
Welche Haltung sollen Sozialist*innen einnehmen?
Der Parteivorstand der Linken hat am 1. März in Reaktion auf den Eklat zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj einen Beschluss gefällt, der leider analytisch falsch und politisch weit von einer unabhängigen sozialistischen Position entfernt ist. Es ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch, eine Lösung für den Ukraine-Krieg zu formulieren, die auf eine militärische Logik verzichtet und doch im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse verharrt. Der Parteivorstand (PV) begeht erneut den Fehler, Regierungspolitik ohne Regierungsamt betreiben zu wollen – scheinbar ist die Hoffnung, dass man sich so SPD und Grünen für zukünftige Regierungskoalitionen andienen kann bei der Mehrheit der Vorstandsmitglieder noch nicht gestorben. Stattdessen wäre die Aufgabe einer sozialistischen Partei in einer solchen Situation, den Klassencharakter der Politik aller kapitalistischen Mächte inklusive der Bundesregierung zu entlarven.
Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher und Linke-Mitglied
Für den PV gibt es offenbar eine einfache Aufteilung von Gut und Böse bzw. Täter und Opfer im Ukraine-Konflikt. Damit gibt der PV leider dem Druck der deutschen Kapitalist*innen und ihrer Parteien nach, die damit ihre Kriegspolitik begründen. Russland wird als der alleinige Aggressor ausgemacht und die Ukraine von jeder (Mit-)Schuld freigesprochen. Trump wird als brutaler, das Völkerrecht mit Füßen tretender Bösewicht dargestellt, als ob er der Einzige seiner Art wäre. Und die Bundesregierung, die EU, die UNO, China und die BRICS-Staaten als diejenigen Kräfte, die Frieden bringen können und die man zum Handeln auffordert. Mit der Realität hat das leider wenig zu tun.
Stellvertreterkrieg
Auch wenn der Ukraine-Krieg im Februar 2022 durch den Einmarsch russischer Truppen begonnen wurde und auch, wenn Linke natürlich den Rückzug dieser Truppen aus den seitdem besetzten Gebieten fordern müssen, bedeutet dies nicht, dass Russland die alleinige „Schuld“ trifft und dass nicht sowohl die ukrainische Regierung als auch „der Westen“ eine Mitverantwortung tragen – nicht zuletzt auch dafür, dass dieser Krieg nach drei Jahren immer noch andauert. Und es bedeutet nicht, dass die ukrainische Regierung unter Selenskyj unterstützt und mit Waffen ausgestattet werden sollte, denn sie ist reaktionär, nationalistisch, undemokratisch, prokapitalisisch. Ukrainische Regierungen haben seit 2014 Krieg gegen die Separatistengebiete im Osten des Landes geführt und sie führt den gegenwärtigen Krieg stellvertretend für die westlichen kapitalistischen Staaten mit dem Ziel, Russland militärisch und wirtschaftlich so weit zu schwächen, dass es auf absehbare Zeit zu keinen militärischen Vorstößen mehr in der Lage ist und im ökonomischen Konkurrenzkampf verliert. „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ heißt es: Nicht nur Russland sondern auch die USA und die Europäische Union ringen in der Ukraine um Einfluss und das seit vielen Jahren. Alle haben eine Eskalation faktisch vorbereitet und in Kauf genommen.
Trump
Nun hat die stärkste Kraft des Westens mit der Amtsübernahme Trumps ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine geändert, weil sie eine grundsätzliche strategische Wende der US-Außenpolitik einleitet, und will schnellstmöglich einen Waffenstillstand durchsetzen, damit der Ukraine-Krieg den US-Staatshaushalt nicht weiter belastet. Hinzu kommt die Überlegung, zu akzeptieren, dass Russland sich nicht aus den besetzten Gebieten zurückzieht und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zurückzufahren, um den russischen Kapitalismus aus dem Bündnis mit China zu lösen. Trump verfolgt nur und ausschließlich das, was er als die Interessen der US-Herrschenden versteht. Dass dies in der gegenwärtigen Situation zu einem Ende der Kampfhandlungen und des tausendfachen Sterbens führen kann (zumindest vorübergehend) macht Trump nicht zu einem Friedensengel, wie seine Unterstützung für den Staat Israel und sein brutales Vorgehen gegen die Palästinenser*innen zeigt.
