Kapital droht mit Massenentlassungen – Streiks nötig, um das zu verhindern!
Die Führungsriege von Deutschlands größtem Industriekonzern hat eine betriebliche Zeitenwende ausgerufen. Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Fabrikschließungen stehen im Raum. Was ist jetzt zu tun?
von Torsten Sting, Rostock
Der Volkswagen-Konzern steht womöglich vor einer historisch einmaligen Auseinandersetzung. Bislang gehörte eine besonders weitgehende Einbindung der Führungen von Betriebsrat und IG Metall zur DNA des Unternehmens. Zwar gab es auch in der Vergangenheit immer wieder massenhaften Arbeitsplatzabbau. Dieser wurde jedoch in enger Zusammenarbeit zwischen Management, Betriebsratsspitzen bzw. Gewerkschaftsbürokratie und Politik „sozialverträglich“ umgesetzt. Dies war verbunden mit Lohnverlusten und gesteigerter Arbeitshetze.
Hohe Gewinne
Über viele Jahre fuhr der VW-Konzern mit seinen 15 Marken, darunter Luxusautohersteller wie Porsche, Bentley und Lamborghini, hohe Profite ein. Im letzten Jahr waren es 18 Milliarden Euro Nettogewinn! Noch im Juni diesen Jahres wurde an die Aktionär*innen eine Dividende in Höhe von 4,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Drei Monate später schlug der Vorstand Alarm und rief die Krise aus, für die nun die Beschäftigten bluten sollen. Familien, die über mehrere Generationen für VW gearbeitet und die Gewinne erwirtschaftet haben, deren Gesundheit gelitten hat, sollen nun auf die Straße geworfen werden!
VW verliert an Boden
Bei den Plänen des Managements geht es um die Kernmarke VW. Die weltweiten Überkapazitäten schlagen hier besonders zu Buche. Der einstige Marktführer in China fährt mittlerweile der Konkurrenz hinterher. Angesichts der Tatsache, dass der Wolfsburger Autobauer im Reich der Mitte bislang etwa vierzig Prozent seines Absatzes und noch mehr seiner Gewinne eingefahren hat, ist dies aus Sicht der Kapitalist*innen ein Warnsignal. Hinzu kommt, dass der wichtige europäische Markt seit Jahren stagniert.
Pläne des Managements
Das Ziel von VW-Chef Oliver Blume, im letzten Jahr mit 10,32 Millionen Euro Jahresgehalt Spitzenverdiener der deutschen Manager, ist eine drastische Reduzierung der Lohnkosten. Drei Fabriken sollen demnach in Deutschland geschlossen werden, damit stehen zehntausende Arbeitsplätze auf der Kippe. Die Zahl der Ausbildungsplätze soll von 1400 auf nur noch 600 sinken. Es droht eine zehnprozentige Lohnkürzung für alle und für die aktuelle Tarifrunde eine Nullrunde. Zu Recht spricht die IGM von einer „skandalösen Giftliste“. Verhandlungsführer Thorsten Gröger drohte der Kapitalseite: „Wenn nötig, dann wird es ein Arbeitskampf werden, den die Bundesrepublik so seit Jahrzehnten nicht erlebt hat.“
Einordnung
Angesichts von dem, was bei VW und darüber hinaus auf dem Spiel steht, wäre das auch mehr als nötig. Der Volkswagen-Konzern ist von überragender Bedeutung, sowohl für das Kapital, als auch für die Arbeiter*innenklasse. Gelingt es dem Management in einer der gewerkschaftlichen Hochburgen Deutschlands seine Kahlschlagpläne durchzusetzen, hätte dies eine Signalwirkung. Dies würde auch andere Konzernspitzen dazu motivieren, ähnlich frontal ihre Beschäftigten anzugreifen. Eine erfolgreiche Gegenwehr der Kolleginnen und Kollegen des VW-Konzerns wäre wiederum eine Steilvorlage für Belegschaften, wie etwa von Thyssen Krupp Stahl, die sich gegen massiven Stellenabbau wehren müssen.
Haltung der IGM-Spitze
Umso unfassbarer ist das Verzichts-Angebot der Spitzen von Betriebsrat und IGM. Den markigen Worten, die auf den kämpferischen Kundgebungen und Betriebsversammlungen gesprochen wurden, folgte ein Vorschlag, der tief blicken lässt. Zwar wird richtigerweise der Erhalt aller Fabriken gefordert. Eine mögliche Lohnerhöhung im Rahmen der aktuellen Tarifrunde, die mit 1,5 Milliarden Euro beziffert wird (das Volumen des Abschlusses des Flächentarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie wurde zugrunde gelegt), soll nicht ausgezahlt, sondern in einen „Flexi-Fonds“ überführt und damit „bei Bedarf Arbeitszeit abgesenkt“ werden. „Falls also durch den Strukturwandel in Produktion und Verwaltung Unterauslastungen entstehen, würde der Fonds helfen, Personalabbau weiterhin sozialverträglich gestalten zu können.“ Damit macht die Führung der Gewerkschaft einen weiteren, verzweifelten Versuch, die „Sozialpartnerschaft“ zu retten. Den Preis sollen die Kolleg*innen mit Lohnverzicht und Stellenabbau bezahlen. Das scheint dem Vorstand aber nicht zu reichen. Statt solche Angebote zu machen, muss die IGM jetzt endlich auf konsequenten Kampf zur Durchsetzung der Interessen der Beschäftigten setzen – kein Lohnverzicht und Erhalt aller Arbeitsplätze.
