Die Berliner Linke vor den Wahlen 2026

Sozialistische Klassenpolitik oder erneute Regierungsbeteiligung?

Am 20. September 2026 wird in Berlin das nächste Abgeordnetenhaus gewählt und der amtierende schwarz-rote Senat ist in etwa so unbeliebt wie die amtierende schwarz-rote Bundesregierung. Die sogenannte „Große Koalition“ ist in den Umfragen auch auf Stadtebene keine mehr und würde aktuell keine Mehrheit erhalten. Die Linke hingegen ist im Aufwind. Bei der Bundestagswahl wurde sie in Berlin stärkste Kraft und bei mehreren Umfragen für das Abgeordnetenhaus liegt sie hinter der Union an zweiter Stelle. Die Sol Berlin will mit dieser Stellungnahme Vorschläge machen, wie die Partei die vor ihr liegenden Chancen ergreifen kann, und darlegen, welche Gefahren sie unbedingt vermeiden muss, will sie ihr Potenzial nicht verspielen.

von der Sol Berlin

Im Sommer gaben über zwei Drittel der Berliner*innen an, sie seien mit dem amtierenden Senat unter Kai Wegner (CDU) und Franziska Giffey (SPD) unzufrieden. Kein Wunder: Zwar stellt die Landesregierung dem Umfang nach große Haushalte auf. Doch diese führen zum Beispiel nicht zu den nötigen Mehrinvestitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge. Im Gegenteil organisiert Schwarz-Rot schmerzhafte Kürzungen, u.a. im Sozialbereich und bei der Bildung. Die aktuelle Diskussion über eine teure Berliner Olympia-Bewerbung muss den Betroffenen, die um ihre Arbeitsplätze und Angebote bangen, wie Hohn vorkommen.

Berliner Linke im Umbruch

Wenig überraschend, dass sich viele Berliner*innen von den Regierungsparteien abwenden. Das ist auch Teil der Erklärung, warum die Berliner Linke einen Aufschwung hinlegt, wenngleich andere Faktoren hinzukommen. 

Von dem fulminanten Comeback der Partei bei den Bundestagswahlen, in deren Vorfeld die Linke als einzige konsequente soziale und antirassistische Alternative wahrgenommen wurde, hat der Berliner Landesverband besonders profitiert. Fast 17.000 Mitglieder hat die Partei mittlerweile in der Hauptstadt, Anfang des Jahres waren es noch unter 9.000. In Berlin-Neukölln, wo die Kampagne für das Direktmandat von Ferat Koçak erfolgreich war und es ein besonders großes Wachstum gab, gibt es mittlerweile etwa 2000 Mitglieder. Wie weit und in welche Richtung die neuen Mitglieder den Landesverband nun und in Zukunft prägen, wird sich noch zeigen. Aber in der Partei ist einiges in Bewegung geraten.

Die Berliner Linke ist nicht mehr die von vor ein paar Jahren. Der alte Reformer-Flügel, der die Partei wann immer möglich in die nächste Koalition mit SPD und Grünen führen will, hat an Einfluss und Personal verloren. Ehemals führende Linke-Mitglieder um Klaus Lederer und andere Abgeordnete des Reformer-Flügels sind noch vor dem Aufschwung 2024 ausgetreten. Sie verunglimpften in dem Zuge besonders die in der Palästina-Solidaritätsbewegung aktiven Teile der Partei und erklärten, dass ihnen die “Solidarität mit der Ukraine” in der Partei zu kurz komme (was man nicht anders als einen erneuten Aufruf nach mehr Waffenlieferungen an das Selenskjy-Regime interpretieren kann). Es ist ein Unding, dass sie nicht nur ihre Mandate behalten haben, sondern ihnen sogar gestattet wurde, Teil der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zu bleiben. Sebastian Schlüsselburg versuchte seine politische Karriere auf dem Weg zu retten, indem er zur SPD wechselte. Diese Austritte haben dem Landesverband aber dennoch gut getan.

