Trotz Umschichtungen im Haushalt bleibt Protest nötig!
Lange wurden die Berliner*innen im Unklaren darüber gelassen, wie die Landesregierung gedenkt, die Haushaltslücken zu füllen. Jetzt soll kurz vor Weihnachten kurzer Prozess gemacht werden: Eine Drei-Milliarden-Euro-Axt wird angelegt. Täglich werden die Auswirkungen konkreter, aber vieles ist noch immer unklar und die genauen Folgen werden wohl erst nach dem 19. Dezember abzusehen sein, wenn der Haushalt final beschlossen werden soll. Umso wichtiger ist, dass die Proteste nicht abreißen und auch nach einem möglichen Beschluss diskutiert wird, wie sich Widerstand weiter organisieren lässt.
von Chiara Stenger, Berlin
Dabei handelt es sich bei den Kürzungen um einen Rundumschlag. Es gibt eine ganze Reihe an Posten in allen Bereichen – von Sozialem, Jugend, Mobilität über Hochschulen und Wissenschaft und Kultur – bei denen Kürzungen und damit potenziell Entlassungen, Einschränkung des Angebots oder sogar Schließungen drohen.
Betroffen sind alle, die auf die ohnehin bröckelnde, öffentliche und soziale Infrastruktur angewiesen sind: unmittelbar Beschäftigte, Kulturschaffende, Arme, Eltern, Studierende und Schüler*innen; Museumsliebhaber*innen (denen der kostenlose Museumssonntag geklaut wird) und Parkspaziergänger*innen (deren Parks bald weniger gepflegt werden können). Jugendliche bangen um Jugendclubs, Frauen um Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Das SPD-Wahlkampf-Versprechen 29-Euro-Ticket wird einkassiert, Sozialhilfeempfänger*innen sollen für ihr Ticket 10 Euro mehr im Monat zahlen. Die Liste an möglichen Verschlechterungen geht weiter: von der Erhöhung der Semesterbeiträge für Studierende über den Wegfall von Klassenfahrten für Schüler*innen, Kürzungen bei der Wohnungsnotfallhilfe und der Wohnraumförderung sowie der Gelder, die für die Sanierung und den Bau von Studierendenwohnheimen und damit dringend benötigten Wohnraum in Berlin vorgesehen sind.
Es wird weiter gekürzt
Am Wochenende vom 7./8. Dezember wurden von Senatsvertreter*innen “Korrekturen” und “Rücknahmen” einiger Kürzungen angekündigt, insbesondere in den Bereichen Kultur und Verkehr, in kleinerem Maße auch bei Jugendeinrichtungen. So sollen nun doch bei einigen größeren Theatern und Bühnen die Kürzungen geringer ausfallen, teils sollen sie ganz ausbleiben. Gekürzt wird aber dennoch und die Rücknahmen in diesen Bereichen gelten einerseits nicht für alle Häuser, andererseits handelt es sich tatsächlich eher um eine Umschichtung von Kürzungen, da zum Beispiel mehr bei den Arbeitsräumen für freie Künstler*innen gespart werden soll. Auch beim Radverkehr wurde die Hälfte der Kürzungen zurückgenommen, aber gekürzt wird trotzdem weiterhin. Die Einsparungen bei der Straßenbeleuchtung sollen ebenfalls nicht wie angekündigt stattfinden – wohl auch, weil das gar nicht möglich wäre, da es sich um eine gesetzliche Pflicht der Stadt handelt. Auch in einigen weiteren Bereichen, wie der Verkehrssicherheit, ist der Senat zurückgerudert. Allerdings wird nicht mehr Geld investiert, sondern durch Rechentricks werden finanzielle Engpässe in die Zukunft verschoben. Ein Weg stellt hierbei die weitere Erhöhung der sogenannten “Pauschalen Minderausgaben” um 12 Millionen Euro dar. Das bedeutet, dass die Koalition nach ihren Etatänderungen davon ausgeht, in verschiedenen Bereichen trotzdem noch 12 Millionen Euro weniger zu brauchen (weil zum Beispiel Projekte nicht umgesetzt oder Gelder nicht beantragt werden).
Das läuft darauf hinaus, dass diese Summe dennoch gespart werden muss. Die Koalition will sich nur nicht darauf festlegen, wo genau. Zudem geht die Koalition davon aus, 4,6 Millionen Euro weniger an Steuern und Abgaben zahlen zu müssen. Wieso dies plötzlich möglich ist, wird nicht erläutert. Es wurde auch angekündigt, die queeren Jugendclubs, die von Schließung bedroht waren, zu schonen. Allerdings ist auch hier unklar, ob es nun Kürzungen gibt bzw. welchen Umfang diese haben werden. So kann es sein, dass zwar weniger Mittel gestrichen werden, aber dennoch Personalstellen nicht mehr finanziert werden. Dies kann dazu führen, dass keine Schließung, aber zum Beispiel eine Verringerung der Öffnungszeiten ansteht, weil Betreuungsschlüssel nicht mehr gewährleistet werden können. Wie genau die Kürzungen umgesetzt werden, liegt also noch im Dunkeln. Aber das zeigt beispielhaft, wie selbst “kleine” Kürzungen eine massive Verschlechterung bedeuten können und mit allen Mitteln verhindert werden müssen. Hinzu kommt, dass durch Inflation und Preissteigerungen selbst eine gleichbleibende Summe im Haushalt eine reale Kürzung bedeuten würde.
