Warum die Rechtspopulist*innen stärker denn je sind und wie man sie bekämpfen kann
Dieser Artikel wurde Ende des letzten Jahres für das Theorie-Magazin “sozialismus heute” und damit vor dem Scheitern der Koalitionsgespräche zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS im Januar geschrieben.
Drei Mal war die FPÖ in Österreich schon in einer Bundesregierung. Jedes Mal stand sie für brutalen Sozialabbau, Rassismus und Sexismus und für Skandale. Jedes Mal hat sie dabei ihre Wähler*innen enttäuscht und stark an Unterstützung verloren. Insbesondere nach der Abspaltung des BZÖ 20051 und dann nach dem Ibiza-Skandal 20192 hofften viele, dass die FPÖ wieder zur Kleinpartei zurückgestutzt wäre. Doch nun wurde sie bei den Parlamentswahlen am 29. September 2024 mit 28,8 Prozent und über 1,4 Millionen Stimmen zum ersten Mal stimmenstärkste Partei.
Auch in anderen Ländern sehen wir vor dem Hintergrund einer tiefen Krise des Kapitalismus rechtspopulistische und rechtsextreme Wahlerfolge. Immer absurder werden ihre Verschwörungs-”Theorien”, bei einigen nehmen die Verbindungen zu faschistischen Gruppen zu und selbst die widerlichsten Enthüllungen scheinen ihnen nur kurzfristig zu schaden. Wie kann es sein, dass der Rechtsextremismus immer wieder wie der Phönix aus der Asche aufersteht? Und wie können wir ihn wirklich bekämpfen?
von Albert Kropf und Sonja Grusch
1981 gewann der erklärte Linke Francois Mitterrand als Kandidat der Sozialistischen Partei die französischen Präsidentschaftswahlen und die Hoffnungen waren groß. 13 Jahre zuvor hatte der rote Pariser Mai 1968 mittels Generalstreik große Teile des politischen Systems im Nachkriegsfrankreich in die Defensive gebracht. Doch auch dank der Rolle der Kommunistischen Partei Frankreichs wurde die soziale Revolution abgesagt. Die Arbeiter*innen wurden wieder in die Fabriken geschickt und mussten in Folge die Kosten der wirtschaftlichen Krise der 1970er Jahre schultern. Mitterrand bündelte nun neuerliche Hoffnungen in seinem Wahlkampfprogramm: Arbeitszeitverkürzung, Herabsetzung des Pensionsalters, Verstaatlichung von Schlüsselbetrieben usw. Doch die Regierung Mitterrand aus sozialdemokratischer PS, kleineren Bündnispartner*innen und später auch der Kommunistischen Partei sah sich rasch einem Boykott des Kapitals, einem “Unternehmerstreik”, gegenüber. Die Wirtschaft erholte sich nicht, Inflation und Arbeitslosigkeit blieben hoch. Die Eigentumsverhältnisse wurden nicht angetastet. Die Hoffnung, v.a. bei Arbeiter*innen, schlugen in tiefe Enttäuschung um.
1980 eroberten die radikal neoliberalen Konservativen unter Ronald Reagan das US-Präsidentenamt. Ein Jahr zuvor wurde die erzkonservative Margaret Thatcher britische Premierministerin und startete den neoliberalen Umbau. Sie zwang die vormals mächtigen Gewerkschaften in die Niederlage und die Industrie in eine Umstrukturierung, Privatisierung und letztlich Deindustrialisierung.
Neoliberaler Turbo
Der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten verpasste der ab den 1980er Jahren beginnenden neoliberalen Durchdringung von Wirtschaft und Gesellschaft einen Turbo. Privatisierung und Liberalisierung sind die Schlagworte, Deindustrialisierung und ein massiver Rückbau des Sozialstaates überall die Folge. Das westliche Kapital nützte die neuen Möglichkeiten im Osten, um die nächste Krise noch hinauszuschieben, die Arbeiter*innenklasse v.a. im Osten zahlte dafür über Jahrzehnte mit einem dramatischen Rückgang ihres Lebensstandards.