Neuer Kurs offen

Dass der Landesverband nun einen konsequenten linken Kurs verfolgt, ist allerdings nicht absehbar. Für den kommenden Landesparteitag im November hat der Landesvorstand einen Leitantrag entworfen, in dem man eine radikale, sozialistische Haltung sowie Vorschläge, wie die Partei zum Motor von Klassenkämpfen wird, vergeblich sucht. Die inhaltlichen Vorschläge begrenzen sich auf Maßnahmen, die den Rahmen des Kapitalismus nicht infrage stellen (wenn man von der wenig überraschenden Unterstützung des geplanten neuen Volksentscheides zur Enteignung der Immobilienkonzerne absieht). Die Worte “Sozialismus” oder “Kapitalismus” tauchen überhaupt nicht auf, ebenso wenig der Gedanke, den Kampf gegen die Kürzungen des Wegner-Senats zu organisieren. 

Dafür fordert der Antrag “einen Kassensturz direkt nach der Wahl”, damit “neue, soziale Mehrheiten in Berlin schnellstmöglich eine Strategie zur langfristigen Sicherung und Entwicklung der sozialen Infrastruktur in Berlin etablieren.” Abgesehen davon, dass das noch keine eindeutige Absage der Partei an alle Kürzungen ist, klingt das sehr danach, dass eine Koalition mit SPD und Grünen erneut ins Auge gefasst wird.

Es ist daher gut, dass ein Antrag der Antikapitalistischen Linken (AKL) und linksjugend [‘solid] behandelt wird, der von Sol-Mitgliedern initiiert wurde und von der Partei einen konsequenten Kampf gegen alle Kürzungen einfordert und auch nicht davor zurückschreckt, die Entscheidung von BVV-Mitgliedern der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg zu kritisieren, welche Sozialkürzungen im Bezirkshaushalt mit CDU und SPD zugestimmt haben. 

Unterstützenswert ist auch das Anliegen des Antrags des Jugendverbandes, eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen auszuschließen, wenngleich wir nicht teilen, dass Die Linke dafür einen “Oppositionswahlkampf” führen muss, wie wir weiter unten darlegen.

Eine Linke, die sich und ihre Unterstützer*innen in der Stadt selbst ernst nimmt, kann nicht das Ziel einer “roten Metropole” ausgeben und gleichzeitig die kapitalistischen Sachzwänge im Hier und Jetzt akzeptieren und ihre Aufgabe darin sehen, Kürzungen „sozialer“ zu priorisieren. Soll die Vision einer “roten Metropole” nicht einfach nur zum Wahlkampf-Werbeslogan verkommen, muss die Partei vermitteln, dass sie die Stadt zum Schauplatz und Ausgangspunkt für Widerstand gegen jede einzelne Verschlechterung der arbeitenden Klasse machen will – und dass Die Linke ihren Auftrag darin sieht, diesem Widerstand eine sozialistische Perspektive zu geben. 

Der deutsche Kapitalismus steckt in einer tiefen strukturellen Krise und im 3. Rezessionsjahr. Eine erneute globale Wirtschafts- und Finanzkrise ist eine Frage der Zeit. Diese Aussichten sowie die bereits angespannte Berliner Haushaltslage und der Druck der Bundesregierung auf Sozialkürzungen, Militarisierung und Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse führen dazu, dass es keinen Spielraum für größere soziale Verbesserungen im Rahmen der kapitalistischen Logik gibt. 

Es stellen sich deshalb wichtige Fragen für die Partei: Wie kann Die Linke zu einem Instrument für den Widerstand gegen diese Angriffe von oben und die Auswirkungen der kapitalistischen Krise werden? Kann sie Verbesserungen erkämpfen und wenn ja, wie? Wie kann die Partei mehr Beschäftigte, Jugendliche und sozial Benachteiligte davon überzeugen, sich in der Partei, in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu organisieren und mit ihr zu kämpfen? Wie kann sie effektiv eine sozialistische Gesellschaftsalternative propagieren? Und welche Rolle spielen dabei die nächsten Wahlen, der Wahlkampf und die Frage einer erneuten Regierungsbeteiligung?

Bilanz der vergangenen Regierungsbeteiligungen

Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit, um zu sehen, wie es nicht geht. Denn leider hat es die Berliner Linke in den letzten Jahrzehnten nicht geschafft, ihrem sozialistischen Anspruch gerecht zu werden. Das hat insbesondere mit der ehemaligen Dominanz des Reformer-Flügels und den zahlreichen Regierungsbeteiligungen zu tun, welche die Partei effektiv zum linken Flügel des Establishments haben verkommen lassen. 

