angegriffen wird und wahrscheinlich einige linke Forderungen wie einen erhöhten Mindestlohn, Tariftreuegesetz etc. aufgestellt werden, gleichzeitig die Politik der Aufrüstung und Unterstützung des kapitalistischen und nationalistischen Selenskyi-Regimes in der Ukraine als „Sicherheitspolitik“ verteidigen und der CDU/CSU Angebote zur „konstruktiven Zusammenarbeit“ bis zu den Neuwahlen zu machen. Damit will er die Union in den nächsten vier Monaten vor sich her treiben und vorführen. Dass diese davon nicht begeistert ist, überrascht nicht und die von unterschiedlichsten Seiten (CDU/CSU, FDP, AfD, BSW, Arbeitgeberverbände) lautstark vorgetragene Forderung nach rascheren Neuwahlen, werden SPD und Grüne vorhergesehen haben und wahrscheinlich aussitzen können.

Ob die nun aus SPD und Grünen bestehende Minderheitsregierung in den nächsten Monaten noch für irgendeine Maßnahme eine Mehrheit im Parlament finden wird, ist offen, aber letztlich auch zweitrangig. Mit dem Ende der Koalition hat nun ohnehin der Wahlkampf begonnen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Aussicht auf Neuwahlen für den Bundestag Einfluss auf den Verlauf der Regierungsbildungen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen nehmen wird und dazu beitragen kann, dass es in einem oder mehreren dieser Bundesländer ebenfalls zu Neuwahlen kommen könnte. Noch vor dem Aus der Ampel hat das BSW in Sachsen die Sondierungen mit CDU und SPD abgebrochen. Gerade für das BSW würde es ein Drahtseilakt, im Bundestagswahlkampf die Fundamentalopposition zu geben und gleichzeitig in ostdeutschen Bundesländern in Koalitionen mit SPD und/oder CDU einzutreten.

Was kommt?

Nach derzeitigem Stand der Meinungsumfragen wäre klar, dass der nächste Kanzler Friedrich Merz heißt und vieles spricht dafür, dass es zu einer früher mal „Große Koalition“ genannten Regierung aus CDU/CSU und SPD kommen wird. Es ist davon auszugehen, dass die SPD – wie schon so oft – staatstragend nach den Ministersesseln greifen wird und sich auch mit einem Kanzler Merz arrangieren kann. FDP und Die Linke werden um ihren Einzug in den nächsten Bundestag bangen müssen, aber auch das BSW sollte sich nicht zu sicher sein, lagen seine letzten Umfragewerte bundesweit doch bei nur sechs Prozent. Aber die Umfragen von heute sind nicht das Ergebnis der Neuwahlen und in den verbleibenden vier Monaten (oder auch zwei sollte es doch zu früheren Neuwahlen kommen) kann viel passieren. Eine Gefahr ist zweifellos, dass die AfD von diesen Entwicklungen profitieren kann.

Gewerkschaften

Für Gewerkschaften und Die Linke ist die neue Situation eine Herausforderung. Die sozialdemokratisch ausgerichtete Gewerkschaftsbürokratie wird Scholz für den rauswurf des neoliberalen FDP-Manns Lindner loben und mehr oder weniger offen Wahlkampf für die SPD machen. Das sollten Gewerkschaftsaktive an der Basis nicht mitmachen und kritisieren. Vor allem muss von den Gewerkschaften jetzt der Kampf für den Erhalt der in vielen Unternehmen bedrohten Arbeitsplätze geführt werden und müssen sie Widerstand vorbereiten, gegen die von der nächsten Bundesregierung zu erwartenden Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse. Das bedeutet, in den Wahlkampf mit klaren Forderungen einzugreifen und die Politisierung zur Organisierung von Kolleginnen und Kollegen zu nutzen.

Wo es schon jetzt zu Kürzungen auf Kosten der Arbeiter*innenklasse kommt, sollten die Gewerkschaften und Gewerkschaftsaktive sowie Betroffene und linke und soziale Organisationen die Initiative zu Widerstand ergreifen und Protestbündnisse bilden, wie es zum Beispiel aktuell unter Beteiligung von Sol-Mitgliedern in Dresden passiert.