Kämpfen!
Kämpferische, kritische Mitglieder der IGM müssen sich jetzt zusammenschließen, Kampfstrategien diskutieren und Versammlungen einfordern, auf denen demokratisch über die inhaltlichen Forderungen und die nächsten Schritte diskutiert und beschlossen wird.
Massiver Druck von unten ist nötig, damit die Spitzen von IG Metall und DGB, dieser Auseinandersetzung höchste Priorität beimessen. Das Ende der Friedenspflicht bei VW muss die IGM nutzen, um die Beschäftigten der Kernmarke für umfassende Streiks zu mobilisieren und die Urabstimmung für einen unbefristeten Arbeitskampf in die Wege zu leiten.
Sollte die IG Metall-Führung, wie so oft, nicht bereit für die notwendigen Schritte zur Mobilisierung von Kolleg*innen sein, sollten betriebliche und überbetriebliche Aktionskomitees gebildet werden, welche Streiks und auch Besetzungen von Produktionsstätten diskutieren und ggf. organisieren können. Ein Beispiel hierfür können die wilden Streiks bei den Bochumer Opel Werken 2004 sein. Damals organisierten die Arbeiter*innen mithilfe von Aktionskomitees und außerordentlichen Betriebsversammlungen selbstständig Streiks, während die IG Metall-Führung lieber auf Verhandlungen mit den Konzernchefs setzte, anstatt den Kampf zu organisieren.
Auch international müssen Kolleginnen und Kollegen in den Kampf einbezogen und gemeinsame Demonstrationen angestrebt werden. Bei Betriebsversammlungen sollten Beschäftigte der Kernmarke erklären, dass bei einem Dammbruch bei VW die anderen Marken von ähnlichen Plänen betroffen sein können. Audi hat für Februar bereits die Schließung eines Werkes in Brüssel angekündigt. Dies hat zu massiven Protesten geführt – hier wäre als nächster Schritt eine Betriebsbesetzung nötig, um das zu verhindern.
Sollten Fabriken geschlossen werden, drohen ganze Regionen zu kippen. An jedem VW-Arbeitsplatz hängen Jobs bei Zulieferbetrieben, im Einzelhandel oder der Imbiss-Bude von nebenan. In den betroffenen Städten sollten Treffen angeboten werden, wo Gewerkschafter*innen, soziale Bewegungen und linke Organisationen zusammenkommen. Solidaritäts-Komitees können eine gute Plattform für Menschen darstellen, die sich jetzt solidarisch einbringen wollen und sollten sich bundesweit vernetzen. Schließlich sind auch Kolleg*innen in anderen Konzernen von Bosch über Ford bis zu ZF und viele andere aktuell betroffen – das muss zusammen geführt werden. Auf dieser Grundlage wäre der Aufbau einer bundesweiten Bewegung möglich – mit internationaler Wirkung.
Über das Auto hinaus
Im Hinblick auf VW und die gesamte deutsche Autoindustrie wird auch über Managementfehler gesprochen. Zu spät sei die Umstellung auf die Elektromobilität erfolgt, lautet ein Argument. Bezüglich des chinesischen Marktes ist es sicher von Nachteil, dass die deutschen Hersteller zu wenige Autos anbieten können, die eine Batterie haben. Dieser Blick ist jedoch der einer alternativen kapitalistischen Strategie. Aus Sicht der Arbeiter*innenklasse sollten wir jedoch einen grundlegend anderen Ansatz wählen.
Es gibt auf dieser Welt bereits viel zu viele Autos. Die Umstellung auf Elektromobilität ist, wie wir bereits in mehreren Artikeln deutlich gemacht haben, kein Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel, sondern wird aufgrund der Folgen des Abbaus von Rohstoffen, Umweltprobleme noch verschärfen.
Es braucht einen radikalen Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. Eine Umstellung der Produktion ist aber nur dann möglich, wenn die großen Autokonzerne aus der Hand der Großaktionär*innen genommen und in Gemeineigentum überführt werden. Die Betriebe müssen unter demokratische Kontrolle und Verwaltung von Vertreter*innen der Gewerkschaften, Beschäftigten und des Staates gestellt werden.
Bei VW gibt es mit der zwanzigprozentigen Beteiligung des Landes Niedersachsens aufgrund des durch das VW-Gesetz festgelegten Sperrminorität bereits heute eine Ausgangslage, in der das Kapital keine Entscheidungen ohne staatliche Zustimmung treffen kann. Nötig ist jedoch eine komplette Verstaatlichung, in der lediglich Kleinaktionär*innen eine Entschädigung erhalten. Im Rahmen des Kapitalismus ist dies dauerhaft nicht zu erreichen. Daher müssen die heutigen Auseinandersetzungen mit dem Kampf für eine sozialistische Demokratie verbunden werden.