Selbst weite Teile der Parteiführung und einige damalige Protagonist*innen, wie Harald Wolf, bilanzieren einen Teil dieser Regierungsbeteiligungen heute kritisch. Das gilt speziell für die Zeit des rot-roten Senats von 2002 bis 2011. Unter der eisernen Fuchtel des damaligen SPD-Finanzsenators Thilo Sarrazin privatisierte Rot-Rot hunderttausende städtische Wohnungen, die später in den Fängen von Deutsche Wohnen und Co. landeten, sowie andere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge. Zur Bilanz gehörten neben Haushaltskürzungen auch Angriffe auf die Beschäftigten der Stadt: Tarifdiktate im Öffentlichen Dienst sowie das Unterlaufen von Tarifverträgen und Outsourcing (u.a. an der Berliner Charité). Das war auch das Ergebnis der objektiven kapitalistischen Entwicklungen, welche PDS/Linke damals als Teil einer pro-kapitalistischen Regierung nicht bekämpfen konnten, sondern verwalten wollten: Bankenskandal, hohe Verschuldung und wirtschaftliche Krise. PDS bzw. Linke wurden für ihre Politik massiv abgestraft und entfremdeten sich von Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen auf viele Jahre. 

Teile der Parteiführung argumentieren, dass man daraus aber gelernt habe und die Regierungsbeteiligung 2016–2023 anders und besser war. Richtig ist, dass sie anders war. Es gab keine Massenprivatisierungen öffentlicher Wohnungen und kein weiteres Outsourcing von Tarifverträgen. Das lag vor allem an den veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen. Der rot-rot-grüne Senat hatte einen gewissen Spielraum durch die wirtschaftliche Konjunktur und Rücklagen, um größere Kürzungen zu vermeiden und sogar einige positive Maßnahmen umzusetzen, wie kostenlose Sozialtickets oder Mietbegrenzungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen ermöglichten. Trotzdem war das “Rebellische Regieren”, wie es in der Partei seitdem als Konzept verkauft wird, nicht objektiv rebellisch oder links. Nötig wäre gewesen, die grundlegenden Probleme der arbeitenden Bevölkerung und Krisen in der Stadt zu beheben (wie die Wohnungskrise, den Zustand der öffentlichen Daseinsvorsorge, den großen Anteil armer Menschen…). Das ist nicht passiert.

Rot-Rot-Grün hat die Privatisierungen und Kürzungen der Vergangenheit nicht rückgängig gemacht, dafür die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe vorangetrieben, tausende Menschen trotz Pandemie und Lockdown abgeschoben und sich ganz generell in der Pandemiebekämpfung kein Stück von anderen, stinknormalen bürgerlichen Regierungen unterschieden. Linke Kiezkneipen wurden für Immobilienhaie brutal geräumt und der Karstadt-Hermannplatz-Deal mit dem Ex-Milliardär René Benko unterzeichnet, der mittlerweile unter anderem wegen Untreue in Haft sitzt. Das Versprechen an die Beschäftigten bei Charité Facility Management und Vivantes Service GmbH, sie in den TVöD zurückzuführen, wurde mehrmals gebrochen. Trotz des massiven Rückenwinds des erfolgreichen Volksentscheides zur Enteignung der Immobilienkonzerne, den Die Linke als einzige Partei vorbehaltlos unterstützt hatte, hat Die Linke bei der Wahl 2021 Stimmanteile verloren. Die Umsetzung des Volksentscheides wurde dann vom nächsten rot-rot-grünen Senat unter Giffey verschleppt. SPD und Grüne haben dann versucht, dem Druck der Mietenbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem zusammen mit der Linken ein Mietendeckel verabschiedet wurde, der zwar für viele Berliner*innen eine Verbesserung darstellte, aber dennoch hinter den ursprünglichen Forderungen der Linken und Mietenbewegung weit zurückfiel. Letztlich wurde dieser dann noch vom Verfassungsgericht in Karlsruhe einkassiert. Die Linke machte aber keine Anstalten, ernsthaften Protest gegen diese Entscheidung mit den von Nachzahlungen betroffenen Mieter*innen zu organisieren. Dass Die Linke an der Regierung einen qualitativen Unterschied gemacht hat, dürfte das Gefühl der wenigsten Berliner*innen sein.

Zuletzt hat die Partei schweren politischen Schaden genommen, als ihre Vertreter*innen in den Landesregierungen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat dem Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung zugestimmt haben, während die Bundestagsfraktion dagegen stimmte. 

