Türkei: Öcalan fordert die Arbeiter*innenpartei Kurdistans (PKK) auf, sich aufzulösen

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Für den Aufbau von Massenparteien der Arbeiter*innenklasse in der gesamten Region

Nach vier Jahrzehnten brutaler Konflikte hat der inhaftierte Anführer der Arbeiter*innenpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, die Organisation aufgefordert, die Waffen niederzulegen und sich aufzulösen.

von Kenan Batu, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI)

Seine sowohl auf Kurdisch als auch auf Türkisch verfasste Rede wurde von einer Delegation der prokurdischen Dem-Partei, die früher als Demokratische Volkspartei (HDP) bekannt war, verlesen. In Van und Diyarbakir wurden riesige Bildschirme aufgestellt, um die historische Botschaft zu übertragen.

Nach Jahrzehnten des Krieges, der Unterdrückung und des Terrors hat Öcalans Aufruf den Kurd*innen einen Hoffnungsschimmer gebracht, dass das Blutvergießen, das über 40.000 Menschenleben gefordert hat, nun endlich ein Ende haben könnte.

Für viele Kurd*innen könnte dieser Aufruf jedoch auch als ideologische Kapitulation und Verrat an der kurdischen Sache angesehen werden, insbesondere wenn er keine bedeutenden Zugeständnisse für demokratische Rechte bringt.

Die Erklärung folgt auf eine Reihe bedeutender Entwicklungen in der Türkei, beginnend mit Äußerungen von Devlet Bahçeli, dem Vorsitzenden der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die seine Anhänger*innen schockierten.

In einer im Fernsehen übertragenen Rede vor seiner Parlamentsfraktion im vergangenen Oktober sagte er, dass Öcalan freigelassen werden und im Parlament vor der Fraktion der Demokratischen Partei sprechen dürfe, wenn er die Auflösung der PKK ankündigte.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan stellte sich schnell hinter seinen Verbündeten Bahçeli und sagte, er hoffe, dass diese Gelegenheit nicht verpasst werde, was den Beginn eines neuen „Friedensprozesses“ ankündigte.

Sowohl der türkische Staat als auch die Führung der kurdischen Bewegung versuchen, sich in einer zunehmend instabilen Region so zu positionieren, dass sie ihre Interessen bestmöglich verteidigen können.

Bisher wurden diese Gespräche zwischen der türkischen Regierung und Öcalan unter absoluter Geheimhaltung geführt. Aber wie auch immer das Ergebnis aussehen wird, es ist sicher, dass Erdoğans zunehmend autoritäres Regime den unterdrückten Kurd*innen keine weitreichenden demokratischen Rechte garantieren wird und die Türkei ihr Ziel, die kurdische Autonomie in Syrien zu beenden, weiterverfolgen wird, da diese als Bedrohung für die Interessen der Türkei angesehen wird.

Erdoğans Kalkül

Da Erdoğan der Arbeiter*innenklasse in der Türkei nichts zu bieten hat, schwindet seine Popularität aufgrund zunehmender Unterdrückung und Armut.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass 55 Prozent der türkischen Bevölkerung eine negative Meinung von Erdoğan haben.

Da er Schwierigkeiten hat, seine soziale Basis inmitten der Wirtschaftskrise aufrechtzuerhalten, hat Erdoğan zu noch autoritäreren Maßnahmen gegriffen und sein hartes Vorgehen gegen jegliche Opposition verstärkt.

Dies richtet sich nicht nur gegen die Kurd*innen, obwohl die Kurd*innen sicherlich an vorderster Front stehen. Allen Oppositionspolitiker*innen droht die Verhaftung, darunter auch den Bürgermeistern der zweitgrößten politischen Partei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), und sogar dem Vorsitzenden einer rechtsextremen Partei, die sich den Gesprächen mit Öcalan widersetzt.

Wie andere Staats- und Regierungschefs im Nahen Osten fürchtet Erdoğan Massenunruhen, die seine Herrschaft infrage stellen könnten. Angesichts der zunehmend chaotischen und instabilen Weltordnung – insbesondere mit Trump als US-Präsident und verschärften geopolitischen Spannungen – versucht Erdoğans Regierung, die von der kurdischen Bewegung ausgehende Bedrohung zu verringern und mögliche Massenbewegungen abzuwehren.