Nicht überall wurde “korrigiert”
Doch in einigen Bereichen wurde nicht einmal eine Verringerung der Kürzungen angekündigt. Besonders sticht das bei im sozialen Bereich ins Auge, wo weiterhin massive Kürzungen zum Beispiel bei der Gewaltpräventionsarbeit, der Opferhilfe, bei Beratungsstellen für Frauen und Frauenhäusern geplant sind. Beim “Stadtteilmütter”-Projekt, welches migrantische Mütter miteinander vernetzt und unterstützt, stehen zum Jahreswechsel konkret Entlassungen an. Das ist nur ein Beispiel für die vielen sozialen Bereiche, die ohnehin stark unterfinanziert sind, an denen aber trotzdem die Axt angelegt wird.
Frauen werden immer wieder an Frauenhäusern abgewiesen und eigentlich wäre ein Ausbau von Hilfsangeboten, sicheren selbstverwalteten und ausfinanzierten Unterkünften und Beratungsstellen nötig. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass eine Kürzung in diesem Bereich Menschenleben gefährdet. Das gilt u.a. auch für die Wohnungsnotfallhilfe und viele weitere dringend benötigte soziale Angebote für die Ärmsten in Berlin.
Protest weiter aufbauen!
Die sogenannten “Rücknahmen” in einzelnen Bereichen sollten uns also nicht aufatmen lassen. Sie zeigen, dass die bisherigen Proteste bereits Druck aufgebaut haben – denn ohne sie hätte es keine Milderung gegeben.
Aus einem Tagesspiegel-Artikel geht hervor, dass Mitglieder der Koalition bereits zugegeben hätten, dass die “Korrekturen” bei den Haushaltsplänen Teil einer Strategie gewesen seien: “Nun, da alle darüber reden, welche Härten doch nicht kommen, sei von den tatsächlichen Milliarden-Kürzungen kaum noch die Rede, so die Hoffnung.”
Auch die späte Ankündigung und Beschlussfassung, die dazu beigetragen hat, dass die Verunsicherung groß ist und eine Protestbewegung kaum Zeit hat sich zu organisieren, könnte zum Kalkül gehören. Die Hoffnung könnte auch sein, dass die Protestfront nun auseinanderbröckelt.
Jede Kürzung bedeutet einen Einschnitt in den Alltag und das Leben der lohnabhängigen Berliner*innen. Wir müssen uns deshalb gegen jede Kürzung zur Wehr setzen. Mehr noch: Die Richtung muss sich grundlegend ändern. Statt Kürzungen brauchen wir massive Investitionen. Vom Finanzsenator kommen schon jetzt Ankündigungen, dass man sich auch in den folgenden Jahren auf “Sparjahre” einstellen müsse. Stattdessen brauchen wir den gemeinsamen Kampf der Lohnabhängigen und Betroffenen gegen all diese Verschlechterungen und für Verbesserungen. Dabei ist wichtig, dass sich die einzelnen Bereiche und Betroffenen nicht spalten und gegeneinander ausspielen lassen, sondern gemeinsame Proteste organisieren und solidarisch zusammenstehen. Das Motto muss sein: Alle zusammen gegen die Kürzungen! Jede Kürzung ist eine zu viel!
Gemeinsam kämpfen!
Gewerkschaften könnten dabei eine entscheidende Rolle spielen, weil sie hunderttausende Lohnabhängige organisieren, die diese Stadt am Laufen halten. Das ist eine potenziell gewaltige Kraft. Betriebsversammlungen und Vertrauensleute- bzw. Personal-/Betriebsrätekonferenzen – angefangen in den betroffenen Bereichen – könnten darüber diskutieren, wie der Kampf gegen die Kürzungen organisiert werden kann. Die Tarifrunden im Öffentlichen Dienst und bei der BVG und der Kampf der Kolleg*innen der Charité Facility Management sollten nicht nur genutzt werden, um für die beteiligten Kolleg*innen ordentliche Reallohnerhöhungen zu erkämpfen. Sie könnten auch ökonomischen Druck auf städtische Betriebe und Verwaltungen ausüben – und Kolleg*innen zu Protesten gegen Kürzungen zu mobilisieren. Weiterhin könnte in den Tarifrunden auch Forderungen nach Investitionen statt Kürzungen bei der BVG oder im Gesundheitssystem diskutiert werden, um den Kampf weiter zu politisieren.