Überall waren die sozialdemokratischen Parteien dabei, ihren Verbürgerlichungsprozess abzuschließen, also von einer Arbeiter*innenpartei mit bürgerlicher Führung und einer “organischen” Verbindung zur Klasse zu einer durch und durch bürgerlichen Partei zu werden, viele ehemals stalinistische Parteien gingen denselben Weg. Mitterrand war der letzte reformistische Versuch der Sozialdemokratie, danach ging es nur mehr darum, Verschlechterungen vielleicht noch zu bremsen. Mit den 1990er Jahren wurde die Sozialdemokratie mit Blair, Schröder oder in Österreich Viktor Klima selbst zur neoliberalen Speerspitze. Das war der Boden, auf dem bis dahin unbedeutende, rechtsextreme bis faschistische Organisationen wie der Front National (heute: Rassemblement National) in Frankreich, der Vlaams Blok (heute: Vlaams Belang) in Belgien oder auch die FPÖ in Österreich gedeihen konnten. Die verschiedenen Organisationen der extremen Rechten waren und sind inhomogen und haben programmatisch auch unterschiedliche Schwerpunkte. Manche setzen stärker auf Populismus, manche haben stärkere Wurzeln in faschistischen Traditionen. Allen gemeinsam ist, dass sie existierende Sorgen und Ängste nutzen, um sich als vermeintliche Alternative zu präsentieren (obwohl sie tatsächlich eine feste Stütze kapitalistischer, arbeiter*innenfeindlicher Angriffe sind). Das wird vor dem Hintergrund der seit den 1980er Jahren zunehmenden wirtschaftlichen Krisenhaftigkeit immer relevanter und stellt in Kombination mit der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und dem Fehlen konsequenter linker Organisationen die Grundlage für den Aufstieg der extremen Rechten dar.
Haider übernimmt die FPÖ
Am 13. September 1986 fand in Innsbruck der Bundesparteitag der FPÖ statt. Die FPÖ war seit ihrer Gründung ein Sammelbecken ehemaliger Nazis und Burschenschafter mit einem kleinen wirtschaftsliberalen Flügel, der in der von klein- und mittelständischen Unternehmen geprägten ÖVP (Österreichische Volkspartei) keinen Platz fand, mit der die FPÖ zum damaligen Zeitpunkt eine Regierung bildete. Die aggressiveren Teile des Kapitals rund um die Industriellenvereinigung haben daher auch immer schon ein politisches Standbein in der FPÖ gehabt. Die SPÖ hingegen steht wirtschaftspolitisch für die Großbetriebe der ehemaligen Verstaatlichten Industrie, die vor den Privatisierungen rund ein Drittel der Industrie ausmachte, sowie für das ausländische Kapital.
Die SPÖ bzw. manche Funktionär*innen hielt mit dem Argument, das bürgerliche Lager zu spalten, die FPÖ lange politisch am Leben. 1962 half etwa eine halbe Million aus Geldern der sozialdemokratischen Fraktion im ÖGB3 der FPÖ zu überleben. Die Wahlrechtsreform 1970 sicherte ihr den Verbleib im Parlament und die Regierungsbeteiligung 1983 holte sie aus dem rechten Schmuddel-Eck in den politischen Mainstream – allerdings zu einem hohen Preis für die FPÖ, die bei den Umfragen absackte und aus dem Parlament zu fliegen drohte.
Am Bundesparteitag in Innsbruck übernahm Haider aus dem rechten Lager die Parteiführung vom liberalen Flügel, der in der Regierung bleiben wollte. Dieser Spagat in der FPÖ zwischen wirtschaftsliberalem und rechtsextrem-populistischem Lager führt trotz personeller Überschneidungen immer wieder zu Konflikten. Bei den Wahlen 1986 punktete die “neue” FPÖ mit aggressiver Rhetorik gegen Migrant*innen und gegen “die da oben”.