Er überlegt auch, wie er seine Amtszeit um eine weitere Legislatur verlängern könnte. Nach der aktuellen Verfassung, die ursprünglich von seiner Regierung verfasst wurde, kann Erdoğan bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht kandidieren, es sei denn, es kommt zu einer vorgezogenen Wahl oder einer neuen Verfassung. Derzeit haben Erdoğan und seine Verbündeten nicht genügend Sitze im Parlament, um diese Änderungen vorzunehmen.

Dies hat einige zu der Bemerkung veranlasst, dass Erdoğan versucht, Unterstützung von der prokurdischen Demokratischen Partei zu gewinnen. Aber um sich die Unterstützung der Demokratischen Partei zu sichern, müsste er etwas Konkreteres anbieten.

Ohne den Kurd*innen substanzielle demokratische und nationale Rechte zu gewähren, werden diese sogenannten Friedensgespräche zerbrechlich sein und keine der Probleme, mit denen die Kurd*innen konfrontiert sind, grundlegend lösen.

Die Unterstützung der Führung der kurdischen Bewegung zu gewinnen bedeutet nicht, dass kurdische Arbeiter*innen und die Armen Erdoğan unterstützen werden. Große Teile der kurdischen Arbeiter*innen leiden unter Rassismus und Diskriminierung. Aber wie ihre türkischen Brüder und Schwestern arbeiten auch sie unter schrecklichen Bedingungen für einen Hungerlohn, leben in heruntergekommenen, überfüllten Häusern und sehen keine Zukunft für sich.

Trotz Erdoğans Absicht, Massenbewegungen abzuwehren, hat seine Regierung keine Lösung für die Probleme der Arbeiter*innenklasse und er wird sich früher oder später einer Massenopposition türkischer und kurdischer Arbeiterinnen gegenübersehen, die gemeinsam kämpfen.

Öcalans Erklärung

Öcalans Erklärung sagt, dass die Verweigerung der demokratischen und nationalen Rechte der Kurd*innen zur Gründung und Entwicklung der PKK in den späten 1970er und den 1980er Jahren führte.

Anfangs basierte die Organisation von Öcalan auf dem Modell des Stalinismus-Maoismus – eine Verzerrung echter sozialistischer Ideen. Sie distanzierte sich in den 1990er Jahren dann vom Stalinismus.

Doch trotz des ideologischen Wandels in dieser Zeit setzte die PKK ihren bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat fort. Dazu gehörten einzelne Bombenanschläge, Schießereien und Entführungen, die auch Zivilist*innen betrafen. In Wirklichkeit haben die falschen Methoden des „individuellen Terrorismus“ (ein Begriff, der von Marxist*innen verwendet wird) dem türkischen Staat jedoch nur den Vorwand geliefert, die Unterdrückung des kurdischen Volkes zu verstärken, und die türkischen Arbeiter*innen in die Hände des Staates getrieben, was zu Spaltungen in der Arbeiter*innenklasse führte und die Fähigkeit der Arbeiter*innenklasse, sich zu wehren, schwächte.

Öcalan erkennt an, dass die Methoden des individuellen Terrorismus keine Lösung für die Kurd*innenfrage bringen werden. Aber nicht, weil er jetzt glaubt, dass es eine dringende Notwendigkeit für massenhafte demokratische Aktionen der kurdischen Arbeiter*innen und Armen gegen staatliche Repression und für demokratische Rechte gibt.

Vielmehr erkennt er an, dass sich die kurdische Bewegung aufgrund globaler und regionaler Entwicklungen in einer geschwächten Position befindet und dass ein bewaffneter Kampf gegen den türkischen Staat dem kurdischen Kampf keine Vorteile bringen wird.

In seiner jüngsten Erklärung gibt Öcalan auch die historischen Ziele der PKK auf, indem er nicht nur Nationalstaaten, sondern auch Föderalismus, Autonomie und sogar kulturelle Rechte ablehnt. Er kommt zu dem Schluss, dass es “bei der Verfolgung und Verwirklichung eines politischen Systems keine Alternative zur Demokratie gibt”.

Er argumentiert, dass die angeblichen demokratischen Schritte der Regierung Erdoğan in Bezug auf die Kurd*innenfrage und die regionalen Entwicklungen bedeuten, dass es keinen Grund gibt, den bewaffneten Kampf fortzusetzen.