In diesem Kampf von kapitalistischen Großmächten um Macht und Einfluss gibt es keine Seite, die Sozialist*innen unterstützen könnten. In der aktuellen Lage eine Erklärung zu verabschieden, die kein Wort der Kritik an Selenskyj beinhaltet, verkennt, dass es zur Zeit vor allem die ukrainische Regierung ist, die mit Forderungen nach Sicherheitsgarantien und dem Abzug der russischen Truppen auch aus den Gebieten, die sich vor der Invasion vom Februar 2022 unter russischem Einfluss befanden (die Krim und die Separatistengebiete Luhansk und Donezk), einen Waffenstillstand gerade verunmöglicht. Wenn man sich das 45-minütige Video des Pressegesprächs von Trump und Selenskyj komplett anschaut, kann man beobachten, wie Selenskyj offenbar mit dem Versprechen nach Washington gekommen war, den Rohstoffdeal zu unterschreiben und dann die Forderung nach Sicherheitsgarantien – die in dem Abkommen nicht vorgesehen waren – plötzlich doch öffentlich erhebt.
Nun ausgerechnet von der Bundesregierung und der EU „Klarheit“ zu fordern, wie der Linke-Parteivorstand es tut, verkennt, dass Bundesregierung und EU sehr klar über drei Jahre dafür gesorgt haben, dass die Ukraine mit Waffen beliefert wurde, um den Krieg immer weiter führen zu können. Die Linke sollte stattdessen aufzeigen, dass die Bundesregierung keine Politik zur „Landesverteidigung“ oder zur „Verteidigung der Demokratie“ betreibt, sondern zur Verteidigung der ökonomischen und politischen Interessen der deutschen Kapitalist*innenklasse. Sie sollte unmissverständlich erklären, dass sie unter keinen Umständen einer Aufrüstung der Bundeswehr zustimmen wird, die ebenfalls nur diesen kapitalistischen Interessen dient. Sie sollte der Angst vor Krieg, die es unter Millionen von Menschen gibt, nicht dadurch begegnen, einer Bedrohung aus Moskau das Wort zu reden, sondern erklären, dass „der Kapitalismus den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen“ und Die Linke deshalb eine sozialistische Gesellschaftsveränderung anstrebt als einzig realistische Friedenspolitik. Und sie sollte die Gewerkschaften aufrufen, den Kampf gegen Militarisierung und Aufrüstung mitzuführen, denn jeder Euro für die Bundeswehr oder für Militärhilfen an die Ukraine oder Israel bedeutet einen Euro weniger für notwendige Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klima und Soziales. Die von manchen Gewerkschaftsführer*innen verbreitete Hoffnung, ein Ausbau der Rüstungsindustrie könnte bedrohte Industriestandorte und -arbeitsplätze retten muss zurückgewiesen und stattdessen die Überführung dieser Werke in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung gefordert werden, damit dort die Produktion auf gesellschaftlich sinnvolle Güter umgestellt werden kann.
China?
Nun auf eine Friedensinitiative Chinas zu setzen und das Heil in einer „Antwort“ der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Trump zu suchen, zeugt von Illusionen in einen vermeintlich „besseren“ chinesischen Imperialismus und in eine Generalversammlung, die aus kapitalistischen Regierungen besteht, die alle ihre eigenen ökonomischen und machtpolitischen Interessen vertreten und nicht die Interessen der einfachen Menschen in der Ukraine (und die zu einem großen Teil autokratische und diktatorische Regimes sind). Warum sollten die EU, China und die UNO eher irgendeine Entscheidung im Interesse der Bevölkerung der Ukraine oder irgend eines anderen Landes treffen als Donald Trump und die USA?