Dass Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien zu solch einer Politik führen, ist kein Zufall, sondern zwangsläufig. Selbst wenn Die Linke zur Abwechslung stärkste Kraft in einer solchen Konstellation wäre, würde das nicht dazu führen, dass SPD und Grüne zu einer antikapitalistischen Politik genötigt werden könnten. Ihre Funktion wäre im Gegenteil, jeden Anflug antikapitalistischer Politik zu blockieren und sicherzustellen, dass die “Spielregeln” eingehalten werden. Mit SPD und Grünen, die in diesem System fest verankert sind, kann man keine Politik betreiben, die über die Grenzen des Kapitalismus hinausgeht. Insbesondere in ökonomischen Krisenzeiten verlangt dieses System Kürzungen, um die Kosten auf die Arbeiter*innenklasse abzuwälzen.  

An der Regierung wird Die Linke für diese Politik aber mitverantwortlich gemacht, unabhängig davon, ob sie das gut oder schlecht findet und dagegen protestiert. Rosa Luxemburg erklärte bereits 1901 in ihrer Schrift “Die sozialistische Krise in Frankreich”, dass man als “linke” Minister*innen bzw. Senator*innen in einer pro-kapitalistischen Regierung die Verantwortung für die ganze Regierungspolitik übernehmen müsse; weil “[a]us dem inneren Zusammenhang der einzelnen Funktionen der Regierung naturgemäß die solidarische Verantwortlichkeit ihrer einzelnen Mitglieder [erwächst]. […] In die Volksvertretung treten die Sozialisten ein, um die bürgerliche Klassenherrschaft zu bekämpfen, in die bürgerliche Regierung – um die Verantwortlichkeit für die Akte dieser Klassenherrschaft auf sich zu laden.” Das ist das Gegenteil von sozialistischer Klassenpolitik, welche die gemeinsamen Klasseninteressen der Lohnabhängigen formulieren und gegen die Kapitalist*innen durchsetzen will. 

Schlussfolgerungen ziehen

Eine kritische Bilanz dieser Erfahrungen bedeutet nicht, dass es für eine sozialistische Partei egal ist, ob sie stärkste Kraft bei Wahlen wird. Es bedeutet auch nicht, dass sie sich auf ewig auf eine Oppositionsrolle verpflichten sollte. Doch die Partei – und insbesondere die neuen Mitglieder, die sie mit Elan aufbauen wollen – müssen aus den vergangenen Erfahrungen die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, wenn die Linke nicht in die nächste Krise stolpern und das in sie gesetzte Vertrauen verspielen soll. 

Elif Eralp, die vom Landesvorstand als Spitzenkandidatin nominiert, aber auf undemokratische Weise schon vor der eigentlichen Wahl auf dem Parteitag der Presse als “gesetzt” präsentiert wurde, und die Landesvorsitzende Kerstin Wolter haben in Interviews im Tagesspiegel und der taz bereits den Eindruck erweckt, sie seien unter Bedingungen für eine erneute Koalition mit SPD und Grünen offen. Andererseits haben sie in diesen Interviews zum Beispiel nicht gesagt, dass Die Linke unter keinen Umständen Kürzungen zustimmen wird, die sich gegen die arbeitende und arme Bevölkerung richten. Das ist ein Fehler.

Sol-Mitglieder bringen sich aktuell mit Vorschlägen in den Bezirksverband Neukölln ein. Die Basisorganisation Reuterkiez hat zum Beispiel vor Kurzem einen Antragsentwurf von Sol-Mitgliedern diskutiert und mit leichten Änderungen beschlossen, aus dem wir in der Folge öfter zitieren.

Parlamentsarbeit als Mittel, nicht Zweck

Die Sol Berlin ist auch dafür, alles zu tun, damit Die Linke stärkste Kraft bei den Wahlen wird. Aber sie sollte die Wahl und den Wahlkampf ins Verhältnis zu ihren übergeordneten Aufgaben setzt:

“Wahlen und Wahlkämpfe sind für uns jedoch kein Selbstzweck. Unser Ziel ist die sozialistische Umwälzung der Gesellschaft. Das werden wir nur auf Basis großer Klassenkämpfe erreichen – und indem wir eine starke Partei der arbeitenden Klasse aufbauen. Unseren Wahlkampf und unsere Arbeit im Parlament betreiben wir mit dieser Zielstellung. Wir wollen Widerstand von Beschäftigten, Mieter*innen, Jugendlichen und sozial Benachteiligten organisieren und vorantreiben, ihn ins Parlament tragen und eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus propagieren.”

