Keine Entwarnung im Haushaltsstreit – Jetzt Widerstand gegen kommende Angriffe organisieren
Am 30. September wurde der Doppelhaushalt für Berlin Neukölln mit den Stimmen der CDU, SPD und Grünen in der BVV beschlossen. Trotz einiger Änderungsanträge aus dem bürgerlichen Lager ist das Defizit aus dem Eckwertebeschluss erhalten geblieben, der bereits 20 Millionen Euro Kürzungen vorsah. Das Geld, das aus der Beteiligung der Länder an der Reform der Schuldenbremse zur Verfügung steht, bringt keine nennenswerte Entwarnung.
Von Noah Krause, Berlin
Man wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass das deutsche und globale Kapital in einer tiefen Krise steckt. Steuergeschenke an die deutsche Oligarchie in Form einer Senkung der Körperschaftssteuer zum Wohle des Standorts Deutschlands und die Militarisierung zur Durchsetzung deutscher Interessen im Ausland verschlingen nun die Gelder, die vorher noch in den ohnehin bröckelnden Sozialstaat geflossen sind. Die Krise ist ganz oben, gezahlt wird unten.
Der deutsche Städtetag bemängelt seit geraumer Zeit die unzureichende Finanzierung der Kommunen. Das heißt, dass jene Strukturen unterfinanziert sind, die Bürger*innen, Arbeitnehmer*innen, Menschen in besonderen Notlagen täglich benötigen: Die Kita, den Hort, die Schule, den ÖPNV, den Jugendclub, die Beratungsstelle usw. Die weiteren Verschärfungen sind Symptome der Krise, die sich nun vermehrt in den Alltag der Menschen drängt.
In Neukölln wurde nun der Doppelhaushalt 2026/27 beschlossen. Quintessenz ist, wie sollte es anders sein, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss, 20 Millionen Euro enger, um genau zu sein. Einige Vorhaben aus dem nun verabschiedeten Haushaltsplan sind nicht gegenfinanziert. Da liegt die Vermutung nahe, dass hier Kürzungen oder sogar Schließungen stattfinden werden, die nun erst einmal unausgesprochen bleiben. Daraus ergibt sich schon jetzt eine enorme Problematik, ohne dass konkrete Informationen über die Kürzungsvorhaben ersichtlich sind: Die ungewisse Lage bezüglich der Finanzierung in nicht so ferner Zukunft setzt Träger und insbesondere deren Beschäftigte unter enormen Druck. Auch für diejenigen, die sich gerade noch auf Angebote verlassen und auch auf diese angewiesen sind, bedeutet der Blick in die Zukunft einmal mehr Ungewissheit und Sorge.
Bildung und Soziales besonders betroffen
Unter den Hammer kommt nun alles, was nicht in den Zuweisungen für Ausgaben enthalten ist, d.h. alle Investitionen. Diese Investitionen, in Neukölln primär in Bildung und Sozialem, werden von vielen Bürger*innen zurecht als kommunale Standardversorgung wahrgenommen. Dazu gehören neben Grünanlagenpflege, Spiel- und Sportangeboten im öffentlichen Raum oder auch Kinder- und Jugendarbeit. Was sich in der Pressemitteilung des Bezirksamts wie ein etwas eingeschränkter Luxus liest, bedeutet real jedoch enorme Einschnitte für die Menschen.
Einschnitte in der Kinder- und Jugendarbeit bedeuten etwa auch, dass niedrigschwellige Beratungsangebote und Krisenintervention für Familien in herausfordernden Situationen wegfallen. Teile der Versorgung der Kinder und Jugendlichen hängen eng an dem Besuch der entsprechenden Zentren und machen diese zu einem zweiten Zuhause für sie. Schließlich bedeutet dies auch einen großen Schritt in die Privatisierung der Sorgearbeit, da Betreuung, Hausaufgaben, Essenszubereitung usw. wieder vermehrt ins häusliche Umfeld gedrängt werden. Da Sorgearbeit zumeist von Frauen erledigt wird, werden diese umso direkter von den Kürzungen betroffen sein. Zudem sind gerade Soziales und Bildung eben Systeme, die zum Funktionieren ineinander greifen. Spart man bei einem, so sind die Auswirkungen weitreichend spürbar.
