Comeback der Berufsverbote?

Gegen ein Revival des „Radikalenerlass“!

Lisa Poettinger wollte in Bayern Lehrerin werden, aber das Kulturministerium verweigert ihr das Referendariat. Ihr wird die Verwendung „kommunistischer Sprache“ und die Mitgliedschaft in einer potenziell verfassungsfeindlichen Organisation vorgeworfen, dem „Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen“. Der Vorwurf der kommunistischen Sprache bezieht sich dabei lediglich auf die Verwendung des Begriffs „Profitmaximierung“. Ihr Fall ist nicht der Einzige. Gibt es ein Comeback der Berufsverbote aus den 1970ern?

von Chiara Stenger, Berlin

Benjamin Ruß, einem Geowissenschaftler, der sich als Marxist versteht, ergeht es ähnlich: Er darf eine Stelle an der Technischen Universität München nicht antreten. Dies wird vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz mit “fehlender Verfassungstreue“ begründet. Ihm wird Gewaltorientierung, Ablehnung des Kapitalismus und Absichten zur Veränderung des Systems vorgeworfen. Begründet wird dies damit, dass er sich „klassischer Begriffe wie Faschismus, Rassismus, Kapitalismus, Polizeigewalt/-willkür, mittels derer auch die Gegnerschaft zur bestehenden Ordnung betont und begründet wird“ bediene.

Hintergrund ist ein Fragebogen zur Mitgliedschaft in “extremistischen Organisationen“ für die Einstellung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Bayern. Darin werden linke Gruppen wie linksjugend [‘solid], SDS, Rote Hilfe oder auch wir, die Sol, als „extremistische“ Gruppen eingestuft. Bewerbende sind verpflichtet, aktuelle und ehemalige Mitgliedschaften in diesen Organisationen anzugeben. Das erinnert an den “Radikalenerlass“ von 1972, bei dem Millionen Bewerber*innen im Öffentlichen Dienst ebenso jahrelang auf ihre Verfassungstreue geprüft wurden. Damals lag der Fokus auch auf “Linksextremismus“ Gewerkschaftsaktivist*innen, Sozialist*innen und linke Aktivist*innen waren besonders betroffen.

Palästina-Solidarität

Doch Bayern ist kein Sonderfall: Auch Luca Schäfer, aktiv in der SDAJ, darf sein Referendariat in Hessen nicht antreten. Ihm wird eine Demonstration zum Verhängnis, bei der er einem Verletzten helfen und einen brennenden Rauchtopf aus dessen Nähe entfernen wollte. Der Vorwurf: Er hätte dabei einen Polizisten getroffen. Bei den Verhandlungen ging es jedoch vor allem um seine Gesinnung und „fehlende Verfassungstreue“, mit der er kein Pädagoge sein könne, und kaum um den ursprünglichen Vorwurf.

Es gibt einige weitere solche Fälle: Der IT-Fachmann Ahmad Othman erhielt eine Kündigung, weil er sich in der Gruppe „Palästina Solidarität Duisburg“ einbrachte. Polizeibeamt*innen stürmten seine Wohnung, durchsuchten seinen Arbeitsplatz und sein Arbeitgeber warf ihm daraufhin eine „verfassungsfeindliche Gesinnung“ vor. Die Juristin und Mera25-Politikerin Melanie Schweizer wurde vom Arbeitsministerium wegen ihrer palästinasolidarischen Haltung entlassen. Auch hier sind die Begründungen und das Vorgehen des Arbeitgebers widersprüchlich und intransparent.

Abschreckung 

Diese Fälle von Berufsverboten und Entlassungen gegenüber linken Aktivist*innen haben Methode: Sie sollen Menschen verunsichern, sich politisch zu engagieren und in linken Gruppen aktiv zu sein. Im Fall von Benjamin Ruß wurde sich auf den bayrischen Verfassungsschutz und dessen Untersuchungen berufen, und das, obwohl das bayrische Verfassungsschutzgesetz vom Bundesverfassungsgericht 2022 in Teilen als verfassungswidrig eingestuft wurde. Hinzu kommt, wie das Beispiel des NSU zeigt, dass der Verfassungsschutz rechte Strukturen aktiv wie passiv stärkt, statt sie zu bekämpfen. So ist es auch kein Zufall, dass von den Berufsverboten zur Zeit des Radikalenerlasses ebenso wie heute besonders linke Aktivist*innen betroffen sind, während Rechte meist verschont bleiben.

Autoritäre Maßnahmen

Autoritäre Maßnahmen wie Berufsverbote und Repressionen gegenüber linken Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen werden in dem Maße weiter zunehmen, wie auch die kapitalistische Krise und die daraus folgende Instabilität und Klassenkämpfe zunehmen werden. Weitere Einschränkungen demokratischer Rechte, der Meinungsfreiheit oder des Streikrechts drohen.

Das Land Brandenburg hat 2022 einen “Verfassungstreuecheck“ verabschiedet und auch andere Landesregierungen planen ähnliche, an den Radikalenerlass erinnernde Maßnahmen. Schon jetzt müssen wir uns dagegen zur Wehr setzen! Es ist zentral, dass Gewerkschaften und die Linke Unterstützung für betroffene Kolleg*innen organisieren und Kampagnen gegen Berufsverbote, Verfassungstreueprüfungen und Repressionen führen, auch um die Einschüchterung von (noch un-)organisierten Kolleg*innen zu verhindern.