Die Linke

Es würde auch bedeuten, dass sich Gewerkschafter*innen für eine Wahl der Partei Die Linke bei den anstehenden Wahlen aussprechen sollten, denn sie ist – trotz aller Beschränktheiten, Fehler und Anpassung in Richtung SPD und Grüne – die einzige Stimme einer linken Opposition, die den Einzug in den Bundestag schaffen kann. Ein Bundestag ohne Die Linke würde die politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik zuungunsten der Arbeiter*innenklasse verschieben. Deshalb wird auch die Sol zur Wahl der Linken aufrufen und dafür werben.

Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen Vorschläge für einen kämpferischen und sozialistischen Wahlkampf der Linken machen und diese in der Partei zur Diskussion stellen. Wir werden dabei nicht auf Kritik an der Politik und Ausrichtung der Partei verzichten, die es bei ihrem letzten Bundesparteitag versäumt hatte, einen nötigen Kurswechsel einzuleiten. Die unter dem Motto „Alle reden, wir hören zu“ begonnene Kampagne für Haustürgespräche muss nun zum Wahlkampf gemacht werden – und der Geist sollte sein: „Wir haben Antworten auf die Krise des Kapitalismus!“ Die Linke sollte einen kämpferischen Wahlkampf mit einem Fokus auf einige zentrale Themen wie die Rettung der Arbeitsplätze bei VW und anderen Industrieunternehmen durch einen sozialistischen Plan zur Umstellung der Produktion auf sinnvolle und nachhaltige Produkte, die Instandsetzung des maroden Gesundheitswesens und des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs – finanziert aus den Gewinnen der Banken und Konzerne und den Vermögen der Superreichen, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Opposition gegen die kapitalistischen Kriege und Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel und Maßnahmen gegen die weiterhin viel zu hohen Preise und zu niedrigen Löhne führen. Forderungen und Maßnahmen zur Lösung dieser Missstände müssen an die Grundfesten des kapitalistischen Systems gehen, sonst werden sie unwirksam sein: demokratisches öffentliches Eigentum statt Privateigentum an Konzernen und Banken, massive Besteuerung des unverschämt hohen angehäuften privaten Reichtums. Integraler Bestandteil des Wahlkampfs muss ein antikapitalistisches Konzept zum Kampf gegen den Klimawandel sein, das nicht die Masse der Bevölkerung zur Kasse bittet und alle Arbeitsplätze garantiert und eine Botschaft der Solidarität mit allen diskriminierten Minderheiten – Migrant*innen, Geflüchtete, LGBTQI*-Personen, Behinderte -, mit ebenso von Diskriminierung betroffenen Frauen, mit allen für ihre legitimen Rechte kämpfenden Gruppen sein. Wenn Die Linke einen solchen Wahlkampf überzeugend angeht, wenn ihre Kandidat*innen dem Beispiel der neuen Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken folgen und erklären, dass sie von den überhöhten Diäten nur annehmen, was einem durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn entspricht und den Rest spenden werden, wenn sich die Bundespartei endlich von kapitalismusfreundlicher Regierungspolitik in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen distanziert, dann könnte unter den Mitgliedern und Unterstützer*innen der Partei eine Mobilisierung erreicht werden, die die Partei über die Fünf-Prozent-Hürde bei den Bundestagswahlen trägt.

Das wäre zusammen mit konsequenten Kämpfen der Gewerkschaften für die Interessen der abhängig Beschäftigten und gegen Kürzungen auf allen Ebenen auch das beste Mittel, um die AfD im Zaum zu halten.

Damit wäre die Krise der Partei noch nicht überwunden, aber der Niedergang erst einmal unterbrochen und dann könnte eine notwendige Debatte stattfinden, welchen Beitrag Die Linke – zusammen mit anderen Kräften aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen! – zur Schaffung einer Massenpartei von Arbeiter*innen und Jugendlichen mit einem sozialistischen Programm leisten kann, die so dringend nötig ist um die Interessen der Arbeiter*innenklasse zu vertreten und die Gesellschaft zu verändern.