Antwort der Bürgerlichen
Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) verteidigt seine früheren Investitionen “in Chancengleichheit”. Umso bedauerlicher ist es nun, dass man diese nicht weiterführen könne. “Investitionen in Chancengleichheit” im nach wie vor ärmsten Bezirk Berlins blamieren derweil sowohl die Idee der Chancengleichheit als neoliberale Floskel, da das Ziel nicht sein sollte, faire Bedingungen für den eventuellen Aufstieg aus der Armut zu schaffen, als auch die Höhe solcher Investitionen als offensichtlich zu gering. Dennoch setzt man staatsmännisch auch “unbequeme Entscheidungen” wie eben Kürzungen in unterbezahlten Strukturen durch – wenn auch mit der Aussicht, dass man sich auf höherer Ebene für bessere Finanzierung einsetzt.
Wie aussichtsreich dieser Einsatz sein könnte, sollte bei einem Blick in die Nachrichten klar sein: Der ideelle Gesamtkapitalist, d.h. der Klassenstaat, der die Verantwortung für Wachstum und stabiles Funktionieren seiner Wirtschaft trägt, spricht derweil von Menschen in besonderen Notlagen abschätzig von Nutznießern einer sozialen Hängematte und lässt täglich neue Horrorszenarien zur beispiellosen Aufrüstung fallen. Funktionierende Strukturen zu schaffen, die der breiten Bevölkerung zugutekommen, sind augenscheinlich nicht Aufgabe des so gearteten Staates. Hikels Absichten wirken hier entweder hilflos oder naiv.
Auch der Rest bekleckert sich nicht mit Ruhm. Zwar wurden beim Haushalt Änderungsanträge von CDU, SPD und Grünen angenommen, wodurch mehr Geld zur Grünanlagenpflege, Jugendarbeit und in die Arbeit gegen Queer- und Judenfeindlichkeit fließt. Wie bereits erwähnt, mangelt es jedoch an einigen Stellen an Gegenfinanzierung, wodurch einige Posten auf wackeligen Beinen stehen. Zudem werden laut Pressemitteilung der Linken nicht alle Spielräume genutzt, die durch die Reform der Schuldenbremse eröffnet wurden. Die Ablehnung des Haushalts, u.a. durch die Linke wurde währenddessen kritisiert: „Die Ablehnung des Bezirkshaushalts bringt keinen Cent zusätzlich, sondern gefährdet bestehende Angebote für Kinder- und Jugendliche massiv“, erklärte Tanana von der Grünen-Fraktion. Mit Blick auf die Gefährdung der sozialen Angebote im jetzigen Haushaltsbeschluss wirkt diese Aussage eher zynisch.