Es ist deshalb richtig, dass neben Kulturschaffenden und sozialen Initiativen die Gewerkschaften zu ersten Demonstrationen aufgerufen haben und eine Großdemo im Februar vorbereiten wollen. Zu dieser sollte massenhaft in der Stadt, den Betrieben, den Schulen und Universitäten mobilisiert werden.
Um ein gemeinsames Vorgehen und eine schlagkräftige Strategie gegen die Kürzungen zu entwickeln, schlägt die Sol eine gemeinsame Aktionskonferenz im Januar/Februar vor, um sich über die Auswirkungen auszutauschen, sich zu koordinieren, gemeinsame Forderungen zu entwickeln, demokratische Bündnis-Strukturen für effektiven Widerstand auf die Beine zu stellen und zur Großdemo zu mobilisieren. Dazu sollten die Gewerkschaften alle Initiativen, Betroffenen, gewerkschaftlich Aktiven und linken Organisationen einladen. Die Partei Die Linke sollte ebenfalls zur Demonstration mobilisieren und das zu einem Schwerpunkt in ihrem Wahlkampf machen, sowie im Abgeordnetenhaus aufzeigen, wie ein Alternative zum Sparkurs aussehen kann.
Das Geld ist da!
Es stimmt nicht, dass diese Kürzungen alternativlos wären. Es stimmt nicht, dass man sich zwischen Verteuerungen des ÖPNV oder Wegfall des kostenlosen Mittagessens für Schüler*innen entscheiden müsste. Das Geld ist da, um das zu finanzieren, was wir brauchen: Statt Kürzungen massive Investitionen in die BVG und die S-Bahn, in Bildung und Kultur, bezahlbaren Wohnraum, in eine Personaloffensive an Schulen, Kitas und Krankenhäusern… Nur die Regierungsparteien in Bund und Land – CDU, SPD, Grüne (und die FDP sowieso) – weigern sich, die Konzerne und Superreichen zur Kasse zu bitten, für die sie Politik machen.
Der Immobilienhai Vonovia hat nicht einen Cent Grunderwerbssteuer gezahlt, als er im Share-Deal-Verfahren die Deutsche-Wohnen-Bestände übernommen hat (die mal öffentliches Gut waren!). Rund eine Milliarde Euro – jeder dritte Euro, der jetzt gekürzt wird – machte das aus. Das ist ein Ergebnis der Profitlogik und deshalb ein weiteres Argument für Enteignung! Mit drastisch höheren Steuern auf Unternehmensprofite und Vermögen der Superreichen wäre es zudem in allen Kommunen möglich, Investitionen nach Bedarf der Mehrheit der Bevölkerung sicherzustellen. Das gilt zum Beispiel auch für die Gewerbesteuer, die in Berlin seit 1999 nicht erhöht wurde.
Solche Geschenke für die Reichen und Kürzungen für die Masse haben leider System. Der Kapitalismus hat uns außer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen, einer zerbröckelnden Infrastruktur und sinkenden Realeinkommen nichts zu bieten. Ohne Widerstand wird sich die Situation angesichts dunkler wirtschaftlicher Aussichten und der Forderungen nach einer “Wirtschaftswende”, also weiteren Kürzungen und Angriffen, verschlimmern. Mit einer massiven Besteuerung von Unternehmensgewinnen und Vermögen allein ist es nicht getan. Die Konzerne sind gut darin, Schlupflöcher zu finden oder auf die Bedrohung ihrer Profite mit Kapitalentzug und Stellenabbau zu reagieren. Das zeigt die Notwendigkeit, mit dem Kapitalismus Schluss zu machen. Wer wie Vonovia Steuern umgehen will oder wer wie VW zehntausende Stellen abbauen will, muss enteignet werden.
Die Sol kämpft deshalb nicht nur gegen alle Kürzungen, sondern auch für eine sozialistische Demokratie, in der die Banken und Konzerne in demokratisch kontrolliertem und verwaltetem Gemeineigentum sind und nicht nach Profit, sondern Bedarf der Mehrheit gewirtschaftet wird. Kämpf’ mit uns für solch eine Gesellschaft, denn sie wird von Tag zu Tag dringender!
Deshalb fordern wir:
- Nein zu allen Kürzungen!
- Massive Investitionen in Bildung, Wohnen, Gesundheit, ÖPNV, Kultur, Soziales!
- Drastisch höhere Besteuerung von Unternehmensprofiten, Erbschaften und Vermögen der Superreichen!
- Eine einmalige Abgabe von 30 Prozent auf das Geldvermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen!
- Enteignung großer privater Konzerne, angefangen bei Vonovia und Co., unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung
- Gemeinsamer Kampf der Gewerkschaften, von Kürzungen Betroffenen, linken und sozialen Organisationen – Für eine Aktionskonferenz, um den Widerstand zusammenzufassen