Nationalgarde in L.A. – Zerreißprobe in den USA

By Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America (Donald Trump) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Trumps Eskalation in Los Angeles muss Widerstand entgegengesetzt werden

Trumps USA sind ein Alptraum für Migrant*innen. Der Widerstand gegen die steigende Zahl an Abschiebungen wächst und mit ihm das repressive, undemokratische und willkürliche Vorgehen der Trump-Administration.

Von Steve Hollasky, Dresden

Sie kommen tags und nachts in anonymen Fahrzeugen; weisen sich nicht aus, dringen in Wohnungen und Betriebe ein, reißen Familien und Belegschaften auseinander, brechen brutal jeden Widerstand. Sie verschleppen Menschen in Lager und werfen sie aus dem Land.

Es scheint, als gäbe es keine Grenze mehr für die Beamt*innen der dem Ministerium für innere Sicherheit unterstellten ICE, der United States Immigration and Customs Enforcement. Seit Monaten durchkämmen sie die US-Städte. Erbarmen wird nicht gewährt. Die Zielmarke von 3000 Deportationen pro Tag soll erreicht werden. In den Abschiebelagern soll es nach US-Medienberichten inzwischen sieben Tote geben. Selbst US-Staatsbürger*innen geraten ins Visier.

Menschen werden unter Druck gesetzt ihre Nachbar*innen zu verraten. Selten steht den Opfern der Rechtsweg offen. Für Migrant*innen muss das Vorgehen der ICE einer Heimsuchung gleichen.

Laborversuch Los Angeles

Aufnahmen von einem Mann, der die Entführung seiner Familie in einem Fahrzeug der ICE verhindern will, gehen um die Welt. Hundert Meter stemmt er sich gegen den Transporter, wird vor ihm hergeschoben, kommt zu Fall.

Dieser Vorfall ist nur ein Beispiel für das, was in Los Angeles in den letzten Tagen geschah: Verzweifelter Widerstand gegen einen Apparat, dem es weder an Macht, noch an Mitteln und auch nicht an Motivation fehlt.

Tech-Millionär Elon Musk, der erst kürzlich seinen Zwist mit dem US-Präsidenten öffentlich machte, hat ICE mit Informationen ausgestattet. Die von ihm geleitete Behörde DOGE recherchierte Adressen, Arbeitsplätze, Schulen und Unis. Orte, an denen sich Migrant*innen aufhalten. Und die Beamt*innen der ICE verhafteten sie dort.

Doch Unterdrückung führt früher oder später zu Widerstand. Diese Gesetzmäßigkeit konnten weder Doge noch ICE und auch nicht Musk oder Trump brechen.

Der Protest der Menschen in L.A. wurde hörbar. Auf Demonstrationen verlangten Redner*innen ein Ende der Massenabschiebungen. Straßen wurden zeitweise besetzt und Angriffe der ICE-Beamt*innen versuchte man zu verhindern. Die reagierten mit Gewalt, ebenso die Polizei.

Einer australischen Journalistin feuerten Ordnungshüter*innen ein Gummigeschoss gegen die Beine. Ihre Schmerzensrufe gehörten zu den wenigen ihrer Art, die es in die Massenmedien schafften.

Als Martin Luther King auf der letzten Pressekonferenz vor seiner Ermordung 1968 in Memphis von Journalist*innen hämisch gefragt wurde, ob er die Verantwortung für die Gewalt auf einer von ihm geleiteten Demonstration streikender Stadtreinigungsarbeiter übernähme, antwortete der Menschenrechtsaktivist, diese Vorfälle seien das Ergebnis von Rassismus und Unterdrückung. Nicht er und nicht die Demonstration seien verantwortlich, sondern das, was in der US-Gesellschaft vor sich gehe. In L.A. brannten in den letzten Tagen Autos der Polizei und der Beamt*innen der ICE.

Dann der Paukenschlag: Trump entsendet die Nationalgarde.

Was will Trump?

