Frankreich im Fieber der kapitalistischen Krise

Die politische Lähmung mit explosiven Folgen für ganz Europa.

Während in Berlin Sozialabbau und Arbeitszeitverlängerung vorbereitet wird, brennt in Paris die Lunte an einem politischen und ökonomischen Pulverfass. Die jüngsten Regierungskrisen sind kein normales Geplänkel. Die “Fünfte Republik” steckt in einer ihrer bislang schwersten Krisen.

von Leo Brillet, Stuttgart

Das Ende der Stabilität

Die Politik von Frankreichs Präsidenten Macron nimmt immer deutlicher bonapartistische Züge an: Der ehemalige Investmentbanker kann sich schon lange nicht mehr auf eine demokratische Mehrheit stützen. Stattdessen bedient er sich einer direkten, autoritären Exekutive – in Kombination übermäßiger staatlichen Repression. Dieses Projekt liegt nun in Scherben. 

Seit 2022 haben bereits fünf verschiedene Premierminister*innen regiert. Die jüngste Farce war das erste Kabinett von Premierminister Sébastien Lecornu, das nach nur 14 Stunden kollabierte. Nach diesem spektakulären Scheitern reichte Lecornu seinen Rücktritt ein, doch Macron ernannte ihn erneut zum Regierungschef.

Die herrschende Klasse kann keine stabile Mehrheit für ihre unsoziale Sparpolitik organisieren. Selbst der autoritäre 49.3-Artikel, mit dem frühere Regierungen unpopuläre Gesetze durchpeitschten, ist in der aktuellen Zuspitzung wirkungslos geworden. 

Während sich die politischen Eliten in ihrem Machtspiel weiter drehen, wächst der soziale Widerstand auf der Straße. 

Die tickende Bombe 

Hinter der politischen Lähmung lauert der ökonomische Abgrund. Die hohe Staatsverschuldung von über 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist das direkte Ergebnis kapitalistischer Logik. Sie ist die Rechnung für jahrzehntelange Steuergeschenke an Konzerne und Reiche, für die Privatisierung öffentlicher Gewinne und die Vergesellschaftung privater Verluste.

Die Zinsen für französische Staatsanleihen schießen in die Höhe und signalisieren die Angst vor einem Staatsbankrott. Doch ein Zahlungsausfall Frankreichs wäre kein zweites Griechenland. Griechenland war im Vergleich eine periphere Krise, die in Berlin und Brüssel eingedämmt werden konnte. Frankreich ist Teil des wirtschaftlichen und politischen Herzstücks der Eurozone. Eine Schuldenkrise hier könnte einen Herzinfarkt für den gesamten europäischen Kontinent bedeuten.

Tiefe Vertrauenskrise

Die jüngste „Fractures françaises“-Studie (dt: “französische Risse”) zeigt: Nur noch zehn Prozent der Bevölkerung vertrauen den politischen Parteien. Acht von zehn Befragten geben an, dass ihre politischen Ideen im aktuellen System nicht repräsentiert werden. Die soziale Realität spiegelt diese Krisenhaftigkeit wider: 57 Prozent der Haushalte geben an, nur „schwer über die Runden zu kommen“. 

Die Krise im System – und der Weg hinaus

Die multiplen Krisen in Frankreich sind verschiedene Symptome derselben systemischen Erkrankung: des Kapitalismus im Niedergang. Dieses System ist nicht reformierbar. 

Die linke Formation La France Insoumise stellt als wachsender Anziehungspol für Arbeiter*innen und Jugendliche einen wichtigen Ansatz dar. Jetzt geht es darum, entschlossene Schritte in Richtung einer sozialistischen Massenpartei zu gehen. 

Damit La France Insoumise diesen Weg gehen kann, braucht es ein klares Bekenntnis zum Sozialismus – nicht nur Kritik am Kapitalismus, sondern auch eine klare Vorstellung, womit dieser ersetzt werden soll. Die Überführung von Banken und Konzernen in Gemeineigentum unter Arbeiter*innenkontrolle und Verwaltung muss zentraler Programmpunkt werden. Außerdem braucht es eine demokratische Struktur, die es Mitgliedern ermöglicht, sich einzubringen und Einfluss auf Programm und Taktik von La France Insoumise zu nehmen (bislang ist La France Insoumise mehr als Bewegung denn als Partei organisiert). Darüber hinaus, müssen insbesondere Gewerkschafter*innen in diesen Prozess einbezogen werden und es muss diskutiert werden, wie der Kampf gegen Macron und seine unsoziale Politik auch in den Betrieben geführt werden kann. 

So könnte eine politische Alternative zu Macron, aber auch der extremen Rechten um Le Pen, aufgebaut werden, die einen Weg aus der kapitalistischen Dauerkrise aufzeigen könnte.


Quellen:

https://fr.wikipedia.org/wiki/Crise_politique_fran%C3%A7aise_depuis_2024

https://www.ipsos.com/fr-fr/fractures-francaises-2025