
IG Metall muss kämpfen
Bei Thyssenkrupp-Steel wird immer noch massiver Personalabbau geplant. Konkret geht es um 11.000 Stellen, die durch Abbau und Ausgliederungen eingespart werden sollen. Das bedeutet jeden dritten Arbeitsplatz bei Thyssenkrupp-Steel. Auch in der Automotive-Sparte sollen nun 1800 Stellen gestrichen werden.
von Merlin Koller, Hamm
Darunter fallen auch die Beschäftigten des Standorts Kreuztal-Eichen, der laut aktuellem Stand immer noch geschlossen werden soll. In Bochum soll die Schließung des Werkes an der Castroper Straße von 2030 auf 2027 vorverlegt werden. Dort arbeiten aktuell 700 Kolleg*innen. Auch Dortmund und der größte Standort Duisburg sind voraussichtlich vom Abbau betroffen. Davon könnte auch die Forschungsabteilung von Thyssenkrupp betroffen sein, die für die Umstellung auf grünen Stahl zuständig ist, obwohl Thyssenkrupp zwei Milliarden Euro Förderung von Bund und Land Nordrheinwestfalen zur Umstellung auf grünen Stahl kassiert hat. Zusätzlich ist ein zehnprozentiger Lohnverzicht für alle vorgesehen.
Viele Auszubildende haben nun Zukunftsängste. Der Abschlussjahrgang 2025 soll der Letzte sein, der noch übernommen wird. Alle zukünftigen Azubis werden sehen müssen, wo sie bleiben. Dabei wird es eine große Herausforderung sein, eine andere Arbeit zu finden, da die Ausbildungsgänge sehr auf die Arbeit bei Thyssenkrupp zugeschnitten sind. Die Wut auf den Vorstandschef Miguel López ist entsprechend groß. Zurecht!
Der Abbau bei Thyssenkrupp hätte aber auch darüber hinaus weitreichende Folgen. Die restliche Industrie im Ruhrgebiet ist zu weiten Teilen vom Stahl abhängig. Auch dort wären unter Umständen Arbeitsplätze bedroht. Die einzige Antwort darauf kann nur sein, zusammen zu kämpfen.
Nein zu Co-Management und Sozialpartnerschaft!
Die IG Metall betont Managementfehler sowie „Führungschaos“ und fokussiert die Kritik auf Miguel López. Dass jener vom Stahl keine Ahnung hat, mag richtig sein, das Problem geht aber tiefer. In Wahrheit sind die Entlassungen Resultat des profitorientierten Wirtschaftens im Kapitalismus. Zwar greift López aktuell besonders hart gegen die Kolleg*innen durch, aber auch andere Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte handeln nach denselben Profitinteressen und würden nicht vor Entlassungen und Standortschließungen zurückschrecken. Die Differenzen sind eher taktischer Natur. Zurückhaltung und ein langsameres Vorgehen gegen die Belegschaft können dazu führen, dass es weniger Gegenwehr gibt. Zu Arbeiter*innenfreunden macht sie das noch lange nicht.
Der sogenannten Sozialpartnerschaft, welche die IGM-Führung seit vielen Jahrzehnten betreibt, muss eine Absage erteilt werden. In der Duisburger Erklärung vom 25.11.24 schreibt die IG Metall selbst, es gäbe keine Sozialpartnerschaft bei Thyssenkrupp mehr. Dies liest sich allerdings nicht kämpferisch, sondern wehleidig. Denn gemeint ist nicht, dass die IG Metall-Führung genug davon hat, mit den Bossen zusammenzuarbeiten, und die Kolleg*innen zum Arbeitskampf mobilisieren will, sondern dass sie sich freuen würde, wenn López oder ein anderer sich doch nur vernünftig zeigen und wieder zur Sozialpartnerschaft zurückkehren würde.
Ein Beispiel für die negativen Auswirkungen des Co-Managements ist – allerdings aus der Autoindustrie – der Kompromiss bei Volkswagen. Dort ließ sich die IG Metall-Führung darauf ein, einem Lohnverzicht für alle Beschäftigten sowie einer Arbeitszeitverlängerung für Altbeschäftigte zuzustimmen, dafür, dass in fünf Jahren 35.000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Standortschließungen und Entlassungen sind aufgrund von Öffnungsklauseln im Tarifvertrag sogar weiterhin möglich. Dabei wurde nicht einmal die Drohung eines 24-stündigen Warnstreiks wahr gemacht, geschweige denn ein Vollstreik organisiert. Zu befürchten ist, dass dies als Modell für andere Unternehmen dienen soll. Bei Mercedes-Benz gibt es bereits entsprechende Vereinbarungen, bei Audi wird darüber ebenfalls verhandelt.