Der Parteivorstand behauptet: „Eines ist sicher: Wenn Xi Jinping einlädt, wird Wladimir Putin auch kommen.“ Das ist eine absurde Aussage, denn wenn Donald Trump einlädt, wird Putin auch kommen und es finden ja schon Gespräche zwischen den USA und Russland, zwischen Trump und Putin statt. Es geht nicht darum, ob gesprochen wird, sondern in wessen Interesse nun eine Übereinkunft erzielt wird. Und egal, wer sich durchsetzen wird: die einfachen Menschen in der Ukraine und die Soldat*innen auf beiden Seiten sind nur Spielbälle für die großen kapitalistische Mächte.
Schuldenbremse
Dass der Parteivorstand – bevor sich SPD und Union auf eine Einberufung des alten Bundestags zur Aushebelung der Schuldenbremse nur für die Militärausgaben geeinigt hatten – ausgerechnet in einem Statement, dass den Ukraine-Krieg und die Politik Trumps zum Thema hat, für eine Abschaffung der Schuldenbremse ausspricht, ist fatal und wirft Fragen auf.
Linke sind gegen die Schuldenbremse, weil sie ein Mittel für die Kapitalist*innenklasse und ihre Vertreter*innen in der Bundesregierung im Klassenkampf gegen die Arbeiter*innenklasse ist. Dabei sollten Linke nicht dafür sein, dass der Staat sich verschuldet, sondern dass das Geld bei den Reichen geholt wird (und nicht in Form von verzinsten Krediten, sondern durch Steuern und Enteignungen). Linke können die Aufnahme von Schulden unterstützen, wenn die Kräfteverhältnisse in einem gegebenen Moment keine höheren Steuern oder Enteignungen ermöglichen. Das auch, weil wenn sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Arbeiter*innenklasse ändern, Zinszahlungen und Schuldentilgung eingestellt werden können.
Die Aufhebung der Schuldenbremse wäre in der Situation, wenn es zum Vorschlag einer allgemeinen Aufhebung der Schuldenbremse gekommen wäre, aber auch ein Mittel für die Kapitalist*innenklasse und ihre Regierung im Klassenkampf gegen die Arbeiter*innenklasse gewesen, nämlich um die geplante Aufrüstung umzusetzen (bzw. wird es sein, sollten die Pläne von Union und SPD doch noch an den Grünen scheitern, was nicht wahrscheinlich ist). Wenn wir Politik konkret betreiben und nicht abstrakte Prinzipien vertreten, dann müssen wir unsere Haltung von den konkreten Folgen politischer Entscheidungen und nicht von abstrakt möglichen Folgen abhängig machen. Aufrüstung verhindert hätte man (bzw. würde man) mit einem Nein zur Aufhebung der Schuldenbremse. Investitionen in Klimaschutz, Gesundheit und Soziales wären nicht die Folge einer Aufhebung der Schuldenbremse unter einer Merz-Regierung gewesen. Dieser zuzustimmen, um dann danach gegen Aufrüstung zu stimmen, wo die eigenen Stimmen kein Gewicht mehr haben, wäre Symbolpolitik gewesen. In der Situation wäre es politisch richtig gewesen, unmissverständliche Opposition zu sein und nicht die Schuldenbremse zur Prinzipienfrage zu erklären. Stattdessen hätte man erklären können, dass Die Linke ohnehin nicht für eine Ausweitung der Staatsverschuldung ist, sondern für höhere Steuern für Konzerne und die Reichen. Die beste Antwort im Bundestag wäre also ein Antrag auf Einführung der Vermögenssteuer und einer höheren Besteuerung von Unternehmensgewinnen gewesen.
