
Frieden und Selbstbestimmung sind nur durch sozialistische Veränderung möglich – Vorschläge für die Solidaritätsbewegung
Flugblatt der Sol
Für Palästinenser*innen in Gaza und dem Westjordanland ist das Leben ein Horror ohne Ende: Über 55.000 Tote, weitgehende Zerstörung Gazas, Ausbau der Siedlungen im Westjordanland, IDF- und Siedler-Terror gegen die palästinensische Bevölkerung und nun sind die Pläne zur Vertreibung der Palästinenser*innen aus Gaza Programm der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung und des US-Präsidenten Donald Trump.
Die Lage ist so katastrophal, dass immer weniger Menschen dem Märchen der Verteidigung Israels gegen die Hamas glauben. Auch in Israel selbst gibt es Massenproteste zur Beendigung des Kriegs und zur Freilassung der Geiseln, hat eine Gruppe von 41 Armeeoffizieren erklärt, sich einem weiteren Einsatz in Gaza zu verweigern und gibt es auch Streiks gegen die arbeiter*innenfeindliche Politik der Regierung.
Kein Vertrauen in Merz
Aus Angst vor einem Gesichtsverlust vor der eigenen Bevölkerung hat nun auch Friedrich Merz ein paar kritische Worte gefunden – doch davon dürfen wir uns nicht blenden lassen. Der deutsche Kapitalismus steht fest an der Seite des israelischen Staates, weil dieser westlich-imperialistische Interessen in der Region vertritt. Aber die Äußerungen von Merz zeigen: Druck kann etwas bewirken.
Deshalb müssen wir den Druck erhöhen, indem wir weiter auf die Straße gehen und das Thema in Gewerkschaften, der Linken und sozialen Bewegungen thematisieren und diese zu Aktionen aufrufen. Es ist gut, dass die Kundgebung am 14. Juni mit dem Ziel organisiert wurde, breiter in die Gesellschaft zu wirken und nicht nur die bestehende Palästina-Solidaritätsbewegung zu mobilisieren. Es ist schlecht, dass nun zwei getrennte bundesweite Demonstrationen innerhalb einer Woche stattfinden. Wir brauchen größtmögliche Einheit auf Basis einiger zentrale Forderungen und eine Debatte um Forderungen und ein Programm gegen den Massenmord, die Besatzung und Vertreibung und für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen.
Antisemitisch?
Derzeit wird vom politischen Establishment, aber auch von Linken, der Vorwurf des Antisemitismus erhoben, wenn es um Kritik an der Politik des Staates Israel geht. Als Sozialist*innen kämpfen wir für eine Gesellschaft, die frei von Unterdrückung und Ausbeutung ist. Dieses Ziel ist nur dann erreichbar, wenn die Arbeiter*innen gemeinsam kämpfen. Spaltung spielt nur den Herrschenden in die Hände. Daher müssen wir jegliche Form von Rassismus bekämpfen.
Wenn allen jüdischen Menschen die Verantwortung für die Unterdrückung der Palästinenser*innen zugeschoben wird, dann ist dies auch antisemitisch, weil es unzulässig pauschalisiert. Schließlich gibt es viele Jüdinnen und Juden, die die Politik des Staates Israel nicht unterstützen.
Doch in der öffentlichen Debatte wird nicht zwischen Kritik an der Politik des Staates Israel und pauschalisierten Angriffen auf alle Jüdinnen und Juden unterschieden. Wenn etwa wütende arabische Jugendliche eine israelische Fahne, die bei einer staatlichen Einrichtungen gehisst wurde, entfernen, richtet sich dies gegen einen Staat, der für die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung verantwortlich ist. Das ist nicht antisemitisch. Die Bewegung gegen die Unterdrückung der Palästinenser*innen sollte aber diskutieren, ob es sinnvoll ist, Parolen und Aktionsformen zu wählen, die die Wagenburgmentalität in Israel verstärken. Gleichzeitig sollte sie die Diffamierung und Kriminalisierung von nicht-antisemitischen Parolen und Aktionsformen bekämpfen.
Wer kann den Krieg stoppen?
