„Das sind religiöse Fundamentalisten und Rechtsradikale“

Interview mit Verena, einer Organisatorin der Demo gegen den Marsch für das Leben in Köln

Du organisierst einen Protest gegen den Marsch für das Leben mit – worum geht es dabei?

Der Name des Marsches ist total irreführend. Keine der Forderung, die da gestellt werden, geht um ein besseres Leben. Es sind Rechte und Fundamentalisten, die zusammenkommen, und fordern, Frauen zu verbieten, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Sie wollen, dass Frauen die Möglichkeit genommen wird, eine Schwangerschaft medizinisch sicher zu beenden.

Sie versuchen, eine positive Perspektive für ihr reaktionäres Anliegen zu entwickeln, indem sie behaupten, es würde ihnen dabei um Kinder gehen – aber keine ihrer Forderungen setzt sich für Kinder ein. Es geht ihnen nicht um Grundsicherung, Kinderbetreuung, Spielplätze, das Bildungssystem oder Gesundheitsvorsorge. Alles, was sie fordern, ist, Schwangerschaftsabbrüche zu verbieten.

Medizinisch ist das Unsinn. Es gibt kein Baby zu dem Zeitpunkt an dem eine Schwangerschaft beendet wird, es müsste erst wachsen. Wir können aber immer wieder sehen, wie gefährlich solche Verbote sind. Denn ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen reduziert nicht die Menge der Schwangerschaftsabbrüche – es macht sie nur gefährlicher für Frauen und erhöht die Todesrate.

Wertet man den Marsch für das Leben nicht dadurch auf, dass man gegen ihn mobilisiert?

Die Ideen, die da vertreten werden, bleiben leider nicht auf dem Marsch. Weltweit – aber auch hier in Deutschland, können wir sehen, wie der Antifeminismus sich in der Gesellschaft ausbreitet.

Die AfD spricht davon, dass Feminismus Krebs ist und deutsche Frauen mindestens zwei Kinder bekommen sollten. Das begründen sie mit der Natur der Frauen, also dem gleichen Biologismus, der auch im Dritten Reich benutzt wurde.

In den Sozialen Medien, auf Instagram und Tiktok, erzählen Tradwifes und Stay at home girlfriends Teenagern, dass es ihr angestammtes Lebensziel ist, sich um Haus und Kinder zu kümmern, dem Mann die Finanzen zu überlassen und sich unterzuordnen. Christfluencer verbreiten Sexismus, gepaart mit Rassismus, Homophobie und Queerfeindlichkeit, alles unter dem Deckmantel der Religiosität.

Die Möglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche werden immer weiter ausgedünnt.

Das ist ein ständiger Prozess, der die Rechte von Frauen immer weiter untergräbt und aushöhlt. Und bei dem rechte Ideen, die Frauen auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau reduzieren wollen, wieder gesellschaftsfähig werden. Der Marsch ist da nur eine Spitze des Eisberges. Es ist wichtig, sich dem entgegenzustellen, und zu zeigen, dass wir das nicht akzeptieren, und dass sie nicht einfach die Straße beanspruchen können.

Wie ist gegenwärtig die Situation in Deutschland? Sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland legal möglich?

Generell sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland machbar – aber nicht wirklich legal. Sie sind eine Straftat- und zwar eine die im Strafgesetzbuch neben Mord steht. Nur in den ersten zwölf Wochen ist ein Schwangerschaftsabbruch straffrei, wenn vorher eine Beratung stattgefunden hat. Frauen werden mit dieser Praxis faktisch entmündigt.

Das allein ist eigentlich schon ein Unding. Aber die reale Situation ist noch viel schlimmer. Kliniken unter kirchlicher Trägerschaft führen Schwangerschaftsabbrüche oft generell nicht durch. Und die meisten niedergelassenen Ärzt*innen auch nicht. Es gibt ganze Landkreise in denen es keine Einrichtung gibt, die Abbrüche durchführt. Und in vielen Medizinstudiengängen werden sie auch nicht gelehrt, obwohl sie eine lebensrettende Maßnahme für Frauen sein können.

