„Bestandswohnungen müssen erhalten bleiben“

Interview mit Linke-Stadtrat Lukas Eitel zum Bürgerentscheid in Erlangen

Was genau ist ein Bürgerentscheid?

Er ist ein Instrument der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene, analog zu Volksbegehren bzw. -entscheid auf Landesebene. Für ein Bürgerbegehren muss sich eine Initiative eine konkrete Fragestellung ausdenken und dafür dann eine gewisse Anzahl an Unterschriften sammeln. In einer kleinen Stadt wie Erlangen sind das knapp 5000 Unterschriften. Wenn diese bei der Stadt eingereicht werden, muss der Stadtrat entscheiden, ob er diesem Begehren stattgibt. Wenn er dies nicht tut, kommt es zum Bürgerentscheid, also zur Abstimmung, bei der alle Wahlberechtigten in Erlangen über die Fragestellung entscheiden können. Man braucht dann natürlich eine gewisse Anzahl an Stimmen (mit mehr Ja als Nein), dann ist die Sache unmittelbar entschieden und hat die Wertigkeit eines Stadtratsbeschlusses.

Worum geht es bei dem Bürgerentscheid, der bald in Erlangen abgestimmt wird?

Die Universitätsklinik (die in der Hand des Freistaates ist) betreibt mehrere Wohnheime für Auszubildende und Beschäftigte, direkt neben der Klinik. Die Uniklinik möchte diese Wohnheime auflösen und stattdessen dort Büros und Labore ansiedeln. Man möchte die Uni, welche mitten in der Stadt liegt, in einen Campus verwandeln und somit alle anderen Nutzungen verdrängen. Etwa 150 Wohnungen wurden bereits vernichtet, die anderen 150 Wohnheimplätze möchten wir mit dem Entscheid erhalten.

Warum erachtet ihr als Linke dieses Thema für wichtig?

150 Wohnungen werden die Wohnungskrise in Erlangen nicht lösen, aber es ist auch nicht zu vernachlässigen. Auf dem Wohnungsmarkt ist ja das Problem, dass neu geschaffene Wohnungen überwiegend nicht helfen, Wohnen bezahlbar zu machen. Neubauwohnungen sind fast nie bezahlbar, außer sie sind sehr stark öffentlich gefördert. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Bestandswohnungen erhalten bleiben.

Wie sieht das weitergehende Programm der Linken zum Thema Wohnen aus?

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Wir haben eine Palette an Instrumenten, die darauf abzielen, Wohnraum zur Verfügung zu stellen und ihn vor allem bezahlbar zu halten. Natürlich öffentliche Förderungen und zahlreiche regulatorische Vorschläge für den Wohnungsmarkt. Doch der Kern unseres Programms ist, dass wir nicht der Meinung sind, dass profitorientierte Wohnungskonzerne einen Beitrag leisten können. Das Problem auf dem Wohnungsmarkt ist, dass mit Wohnen Geld verdient wird. Deshalb muss die Wohnraumversorgung vom Markt genommen werden. Daraus folgt die Enteignung der Immobilienkonzerne, aber auch, dass wir öffentliche Böden nicht privatisieren wollen und dass die öffentliche Hand selbst bauen soll.

Wie effektiv ordnest du einen Bürgerentscheid ein? Welche Möglichkeiten eröffnet er und wo stößt er an Grenzen in der bürgerlichen Demokratie?

Ein Stadtrat in Bayern darf sehr wenig, vor allem wegen der Landes- und Bundesgesetzgebung. Ein Bürgerentscheid darf noch mal weniger, ihm sind enge Grenzen gesetzt, denn er darf zum Beispiel nicht mal über den Haushalt entscheiden. Das ist auch meine größte Kritik: Der enge Rahmen davon, was man überhaupt abstimmen lassen kann. Aber wenn man eine zulässige Fragestellung findet, dann ist ein Bürgerentscheid ein gutes Mittel, um bei Kampagnen eine Perspektive der Durchsetzungsfähigkeit aufzuzeigen. Man kann Erfolge erzielen. Deshalb ist es ein ambivalentes Instrument. Die zulässigen Themen sind begrenzt, aber es ist eine Möglichkeit, um eine Oben/Unten-Spaltung aufzuzeigen im Sinne von „Masse gegen die politische Elite“. Man agiert ja immer gegen die Mehrheit des Stadtrats. Die Bevölkerung stimmt also immer gegen die politische Elite im Stadtrat ab. Zudem ist es eine tolle Möglichkeit, um Präsenz in der Stadt zu zeigen.

Kann man einen Bürgerentscheid nutzen, um Menschen in politische Aktivität zu bringen?

Ich denke ja. Das aktuell ist unsere erste Kampagne hier zu einem Bürgerentscheid. Wir merken: Da ist noch Luft nach oben. Die Frage des Quorums ist entscheidend, also beteiligen sich die Leute, sind sie informiert über den Entscheid. Vor allem, weil man ja in Opposition zu den anderen Parteien und auch oft den Medien steht. Man braucht also viele Leute, die sich beteiligen und mobilisieren. Wir sehen: Viele Leute sind auch bereit aktiv zu werden, weil sie das Gefühl haben, hier können wir gewinnen. Man muss keinen jahrelangen Plan vorlegen und zig Auseinandersetzungen führen, sondern es gibt ein Abstimmungsdatum und dort brauchen wir mehr Ja- als Nein-Stimmen. Deshalb ist es eine zugespitzte Kampagne, bei der man viele Leute reinholen kann, die mitmachen.

Welche Rolle kann ein Bürgerentscheid spielen in einem weitergehenden Programm als Interessenvertretung der Arbeiter*innenklasse?

Zum einen ist der Gegensatz, den man aufmacht, interessant. Also zwischen herrschender Politik und Masse der Bevölkerung. Diesen Gegensatz gibt es natürlich bei ganz vielen Fragen und in diese Denkweise müssen die Leute reinkommen. Damit nicht andere schädliche Spaltungslinien vertreten werden, wie zum Beispiel “die bösen Ausländer”. Mein Eindruck ist außerdem: Sehr viele Menschen teilen zumindest im Groben unsere Kritik an der Gesellschaft, haben aber jede Hoffnung auf Veränderung aufgegeben. Da ist eine Kampagne, die zumindest im Kleinen erfolgreich sein kann, ein wichtiges Mittel. Bestenfalls denken die Leute dann weitergehend über Die Linke nach: “Vielleicht könnte ich denen ja mal zuhören, ob die nicht auch bei größeren Fragen ein erfolgversprechendes Programm haben.” Wir können Leute erreichen, die sich nicht klassischerweise im Umfeld der Linken befinden.

Vielen Dank!

Das Gespräch führte Catharina Schumann.