Flüchtlingsbewegung und Migrationsdebatte

Herausforderung für die Linke

Zugenähte Münder, Märsche durch die Republik, Protestcamps in deutschen Innenstädten, Wellen von Hungerstreiks, „Lampedusas in Hamburg”: Seit Beginn eines Protestzyklus im März 2012 ist die Flüchtlingsbewegung in Deutschland so sichtbar wie noch nie.

Und diese Bewegung erhält Unterstützung. In vielen Städten bilden sich Unterstützergruppen, tausende SchülerInnen organisieren Schulstreiks, AnwohnerInnen in Kreuzberg stellen sich schützend vor die von Flüchtlingen besetzte Gerhard-Hauptmann-Schule. Der unmenschliche und zynische Umgang mit Flüchtlingen an Europas Außengrenzen und in Deutschland bewegt zunehmend mehr Menschen.

Weniger sichtbar ist noch ein anderes Phänomen: Die Ausbeutung „mobiler“ ArbeitnehmerInnen aus den osteuropäischen EU-Ländern in der deutschen Wirtschaft.

Die Migrationsdebatte hat verschiedene Ebenen. Eine sozialistische Analyse richtet den Blick auf die materiellen Interessen hinter den verschiedenen Positionen.

von René Henze, Rostock

Während Flüchtlinge, AsylbewerberInnen und migrantische ArbeitnehmerInnen einen mühseligen Weg gehen müssen, um hier leben und arbeiten zu können, sieht das deutsche Recht für wohlhabende MigrantInnen anders aus. Im „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG)“ heißt es unter Paragraf 21: „(1) Einem Ausländer kann eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit erteilt werden, wenn 1. ein wirtschaftliches Interesse oder ein regionales Bedürfnis besteht, 2. die Tätigkeit positive Auswirkungen auf die Wirtschaft erwarten lässt und 3. die Finanzierung der Umsetzung durch Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage gesichert ist.“ Um schneller „hochqualifizierte“ Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, wurde 2012 dieses Gesetz „abgemildert“, in dem nun nicht mehr die Summe von 250.000 Euro und die Schaffung von mindestens fünf Arbeitsplätzen verlangt wird. (i)

Reiche habens leichter

Der Multimillionär Thomas Gottschalk hat seinen Hauptwohnsitz im kalifornischen Malibu; Heidi Klum verfügt über ein geschätztes Privatvermögen von 53 Millionen Dollar (ii) und hat neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch die US-Amerikanische. Die Schumacher-Brüder, ebenfalls Multimillionäre haben mit dem Fiskus der Nachbarländer Sonderkonditionen ausgehandelt, die um ein Vielfaches unter dem deutschen Spitzensteuersatz liegen. Ralf Schumacher verhandelte zu diesem Zweck direkt mit dem österreichischen Finanzminister. (iii)

Für Reiche und Promis aus Wirtschaft und Showbiz gibt es keine nationalen Grenzen; sie können problemlos in andere Länder gehen, wohnen und leben. Ebenso können rund um den Globus Banken und Konzerne Niederlassungen eröffnen oder schließen, ganz wie es ihren Profiterwartungen entspricht. Die nationale Herkunft ist dabei nebensächlich, vielmehr zählt wie millionen- oder milliardenschwer die Person oder Firma ist.

Ganz anders sieht es für ArbeitnehmerInnen und die Armen auf diesem Planeten aus. Für sie gibt es „Ausländer-“ und „Asylgesetze“ oder „Gesetze über die Arbeitnehmerfreizügigkeit“. Ihnen werden die Grenzen geschlossen, sie werden zu Menschen zweiter Klasse gemacht.

Asylbewerber und Flüchtlinge

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden 2013 in Deutschland 109.580 Asylerstanträge gestellt. Im Jahr 1992 waren es 438.191. Im selben Jahr wurde das Grundgesetz von CDU/CSU, FDP und SPD geändert und das Asylrecht massiv eingeschränkt. Vor allem die so genannte Drittstaatenregelung führte zu einem massiven Rückgang der Asylanträge. Diese sieht vor, dass AsylbewerberInnen in diejenigen Staaten abgeschoben werden, in denen sie nach ihrer Flucht zuerst angekommen sind, wenn diese als „sicher“ gelten. Das bedeutete faktisch, dass Asyl in der Bundesrepublik nur noch beantragt werden kann, wenn man das Land auf dem Luftweg erreicht. Auf EU-Ebene sieht das Dublin II-Abkommen vor, dass einE AsylbewerberIn ihren Antrag in diesem EU/Land stellen muss, in das er bzw. sie zuerst eingereist ist.