Die Linke
Die Jugendstadträtin Sarah Nagel von der Linken hatte angekündigt, die Kürzungen nicht mitzutragen. Sie sagte, dass sie keine Jugendclubs schließe. Zu dem Zeitpunkt wurden ihr aus den Reihen der SPD und der Grünen “bezirkspolitische Inszenierung” und “parteipolitische Taktik” vorgeworfen. Die Reaktion jener bürgerlichen Parteien, die sich selbst als links bezeichnen, spricht hierbei Bände. Die Aussicht zu diesem Zeitpunkt war der Rücktritt oder der Rausschmiss von Sarah Nagel, was ein starkes Zeichen gesetzt hätte: Soziale Politik im Rahmen der derzeitigen Krise und innerhalb des Systems sind nicht möglich, auch wenn sich die SPD diese immer wieder auf die Fahne schreibt. Gleichzeitig wäre es ein Weckruf an die Linke, dass eine Regierungsbeteiligung nicht automatisch zu einer sozialen und gleichen Gesellschaft führt (und auch in der Vergangenheit nie führte). Jede Regierung im Rahmen eines krisenhaften, kapitalistischen Systems kann den Mangel auch nur mit eigenen Ideen mitverwalten und der Grundtendenz des Kapitalismus zur Akkumulation von Reichtum und Elend auf zwei entgegengesetzten Polen nicht Paroli bieten. Real würde das unterm Strich so aussehen, dass ein*e Haushaltsverwalter*in vom Bund geschickt werden würde, die*der den Haushalt nach ihrem*seinem Ermessen auf Vordermann bringt. Eine bürgerliche Regierung unter Beteiligung der Linken mit Grünen und SPD, die dieses System und damit den Mangel verwaltet, und sich nicht mit der Bundesregierung oder den großen Konzernen anlegen will, könnte nichts an der Haushaltslage oder der Höhe von zugewiesenen Geldern ändern und man käme in die gleiche Situation. Nur massiver Widerstand und Druck aus den Betrieben und von der Straße kann den Weg zu einer wirklichen Alternative führen.
Reform der Schuldenbremse bringt keine Entwarnung
Die Reform der Schuldenbremse sorgte kurz für Aufatmen. Berlin ist es möglich, unter gewissen Voraussetzungen neue Schulden aufzunehmen. Statt 2 Milliarden Euro einzusparen, möchte Berlin sogar neue Kredite in Höhe von bis zu 4 Milliarden Euro aufnehmen. Eine Entwarnung ist das jedoch nicht. Wer die Nachrichten verfolgt, weiß, wofür die Lockerung der Schuldenbremse eigentlich taugt und wozu nicht, nämlich nicht zur Investition in Sozial- oder Bildungssysteme, generell nicht zur Verbesserung des Lebens aller (siehe https://solidaritaet.info/2025/03/die-linke-trump-die-ukraine-und-die-schuldenbremse/). Der Nachsatz “Investitionen in Infrastruktur” hinter der sogenannten Zeitenwende ist das Feigenblatt, dass die enorme Militarisierung verstecken soll, die eigentlich angedacht ist. Ein haushaltspolitisches Tabularasa steht also definitiv nicht an, auch, da die zusätzlichen Mittel für Pflichtausgaben vorgesehen sind. Kultur, Jugend, Bildung und Familie gehen bei der Frage nach neuen Investitionen erst einmal leer aus.
Es scheint hierbei am ehesten so, als würde man sich weniger als ein Jahr vor den Abgeordnetenhauswahlen unliebsame Entscheidungen vom Hals halten wollen. Der Schaden ist währenddessen dennoch bereits angerichtet. Die Linke Neukölln schreibt auf ihrer Website, dass einerseits die Kürzungen vom Jahresbeginn bereits die soziale Infrastruktur geschwächt hätten und die Träger durch die aktuelle Lage verunsichert würden.
Eine weitere wichtige Frage ist, wie sich die Situation nach den Wahlen weiterentwickelt. Die Krise des Kapitals ist nicht abgewendet und die Tendenzen stehen fest. Sich auf dem auszuruhen, was man nun hat, reicht definitiv nicht. Kürzungen werden immer wieder Thema sein. Zudem greift ein Abwehrkampf gegen Angriffe zu kurz, da die zentrale Forderung der Linken “Her mit dem guten Leben” sein sollte, nicht “Her mit dem Status Quo”. Der Kampf muss sich auch auf massive Investitionen in jene Bereiche beziehen, die von der Arbeiter*innenklasse täglich genutzt und gebraucht werden: Bildung, Soziales, Gesundheit, Freizeitangebote, Wohnen, ÖPNV usw. Das Geld dafür wäre da, bei den Profiten und Vermögen der Reichen und Konzerne.
Wie weiter?