SPÖ goes neoliberal
Haider übernahm die FPÖ zu einem Zeitpunkt, als der Nachkriegsaufschwung längst vorbei war und die wirtschaftliche Lage auch keinen Spielraum mehr für Reformen ließ, wie sie noch unter Kreisky4 möglich waren. Dieser steht bis heute für die Einführung des freien Hochschulzugangs, die Fristenlösung und Verbesserungen im Arbeitsrecht. Von zentraler Bedeutung für das österreichische Kapital war die umfangreiche Modernisierung der Wirtschaft mit massiver staatlicher Unterstützung. Ende der 70er Jahre begann diese Politik zunehmend zu wackeln, Österreich stand mit einem Berg Schulden und einer für die jetzt modernisierte Privatindustrie überdimensionierten verstaatlichten Grundstoffindustrie da. Diese wurde nun von SPÖ Regierungen „umstrukturiert“, Arbeitsplätze vernichtet, privatisiert, Reformen zurückgenommen und der Lebensstandard abgesenkt. Alles zur vermeintlichen Verringerung der Staatsschulden, die seitdem um ein x-faches gestiegen sind, genauso wie die Arbeitslosigkeit. Die Gewerkschaftsführung hat, anstatt Kämpfe zu organisieren, ihre Mitglieder stillgehalten und „Reformen“ und damit Verschlechterungen im Parlament und in den Betrieben ohne nennenswerten Widerstand mit maximal Dampfablassaktionen durchgewunken.
Wer füllt das Vakuum?
Haider drehte die FPÖ von einer deutschnationalen Partei zunehmend zu einer österreichisch-patriotisch-sozialen Heimatpartei mit sozialer Rhetorik und Hetze gegen Migrant*innen. Politisch durch die Sozialpartnerschaft der letzten Jahrzehnte entwaffnet, ohne politische Vertretung und mit SPÖ-treuen Gewerkschaften drang die FPÖ von Wahl zu Wahl immer tiefer in Schichten der österreichischen Arbeiter*innenklasse ein. Sie ist selbst Teil des Establishments, inszenierte sich aber erfolgreich als Opposition dagegen. Die Anti-Migrant*innen-Rhetorik der FPÖ war eine extreme Fortführung der “Österreicher*innen zuerst”-Politik, die auch die Gewerkschaftsführung lange gefahren hatte und die migrantische Beschäftigte als unliebsame Konkurrenz und nicht als Kolleg*innen und Kampfgefährt*innen sah.
Der Zusammenbruch des Stalinismus 1989-91 beschleunigte den Siegeszug des Neoliberalismus, dem sich auch die sozialdemokratischen Parteien verschrieben hatten. Das CWI hat damals den richtigen Schluss gezogen: der Zusammenbruch des Stalinismus hatte das politische Bewusstsein stark zurückgeworfen und durch die Verbürgerlichung der Sozialdemokratie die Arbeiter*innenklasse ohne politische Vertretung zurückgelassen. Um das durch die Verbürgerlichung entstandene Vakuum nicht den Rechten zu überlassen, braucht es eine neue politische Vertretung der arbeitenden Menschen, Jugendlichen und der Arbeiter*innenklasse in ihrer ganzen Breite. Eine neue Arbeiter*Innenpartei, die ein sozialistisches Programm braucht, um dieses Vakuum wirklich zu füllen, steht seitdem bis heute ungebrochen als Notwendigkeit auf der Tagesordnung.
