DIE LINKE vor dem Ende?

Herausforderungen für die Parteilinke annehmen

Der Parteivorstand der LINKEN hat heute einen Beschluss gefällt, in dem er feststellt, dass “die Zukunft der LINKEN eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht” ist und alle Abgeordneten, die an der Bildung einer neuen Partei arbeiten, aufgefordert werden, ihre Mandate abzugeben. Wir veröffentlichen hier einen Artikel, der in gekürzter Fassung in der aktuellen Ausgabe der Solidarität erschienen ist, der sich mit der Situation der Linkspartei und den Aufgaben der Parteilinken auseinandersetzt. Dieser Artikel wurde am 12.6. um einen Absatz zum Beschluss des Parteivorstands ergänzt.

Die Partei DIE LINKE war von ihrer Gründung an ein Zusammenschluss von politischen Strömungen, die teilweise sich widersprechende Vorstellungen von linker Politik hatten. Grob konnte man lange von einem linken Lager sprechen, das den Fokus auf Klassenkämpfe und soziale Bewegungen legen wollte, Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien ablehnend oder zumindest kritisch gegenüberstand und in der einen oder anderen Art eine sozialistische Systemveränderung anstrebte, und von einem rechten Lager, das den Fokus auf Tätigkeit in den Institutionen des kapitalistischen Staates, also Parlamenten und Regierungen, legte und seinen Frieden mit der kapitalistischen Marktwirtschaft gemacht hatte. 

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher und AKL-Mitglied

Wir haben diese Situation in der Vergangenheit als „zwei Parteien in einer“ bezeichnet und darauf hingewiesen, dass die Parteilinke sich um ein konsequent sozialistisches Programm herum organisieren und um Mehrheiten kämpfen sollte. Um dazu einen Beitrag zu leisten, haben wir uns in der Antikapitalistischen Linken (AKL) engagiert, weil diese insbesondere in der Frage der Regierungsbeteiligungen mit prokapitalistischen Parteien eine prinzipielle Ablehnung formulierte, einen Fokus auf soziale Bewegungen und Klassenkämpfe legte und sich für eine Demokratisierung der Partei einsetzte.

Andere – wie die Sozialistische Linke, Marx21 und später die Bewegungslinke – versuchten die unterschiedlichen Kräfte zu versöhnen oder durch einen Fokus auf praktische Aufbauarbeit und „Best Practice“ die Kräfteverhältnisse zu verändern. Dabei erkannten sie nicht, dass die Kräfteverhältnisse durch eine Klärung dieser politischen Fragen verändert werden müssen.

Schleichende Rechtsverschiebung

Das Ergebnis war, dass sich in den letzten Jahren die innerparteilichen Kräfteverhältnisse mal in die eine oder andere Richtung verschoben, wenn man dies an Parteitagsbeschlüssen und der Zusammensetzung des Parteivorstands bemisst. Die reale Politik der Partei wurde aber immer mehr durch die Parlamentsfraktionen und Minister*innen in den Landesregierungen bestimmt und dementsprechend nach rechts verschoben. Das verstärkte die Wahrnehmung der LINKEN in der Bevölkerung als Teil des politischen Establishments, vor allem in Ostdeutschland. Daran hat auch nichts geändert, dass die Strömung Bewegungslinke im Parteivorstand mittlerweile eine starke, wenn nicht sogar mehrheitliche, Position hat. Im Gegenteil hat sie ihren Beitrag dazu geleistet, indem ihre Protagonist*innen in Bremen die erste Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen in einem westdeutschen Bundesland unterstützten und indem sie einen prinzipienlosen Block mit Teilen der Parteirechten gegen Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer*innen gebildet haben.

