Zu den Aussichten für die Bundesrepublik Deutschland
Gerade mal sieben Monate nach ihrer Amtsübernahme wurde die Abstimmung über das Rentenpaket im Bundestag zur Abstimmung über das politische Überleben der Merz-Klingbeil-Regierung. Auch wenn dies mit der sogenannten Kanzlermehrheit (der Mehrheit aller Abgeordneten) gelang, zeigten die Wochen zuvor, wie schwach diese Bundesregierung ist.
Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher
Nicht nur sind ihre Zustimmungswerte auf einem Rekordtief und ist sie in Meinungsumfragen weit entfernt von einer Mehrheit, auch hatten Kanzler Merz und der Unions-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn die 18 Abgeordneten der Jungen Gruppe in ihrer Fraktion nicht im Griff. Diesen gelang es, die öffentliche Debatte in den Wochen vor der Abstimmung mit ihren arbeiter*innenfeindlichen Positionen für Rentenkürzungen zu dominieren und von bürgerlicher Seite viel Zustimmung für ihre Positionen zu bekommen.
Instabilität
Diese Entwicklung steht sinnbildlich für den Zustand der Republik. Der herrschenden Klasse gelingt es angesichts der enormen politischen Instabilität und Polarisierung nicht, eine einheitliche Politik zu formulieren und die von ihr seit Monaten geforderten weitreichenden Angriffe auf die Rechte der Arbeiter*innenklasse umzusetzen. Das liegt jedoch weniger an einem entschlossenen Widerstand seitens der Gewerkschaften, sondern mehr daran, dass vor allem die Sozialdemokrat*innen aus Angst vor dem politischen Untergang und der weiteren Stärkung der AfD nicht so recht mitziehen wollen – ihre Co-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas entdeckte beim Juso-Bundeskongress die sogenannten „Arbeitgeber“ (die doch in Wirklichkeit die Arbeitskraft kaufen und ausbeuten) sogar als den eigentlichen Gegner, was jedoch sofort zu entschuldigenden Distanzierungen anderer Spitzenkräfte der SPD führte und ohnehin in der Politik dieser ehemaligen Arbeiter*innenpartei keinen Niederschlag findet.
Im dritten Jahr wirtschaftlicher Rezession und Stagnation haben die großen Konzerne und Unternehmen den Abbau von mittlerweile 200.000 Arbeitsplätzen angekündigt, sind ebenso viele Beschäftigte in Kurzarbeit und erreicht die Zahl von Firmeninsolvenzen mit über 22.000 einen neuen Rekordstand der letzten zehn Jahre. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit geht, vor allem unter Industriearbeiter*innen, wieder um. Hinzu kommen anhaltend hohe Verbraucher*innenpreise, steigende Mieten, Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, Kürzungen bei der Daseinsvorsorge, bei Jugend, Kultur und Sozialem in den Kommunen und, nicht zuletzt, die neue Angst vor einem möglichen Krieg, die durch die Herrschenden und ihre alle Gesellschaftsbereiche durchziehende Militarisierung geschürt wird.
Drohender Crash
Und über allem schwebt die zunehmende Sorge vor einem Crash der Weltwirtschaft angesichts zunehmender Blasenbildung an den Aktienmärkten, Rekordverschuldung, Überproduktion, Handelskriegen und geopolitischen Verwerfungen. Das stark exportabhängige Deutschland würde davon besonders hart getroffen.
Aber auch unabhängig davon drängt das Kapital auf eine drastische Verbesserung seiner Profitbedingungen, was die bürgerlichen Politiker*innen „Reformen“ nennen und in Wirklichkeit eine Verschlechterung der Rechte und des Lebensstandards der Masse der Bevölkerung bedeutet. Sie wollen bei Rente, Bürgergeld, der Gesundheitsversorgung, Kündigungsschutz, Arbeitszeitgesetz und vielem mehr die Axt anlegen. Eine tiefe Wirtschaftskrise könnte ihnen dabei helfen, dies auch durchzusetzen.
Kein Vertrauen in die SPD
Die Zeichen stehen also auf Klassenkampf von oben. Es gibt keine Garantie darauf, dass die SPD sich den weitgehenden Forderungen der Kapitalist*innenklasse widersetzen wird. Es sollte nicht vergessen werden, dass es die rot-grüne Schröder-Regierung war, die mit der Agenda 2010 den größten Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme nach dem Zweiten Weltkrieg zu verantworten hatte. Doch die Sozialdemokratie steht unter Druck – ihrer Basis, der Arbeiter*innenklasse und vor allem durch die drohende Bedeutungslosigkeit (gleichzusetzen mit dem Verlust von Mandaten und Regierungsämtern). Dies veranlasst sie aktuell dazu, innerhalb der Koalition nur begrenzten Angriffen auf die Arbeiter*innenklasse zuzustimmen – was wiederum den Druck auf die Union erhöht, die “Brandmauer” gegenüber der AfD fallen zu lassen, um perspektivisch weitere Regierungsoptionen zu haben, die die feuchten Träume der Unternehmer*innen durchsetzen können.
Auch wenn die Spitzen von CDU/CSU aufgrund der Massenproteste gegen ihre gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag zum Thema Migration im Januar, die Schlussfolgerung gezogen haben, diesen Kurs erst einmal nicht weiter zu beschreiten, führt die zunehmende Stärkung der AfD unweigerlich dazu, dass diese Haltung untergraben wird. Das Ergebnis ist eine enorme politische Instabilität und die Möglichkeit weiterer Verwerfungen der Parteienlandschaft, wie wir sie in anderen europäischen Ländern beobachten können. Sollte es der AfD im kommenden Jahr gelingen, bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt über vierzig Prozent und evtl. sogar die absolute Mehrheit der Sitze zu erreichen, wird die sogenannte, ohnehin schon löchrige, „Brandmauer“ fallen.
Widerstand nötig
Nötig wäre erstens ein konsequenter und entschlossener Widerstand der Gewerkschaften gegen die Regierung und ihre laufende und drohende Politik gegen die Interessen der Masse der Bevölkerung. Die Gewerkschaftsspitzen müssen ihren Ankündigungen von Protesten und politischen Streiks endlich Taten folgen lassen.
Nötig wäre zweitens eine sozialistische Massenpartei der Arbeiter*innenklasse, die eine politische Alternative zu den pro-kapitalistischen Parteien von SPD bis AfD darstellt. Die Linke könnte einen Beitrag dazu leisten, eine solche Partei aufzubauen, wenn sie nicht auf Anerkennung durch die CDU/CSU setzt und statt Regierungen mit Sozialabbau-Parteien zu bilden, ihre ganze Kraft darauf verwendet, die von Kürzungen und Arbeitsplatzabbau Betroffenen zu organisieren und zu mobilisieren.