Die Linke im Aufwind

Jetzt alle Kräfte anspannen, um in den Bundestag zu kommen – und die Zeit danach planen

Inmitten der Rechtsverschiebung in der herrschenden Politik – von Trump über Merz bis zu SPD und Grünen – gibt es einen Hoffnungsschimmer, der gerade Tag für Tag heller scheint: der Eintritt von Tausenden neuen Mitgliedern in Die Linke und die Aktivierung von vielen von diesen im Wahlkampf. „Das Comeback des Jahres“ nennt die Partei selbst diese Trendwende nach den Jahren von Mitgliederverlusten und Niedergang bei Wahlen und in den Meinungsumfragen. Denn auch hier zeigt sich ein schwacher, aber deutlicher Aufwärtstrend – erstmals seit Monaten sehen verschiedene Meinungsforschungsinstitute die Linkspartei wieder bei fünf Prozent, YouGov und die Forschungsgruppe Wahlen sogar bei sechs Prozent. Ein Einzug in den Bundestag ist also nicht nur theoretisch möglich, sondern liegt zum Greifen nahe. Um dies zu erreichen, sollten nun alle Kräfte mobilisiert werden. Auch Sol-Mitglieder werden dazu ihren Beitrag im Wahlkampf für Die Linke leisten.

von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher und Linke-Mitglied

Wie wir in unserem Wahlaufruf geschrieben haben: Die Linke ist „trotz aller Beschränktheiten, Fehler und Anpassung in Richtung SPD und Grüne – die einzige Stimme einer linken Opposition, die den Einzug in den Bundestag schaffen kann. Ein Bundestag ohne Die Linke würde die politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik zuungunsten der Arbeiter*innenklasse verschieben.“

Eintritte als Reaktion auf Merz und AfD

Die Eintritts- und Aktivierungswelle ist vor allem eine Reaktion auf das Erstarken der AfD, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und das Einreißen der sogenannten „Brandmauer“ zur AfD durch CDU-Chef Friedrich Merz, aber auch auf die gleichzeitig stattfindende weitere Rechtsentwicklung von SPD und Grünen. Diese haben zum Beispiel das Asylrecht ebenso verschärft und wollen die Militärausgaben ebenso weiter erhöhen. Sie blasen in der Migrationsfrage letztlich in dasselbe Horn wie die anderen etablierten Parteien, nur etwas leiser, aber Olaf Scholz ist stolz auf die vielen Abschiebungen und Politiker*innen beider Parteien beteiligen sich daran, einzelne Gewalttaten zu Migrationsproblemen zu erklären. Ganz abgesehen davon, haben sie in den entscheidenden sozialen Fragen Mieten, Preissteigerungen, Arbeitsplatzvernichtung und Personalmangel in vielen Bereichen als Regierungsparteien keine Verbesserungen eingeleitet.

Viele Menschen ziehen angesichts dieser Entwicklungen, aber auch der Kriege, des Klimawandels und der multiplen Krise des Kapitalismus mit all ihren sozialen Folgen die Schlussfolgerung, dass es einen linken Gegenpol zu diesen Entwicklungen und den zerstörerischen Kräften, die der Kapitalismus freisetzt, braucht. Gerade die Existenzkrise der Linkspartei und die Gefahr, dass sie aus dem Bundestag fliegt, haben dazu geführt, dass es nun von einer wichtigen Schicht, vor allem junger Menschen, eine Hinwendung zu ihr gibt.

Diese Entwicklung ist auch eine Bestätigung der von uns vertretenen Einschätzung, dass es sich zurzeit nicht um einen einseitigen gesellschaftlichen Rechtsruck handelt, sondern um eine Polarisierung, welche jedoch rechts einen stärkeren politischen Ausdruck findet.

Die Linke ist das einzige Angebot für einen Gegenpol, das es zurzeit gibt, welches die Chance hat, in den Bundestag einzuziehen und eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung hat. Das gilt umso mehr, nachdem das BSW nicht nur gemeinsam mit CDU und AfD migrant*innenfeindlichen Anträgen im Bundestag zugestimmt hat, sondern durch die Regierungsbildungen mit SPD und CDU in Brandenburg und Thüringen auch im Rekordtempo unter Beweis gestellt hat, dass es alles andere als eine Anti-Establishment-Kraft ist. Diejenigen Linken, die Hoffnungen in das BSW gesetzt haben, haben entweder mittlerweile linke Grundsätze über Bord geworfen, sind enttäuscht und treten wieder aus, wie mehrere Vorstandsmitglieder in Bayern, oder stecken den Kopf in den Sand und betreiben Realitätsverweigerung.