Für oder gegen Waffenexporte?
Dass dies von einer Mehrheit im Linke-Parteivorstand offenbar anders gesehen wird, wirft die Frage auf, ob hinter dieser Haltung auch eine Infragestellung der prinzipiellen Ablehnung von Waffenexporten – wie sie ja von vielen Linkspartei-Politiker*innen offen in Frage gestellt wird – oder gar weiterer Aufrüstung steht. Die Regierungslinken in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern stimmen im Bundesrat für Waffenlieferungen an die Ukraine im Rahmen ihrer Regierungskoalitionen. Thüringens Ex-Ministerpräsident und mittlerweile Linke-Bundestagsabgeordneter Bodo Ramelow sagte schon vor zwei Jahren, dass er grundsätzlich gegen Waffenlieferungen sei, konkret im Fall der Ukraine aber nicht. Dietmar Bartsch schreibt aktuell: „In außen- und verteidigungspolitischen Fragen steht Die Linke vor programmatischen Herausforderungen. Unser Erfurter Programm von 2011 wird der Weltlage nicht mehr vollständig gerecht. Über die Frage, ob wir Waffenlieferungen für immer und überallhin kategorisch ausschließen, wird zu sprechen sein.“ Und auch der neue Parteivorsitzende Jan van Aken erklärte vor einigen Monaten, dass man ja die Waffenlieferungen an die Ukraine nicht sofort einstellen könne.
Nun sind eine Mehrheit der Bevölkerung und sehr wahrscheinlich auch viele Linke-Wähler*innen und (Neu-)Mitglieder nicht gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, weil sie verständlicherweise die ukrainische Bevölkerung unterstützen wollen. Nur unterstützen diese Waffen vor allem die Regierung Selenskyj, die mittlerweile brutale Zwangsrekrutierungen durchführt und keine demokratische Legitimation mehr hat, und verlängern das Blutvergießen.
Mit Liebknecht und Luxemburg
Die Linke muss diese Frage dringend offen und intensiv debattieren und sie sollte sich besinnen auf die Haltung derjenigen, in deren Tradition sie stehen möchte: Auf Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und deren prinzipielle Opposition gegen den Ersten Weltkrieg, auf Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ und die konsequent sozialistisch-internationalistische Haltung Rosa Luxemburgs, keine der kriegführenden kapitalistischen Mächte – ob stark, ob schwach, ober formal Angreifer oder nicht – zu unterstützen und auf die Kraft der Massen im Kampf gegen den Krieg zu setzen. Warum? Weil der Erste Weltkrieg ein Kampf der Großmächte um Einfluss und Kontrolle im globalen Maßstab war und die Haltung von Sozialist*innen nicht davon abhängig gemacht werden konnte, wer den ersten Schuss abgefeuert hat. Deshalb haben sich damals die serbischen Sozialdemokrat*innen einer Unterstützung der „Landesverteidigung“ verweigert, obwohl ihr Land angegriffen worden war – weil sie erkannten, dass Serbien nur eine Marionette im Kampf der Großmächte war und es keine Trennlinie zwischen Verteidigungskrieg und imperialistischem Krieg gab, solange die Regierung im Bündnis mit einem der imperialistischen Lager war.
Daraus können wir viel lernen, nicht zuletzt, dass eine unabhängige, sozialistische Position nicht in die Falle tappen darf, einen Stellvertreterkrieg der kapitalistischen Großmächte durch das Prisma von Angreifer und Angegriffenen zu beurteilen. Auch wenn es weit weg erscheint: nur der Aufbau einer massenhaften Bewegung gegen Krieg und Kapitalismus kann wirklichen Frieden, Selbstbestimmung und Wohlstand erkämpfen. Im August 1914 erschien das übrigens auch weit weg – und im Februar 1917 ging die Revolution in Russland und im November 1918 in Deutschland los. Diese Revolutionen beendeten den Krieg.