Trump hat keine Skrupel beim Einsatz der bewaffneten Macht. Schon 2020, während seiner ersten Amtszeit, forderte er den Einsatz der Nationalgarde gegen die Black Lives Matter-Bewegung. Trump I ist nicht gleich Trump II. Damals widersprachen die meisten Gouverneur*innen und Trump I ließ es dabei bewenden. Nicht so Trump II: Der Befehl, 2000 Nationalgardist*innen und 700

Marineinfanterist*innen nach L.A. zu schicken, erfolgte gegen den Protest des demokratischen Gouverneurs Newsom.

Trump II tat, was auch Trump I getan hätte. Er verunglimpfte den Namen des Gegners. Aus Newsom wurde auf „Truth social“ Newscum – „scum“, das Wort für Abschaum.

Doch das lenkt nur vom Wesentlichen ab: Der Gouverneur, nicht der Präsident hat das Recht den Einsatz der Nationalgarde zu befehlen. Außer, der Präsident sieht den Fall des nationalen Notstands eingetreten.

Project 2025

Das unter Federführung der Heritage Foundation entstandene Programm eines autokratischen Staatsumbaus will eine wesentliche Stärkung der Machtfülle des Präsidenten. Der Einsatz des Militärs im Inneren ist als Ziel und Mittel zugleich Bestandteil des Programms.

Mantraartig malt man das Bild der bevorstehenden Machtübernahme des „Neomarxismus“. Die Reaktion hat ihre Begriffe: Alles kann Neomarxismus sein, was Trump und der Heritage Foundation nicht in den Kram passt. Von einer Übernahme der Macht durch diesen nicht näher definierten Neomarxismus zu phantasieren geht an den gesellschaftlichen Realitäten in der US-Gesellschaft (noch) vorbei. Das dürfte auch den Planungsstäben hinter Trump klar sein. Ihnen geht es um die Schaffung von Feindbildern und Bedrohungsszenarien, um die eigene Agenda durchzusetzen.

Trump ist bereit den Staatsapparat zu spalten, um ihn dann in seinem Sinne umzubauen. Die Situation ist Ausdruck des mehr und mehr dysfunktionalen Charakters des politischen Systems in den USA. Die lokalen Behörden in Kalifornien und in L.A. lehnen es ab, der ICE zu helfen. Bei einer Pressekonferenz der US-Heimatschutzministerin wurde der demokratische Senator Padilla verhaftet. Einzelne Polizist*innen solidarisierten sich öffentlich mit den Protesten. Zusammenstöße zwischen Nationalgarde und lokalen Sicherheitskräften sind in dieser Situation nicht ausgeschlossen. Es ist nicht übertrieben, wenn man davon spricht, dass sich diese Lage zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen ausweiten kann.

Ist Donald Trump stark oder schwach?

Zieht Trump also unbeeindruckt seine eigene Linie durch? Setzt er Project 2025 unbeirrt um? Er selbst möchte diesen Eindruck sicherlich erwecken, wenn er sich mit MAGA-Basecap vor seinem Helikopter auf der Wiese neben dem Weißen Haus stehend die Verhaftung Gavin Newsoms wünscht.

Doch viel spricht dafür, dass Trump diese Eskalation bewusst herbei geführt hat, um vom eigenen Scheitern an vielen Fronten abzulenken und damit etwas gegen die fallenden Zustimmungsraten für seine Präsidentschaft zu tun.

Weder schaffte es Trump den Ukraine-Krieg innerhalb von 24 Stunden und auch nicht innerhalb von sechs Monaten zu beenden. Die von ihm verhängten – und dann teilweise wieder ausgesetzten Zölle – haben bisher nur die Wirkung erzielt, dass die Prognosen für das Wirtschaftswachstum in den USA abgesenkt wurden und eine Rezession im Jahresverlauf möglich ist. Als China mit Exportkontrollen über seine seltenen Erden reagierte,liefen US-Unternehmen Sturm, einige diskutierten öffentlich die Möglichkeit Produktion nach China zu verlagern. Das Leben der Arbeiter*innenklasse beginnt nicht, sich unter Trump zu verbessern. All das lässt Trumps Zustimmungswerte ins Rutschen geraten. Der Direktor von Transatlantic Networks, Andrew Denison, selbst ehemaliger Nationalgardist, erklärte im ntv-Interview das Einbrechen der Zustimmungsrate Trumps von 52 auf 42 Prozent als „historisch“. Nur – und auch darauf weist er hin – bei der Zuwanderung steht weiterhin „eine Mehrheit“ hinter Trump.Offenbar will Trump diese Frage nun in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte rücken und dadurch Boden gut machen.