Vorschläge für den Parteiaufbau

Es gilt nun, die Tausenden neuen Mitglieder nicht nur zu Wahlkämpfer*innen für ein paar Wochen zu machen, sondern sie dauerhaft zu aktivieren und die Partei weiter aufzubauen. Ihnen muss vermittelt werden, dass der Wiedereinzug in den Bundestag nicht das Ziel, sondern nur ein Mittel für die Organisierung von Gegenwehr und den weiteren Aufbau der Partei sein muss – und dass Die Linke im Bundestag nur so viel Wirkung erzielen kann, wie es Streiks, Massenproteste und Demonstrationen außerhalb des Parlaments geben wird. Dabei könnten folgende unterschiedliche Maßnahmen helfen:

  • Die Durchführung von Kampagnen, bei denen die neuen Mitglieder eingebunden werden können: gegen kommunale Kürzungen, gegen Arbeitsplatzvernichtung, zur Vorbereitung auf die kommenden Angriffe einer neuen Bundesregierung, gegen Rassismus, gegen Mietwucher etc. und die Unterstützung von Streiks und Protestbewegungen.
  • Die Organisierung von Linke-Strukturen da, wo die neuen Mitglieder sind – also in Betrieben oder Branchen bzw. Gewerkschaften, an Hochschulen, in Stadtteilen
  • Organisierung einer breiten und demokratischen Debatte zur zukünftigen Politik und Praxis der Partei, in der die Streitfragen, die die Partei in den letzten Jahren geprägt und zur Krise der Partei geführt haben, thematisiert werden: soll mit SPD und Grünen zusammen regiert werden, welche Rolle spielt die parlamentarische Tätigkeit, wie sieht das Verhältnis zu den Gewerkschaften und ihren Führungen aus, soll die AfD im breiten Bündnis mit allen anderen Parteien bekämpft werden, was ist linke Migrationspolitik, sollen Bomben an die Ukraine geliefert werden, ist Die Linke solidarisch mit dem Staat Israel usw. – auf dieser Basis Neuwahl zu allen Gremien und Delegiertenmandaten in der Partei
  • Angebote zur politischen Bildung wie Lesekreise, Seminare zur Einführung in den Marxismus und die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung etc.

Dialektik der Existenzkrise

Die neue Linke-Führung scheint zu glauben, dass die Eintrittswelle auch oder sogar vor allem mit ihr zu tun hat, mit der neuen „Einigkeit“ seitdem Ines Schwerdtner und Jan van Aken zu Parteivorsitzenden gewählt wurden und der Fokussierung des Wahlkampfs auf einige wenige soziale Themen, wie Wohnen, Inflation und Reichtumsumverteilung. Es mag sein, dass Die Linke in den letzten Monaten wieder mehr klare Botschaften vermittelt und das Ende öffentlich ausgetragener Streitereien ihre Attraktivität erhöht hat. Tatsächlich gibt es aber eine Dialektik der Existenzkrise der Partei. Angesichts des Erstarkens der AfD, der Alternativlosigkeit auf der Linken und der fortgesetzten Rechtsentwicklung bei SPD und Grünen, wurde vielen Menschen klar, dass ein Land ohne Linkspartei ein sehr viel dunkleres Land wäre – die Eintrittswelle war sozusagen umgekehrt proportional ausgeprägt zur Stärke und positiven Ausstrahlungskraft der Partei.

Aber zweifellos hat die neue Parteiführung auch einiges richtig gemacht, vor allem ist es ihr gelungen, unter den Mitgliedern eine zuversichtliche Stimmung auszulösen und die Konfliktthemen in den Hintergrund zu rücken. Auch hat sie eine erfolgreiche Social-Media-Kampagne umgesetzt, die die Reichweite der Partei erhöht. Über dreißig Millionen Menschen haben nach Angaben der Partei Heidi Reichinneks Rede im Bundestag gehört – und viele davon waren sicher begeistert über die kämpferischen Worte und Glaubwürdigkeit, die sich so lebhaft von dem Gesülze der anderen Politiker*innen abhoben.

Hinzu kommt, dass gerade niemand in der Partei eine Ausrichtung auf eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen auf Bundesebene vorschlägt und Die Linke dadurch weniger als linker Teil des Establishments wirkt – nicht weil das nicht mehr der politischen Überzeugung und Zielsetzung vieler Linke-Politiker*innen entsprechen würde, sondern weil eine solche Koalition einfach nicht auf der Tagesordnung steht. So wird nun Wahlkampf mit dem Slogan „Alle wollen regieren. Wir wollen verändern.“ (auch) von denjenigen in der Partei gemacht, die nichts lieber wollen als in rot-rot(-grünen) Koalitionen zu regieren, das gemacht haben und in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen zurzeit auch noch tun (inkl. Zustimmung zu Kürzungen in Bremen und zum Sicherheitspaket der Bundesregierung in Mecklenburg-Vorpommern).

Warnung

Deshalb sprechen wir eine Warnung aus, trotz aller berechtigten Freude und Begeisterung über die positive Entwicklung der letzten Wochen und Monate. Keiner der politischen Gründe für die Krise der Partei wurde gelöst, mit Ausnahme des Konflikts mit Sahra Wagenknecht.