Das bedeutet, Wahlkampf und Klassenkampf, wo immer möglich, zu verbinden, sei es durch die Unterstützung von Streiks, Mieter*innenkämpfen oder Gaza-Solidaritätsprotesten. Die Linke sollte diese Unterstützung damit verknüpfen, sozialistische Forderungen und die Notwendigkeit von massenhafter Selbstorganisation in Bewegungen hineinzutragen. Um die gemeinsamen Interessen der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten in den Vordergrund zu stellen, muss sie auch jegliche Vorschläge, wie zum Beispiel eine Erhöhung der Anwohnerparkausweise, ablehnen, die dazu führen, dass die arbeitende Bevölkerung noch mehr zur Kasse gebeten wird. Die Super-Reichen, Banken und Konzerne haben genug Geld in ihren Taschen, mit dem soziale Investitionen finanziert werden können.

Das bedeutet auch, in den Konflikt mit allen pro-kapitalistischen Parteien zu gehen und keinen einseitigen Anti-AfD-Wahlkampf oder einen “Lagerwahlkampf” zu betreiben, der mit Kritik an SPD und Grüne spart. Denn diese Parteien haben in Bund und Land ebenfalls regiert und die sozialen Missstände ebenso wie den Aufstieg der AfD mitzuverantworten. Die AfD muss nicht nur bekämpft werden, weil sie besonders rassistisch ist. Sie spielt sich als einzige Opposition gegen das Establishment auf und kann von der Unzufriedenheit mit diesem profitieren. Die Linke muss deshalb ihr unsoziales, neoliberales Programm entlarven und gleichzeitig beweisen, dass sie die einzige konsequente Opposition gegen den Kapitalismus und sein Establishment ist.  

Radikales Programm

Dafür ist ein radikales sozialistisches Wahlprogramm nötig. Der Antrag der BO Reuterkiez führt folgende Eckpunkte dazu auf: 

  • die Rücknahme aller Privatisierungen und Kürzungen der letzten Jahre
  • die Umsetzung des Volksentscheides zur Enteignung der Immobilienkonzerne und die Verteidigung des Volksentscheid zur Erhaltung des Tempelhofer Felds.
  • die sofortige Einführung einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im öffentlichen Dienst
  • massive Investitionen und Aufbau von mehr Personal im öffentlichen Dienst, u.a. in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Integration, Kultur und Soziales
  • Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel und Einführung eines kostenlosen ÖPNV, zusammen mit der Entwicklung neuer ökologischer Mobilitätskonzepte für die Stadt, die sozialverträglich sind
  • ein umfangreiches Bauprogramm der städtischen Wohnungsunternehmen für günstigen kommunalen Wohnraum, Senkung der Mieten auf ein kostendeckendes Niveau von 5,50 €/m² kalt und Einführung eines Mietendeckels für kommunales Wohnen
  • Stopp von Zwangsräumungen und -umzügen und ein Sofortprogramm zur Abschaffung von Obdach- und Wohnungslosigkeit
  • die Aufstellung eines bedarfsgerechten Haushalts, der die Bedürfnisse der Berliner Beschäftigten, Mieter*innen, Jugendlichen, Rentner*innen und sozial Benachteiligten in den Mittelpunkt stellt
  • Maßnahmen, welche die Haushaltslage auf Kosten der Super-Reichen, Banken und Konzerne verbessern: u.a. deutliche Gewerbesteuererhöhung, Stopp unnötiger und teurer Prestigeobjekte (z.B. Olympiabewerbung und A100-Ausbau), Stopp der Zinszahlungen an die Banken. Forderung an den Bund, mehr Geld für Länder und Kommunen bereitzustellen, u.a. durch höhere Steuern auf große Vermögen, Gewinne und Erbschaften
  • ein Nein zu allen Abschiebungen und Einsatz für gleiche Rechte für alle hier Lebenden.

Wie sähe linkes Regieren wirklich aus?