Der Plan über Guantanamo verstärkt abzuschieben, die „harte Hand“ bei der Migration, der Einsatz von ICE – für diese Dinge genießt Trump zumindest aktuell noch mehrheitliche Unterstützung. Aber er provoziert auch Widerstand und verschärft die ohnehin schon enorme Polarisierung im Land. Die enorme Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund im Großraum L. A., in Kalifornien und

den gesamten USA dürften sich durch Trumps Auftreten eher herausgefordert fühlen. Solidarisierungseffekte sind zudem nicht ausgeschlossen und wie Demonstrationen in anderen Teilen des Landes beweisen, gibt es sie bereits.

Und Widerstand kommt nicht nur von der Straße. Vior Gericht hat Trump in erster Instanz verloren und in zweiter Instanz vorübergehend gewonnen, so dass die Kontrolle über die Nationalgard in Kalifornien vorerst in seiner Hand bleibt. Rethorisch musste er schon zurückrudern, da seine Aktionen gegen migratische Arbeiter*innen auch manchen Unternehmer*innen zu weit gehen. Tagesschau.de zitiert ihn: „ Unsere großartigen Landwirte und Menschen im Hotel- und Freizeitsektor haben erklärt, dass unsere sehr aggressive Einwanderungspolitik ihnen sehr gute, langjährige Arbeitskräfte wegnimmt“

Ob Trump gestärkt oder geschwächt ist und noch viel mehr, ob er stärker oder schwächer au dieser Auseinandersetzung hervorgehen wird, hat – wie so oft – etwas mit den Kräften auf der Gegenseite zu tun.

Sind die Demokraten eine Hilfe?

Auch Gavin Newsom und seine Parteifreundin Karen Bass wissen sich gekonnt in Szene zu setzen. Sie verurteilen die Abschiebungen und die Entsendung von Truppen. Doch ein genauer Blick zeigt, dass die Demokraten nicht für eine grundlegend andere Politik stehen. Aktuell werden täglich 530 Menschen durch die Maßnahmen Trumps abgeschoben, unter dem demokratischen Präsidenten Joe Biden waren es mitunter 467. Insgesamt gibt es bisher keine qualitative Steigerung der Abschiebezahlen, denn Trump ist weit davon entfernt, seine erklärten Ziel zu erreichen.

Der Polizeieinsatz in L. A. unter demokratischer Ägide gegen Demonstrant*innen ist auch nicht von Dialog und Deeskalation geprägt: Der Einsatz von Tränengas und Blendgranaten treibt jene Menschen auseinander, die gegen die Abschiebung ihrer Angehörigen und Freund*innen demonstrieren wollen. Es erfordert nicht allzu viel Geduld, die sozialen Medien nach Schilderungen von Polizeigewalt zu durchstöbern.

Die letzten Nächten hatte L. A. eine abendliche Ausgangssperre verhängt. Trotz der Welle von polizeilicher Brutalität gegen die Black Lives Matter-Proteste nach dem Mord an George Floyd 2020 hat sich auch in den demokratisch regierten Großstädten nicht viel verändert.

Noch immer finden sich Rassist*innen in den Reihen der US-Polizei; nach wie vor gibt es keine wirkliche öffentliche Kontrolle über das LAPD und alle anderen Polizeibehörden in den USA. Ebenso wenig wie über die Nationalgarde oder die Armee, die nun Trump entsendet.