Der angepasste Kurs der IG Metall-Bürokratie rührt auch daher, dass einige Gewerkschaftsfunktionär*innen in den Unternehmen auch Aussicht auf Karriere haben. In der Stahlindustrie regelt die sogenannte Montanmitbestimmung, dass Kapital und Arbeit gleich viele Vertreter*innen in die fürstlich entlohnten Aufsichtsräte entsenden und die Gewerkschaften in der Regel den/die Arbeitsdirektor*in im Konzernvorstand stellen. So hat es Oliver Burkhard von der NRW-Bezirksleitung bzw. dem Bundesvorstand der IG Metall zum Arbeitsdirektor bei Thyssenkrupp gebracht. In dieser Position kassiert er jährlich 4,2 Millionen Euro – das sind über 11.000 Euro am Tag!
Statt Co-Management ist jetzt die Aktivierung der Kolleg*innen an der Basis und die Vorbereitung von Arbeitskämpfen das Gebot der Stunde! Nur mit entschlossenen, gemeinsamen Aktionen, die die Bosse schmerzlich bei den Profiten treffen, kann die Zukunft der Beschäftigten, ihrer Familien und der Region gesichert werden.
IG Metall in die Offensive
Es ist nicht so, dass es keinerlei Protest gäbe. In Duisburg blockierten 150 Auszubildende das Tor für zwei Stunden. Im Juli startete die IG Metall eine 100-Tage-Mahnwache. Seit bekannt geworden ist, zu welchen Angriffen es kommen soll, wurden einige Versammlungen organisiert, einige begleitet durch Fackelläufe. In Kreuztal Eichen gingen letztes Jahr Beschäftigte inklusive ihrer Familien auf die Straße. Auch eine Delegation von Kolleg*innen aus dem Ruhrgebiet war dabei.
Doch es ist mehr nötig. Der Konzern hält die Kolleg*innen weiter hin und macht keine klaren Ansagen. Diese Hinhaltetaktik muss durchbrochen werden. Die IG Metall sollte deshalb in allen Betrieben und den IG Metall-Gremien Diskussionen organisieren, welche Schritte jetzt notwendig sind, um Standortschließungen und Massenentlassungen zu verhindern. Angesichts der Tatsache, dass Stahl weiterhin gebraucht wird, sollten konzernweite Streiks ein gutes Mittel sein, um die Konzernleitung unter Druck zu setzen. Andere Protestformen sollten auch in Betracht gezogen werden. Auch, wenn es das in den letzten Jahren kaum gegeben hat und für viele weit weg erscheint, sollte auch über Betriebsbesetzungen als mögliche Kampfmittel diskutiert werden. Denn wenn die Konzernleitung einmal einen Schließungsbeschluss gefällt hat, kann das Mittel des Streiks unter Umständen nicht mehr ausreichend wirksam sein. Es muss dann diskutiert werden, wie der Abbau der Produktionsanlagen verhindert wird und im nächsten Schritt, wie die Produktion unter eigener Regie der Arbeitenden fortgeführt werden könnte. Lohnverzicht darf keine Option sein. Kolleg*innen sollten deshalb jetzt beginnen, in den Pausen mit ihren Vertrauensleuten und untereinander zu diskutieren, und sich untereinander vernetzen. Sollte die IG Metall keine Initiative ergreifen, wird es Aufgabe der Kolleg*innen vor Ort sein, die Verteidigung der Arbeitsplätze selbst in die Hand zu nehmen. Der Kampf muss standortübergreifend organisiert werden.
Ein Schritt in die richtige Richtung, um Kämpfe gegen Arbeitsplatzabbau auch in unterschiedlichen Konzernen und Betrieben zu verbinden, ist der IG Metall-Aktionstag am 15. März 2025. Dafür werden Stahlarbeiter*innen mit Autoarbeiter*innen aufgerufen, zusammen auf die Straße zu gehen. Allerdings geschieht dies unter falschen Vorzeichen mit Forderungen, die darauf abzielen, die Industrien wettbewerbsfähiger zu machen. Stattdessen sollte für die Forderungen nach Erhalt aller Arbeitsplätze ohne Wenn und Aber und für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich für alle mobilisiert werden. Es sollte auch verbunden werden mit Protest gegen den drohenden Kürzungshaushalt und weitere Angriffe unter einer wahrscheinlich CDU-geführten Bundesregierung. Sowohl gegen eine Kürzungspolitik auf Kosten der Arbeiter*innenklasse als auch die möglicherweise drohenden Massenentlassungen bei Thyssenkrupp Steel und anderen Konzernen und Betrieben gilt es den Widerstand aufzunehmen.