Doch weit davon entfernt, positive Schritte in der Kurd*innenfrage zu unternehmen, hat Erdoğans Regierung ihre Angriffe auf demokratische Rechte verstärkt und dem kurdischen Volk faktisch das Recht verweigert, zu wählen und gewählt zu werden.

Jede Hoffnung, dass die Kurd*innenfrage innerhalb des „demokratischen Rahmens“ oder innerhalb des Rahmens des Kapitalismus gelöst werden kann, wird schnell zunichtegemacht werden.

Das bedeutet jedoch nicht, dass Erdoğan nicht gezwungen sein wird, unter dem Druck des demokratischen Massenkampfes der kurdischen Arbeiter*innen und der Armen Zugeständnisse zu machen.

US-Imperialismus

Der Kapitalismus wird immer instabiler und konfliktreicher. Während die Führung der kurdischen Bewegung in der Vergangenheit auf den US-Imperialismus blickte, um ihre Ziele zu verfolgen, scheint es, als würde Öcalan erkennen, dass sie sich in dieser Zeit nicht mehr auf den US-Imperialismus verlassen können, insbesondere da Trump wieder im Weißen Haus sitzt.

Aber wie Marxisten schon früher gewarnt haben, war der US-Imperialismus nie daran interessiert, den Kurd*innen demokratische oder nationale Rechte zu sichern. Der US-Imperialismus hat das kurdische Volk viele Male verraten, unter anderem 2019, als Trump der türkischen Armee grünes Licht für die Invasion kurdisch kontrollierter Gebiete in Syrien gab.

Kurdische Bewegung

Es ist unklar, wann und ob sich die PKK selbst auflösen wird. Wenige Tage nach Öcalans Aufruf erklärte die PKK in der Türkei einen Waffenstillstand. Aber die Niederlegung der Waffen und die Auflösung werden kein einfacher Prozess sein. Die PKK-Führung würde Garantien für sich selbst und ihre Kämpfer*innen erwarten. Sie würde wahrscheinlich auch konkretere Zugeständnisse erwarten, bevor sie mit der Auflösung beginnt.

Auch wenn die PKK militärisch stark geschwächt ist, verfügt sie immer noch über Kampfkraft, und es wird Teile geben, die weiterkämpfen wollen.

Nach Bahçelis Äußerungen im Parlament kam es zu einem Terroranschlag auf den Hauptsitz der türkischen Luft- und Raumfahrtindustrie in Ankara, bei dem Mitarbeiter*innen getötet und verletzt wurden und ein Taxifahrer ums Leben kam. Die PKK bekannte sich zu dem Anschlag. Nichts hindert PKK-nahe Gruppen oder Ableger daran, diese Angriffe fortzusetzen, auch mit der Absicht, die Gespräche zu stören.

Anstelle von Gesprächen hinter verschlossenen Türen wären demokratische Massenversammlungen des kurdischen Volkes, auf denen die nächsten Schritte diskutiert und debattiert werden, ein bedeutender Schritt nach vorn.

Es kann kein Vertrauen in Erdoğans Regierung oder in prokapitalistische Kräfte geben. Der Aufbau gemeinsamer Massenaktionen der Arbeiter*innen gegen Krieg, Unterdrückung und Sparmaßnahmen könnte möglicherweise eine mächtige Kraft schaffen, die Erdoğans Regime herausfordert und Zugeständnisse für demokratische Rechte und mehr erwirkt.

Dies gilt auch für Syrien.

Die Kurd*innen waren froh, Assad los zu sein. Dennoch gibt es Bedenken, was das neue Regime in Damaskus, das ein freundschaftliches Verhältnis zur türkischen Regierung unterhält, für die de facto autonome Region bedeuten würde.

Mazlum Abdî, Oberbefehlshaber der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) – einer Koalition, die von bewaffneten kurdischen Gruppen mit Verbindungen zur PKK dominiert wird – sagte, dass er Öcalans Aufruf zwar begrüße, die Entscheidung, die Waffen niederzulegen, jedoch nur für die PKK und nicht für die Kurd*innen in Rojava relevant sei.

Das von der HTS geführte Regime in Damaskus versucht, die kurdischen Streitkräfte in die syrische Armee zu integrieren, und gerät dabei unter Druck von der türkischen Regierung.