1997 erreichte die FPÖ bei den Nationalratswahlen erstmals die Stimmenmehrheit unter den „Arbeiter*innen“. Aber trotz der Erfolge blieb sie instabil. Das liberale Feigenblatt hatte sich 1993 als „Liberales Forum“ abgespalten und ging letztlich in den NEOS5 auf. Trotzdem blieb die FPÖ die Partei eines Teils der österreichischen Großindustrie und wirtschaftspolitisch die Speerspitze des Neoliberalismus. Ihre Forderungen stehen im Widerspruch zu den Interessen der Mehrheit ihrer Wähler*innen: Privatisierung, Zerschlagung der Verstaatlichten, Abbau des Sozialstaates, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Entmachtung der Gewerkschaften, Aufhebung der Kollektivverträge6 etc. Dieser Spagat wurde immer wieder zum Problem. Haider selbst war im Jahr 2000 nicht in die Regierung eingetreten, zog aber im Hintergrund die Fäden. Etwas, das sich zwar die ÖVP auch 2024 wünschen würde, aber ein Gefallen, den ihr FPÖ-Chef Kickl nicht macht. Da SPÖ und ÖGB nach dem Machtverlust in einer Schockstarre waren, konnte Haider in Ermangelung einer echten Alternative noch eine Zeit lang selbst die Opposition zur eigenen Regierung spielen. 2002 am Knittelfelder Parteitag zog Haider die Reißleine wegen eines abzusehenden Absturzes bei den kommenden Wahlen. Also wurde ein Teil der Mannschaft ausgetauscht, der Widerspruch von sozialer Heimatpartei und neoliberaler Speerspitze aber nicht gelöst. 2005 verließ Haider die FPÖ und gründete das BZÖ, das er in eine konservativ, bäuerlich, reaktionäre, bürgerliche Richtung drehte – weg von der sozialen Heimatpartei der FPÖ. Damit schielte das BZÖ stärker in Richtung enttäuschter ÖVP Wähler*innen, als wie bisher v.a. im „Wahlteich“ der SPÖ zu fischen. Letztlich endete Haiders BZÖ-Experiment in seinem VW Phaeton mit 140 km/h in Lambichl bei Klagenfurt.7
FPÖ Phönix
Die FPÖ aber war trotz der BZÖ-Abspaltung nicht Geschichte. Sie verfügte v.a. mit dem Burschenschafter-Flügel und gewachsenen Strukturen über ein organisatorisches Rückgrat, das die Partei auch über Krisenzeiten am Leben (und auf Kurs) hält. Strache8 war nach Haider ein Kompromisskandidat. Das H.C sollte darüber hinwegtäuschen, dass er kein Akademiker und damit auch kein Burschenschafter ist und stellt seinen Versuch dar, von diesem elitären Milieu akzeptiert zu werden. Er war aber auch der lebende Beweis dafür, dass die FPÖ längst nicht nur wegen ihrer “charismatischen” Vorsitzenden gewählt wird. Auch 2024 war nur für zwei Prozent das Wahlmotiv für die FPÖ ihr Spitzenkandidat Kickl. Der Wiederaufstieg der FPÖ nach dem tiefen Fall von 2002 lag nach wie vor am Fehlen einer politischen Alternative. 2017 holte der ÖVP-Kurzzeit-Shooting-Star Sebastian Kurz die FPÖ wieder in eine Koalition. Zuvor hatte er die ÖVP umgeformt und – ähnlich wie Haider – eine Modernisierung und Zentralisierung durchgedrückt. Politisch hatte er versucht, die FPÖ zu kopieren und in einigen Fragen rechts zu überholen. Ähnliches war auch zum Beispiel bei den britischen Tories zu beobachten, die auf Rechtspopulismus setzten, um zu verhindern, dass die Wähler*innen in Richtung der nationalistischen, rechtsextremen und EU-kritischen UKIP wegbrechen. Die ÖVP-FPÖ-Koalitionen waren geprägt von Instabilität und Skandalen. Ihre wesentliche Aufgabe aber – nämlich die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse zu erhöhen, den Sozialabbau voranzutreiben, die Wirtschaft konkurrenzfähiger zu machen – diese Aufgabe haben sie erfüllt. Die Pensionsreform 2003 und der 12-Stunden-Tag9 sind die deutlichsten Beispiele dafür. Aggressiv wurde auch gegen Geflüchtete und Migrant*innen vorgegangen, denen zum Beispiel das Kindergeld gekürzt werden sollte. Auch ein konservatives Frauenbild gehört zu ihrem Repertoir, das mit Maßnahmen umgesetzt wurde, die Frauen wieder verstärkt an die Familie und den Ehemann binden und die unbezahlte Hausarbeit erhöhen. Der Ibiza-Skandal zeigt dann einmal mehr auf, wie FPÖ-Politiker*innen gierig in die eigene Tasche arbeiten. Die FPÖ flog aus der Regierung. Strache war Geschichte, und Kickl drang an die Spitze der FPÖ vor. Er war lange das Mastermind hinter dem populistischen Auftreten der FPÖ gewesen und führt diesen Kurs der “sozialen Heimatpartei” fort.