Wagenknecht

Sahra Wagenknechts Wendung zum „Linkskonservatismus“, wie sie es selbst nennt, ab 2015 hat die Verhältnisse in der Partei dann mehr und mehr durcheinander gewirbelt. Aus „zwei Parteien in einer“ wurden verschiedene prinzipienlose Machtblöcke. Die Partei wirkte nach außen immer zerstrittener und zeigte sich unfähig, auf die großen politischen Wendungen – Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation – klare, sozialistische Antworten zu geben oder sich in den großen Warnstreiks in diesem Jahr als Partei zu profilieren, die an der Seite der Streikenden effektive Solidaritätskampagnen organisiert. 

Eine Abspaltung der Wagenknecht-Unterstützer*innen liegt in der Luft, viele Mitglieder sind in den letzten ein, zwei Jahren schon ausgetreten oder haben sich aus der Aktivität verabschiedet. Eine solche Partei, die pro-marktwirtschaftliche und migrationsfeindliche Positionen mit sozialem Populismus verbinden würde, wäre kein Schritt in Richtung einer sozialistischen Arbeiter*innenpartei, wie sie nötig ist.

Bei den Bundestagswahlen hat DIE LINKE die Fünf-Prozent-Hürde schon nicht mehr geschafft. Nach den undemokratischen Änderungen am Wahlgesetz, würden ihr die drei Direktmandate auch nicht mehr helfen. Kommt es zu einer Wagenknecht-Partei, spricht alles dafür, dass diese ein größeres Wähler*innenpotenzial als DIE LINKE haben wird und die Partei parlamentarisch zerstört.

Nun hat der LINKE Parteivorstand am 10. Juni einen einstimmigen Beschluss gefällt, in dem es heißt, dass „die Zukunft der LINKEN eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht“ ist und diejenigen Abgeordneten, die an der Gründung einer Konkurrenzpartei arbeiten, aufgefordert, ihre Mandate zurückzugeben.

Damit hat der prinzipienlose Block aus Bewegungslinke und Teilen der Parteirechten die Flucht nach vorne angetreten und versucht, das Heft des Handelns in die eigenen Händen zurück zu bekommen, nachdem man sich von Sahra Wagenknecht und ihren Unterstützer*innen am Nasenring durch die Manege hat führen lassen. Dieser Schritt ist menschlich verständlich und das Geschrei der Wagenknecht-Unterstützer*innen, dies markiere nun die Spaltung der Partei ist heuchlerisch angesichts der Tatsache, dass sie offen an einer Spaltung arbeiten und Sahra Wagenknecht ihr Desinteresse an den (mehr oder weniger) demokratischen Strukturen der Partei zu Genüge dokumentiert hat. Organisatorische Maßnahmen können aber politische Probleme nicht lösen. Der Niedergang der LINKEN hat seine Ursache nicht in erster Linie in Sahra Wagenknechts Verhalten, sondern in der politischen Ausrichtung der Partei, in Anpassung an SPD und Grüne, Regierungsbeteiligungen mit diesen, dem Versinken im parlamentarischen Klein-Klein auf allen Ebenen statt einem klaren Fokus auf Unterstützung von Streiks und Bewegungen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sahra Wagenknecht in diesen Fragen keinen grundlegend anderen Kurs vertritt. Statt für einen eigenen klaren antikapitalistischen und klassenkämpferischen Kurs zu werben und eine inhaltliche Alternative sowohl zu Wagenknechts Positionen als auch zu den Ramelows, Lederers und Voigts zu formulieren, haben sich die Vertreter*innen des linken Parteiflügels einschließlich der Co-Vorsitzenden Janine Wissler in ein Bündnis mit diesen Kräften begeben, das dazu führt, dass das Bild der Partei weiterhin vor allem von diesen geprägt werden kann. Diese Kurs der Parteiführung und vor allem der Fraktionen in den Bundes- und Landtagen führt weiter dazu, dass der Gebrauchswert der LINKEN für die Arbeiter*innenklasse und soziale Bewegungen immer mehr abnimmt. Wagenknecht und ihre Unterstützer*innen werden insgeheim frohlocken, da sie sich nun einmal mehr als Opfer inszenieren können und nun eine, ohnehin geplante, Parteigründung als Reaktion auf den Vorstandsbeschluss werden darstellen können.