Die einzige Kraft, die den Krieg gegen Gaza stoppen und eine Befreiung der Palästinenser*innen erkämpfen kann, sind die Massen der arbeitenden und armen Bevölkerung in Palästina, Israel und international. Wir sind der festen Überzeugung, dass nur ein demokratisch von den palästinensischen Massen selbst geführter Kampf mittels Massendemonstrationen, Streiks und breitem Widerstand gegen die Besatzung und Belagerung erfolgreich sein kann. Die erste Intifada (Arabisch für „Aufstand“) in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war dafür ein Beispiel.
Programm, Organisierung und Strategie nötig
Doch ohne ein Programm und eine Strategie werden auch die größten Massenproteste nicht erfolgreich sein können. Ein erfolgreicher Kampf gegen die Unterdrückung braucht außerdem Verbündete aus der Arbeiter*innenklasse nicht nur in den arabischen Staaten, sondern auch in den westlichen kapitalistischen Staaten und in Israel selbst.
Die Hamas vertritt kein Programm und keine Strategie, die den Palästinenser*innen wirkliche Freiheit, Frieden und soziale Sicherheit bringen kann. Sie hat nicht nur immer wieder Proteste in Gaza unterdrückt, sondern ist auch eine pro-kapitalistische, arbeiter*innen- und frauenfeindliche Organisation. Durch terroristische Angriffe auf israelisch-jüdische Zivilist*innen wie am 7. Oktober bringt sie das palästinensische Volk der Befreiung keinen Schritt näher. Die Folge solcher Angriffe sind eine Stärkung des Nationalismus in der israelisch-jüdischen Bevölkerung und eine Schwächung derjenigen Kräfte in ihr, die gegen Besatzung, Belagerung, Krieg und Vertreibung eingestellt sind.
Für Arbeiter*inneneinheit und Sozialismus
Die Unterdrückung der Palästinenser*innen ist nicht von der Herrschaft von Kapitalismus und Imperialismus zu trennen. Israel ist der Vorposten des westlichen Imperialismus im Nahen Osten.
Viele Menschen haben nach der schrecklichen Erfahrung des Holocaust die Gründung eines jüdischen Staates unterstützt, in der Hoffnung ein solcher könne den Jüdinnen und Juden Schutz vor weiterer Verfolgung bieten. Marxist*innen haben schon 1948 darauf hingewiesen, dass ein durch Terror und Vertreibung errichteter Staat zu einer blutigen Falle für die Jüdinnen und Juden wird, was sich leider bewahrheitet hat. Doch dieser in seiner Verfasstheit rassistische Staat hat über Jahrzehnte eine eigene Nation und Klassengesellschaft hervor gebracht. Siebzig Prozent der Einwohner*innen wurden in Israel geboren. Die breite Mehrheit der israelisch-jüdischen Arbeiter*innen hat ebenso ein Interesse an einem Leben in Frieden und sozialer Sicherheit, wie es die Palästinenser*innen haben. Nicht sie profitieren von dem nationalen Konflikt, sondern die Herrschenden auf beiden Seiten, die „ihre“ Arbeiter*innenklassen durch den Verweis auf die äußere Bedrohung vom Klassenkampf für soziale Verbesserungen und gegen die eigenen Regierungen abhalten können.
Sozialistisches Programm
Wir treten deshalb für ein sozialistisches Programm ein, das die Interessen aller Arbeiter*innen und armen Bäuer*innen im Nahen Osten, unabhängig von Nationalität und Religionszugehörigkeit zum Ausdruck bringt und eine friedliche Einigung der Völker möglich macht.
Um ein solches Programm zu einer gesellschaftlichen Kraft zu machen, braucht es Arbeiter*innenorganisationen – Gewerkschaften und sozialistische Massenparteien – die über die nationalen Grenzen hinweg Verbindungen schaffen und den Kampf gegen die herrschenden Klassen führen anstatt sich durch ihre jeweiligen Regierungen auf die Schlachtbank führen zu lassen.