Doch nicht nur das, auch in anderen Fragen sind die Demokraten keine grundlegende Alternative zu Trump, schließlich vertreten sie genauso die Interessen der US-Kapitalist*innenklasse. Sie haben nur etwas andere Vorstellungen davon, wie diese am besten zu vertreten sind. Nein, der sich um die Partei der Demokraten versammelnde Teil des Establishments ist keine Hilfe im Kampf gegen Trump.

Widerstand! Jetzt!

Ob Navidi, Newsom oder Bass – ihre Aufrufe zur Besonnenheit der Demonstrierenden erlahmen nicht. Als würde Trump das abhalten. Das Stadtoberhaupt von L.A. verkündete, man habe nichts gegen Abschiebungen, die Anzahl störe. Man wolle gegen den Einsatz der Nationalgarde klagen, so Newsom. Doch unabhängig von der kommenden Gerichtsentscheidung ist der Schaden entstanden, baut Trump seine autoritäre Herrschatsweise aus und gehen die die massenweisen Abschiebungen weiter. Im Project 2025 sind Auseinandersetzungen vor Gericht Teil der Strategie.

Was in den USA zurzeit geschieht zeigt nur, wie dünn das Häutchen zwischen der Demokratie einer handvoll Reicher und einem Autoritarismus á la Trump ist.

Die Angriffe der Administration von Donald Trump treffen Millionen Menschen, die in ihrer großen Mehrheit Teil der Arbeiter*innenklasse sind. Die Arbeiter*innen der USA halten die Lösung in ihren Händen. Trump greift ihre politischen und sozialen Rechte an. Sie müssen den Weg zum gemeinsamen Kampf finden. Gerade Gewerkschaften könnten dabei eine bedeutende Rolle spielen, weil sie Klassenkämpfe aller Arbeiter*innen gegen Aufrüstung, gegen die Streichung sozialer Rechte, gegen die sexistische und die rassistische Politik der US-Regierung organisieren könnten.

Die Festnahme des Gewerkschaftschefs David Huerta zeigt, dass die Vertretung der Arbeiter*innen bereits ins Visier der Planer*innen um Trump geraten sind.

Aktuell wären gewerkschaftliche Massenmobilsierungen gegen den sozialen Kahlschlag Trumps, gegen Abschiebungen, Polizeigewalt und den Einsatz des Militärs im Inneren nötig. Längst geht es nicht mehr allein um L. A. Der republikanische Gouverneur von Texas forderte nun den Einsatz der Nationalgarde in seinem Bundesstaat. Der Wille, Trump beizuspringen, die Abschiebungen zu sichern und die Bevölkerung an den Einsatz des Militärs im Inneren zu gewöhnen, dürften die Mischung sein, die den Antrieb des texanischen Gouverneurs bilden.

Trumps Attacke erfolgt nicht planlos. Auf die Dauer wird man sie nur abwehren und in die Offensive kommen, wenn sich die US-Arbeiter*innenklasse eine eigene, unabhängige Partei schafft, die den demokratischen und republikanischen Spielarten pro-kapitalistischer und imperialistischer Politik ein eigenes Programm zur Abkehr vom Kapitalismus entgegensetzt. Eine Partei, die Abwehrmaßnahmen gegen Übergriffe der ICE planen und Angriffen der bewaffneten Macht Widerstand entgegensetzen kann und Forderungen vertritt, wie die Auflösung von Polieisondereinhieten und die demokratische Kontrolle über die Polizei und Sicherheitsorgane durch Gremien bestehend aus Gewerkschafter*innen, Arbeiter*innen, Jugendlichen und Migrant*innen. . Die Independent Socialist Group (ISG) in den USA, die in politischer Solidarität mit dem Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) steht, fordert die Bildung einer solchen Arbeiter*innenpartei und ist aktiv dabei, diese Idee in den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu verbreiten.

Und: Ein Stückchen Wahrheit steckt in den Warnungen der Stäbe um Trump. Der größte Feind dieses Systems wären die Ideen von Karl Marx, weil sie ein Alternative zu Sozialabbau, Militäreinsatz im Inneren, Abschiebungen, Elend und Verzweiflung bedeuten.