Was tun?

Das hat für die linken Teile der Partei zu einer schwierigen Situation geführt. Eine starke, sozialistische Arbeiter*innenpartei ist dringend nötig, aber die DIE LINKE wird weder zu einer solchen Partei werden, noch ist sie weiterhin als der zentrale Ausgangspunkt dafür anzusehen. Gleichzeitig ist sie die einzige Partei mit einem kapitalismuskritischen Anspruch, die zumindest begrenzt die Interessen von Lohnabhängigen zum Ausdruck bringt und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse weiter zugunsten der Arbeiter*innenklasse beeinflusst. Solange das so ist und keine neue Kraft entstanden ist, sollte man DIE LINKE unterstützen und in ihren Strukturen für sozialistische Politik kämpfen, ohne sich dabei in fruchtlosen innerparteilichen Kämpfen zu verausgaben. Gleichzeitig gilt es Klassenkämpfe voranzutreiben, innerhalb der Gewerkschaften für kämpferische und antikapitalistische Positionen einzutreten und die Debatte um eine starke politische Interessenvertretung der Arbeiter*innenklasse voranzutreiben.

Nötig ist vor allem ein politischer Klärungsprozess in der Parteilinken, um so die Grundlagen für einen erfolgreichen neuen Anlauf für eine Arbeiter*innenpartei in der Zukunft zu schaffen. Die Konferenzen der Sozialistischen Linken (die schon stattgefunden hat) und von AKL und Bewegungslinke könnten dazu einen Beitrag leisten. Es ist aber zu befürchten, dass aus dem Niedergang der Partei keine nötigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Auch die AKL sollte eine selbstkritische Bilanz ziehen, haben wesentliche Teile von ihr doch viel zu sehr darauf gesetzt, dass die Bewegungslinke die Partei insgesamt nach links verschiebt, anstatt die eigene Stärkung in den Mittelpunkt zu rücken. Ergebnis ist, dass die Strukturen der AKL enorm geschwächt sind und kaum politische Handlungsfähigkeit besteht.

Vorbereiten

Wahrscheinlich wird es größerer Bewegungen und Klassenkämpfe bedürfen, um die Grundlagen für einen neuen Anlauf zu einer sozialistischen Massenpartei von Arbeiter*innen und Jugendlichen zu legen. Bis dahin gilt es für Linke und Sozialist*innen, an unterschiedlichsten Stellen an der Entwicklung dieser Kämpfe zu wirken; in den Gewerkschaften am Aufbau einer klassenkämpferischen Vernetzung zu wirken; sozialistische Propaganda und Bildungsarbeit zu leisten, um sozialistisches Bewusstsein unter Aktivist*innen und in Teilen der Arbeiter*innenklasse wieder zu stärken; da, wo es erfolgversprechend ist, innerhalb der LINKEN um sozialistische Positionen ringen und exemplarische Arbeit leisten und in Diskussion bleiben, um Lehren aus der Entwicklung der Linkspartei zu ziehen und es beim nächsten Anlauf besser zu machen. Es sollte dabei auch diskutiert werden, ob ein Rahmen für solche Diskussionen – und möglicherweise auch gemeinsame Kampagnen- geschaffen werden kann, in dem Kräfte der Parteilinken, aber auch von Linken außerhalb der Partei zusammen kommen könnten.

Gleichzeitig werden wir in der absehbaren Zeit unsere praktische Schwerpunktsetzung einerseits weiter auf Gewerkschafts- und Jugendarbeit verschieben, weil sich hier die wichtigsten Entwicklungen und besten Möglichkeiten für klassenkämpferische und sozialistische Politik entwickeln und andererseits alles daran setzen, unsere marxistische Organisation aufzubauen. Denn wir sind davon überzeugt, dass Erfolg und Misserfolg zukünftiger breiter linker Parteiprojekte und Anläufe für eine Arbeiter*innenpartei nicht zuletzt davon abhängen werden, wie stark marxistische Kräfte diese beeinflussen können. 

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