Zuallererst wäre es ein Fehler, die scheinbare Kehrtwende im Kampf gegen den Kürzungshaushalt als Sieg anzusehen, der sich dadurch in einen Pyrrhussieg verwandeln würde. Was es stattdessen braucht, ist eine offensive Vorbereitung auf anstehende Kämpfe gegen Kürzungen und den Herbst der Grausamkeiten, sowie den Kampf für Verbesserungen, Investitionen und schlussendlich eine sinnvoll geplante, sozialistische Wirtschaft.
Was nun erforderlich ist, ist die Organisation der bedrohten Betriebe und der betroffenen Bürger*innen, der Gewerkschaften, der Linken und der Bewegungen wie #unkürzbar in Widerstandskonferenzen und schließlich auf dem Protest auf der Straße. Solche Proteste können wirken, wie der Kampf gegen die Liste der Grausamkeiten – ein Kürzungshaushalt mit eklatanten Einschnitten – in Dresden gezeigt hat, wo Betroffene miteinander und auch füreinander auf die Straße gingen, um gegen massive Kürzungen zu demonstrieren. Mitglieder der Sol haben diesen Protest mit ins Leben gerufen und führen diesen nach ersten Erfolgen, nach denen aber dennoch weiterhin Verschlechterungen drohen, fort.
Die Linke darf dabei keine Zuschauer*innenrolle einnehmen. Sie muss den Widerstand auf der Straße begleiten und in den Parlamenten stark gegen Kürzungen und für Investitionen auftreten. Dabei dürfen keine faulen Kompromisse eingegangen werden, die die Bewegung spalten: etwa wenn ein Bereich vor Kürzungen bewahrt wird, indem ein anderer gestrichen wird. Schlussendlich muss die Linke Forderungen aufstellen, hinter denen sich die Arbeiter*innen stellen können und die gleichzeitig so weit gehen, dass sie das System, unter dem die Mehrheit nichts erwarten kann, blamiert wird und sich die Illusionen darin zerschlagen. Auch die Gewerkschaften müssen hier eine zentrale Rolle einnehmen. Die geplante Kundgebung der Ver.di am 18. Dezember in Berlin und die Forderung der Rücknahme auch ein guter Anfang. Auch hier muss aber folgen, dass eine bloße Rücknahme nicht reicht und Investitionen nötig sind. In dem Protestaufruf wird richtigerweise auch darauf hingewiesen, dass nicht nur das Leistungsangebot unter den Kürzungen leiden wird, sondern auch die Arbeitsbedingungen in den Bezirken, in denen gekürzt wird.
Die Machthabenden regieren gegen die Interessen der Arbeitnehmer*innen, leisten sich Aufrüstung und Steuergeschenke, vertrösten die Betroffenen mit “Sachzwängen”, denen man sich zu beugen habe, argumentieren, dass die viertgrößte Volkswirtschaft kein Geld habe, um das Nötigste bereitzustellen und geben die Kosten des eigenen Handelns nach unten weiter.
Wir sagen, dass es in diesem krisenhaften System keine nachhaltigen Verbesserungen geben wird. Wir fordern stattdessen bedarfsgerechte Finanzierung aller sozialen Einrichtungen, des ÖPNVs, der Schulen, Parks, Krisenhilfe usw. sowie massive Investitionen in den Ausbau dieser. Wir fordern, dass nicht die Arbeiter*innen und Bürger*innen, sondern die Unternehmen und Bosse diese Kosten tragen. Wir wissen auch, dass diese Forderungen den Grundrechenarten des Kapitalismus entgegenstehen, darum kämpfen wir nicht nur für jede Verbesserung im Hier und Jetzt, sondern gleichzeitig für eine sozialistische Demokratie, in der diese Akkumulation von Reichtum und Elend nicht vorgegeben ist, sondern die Erfüllung der Bedürfnisse der Mehrheit Ziel einer demokratisch geplanten Wirtschaft ist.
Komm mit uns auf die Straße beim Protest gegen den Kürzungshaushalt am 18. Dezember in Berlin!