Nur wenn sowohl in Israel als auch in den Palästinenser*innengebieten die prokapitalistischen Führer*innen gestürzt und durch Arbeiter*innenregierungen ersetzt werden, ist eine demokratische Einigung denkbar, die die Form zweier sozialistischer Staaten mit einer gemeinsame Hauptstadt in Jerusalem/Al-Quds als Teil einer sozialistischen Föderation im Nahen Osten einnehmen könnte und in deren Rahmen alle komplizierten Fragen von Grenzziehungen, dem Schicksal der Geflüchteten etc. ohne Blutvergießen angegangen werden können.
Für einen solchen Weg treten die Sol und das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) ein und wir laden alle dazu ein, mit uns darüber in Diskussion zu treten.
Das bedeutet nicht, auf eine sozialistische Lösung in der Zukunft zu warten, sondern heute schon einen größtmöglichen und massenhaften Widerstand gegen den Krieg und die Unterdrückung durch den israelischen Staates und seiner westlichen Verbündeten aufzubauen – aber diesen Widerstand mit einer solchen sozialistischen Perspektive zu verbinden.
Gewerkschaften und Die Linke
Der Aufbau starker Solidaritätsbewegungen in Deutschland und international kann dabei eine sehr wichtige Rolle spielen. Eine solche Bewegung ist aber nicht nur für die Unterstützung des Kampfes der Palästinenser*innen wichtig, sondern auch für die Verteidigung der Rechte von Migrant*innen und der gesamten Arbeiter*innenklasse in Deutschland.
Im Umgang mit der Palästina-Solidaritätsbewegung werden gerade Präzedenzfälle geschaffen, was die Einschränkung demokratischer Rechte, wie dem Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, angeht. Das ist auch eine Vorbereitung auf größere soziale Proteste und Streiks. Rassismus, insbesondere gegen arabische Menschen, soll die Arbeiter*innenklasse spalten und gegeneinander aufbringen, während die pro-kapitalistischen Parteien über Großangriffe auf die Rente, auf Arbeitszeiten und Sozialleistungen diskutieren, Kürzungen umsetzen und die Aufrüstung der Bundeswehr vorantreiben.
Ein Nein zum Krieg und zur Aufrüstung und ein Ja zum Kampf für soziale Verbesserungen hier und jetzt gehören deshalb zusammen. Auch in Deutschland ist die Arbeiter*innenklasse die potenzielle Kraft, um der Kriegspolitik der Bundesregierung Steine in den Weg zu legen. In anderen Ländern haben sich Gewerkschafter*innen schon dem Transport von Kriegsmaterial nach Israel verweigert. Das ist der richtige Weg. Auch wenn wir in Deutschland von solchen Aktionsformen noch weit entfernt sind, müssen wir die Debatte in die Gewerkschaften tragen und uns der pro-israelischen Politik der heutigen Gewerkschaftsführungen entgegen stellen. Gleiches gilt für die Partei Die Linke, die auf ihrem letzten Parteitag eine deutliche Positionierung für Solidarität mit den Palästinenser*innen eingenommen hat.
Wir brauchen dringend eine Massenpartei der Arbeiter*innen und sozial Benachteiligten, welche sich unmissverständlich gegen Krieg, Unterdrückung und Sozialabbau positioniert und die Kämpfe dagegen mit einer sozialistischen Perspektive führt. Dafür setzt sich die Sol in Gewerkschaften, der Linken und sozialen Bewegungen ein.
Solidarität mit Lene, Jay und Franca!
Nein zu Polizeirepression!
Am 6. Juni kam es im Anschluss an eine Kundgebung der Linken Neukölln – in Solidarität mit den Menschen in Gaza – zu massiven polizeilichen Repressionen gegen Mitglieder der Sol und Jugend für Sozialismus. Drei Genossinnen wurden auf dem Heimweg von der Polizei festgenommen. Der Vorwurf: das Zeigen verbotener Symbole.
Konkret ging es um einen lilafarbenen Aufnäher mit einer stilisierten Faust, der seit dem feministischen Kampftag am 8. März an einer Jugend für Sozialismus Fahnen befestigt war. Die Polizei behauptete, es handle sich um eine sogenannte „Hirak-Faust“.