Das Nationalratswahlergebnis 2024 ist insofern ein neuer Höhepunkt in einer langen politischen Entwicklung, der Entfremdung von den etablierten Parteien und Ausdruck der zunehmenden Polarisierung. Die Erklärung für dieses Ergebnis auf einen “Rechtsruck”, insbesondere auch unter Arbeiter*innen, zu beschränken, greift zu kurz. Im Gegensatz zu früher, wo die FPÖ eine klare Protestpartei war, hat sie in den letzten Jahren eine Stammwähler*innenschicht aufgebaut. Doch genau unter diesen ist die Ablehnung des Establishments bzw. was sie dafür halten ein zentrales Wahlmotiv. Die FPÖ wird vor allem als Möglichkeit wahrgenommen, eine Stimme gegen die anderen Parteien abzugeben. Sie ist Protest nicht auf der Straße, im Betrieb oder im persönlichen Umfeld, sondern in der Wahlzelle. Die Erfolge der FPÖ sind also stark der Ausdruck von Ängsten und Verunsicherungen, die ihre Ursache in der instabilen Weltlage, den diversen Krisen und den Erfahrungen der letzten dreißig Jahre haben. Die FPÖ greift diese nicht nur offensiv auf, sondern gibt auch vermeintlich einfache Scheinantworten.
Letztlich zeigt das Wahlergebnis, wenn auch in verzerrter Form, die Suche nach Alternativen. Umfragen zeigen, dass noch vor Migration soziale Fragen, insbesondere die Teuerung, das zentrale Wahlmotiv waren. Die Hoffnung, dass eine härtere Gangart in Migrationsfragen Probleme lösen könne, wurzelt auch in der Tatsache, dass die etablierten Parteien und Medien seit Jahren Migration als das zentrale Problem und die Ursache diverser Missstände darstellen, um so von den wahren Verantwortlichen für wachsende Armut, Krieg und Sozialabbau abzulenken. Wichtig ist auch eine deutliche Unterscheidung zwischen dem ideologischen Rassismus der extremen Rechten, die von “rassischen” oder ähnlichen Unterschieden fantasieren, einerseits und der Angst und Skepsis gegenüber Migration aus der Arbeiter*innenklasse andererseits, die letztlich aus der Frage erwachsen, wie der existierende Mangel verteilt werden soll. Jahrzehnte, in denen die etablierten Parteien, die Gewerkschaftsführung und der Staat Migrant*innen und insbesondere in den letzten Jahrzehnten Muslime und Muslimas als Ursache diverser Probleme präsentiert haben, haben ihre Spuren im Bewusstsein auch der Arbeiter*innenklasse hinterlassen. Vorurteile und diskriminierendes Verhalten sind ein weitverbreitetes Problem und müssen offensiv aufgegriffen und bekämpft werden. Aber die Ursache ist nicht, dass “die Arbeiter*innen” oder “die FPÖ-Wähler*innen” “ungebildet”, “uninformiert”, “dumm” oder einfach alle “rechts” und daher abzuschreiben sind. Vielmehr gilt: FPÖ-Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse können durch den gemeinsamen Kampf für gemeinsame Interessen ihre Ablehnung gegen “Ausländer*innen” überwinden und von dieser Partei der Reichen für eine echte Arbeiter*innenpartei gewonnen werden können.
Neue Arbeiter*innenpartei ist nötig
Die Hoffnung, dass sich rechte Parteien aufgrund ihrer inneren Widersprüche, ihrer Skandale und ihres Wähler*innenbetrugs selbst “erledigen”, wurde wiederholt als falsch widerlegt. Ihre Regierungsbeteiligungen haben der Arbeiter*innenklasse stets ein Paket von Verschlechterungen hinterlassen. Auch liegt in jeder „Enttäuschung“ die Gefahr einer zunehmenden Frustration und Radikalisierung der wieder stärker in die Mühlsteine geratenen Mittelschichten. Das kann die Gefahr, die von Parteien wie der FPÖ ausgeht auf eine neue Stufe stellen. Ein Blick nach Ungarn zeigt, was leicht und schnell selbst innerhalb des angeblichen „europäischen Wertekonsens“ der EU möglich ist.