Die Pro Life Bewegung beschleunigt diesen Prozess, indem sie Druck auf Ärzt*innen ausübt und Aktionen vor Kliniken macht, die welche anbieten. So entsteht letztlich ein faktisches Verbot durch die Hintertür.

Der Marsch für das Leben hat im letzten Jahr 3500 Teilnehmer gehabt. Aus welchem Spektrum stammen diese?

Es wird gerne so getan, als wäre der Marsch für das Leben ein netter Treff für besorgte Familien, die sich um Babys sorgen. Deswegen gibt es auch viele Schilder mit pausbäckigen Babys und glücklichen Müttern.

Das stimmt aber nicht. Wer da mobilisiert, sind religiöse Fundamentalisten und Rechtsradikale. Und genau solche Menschen treiben sich dann auch da rum: Letztes Jahr war Kardinal Woelki da, der ein Grußwort gesprochen hat. Man kennt ihn vor allem für Vertuschung und Intransparenz beim Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Die Vorwürfe gegen ihn reichen bis zum Täterschutz.

Beatrix von Storch, von der AfD, war auch schon mehrfach da – die Frau, die mal erklärt hat, Grenzbeamte sollten auf Kinder schießen.

Erzbischof Gössl aus Regensburg, der zu den politischen Drahtziehern der Nicht-Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gehört, bot den Organisatoren des Marsches ein Gespräch an. Auf der Homepage des Bistums wird für den Marsch mobilisiert.

Passiert das nur in Deutschland?

Auf der ganzen Welt können wir sehen, wie Antifeministen aus ihren Löchern kommen, und welche schrecklichen Auswirkungen das hat. In den USA gibt es Fälle, in denen medizinisch notwendige Schwangerschaftsabbrüche nicht durchgeführt wurden, aus Angst der Kliniken vor rechtlichen Konsequenzen – mehrere Frauen sind deswegen gestorben. Obwohl es in den dortigen Gesetzen heißt, dass medizinisch notwendige Abbrüche erlaubt sind.

Traurig zugespitzt hat sich das in dem Fall einer hirntoten Frau, die über Monate künstlich am Leben gehalten wurde, damit sie einen Embryo austragen konnte – und das gegen die medizinische Vernunft und ihren Willen, bzw. den Willen ihrer Angehörigen. Da sie bereits tot war, ging es rechtlich nur noch um den Embryo, der am Leben gehalten werden sollte. Sie war nicht mehr mehr als ein Brutkasten.

In Brasilien sind mehrere Fälle bekannt, in denen der Pro-Life-Mob Mädchen von neun oder zehn Jahren, nach Vergewaltigungen schikaniert hat, um sie von Schwangerschaftsabbrüchen abzuhalten.

In den USA wurde 2022 eine liberale Bundes-Rechtsprechung aus dem Jahr 1973 gekippt, die unter dem Stichwort Roe vs. Wade (Roe gegen Wade) bekannt geworden ist. Mit Roe vs. Wade wurde ein Strafgesetz des Staates Texas, das den Schwangerschaftsabbruch verbot, für unrechtmäßig erklärt. Die neue Regelung gibt einzelnen Bundesstaaten wieder die Möglichkeit, Abtreibungen zu verbieten.

Das klingt wie weit entfernte Horrorgeschichten. Aber auch in Europa sehen wir die Selbstbestimmungsrechte in Gefahr. In Polen sind sie zum Beispiel faktisch abgeschafft worden.

Und auch hier in Deutschland wollen Rechte am liebsten jeden Schwangerschaftsabbruch verbieten.

Was kann man dagegen tun?

Natürlich am Samstag auf die Straße gehen. In Berlin und Köln. Und darüber hinaus, macht euch schlau, was bei euch passiert. Die Pro-Life-Bewegung ist auch in anderen Orten aktiv, wie Nürnberg oder München. Argumentiert gegen sie. Macht Leute darauf aufmerksam, was sie machen und wollen. Organisiert euch, nicht nur gegen Pro-Life sondern auch gegen die Rechten – und gegen die Wurzel des Übels: den Kapitalismus.

Verena, Mitorganisatorin der Demo gegen das Marsch für das Leben Köln