Die politische Ausrichtung, die zur Krise der Partei geführt hat, wird wieder an Gewicht gewinnen – die Fokussierung auf Parlamentarismus statt Klassenkampf, die Bereitschaft mit SPD und Grünen prokapitalistische Koalitionen einzugehen, die bürokratischen Strukturen in der Partei – und sie wird die Entwicklung der Linken hin zu einer sozialistischen Arbeiterpartei wieder verhindern – es sei denn, es gibt einen sozialistischen Kurswechsel in der Partei.

Doch trotz vieler guter Forderungen, wie der Abschaffung von Milliardären, gibt es dafür bisher keine Anzeichen. In Sachsen und Thüringen hat die Partei CDU-Ministerpräsidenten ins Amt verholfen, in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern verwaltet sie die Missstände mit SPD und Grünen zusammen und auch Heidi Reichinnek hat auf die Frage, ob es eine Bereitschaft zur Koalition mit SPD und Grünen gebe, nicht politisch erklärt, warum Die Linke das nicht will, sondern eher bedauernd ausgedrückt, dass das gerade wohl nicht möglich sein wird, wie sie auch in ihrer Wut-Rede im Bundestag sich darüber beschwert hat, dass Friedrich Merz nicht mit der Linken redet. Das passt zu Gregor Gysis Aussage vom Parteitag vor wenigen Wochen, als er die AfD zum einzigen Gegner erklärte, während die anderen Parteien nur Konkurrenten seien.

Nötig ist eine politische Klärung der strittigen Fragen, und zwar unabhängig davon, ob die Partei in den Bundestag einzieht oder nicht. Kommt sie rein, werden einflussreiche Kräfte in der Linken wieder versuchen, die Partei in Richtung SPD und Grünen auszurichten. Kommt sie nicht rein, wird ohnehin die Nabelschau beginnen.

Die Genoss*innen der Gruppe Sozialismus von Unten, die kürzlich Die Linke verlassen haben, haben als Mitglieder von Marx21 jahrelang argumentiert, man müsse und könne die Partei auf der Basis von Aktivismus erneuern ohne die politischen Streitpunkte zu debattieren und zu lösen. Das hat in der Vergangenheit nicht geklappt und wird es auch in Zukunft nicht.

Arbeiter*innenklasse?

Hinzu kommt eine weitere Frage: Ohne die soziologische Zusammensetzung der neuen Mitglieder genau zu kennen, deuten alle Erfahrungen daraufhin, dass diese vor allem junge Menschen in größeren Städten sind, vielfach mit akademischem Background. Wenn man vor allem in bestimmten Milieus Mitglieder gewinnt, ist das noch keine Garantie für eine Stärkung in der Breite der arbeitenden Bevölkerung. Auch zehn- oder zwanzigtausend Mitglieder mehr führen nicht automatisch zu höheren Stimmergebnissen und Verankerung unter den Massen. Die fünfstelligen Mitgliedszahlen von Parteien wie Die Basis oder der Piraten zeigen das.

Zweifellos hat Die Linke auch in Teilen der Arbeiter*innenklasse Unterstützung mobilisieren können, wie auch die Auswahl einiger Kandidat*innen zeigt. Das gilt vor allem für Krankenhausbeschäftigte, deren Kämpfe in den letzten Jahren von der Linkspartei sehr unterstützt wurden. Aber die Partei ist weit davon entfernt, die Unterstützung, die sie in Teilen der Arbeiter*innenklasse einmal hatte – als sie nach der Großen Rezession 2008/09 bei über zehn Prozent lag – wiederzuerlangen geschweige denn auszuweiten. Das bedarf einer bewussten Orientierung auf Betriebe und Gewerkschaften, dem Eingreifen in gewerkschaftliche Debatten, Unterstützung von Streiks, Organisierung von Linke-Mitgliedern am Arbeitsplatz und eine kritische Haltung zur Politik der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsführungen statt ihnen hinterher zu traben.

Frustration vermeiden

Das und viele andere Dinge müssen in der Partei diskutiert werden. Wenn nun darüber aber der „Mantel der Einigkeit“ gelegt wird, wird sich das rächen. Die vielen jungen Mitglieder haben noch wenig Erfahrung und können mit vielen der auch in diesem Artikel aufgeworfenen Fragen vielleicht noch nicht viel anfangen. Aber die Realität der Linkspartei wird sie einholen und nur offene, demokratische Debatten und ein sozialistischer Kurswechsel, wie wir ihn schon häufiger angemahnt haben, können verhindern, dass diese Realität zu Frustration und Rückzug führen, wie das in der Vergangenheit schon bei vielen Neumitgliedern der Fall war. Auf der Grundlage könnte Die Linke bzw. Teile von ihr – gemeinsam mit anderen Kräften – einen Beitrag zum Aufbau einer Massenpartei von Lohnabhängigen, einer Arbeiter*innenpartei, leisten, die so dringend nötig ist.