In jeder Enttäuschung vor allem breiter Schichten der Bevölkerung liegt aber auch das Potenzial für Widerstand und soziale Bewegungen. In Deutschland hat die extreme Rechte im europäischen Vergleich mit der AfD erst mit Verzögerung eine relevante und gefährliche Größe erreicht. Ein Grund für diese Verzögerung war die Existenz der Linkspartei, die eine Zeitlang als Alternative wahrgenommen wurde, bevor sie immer stärker selbst in Landesregierungen Kürzungen durchsetzte. Auch in Griechenland und Spanien haben Rechtsaußen-Parteien erst nach dem Versagen linker Regierungen/Parteien (Syriza und Podemos) wieder starken Zulauf verzeichnen können. Syriza hatte 2015 die griechischen Parlamentswahlen im Zuge der Proteste gegen die von der EU verlangten Kürzungen gewonnen. Doch anstatt sich an die Spitze dieser Proteste zu setzen und damit auch die kapitalistische Logik in Frage zu stellen, akzeptierte Syriza die “Sachzwänge” und damit die Vorgaben der EU. Die folgenden brutalen Angriffe auf die griechische Arbeiter*innenklasse waren die Grundlage für den Absturz von Syriza und den Aufstieg faschistischer, rechtsextremer und konservativer Organisationen.
Der Aufstieg der extremen Rechten ist also die Folge der Fehler der Linken: Diese zentrale Lehre gilt es für die Zukunft zu berücksichtigen. Eine ÖVP-SPÖ-NEOS-Koalition würde die Politik fortsetzen, die die FPÖ stark gemacht hat. Die Demokraten in den USA haben die Wahl verloren, weil sie zu Recht als Partei der Reichen und des Establishments gesehen werden. Das sind die Republikaner unter Trump ebenfalls, der sich aber erfolgreich anders darstellt. Das große Übel kann mithilfe des kleineren Übels nicht bekämpft werden. Die Begeisterung für den linkeren SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler 2023 zeigte das Potential für eine echte linke Alternative, genauso wie die regionalen Wahlerfolge der KPÖ in Graz, Salzburg und Innsbruck. Trotz vieler Unterschiede haben beide bei der Nationalratswahl das Potential nicht ausgeschöpft. Die SPÖ ist nach wie vor eine etablierte Partei, was sich auch in der Bereitschaft zur Koalition mit der ÖVP zeigt. Und auch der KPÖ wird offenbar nicht geglaubt, dass sie bereit ist, den Kampf für echte Verbesserungen zu führen.
Die ÖVP-FPÖ-Regierungen ab dem Jahr 2000 wurden nicht durch die beeindruckende, starke und lang dauernde Widerstandsbewegung geschwächt. Erst die starken Streiks im Jahr 2003 gegen die Angriffe auf die Pensionsreform und die Eisenbahnen haben die Regierung ernsthaft in Bedrängnis gebracht. Hätte die Gewerkschaftsführung damals konsequent diese Kämpfe fortgeführt, wäre die Regierung zusammengebrochen.
All das zeigt, warum neue Arbeiter*innenparteien gänzlich anders sein müssen: Wahlen sind nicht der Zweck, sondern v.a. das Mittel zur Organisierung und zum Aufbau einer politischen Basis. Eine neue Arbeiter*innenpartei braucht eine Verankerung in den Gewerkschaften, in sozialen Bewegungen und muss ein Instrument sein, das Kämpfe koordinieren und anstoßen kann. Sie muss ein Ort sein, an dem Debatten darüber geführt werden, wie diese Kämpfe gewonnen werden können und welches Programm dazu nötig ist. Kompromisse, um “mitgestalten” zu dürfen, bedeuten das Aufgeben von notwendigen Forderungen und spielen nur den Rechten in die Hände. Wer dem Druck nachgibt, sich “vernünftig” an Sachzwängen zu orientieren, hat bereits den ersten Schritt zum “Verrat” an den Wähler*innen gemacht. Stattdessen ist es nötig, die Wut über die zahlreichen Missstände, die Angst vor der Zukunft und die Ablehnung des etablierten Systems aufzugreifen und echte Kämpfe zu organisieren. Es ist gut möglich, dass mit einem offensiveren Programm für die Arbeiter*innenklasse und einer deutlichen Orientierung auf Bewegung und Organisierung statt aufs Parlament und auf Sozialarbeit à la KPÖ+ das reine Stimmenergebnis von Babler bzw. der KPÖ niedriger gewesen wäre. Aber ein solcher Wahlkampf wäre die Grundlage für den Aufbau einer echten Aktivist*innenbasis gewesen. Die Zunahme an Klassenkämpfen in den letzten Jahren – wenn auch von einem niedrigen Niveau aus – zeigen die Bereitschaft der Arbeiter*innenklasse, für ihre Anliegen zu kämpfen. Betriebsversammlungen und Streiks haben zugenommen und die Gewerkschaftsführung sieht sich zunehmend unter Druck der Basis, aktiv zu werden.
