Der chinesische Staatskapitalismus in der Krise
In weniger als hundert Jahren hat sich China von einer der am meisten ausgebeuteten und ärmsten Nationen der Welt zu einer globalen Supermacht entwickelt. China ist heute sowohl wirtschaftlich als auch militärisch weltweit auf dem zweiten Platz hinter den USA. Inzwischen untergräbt China immer wieder die US-amerikanische Hegemonie. Diese Entwicklung verunsichert die westlichen imperialistischen Länder zunehmend, die mit wirtschaftlichen Sanktionen und immer schärferer Rhetorik auf Chinas Aufstieg antworten.
von Chiara Stenger, Berlin
Im Mai 2024 erhöhten die USA die Einfuhrzölle für chinesische Produkte wie E-Autos, Solarzellen oder Halbleiter massiv – bei E-Autos betragen sie nun hundert Prozent. Biden begründete dies unter anderem mit „unfairen staatlichen Subventionen“, die weitaus günstigere Preise ermöglichen würden. Ebensolche Zölle wurden nun auch auf EU-Ebene belegt. Die Lage zwischen Peking und Brüssel ist seitdem entsprechend angespannt und von zähen Verhandlungen geprägt. Diese zunehmende geopolitische Rivalität, insbesondere mit den USA, zeigt, dass weitere Zusammenstöße zu erwarten sind.
Multipolare Weltordnung
Doch wie kommt es überhaupt, dass chinesische E-Autos eine derartige Konkurrenz für EU und USA darstellen? Anders als noch zu Zeiten einer bipolaren Weltlage zwischen der Sowjetunion und den USA leben wir heute in einer multipolaren Welt mit verschiedenen Machtblöcken. Der Aufstieg Chinas und die zunehmende Konkurrenz zu den USA ist jedoch ein dominanter Faktor bei der Betrachtung dieser Weltlage.
Nach 1949 wurde in China ein stalinistisches Regime errichtet. Es gab Staatseigentum an den Produktionsmitteln und eine geplante Wirtschaft. Es gab aber keinen Sozialismus, sondern die Diktatur einer bürokratischen Kaste. Seit den späten 1970er Jahren wurden wieder zunehmend marktwirtschaftliche Elemente eingeführt.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schaute die chinesische Parteibürokratie voller Sorge nach Russland. Aus Angst vor einer ähnlichen Situation und vor den sich verstärkenden Protesten von Arbeiter*innen und Studierenden, die in China wie auch in vielen anderen Ländern zunahmen, beschloss die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ihre Reformen hin zum Kapitalismus zu verstärken. So sollten wirtschaftliche Probleme gelöst werden, während die Partei die Kontrolle über den Staat behielt.
Besondere Form des Staatskapitalismus
2001 trat China in die Welthandelsorganisation ein und in westlichen Ländern war die Hoffnung groß, dass die Öffnung Chinas große Profit- und Investitionsmöglichkeiten mit sich bringt. Dies bestätigte sich anfangs auch: dank der sehr niedrigen Löhne konnten westliche Kapitalist*innen ihren Profit drastisch erhöhen. Doch die Hoffnung, eine ewig günstige Produktionsstätte gefunden zu haben und in eine Ära des freien Marktes in China eingetreten zu sein, stellte sich als Illusion heraus. Denn es blieb eine Bürokratie an der Macht, die die Kontrolle über die Wirtschaft und ihre Kapitalist*innenklasse behält. So hat die KPCh Einfluss auf die wichtigen Firmen und geht immer wieder gegen ausuferndes Kapital vor. Sie erhält sich dadurch auch eine gewisse soziale Basis und bedient sich einer sozialistischen Rhetorik, um ihre Unterstützung in der Arbeiter*innenklasse zu vergrößern.
Auch wenn sich China in den letzten Jahrzehnten in eine kapitalistische Richtung entwickelte, so ist es doch kein normaler Kapitalismus, sondern eine besondere Form von Staatskapitalismus, die historisch einmalig ist. Die KPCh übt Kontrolle über die Wirtschaft aus und versucht ihre eigenen Interessen umzusetzen und die von Kapitalist*innen und Arbeiter*innen auszugleichen, um so eine Balance herzustellen. Was widersprüchlich scheint, ist die Strategie der Regierung, eine Koexistenz von einem privaten Markt und einer dazugehörenden Kapitalist*innenklasse einerseits und staatseigenen Unternehmen und Banken sowie staatlichen Eingriffen und Subventionen andererseits. Doch die chinesische Wirtschaft ist dadurch keinesfalls immun gegen die Krisen, die alle kapitalistischen Länder betreffen. Die massiven Infrastruktur- und Bauprojekte, die die Wirtschaft weiter ankurbeln sollten, bilden auch die mögliche Grundlage für Blasenbildungen und eine neue Wirtschaftskrise. Seit der Corona-Pandemie sinkt die Wachstumsrate der chinesischen Wirtschaft und zugleich ist die Kaufkraft durch die Überausbeutung der Arbeiter*innen in Form von niedrigen Löhnen und hohen Mieten sehr gering. Privater Konsum macht in China nur 39 Prozent der Wirtschaft aus – im Vergleich zu 68 Prozent in den USA.
Die mächtigste Arbeiter*innenklasse weltweit
China besitzt die größte Arbeiter*innenklasse der Welt und erlebt eine weiter andauernde schnelle Industrialisierung. Das bedeutet, dass China eine bedeutende Arena für kommende Klassenkämpfe und Revolutionen sein wird. Streiks und Proteste nehmen aktuell zu und so gab es 2023 fast 1800 Proteste von Arbeiter*innen, eine Steigerung von 216 Prozent im Vergleich zu 2022. Und weitere soziale Spannungen sind vorprogrammiert. Die Hauptaufgabe der riesigen chinesischen Arbeiter*innenklasse ist es, ihre eigenen unabhängigen Organisationen aufzubauen – unabhängige Gewerkschaften und eine revolutionäre Partei, die für eine echte Arbeiter*innendemokratie und eine demokratisch geplante Wirtschaft einsteht.