Aus vergangenen Kämpfen lernen
Die Stahlarbeiter*innen im Ruhrgebiet können auf eine erfahrungsreiche Geschichte zurückblicken. 1987 gingen die Arbeiter*innen von Duisburg-Rheinhausen am 27. November in den Streik, nachdem sie erst einen Tag zuvor gehört hatten, dass das Werk bis 1988 stillgelegt und die Produktion auf Thyssen und Mannesmann verlagert werden sollte. Am 30. November 1987 fand eine außerordentliche Betriebsversammlung mit 10.000 Teilnehmer*innen statt. Die Folge war einer der größten Arbeitskämpfe in der Bundesrepublik. Am 10.12.1987 fand im Ruhrgebiet ein faktischer regionaler Generalstreik statt. Im ganzen Ruhrgebiet kam es zu spontanen Arbeitsniederlegungen und Protestkundgebungen, an denen sich insgesamt 200.000 Menschen beteiligten. Dies war möglich durch die große Solidaritätswelle im Ruhrgebiet.
Ein anderes Beispiel aus der Geschichte im Ruhrgebiet war der wilde Streik bei Opel Bochum 2004, um die Entlassung von 4000 Kolleg*innen und eine drohende Werksschließung zu verhindern. Dort wurden sämtliche Zufahrten auf das Werksgelände blockiert. Unterstützt wurden die Streikenden von ihren Familien, die sich mit den Streikenden am Werkstor versammelten. Schließlich hing auch ihre Zukunft von der Beschäftigung bei Opel ab. Aus diesem leider zu früh beendeten Streik lassen sich ebenso wertvolle Lehren ziehen. Vor allem wäre es nicht ohne eine kämpferische Gruppe, die „Gruppe oppositioneller Gewerkschaftler“ (GoG) dazu gekommen. (Hierzu gibt es einen Film: „Luft zum Atmen“.)
Stahlproduktion in öffentliche Hand
Dauerhaft können Arbeitsplätze nur gerettet werden, wenn nicht mehr nach der Profitlogik für Aufsichtsrat und Aktionär*innen gewirtschaftet wird. Nicht ohne Grund steht in der IG-Metall-Satzung die Forderung, „Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschende Unternehmungen in Gemeineigentum“ zu überführen. Deshalb sollte unmittelbar die Forderung nach Überführung von Thyssenkrupp-Steel in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung aufgestellt werden. Entschädigung sollte es nur für Kleinaktionär*innen oder bei erwiesener Bedürftigkeit geben. Wenn wir über Enteignungen oder Verstaatlichung reden, meinen wir nicht die gleiche Art von Verstaatlichung, wie sie bürgerliche Politiker*innen in Krisenzeiten manchmal vorschlagen, bei der der Staat als Großaktionär einsteigt, Verluste vergesellschaftet und Profite wieder privatisiert, sobald wieder welche gemacht werden. Auch ist nicht gemeint, dass der Staat profitorientiert wirtschaftet. Nötig sind demokratisch gewählte, rechenschaftspflichtige und jederzeit abwählbare Verwaltungsgremien, zum Beispiel von jeweils einem Drittel Belegschafts-, Gewerkschafts- und Staatsvertreter*innen. Diese gewählten Vertreter*innen dürfen keine Privilegien haben und sollten stattdessen einen durchschnittlichen, branchenüblichen Facharbeiter*innenlohn erhalten. Wissenschaftler*innen, Anwohner*innen, Umwelt- und Verbraucherschützer*innen sollten einbezogen werden.
Nötig ist eine grundlegende Alternative zum Kapitalismus, eine sozialistische Demokratie, in der die Produktion und Wirtschaft demokratisch nach den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen geplant wird, anstatt einige wenige auf die Kosten der breiten Massen immer reicher zu machen.
Wir fordern:
- Erhalt aller Arbeitsplätze
- Nein zu Ausgliederungen, Betriebsschließungen und Produktionsverlagerung
- Nein zu Kurzarbeit, Lohnraub, Arbeitszeitverlängerung und Flexibilisierung
- Für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich
- Statt Co-Management und faulen Kompromissen: IG Metall in die Offensive
- Statt Standortkonkurrenz: Solidarität unter allen Belegschaften, die von Arbeitsplatzvernichtung bedroht sind – hier wie auch international!
- Einsatz der vollen Kampfkraft durch konzernweiten Streik
- Vorbereitung auf weitergehende Kampfmaßnahmen wie Werksbesetzung, um Standortschließungen zu verhindern
- Offenlegung der Geschäftsbücher für Gewerkschafts- und Belegschaftsvertreter*innen
- Überführung von Thyssenkrupp und der gesamten Stahlindustrie in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
- Für eine demokratisch geplante Wirtschaft zur Deckung der Bedürfnisse der Mehrheit, anstatt kapitalistischer Marktwirtschaft für die Profite einiger weniger.