Auf dieser Basis könnte Die Linke erklären, dass sie bereit ist zu regieren:

“Aber sie sollte auch erklären, dass eine solche Regierung etwas völlig Neues wäre und sich von allen bisherigen unterscheiden müsste. Denn eine linke Regierung kann Verbesserungen nicht wie Geschenke verteilen. Verbesserungen müssen zusammen mit Druck aus Betrieben, Unis und Schulen erkämpft werden – gegen den Widerstand der Banken und Konzerne, der Bundesregierung, der bürgerlichen Presse, etc. Eine linke Regierung, die sich als Teil und Speerspitze der sozialen Kämpfe versteht, müsste ab Tag 1 in den Konflikt mit der pro-kapitalistischen Bundesregierung, den systemischen „Sachzwängen“ und den herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnissen treten. 

Die Linke sollte daher auch erklären, dass sie sich nur an einer Regierung beteiligt, die sich mit dem Kapitalismus anlegt; die also zu Widerstand und Massenprotesten in Berlin und anderen Bundesländern aufruft, um wirkliche Verbesserungen zu erkämpfen. Sie sollte dafür eine „Koalition“ mit Gewerkschaften, Belegschaften, Mietenbewegung und sozialen Organisationen anstreben und Wege finden, ihre Politik im Dialog mit der arbeitenden Bevölkerung zu erarbeiten und zu beschließen. Das ginge zum Beispiel durch entscheidungsbefugte Versammlungen demokratisch gewählter Vertreter*innen der Gewerkschaften, Belegschaften und breiteren arbeitenden Bevölkerung, durch Stadtteilversammlungen, Versammlungen an Schulen und Universitäten etc. Linke-Vertreter*innen in Parlament und Regierung sollten sämtliche Diäten und Bonusbezüge, die über einem durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn liegen, an den Aufbau einer solchen Bewegung abführen. Die Partei sollte so zeigen, dass Verbesserungen erkämpft werden können, ohne zu vergessen zu erklären, dass sie im Rahmen des Kapitalismus immer gefährdet bleiben und es deshalb eine sozialistische Veränderung fernab der Profitlogik und Konzernmacht geben muss.”

Es ist völlig klar, dass SPD und Grüne solch eine Kampfansage direkt zurückweisen würden. Niemand kann glauben, dass diese Parteien sich etwa auf eine Regierung einlassen würden, die sich auf einen bedarfsgerechten Haushalt ohne Kürzungen verpflichtet und das fehlende Geld vom Bund durch eine Reichensteuer einfordert oder Zinszahlungen an die Banken verweigert. Das muss Die Linke nicht davon abhalten, ihre Regierungsbereitschaft offensiv zu erklären. Sollte sie stärkste Kraft werden, kann sie im Abgeordnetenhaus ihr Programm zur Abstimmung stellen und SPD und Grüne herausfordern, dieses zu unterstützen. Sollten SPD und Grüne sich verweigern, kann sie weiter im und außerhalb des Parlaments dafür kämpfen, um ihre Unterstützung weiter aufzubauen. Je früher sie eine solche Haltung einnimmt, desto mehr Wähler*innen kann sie von diesem Kurs überzeugen, die in ihrer großen Mehrheit eine Regierungsbeteiligung befürworten, weil sie sich davon eine sozialere Politik erhoffen. 

Einzelfallentscheidung statt Rot-Rot-Grün

Ebenso sollte sie erklären, dass das das einzige Rezept ist, um den AfD-Aufstieg zu bekämpfen. Hingegen wäre es ein AfD-Aufbauprogramm, wenn die Linke sich an einer Neuauflage von Rot-Rot-Grün beteiligt und den Rechtspopulist*innen die Oppositionsrolle überlässt. Alle Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die AfD dadurch gestärkt wird. In Thüringen und Sachsen ist Die Linke so weit gegangen, sogar CDU-Ministerpräsidenten mitzuwählen. Aber das Ziel einer sozialistischen Partei ist nicht eine abstrakte „politische Stabilität“, wenn diese zu weiteren Angriffen auf die Arbeiter*innenklasse führt, sondern eine Alternative zu den herrschenden Verhältnissen aufzubauen. Sollte es die Möglichkeit geben, die CDU abzuwählen, muss Die Linke dem nicht im Weg stehen:

“Wir lehnen gemeinsame Regierungen mit pro-kapitalistischen Parteien, einschließlich SPD und Grünen, daher ab. Das bedeutet nicht, dass Die Linke eine Abwahl der CDU blockieren müsste, wenn das Wahlergebnis dies ermöglicht. Ebenso wenig verantwortet die Linke mit dieser Haltung eine Regierungsbeteiligung der AfD – unabhängig davon, ob dieses Szenario nach dieser Wahl in Berlin eintreten könnte. Sollten SPD, Grüne und Linke zusammen eine parlamentarische Mehrheit haben, könnte Die Linke SPD und Grünen anbieten, eine rot-grüne Minderheitsregierung ins Amt zu bringen. So könnte man SPD und Grüne auffordern, ihre Bereitschaft für linke Maßnahmen unter Beweis zu stellen, ohne dass dafür von unserer Seite Koalitions- oder Tolerierungsverträge unterschrieben werden müssten. Partei und Fraktion könnten dann jedes Gesetz dieser Regierung per Einzelfallentscheidung danach beurteilen, ob es eine Verbesserung oder Verschlechterung für die arbeitende Mehrheit darstellt, und entsprechend abstimmen.”

Der Haken an den Haltelinien

Mit solch einer Haltung kann Die Linke deutlich machen, dass sie SPD und Grüne an ihren Taten statt an ihren Worten misst. Das ist besser als der Ansatz der sogenannten “Roten Haltelinien”, der zurzeit von vielen in der Partei favorisiert wird. Damit ist gemeint, Bedingungen an eine rot-rot-grüne Koalition im Vorfeld von Verhandlungen zu formulieren. Auch einige Parteilinke schlagen diese Taktik vor, um SPD und Grünen den Schwarzen Peter bei gescheiterten Verhandlungen zuzuschieben. Doch die Sache hat einige Haken, es in der Begründung des Antrags der BO Reuterkiez heißt:

“Der “Rote Haltelinen”-Ansatz sagt mindestens implizit, dass SPD und Grüne theoretisch linke Politik machen könnten, wenn sie es denn wollten bzw. von der Linken in einer Koalition dazu gezwungen würden. 

Indem man Bedingungen an SPD und Grüne stellt, orientiert man die Partei erst einmal auf Verhandlungen mit SPD und Grünen und ein mögliches Zusammenkommen. Damit gibt man diesen Parteien vor den Wähler*innen ein Image, welches sie nicht verdienen, und spielt denjenigen in der Partei in die Hände, die eine Regierungsbeteiligung organisieren wollen.

Hinzukommt, dass man sich in eine Dynamik begibt, bei der wesentliche Bestandteile unseres Programms, die für einen linken Politikwechsel ja nötig wären, zur Verhandlungsmasse werden. Sie können so schon vor dem Koalitionsvertrag einkassiert werden. 

Der Druck auf mehr Zugeständnisse wächst im Laufe der Koalitionsverhandlungen hingegen, wenn man einmal die Möglichkeit einer Einigung zugesteht. Auch die Rolle der bürgerlichen Presse sollten wir dabei nicht unterschätzen, welche versuchen wird, Die Linke für ein mögliches Scheitern von Koalitionsverhandlungen (und damit auch der wenigen bereits getroffenen “guten” Vereinbarungen) verantwortlich zu machen. Das bringt uns in eine schwierige Position, gerade wenn wir eigentlich SPD und Grüne als unsozial entlarven wollen.

Die bisher […] vorgebrachten Vorschläge für Rote Haltelinien (Umsetzung des Volksentscheides, Verbot zusätzlicher Privatisierungen in der Landesverfassung, Bundesratsinitiativen für Mietendeckel und Vermögenssteuer) halten wir zudem für äußerst begrenzt. Bundesratsinitiativen werden beerdigt, bisherige Privatisierungen akzeptiert, und wie, wann und zu welchen finanziellen Bedingungen der Volksentscheid mit SPD und Grünen genau umgesetzt wird, steht in den Sternen.” 

Um sozialistischen Kurs kämpfen

Wie und ob die Berliner Linke die vor ihr liegenden Aufgaben und Herausforderungen bewältigt, ist offen. Sollte sie sich auf den Kurs einer erneuten Koalition im Rahmen des Kapitalismus begeben, wie es die Parteiführung vorzuhaben scheint, wird sie früher oder später nicht nur die tausenden neuen Mitglieder enttäuschen, sondern auch einen weiteren Aufstieg der AfD mitverantworten. Doch dass es so kommt, ist nicht ausgemacht. Sol-Mitglieder werden sich im Sinne der in diesem Artikel skizzierten Vorschläge und zusammen mit anderen Parteilinken dafür einsetzen, dass die Partei einen anderen Weg einschlägt und sich nicht erneut auf der falschen Seite der Barrikade wiederfindet.