Auch die jüdische Aktivistin Iris Hefets wurde unter ähnlich fragwürdigen Vorwänden wegen eines Schildes festgenommen – obwohl dieses bereits zuvor vom LKA geprüft und ausdrücklich freigegeben worden war.
Wir verurteilen diese willkürlichen Polizeimaßnahmen aufs Schärfste und rufen zur Solidarität mit allen von Repression Betroffenen auf.
Eine ausführliche Stellungnahme findet ihr hier.
Für eine demokratische Solidaritätsbewegung
Wir treten auch dafür ein, dass sich die Solidaritätsbewegung auf einer demokratischen Grundlage organisiert und Wege findet, in die Gesellschaft und die Arbeiter*innenklasse in Deutschland hineinzuwirken.
Dabei sollte es Raum für unterschiedliche Vorstellungen und Strategien geben, aber gleichzeitig sollten auch einige internationalistische Prinzipien als gemeinsame Basis definiert werden. Dies könnte durch die Bildung breiter lokaler Solidaritäts-Komitees und die Durchführung einer bundesweiten Konferenz geschehen, die sich eine gemeinsame Plattform geben und einen Vertretungsausschuss wählen. Das wäre ein Weg für die Bewegung, sich eine demokratische Vertretung zu geben, die in der Gesellschaft für die Solidarität mit den Palästinenser*innen sprechen kann. Grundpositionen einer solchen Bewegung sollten aus unserer Sicht beinhalten:
• Sofortiges Ende der Angriffe auf Gaza und Rückzug der israelischen Armee
• Ende der Belagerung von Gaza und der Besetzung des Westjordanlands
• Sofortiger Stopp des Siedlungsausbaus im Westjordanland
• Nein zum Terror gegen Zivilist*innen
• Freilassung aller zivilen Geiseln und palästinensischen politischen Gefangenen
• Ablehnung von jeder Form von Rassismus und Antisemitismus
• Ablehnung der Unterstützung der israelischen Regierung durch die Bundesregierung durch Waffenlieferungen und andere Maßnahmen
• Kampf gegen die Einschränkung demokratischer Rechte und Verschärfungen des Aufenthaltsrechts für Migrant*innen im Kontext des Gaza-Kriegs
• Anerkennung der demokratischen und nationalen Rechte aller Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten und Befürwortung einer breiten und demokratischen Debatte über eine politische Lösung des Nahost-Konflikts
Auf dieser Grundlage könnten gemeinsame Proteste organisiert werden und Veranstaltungen durchgeführt werden, um über die Ursachen des Konflikts aufzuklären und Solidarität gegen Krieg und Besatzung zu verbreiten.
Die Sol fordert darüber hinaus:
• Für demokratisch organisierte lokale Verteidigungsausschüsse durch die sich die Menschen unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit gegen Angriffe verteidigen können
• Für einen Massenkampf der Palästinenser*innen unter ihrer eigenen demokratischen Kontrolle, um für ihre Befreiung zu kämpfen
• Für den Aufbau unabhängiger Arbeiter*innenparteien in Palästina und Israel und Verbindungen zwischen ihnen
• Für einen unabhängigen, sozialistischen palästinensischen Staat an der Seite eines
sozialistischen Israels, mit zwei Hauptstädten in Jerusalem/Al-Quds und garantierten demokratischen Rechten für alle Minderheiten, als Teil des Kampfes für einen sozialistischen Nahen Osten
• Für einen Kampf der Massen der arabischen Staaten gegen die diktatorischen kapitalistischen herrschenden Eliten und der iranischen Massen gegen das reaktionäre theokratische Regime. Für eine freiwillige sozialistische Konföderation des Nahen Ostens
• Schluss mit den Waffenlieferungen an Israel durch die Bundesregierung und westliche Staaten!
• Das Recht auf Protest gegen die Kriegs- und Besatzungspolitik des Staats Israel: Rücknahme des Verbots von palästinensischen Vereinen, Symbolen und Demonstrationsslogans! Nein zur Einschränkung demokratischer Rechte!