Als Sozialist*innen ist es unsere Aufgabe, aktiv in Kämpfe einzugreifen, sie voranzutreiben und den Widerspruch zu sämtlichen etablierten Parteien aufzuzeigen. Wir unterstützen jeden Schritt in Richtung des Aufbaus neuer Arbeiter*innenparteien und betonen in diesem Prozess die Notwendigkeit für ein sozialistisches Programm. Die vielen Beispiele von Mitterrand über Syriza bis zur KPÖ in Graz, die Mieten gedeckelt, aber nicht abgesenkt hat und mit den bestehenden Gesetzen zu Migration zufrieden ist, zeigen, dass ohne ein solches Programm insbesondere in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten der Pragmatismus und damit die kapitalistische Kürzungspolitik siegen. Es braucht ein Programm gegen die Krise und gegen die Angriffe. Es braucht kämpferische Kampagnen und aktive Klassenkämpfe für Offensivforderungen wie Arbeitszeitverkürzung, echte Lohnerhöhungen, für ein öffentliches Investitionsprogramm in Bildung, Gesundheit, Wohnen und öffentlichen Verkehr. Nicht betriebswirtschaftliche Logik und Sachzwänge dürfen über die Zukunft von Arbeiter*innen entscheiden. Um Jobs und Einkommen von Arbeiter*innen zu sichern, müssen Unternehmen in öffentliches Eigentum unter demokratische Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Organisationen gestellt werden. Der Kapitalismus trägt Krisen und Kriege in seiner DNA. Er stellt die Grundlage für Rechtsextremismus und Faschismus dar und nutzt beides, wenn es seinen Interessen und Notwendigkeiten entspricht. Ein Teil des Kapitals setzt daher auch auf unberechenbarere politische Kräfte wie Trump, wenn man sich davon eine bessere Umsetzung der eigenen Interessen erwartet. Der konsequente Kampf gegen rechts kann daher auch nicht vom Kampf gegen den Kapitalismus getrennt werden. Es wird der gemeinsame Kampf für echte Verbesserungen sein, der die Wähler*innen von FPÖ & Co. für eine neue Arbeiter*innenpartei gewinnen wird, die keinen Raum für Rassismus oder Sexismus lässt. Und es wird der konsequente Kampf für eine demokratische sozialistische Zukunft sein, der der rechten Gefahr auch auf Dauer den Boden entziehen wird!
Albert Kropf und Sonja Grusch sind Mitglieder der Sozialistischen Offensive (SO – CWI in Österreich).
- BZÖ: Bündnis Zukunft Österreich: rechtskonservative Abspaltung von der FPÖ durch Haider ↩︎
- Ibiza-Skandal: durch ein Video wurde bekannt, zu welchen “Deals” die FPÖ-Spitzen bereit wären. ↩︎
- Österreichischer Gewerkschaftsbund ↩︎
- Bruno Kreisky war von 1970 bis 1983 sozialdemokratischer Bundeskanzler in Österreich ↩︎
- 2012 gegründete liberale Partei in Österreich ↩︎
- Österreichischer Begriff für Tarifverträge ↩︎
- Jörg Haider kam am 11. Oktober 2008 bei einem Autounfall ums Leben
↩︎ - H.C.Strache: 2005-19 Vorsitzender der FPÖ, 2017-19 Vizekanzler, der wegen des Ibiza-Skandals zurücktreten musste ↩︎
- Die Pensionsreform brachte massive Verschlechterungen, der 12-Stunden-Tag wurde mit dem Gesetz als maximale tägliche Arbeitszeit ebenso wieder legal wie die 60-Stunden-Woche
↩︎