Bis vor Kurzem zögerten die kurdischen Streitkräfte, dies zu tun, da sie das HTS-Regime als Bedrohung ihrer Herrschaft betrachten und sich Sorgen über die möglichen Folgen machen, darunter Angriffe auf Kurd*innen und die Wiederbelebung des Islamischen Staates.

Am 11. März unterzeichneten die SDF und der syrische Interimspräsident Ahmed al-Sharaa jedoch ein Abkommen, das die SDF unter die Kontrolle des syrischen Staates stellt. Im Gegenzug wurden den Kurd*innen Staatsbürgerrechte versprochen.

Auf jeden Fall sind weder das HTS-Regime noch der US-Imperialismus, die Türkei oder irgendeine andere Macht in der Lage, die ungelösten Fragen in Syrien und im Nahen Osten zu lösen.

Der Aufbau von Massenaktionen und Massenparteien der Arbeiter*innen in der gesamten Region, die auf einem kämpferischen sozialistischen Programm zur Verteidigung demokratischer Rechte und Lebensstandards basieren, würde diese Mächte herausfordern und einen Ausweg bieten.

Dies würde auch die Führung der kurdischen Bewegung herausfordern und dazu führen, dass das von der Führung angebotene Programm und die Strategie infrage gestellt werden. Es würde die Frage aufwerfen, ob es für die kurdischen Arbeiter*innen demokratischer Massenorganisationen bedarf, um demokratische Rechte und nationale Bestrebungen zu verteidigen und für angemessene Lebensstandards zu kämpfen.

Arbeiter*inneneinheit erforderlich

Öcalans Aufruf an die PKK, die Waffen niederzulegen, ist eine wirklich bedeutende Entwicklung. Doch auch wenn dies den Krieg zwischen der türkischen Regierung und der PKK formal beenden könnte, werden die nationalen Bestrebungen des kurdischen Volkes dadurch nicht erfüllt. Die Unterdrückung der Kurd*innen in der Türkei wird dadurch nicht beendet.

Öcalans Erklärung gibt sicherlich jedes Ziel einer Autonomie für Kurd*innen in der Türkei auf, ganz zu schweigen von einem separaten kurdischen Staat. Wie einflussreich Öcalan auch immer unter den Kurd*innen sein mag, die Tatsache, dass er keine Lösungen für die Bestrebungen des kurdischen Volkes hat, könnte sein Ansehen unter den Kurd*innen schwächen.

Sozialist*innen treten für die uneingeschränkte Anerkennung der kulturellen, demokratischen und nationalen Rechte aller Kurd*innen ein, einschließlich des Rechts auf einen eigenen Staat, wenn sie dies wünschen. Die einzige realistische Strategie, um dies zu erreichen, ist der demokratische Massenkampf der Kurd*innen als Teil eines gemeinsamen Kampfes für den Sozialismus in Kurdistan, der Türkei und der gesamten Region.

Solange die Führung der kurdischen Bewegung sich auf die Grenzen des Kapitalismus beschränkt und es versäumt, sich an die türkischen, arabischen und anderen Arbeiter*innen in der Region mit einem Klassenappell zu wenden, würde jeder Versuch, Autonomie oder demokratische Rechte zu erreichen, von den größeren Mächten niedergeschlagen werden.

Ein Appell von Arbeiter*innenorganisationen mit einem sozialistischen Programm zur Verteidigung nationaler und demokratischer Rechte für alle, zur demokratischen Arbeiter*innenkontrolle über den enormen Reichtum und die Ressourcen der Region, kann dazu beitragen, das Machtpotenzial der Arbeiter*innenklasse zu mobilisieren.

Die Notwendigkeit demokratischer Massenorganisationen für die Arbeiter*innenklasse, einschließlich der Bildung einer revolutionären Massenpartei, ist daher in der gesamten Region akut.

Ein freiwilliger und freier sozialistischer Staatenbund im Nahen Osten, in dem die Arbeiter*innenklasse die wirtschaftlichen Hebel selbst in die Hand nimmt, kann dem vom Kapitalismus verursachten Chaos, Krieg und Elend ein Ende setzen, den Menschen die Möglichkeit geben, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden, und eine vollständige und dauerhafte Verbesserung des Lebensstandards sicherstellen.