Hinzu kommt, die Abschottung der EU-Außengrenzen durch FRONTEX. Nach neuesten Schätzungen sind seit dem Jahr 2000 an Europas Außengrenzen 23.000 Menschen bei dem versuch einzureisen ums Leben gekommen.

Tatsächlich bleibt die große Mehrheit der Flüchtlinge in Nachbarländern ihrer Heimat. Der Vorsitzende des UN-Flüchtlingshilfswerks, Antonio Guterres, verglich die Lage im Libanon „wie wenn [proportional gesehen,] in Deutschland 18 Millionen Flüchtlinge angekommen wären …“.2013 waren weltweit 51,2 Millionen Menschen auf der Flucht. 86 Prozent von ihnen leben in Entwicklungsländern.iv Das obwohl die politische Verantwortung für die Fluchtursachen zu einem großen Teil in imperialistischer Kriegspolitik und Ausbeutung durch multinational operierende westliche Konzerne liegen.

Damit werden die Bedingungen, die zu Flüchtlingsströmen führen, letztlich nur reproduziert. In einer kapitalistischen Welt, die zwangsläufig soziale Ungleichheit, Armut, Naturkatastrophen und Kriege hervorbringt, werden Flüchtlingsströme nicht zu verhindern sein. Die richtige Parole „Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge“ ist daher im Kern ein Aufruf zur Überwindung der kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse weltweit.

Kein Asylrecht in Deutschland

Von Januar bis Mai entschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über 52.054 Asylanträge. Ganze 737 Anträge (1,4 Prozent) erhielten den Status als Asylberechtigte nach Artikel 16a des Grundgesetzes. Weitere 8.861 (17 Prozent) erhielten Flüchtlingsschutz (was einem Asylstatus gleich kommt). Weitere 2.864 Anträge (5,5 Prozent) erhielten ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht („subsidiärer Schutz“) wegen drohender Folter oder Hinrichtung. Bei weiteren 729 Anträgen (1,4 Prozent) wurde ein vorübergehendes Abschiebungsverbot erlassen. Summa sumarum wurden von den 52.054 Asylanträgen insgesamt nur 13.191 Anträge (25,3 Prozent) positiv beschieden. (v)

Schon die geringe Zahl der Asylberechtigten, bzw. derjenigen, die Flüchtlingsschutz – oder wenigstens ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht – erhalten, zeigt, wie beschnitten das Asylrecht in Deutschland ist. Asyl erhält nur derjenige, der in einem detaillierten Verfahren nachweisen kann, dass er oder sie individuell politisch verfolgt wird. Verfolgung und Diskriminierung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit, wie im Falle der Sinti und Roma, oder aufgrund der sexuellen Orientierung führt in der Regel nicht zur Erlangung von Asyl. Das ist eine inhumane Asylpolitik, die Menschen in Not zurückweist. Deshalb fordern wir, dass ein tatsächliches Asylrecht wiederhergestellt wird, Asylgründe ausgeweitet und Menschen in Not aufgenommen werden.

Die Behauptung, AsybewerberInnen seien eine finanzielle Belastung für die öffentlichen Haushalte oder gar für Sozialkürzungen verantwortlich entbehrt jeder Grundlage. Tatsächlich liegen die Ausgaben für AsylberwerberInnen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Jahr 2013 bei 1,09 Milliarden Euro.vi Zum Vergleich: Der Verteidigungsetat frisst 31,4 Milliarden Euro.vii Letzteres sind über zehn Prozent des Bundeshaushalts, ersteres unter 0,5 Prozent.

Hinzu kommt, dass AsylberwerberInnen durch das Arbeitsverbot daran gehindert, selber für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und einen Beitrag zur Wirtschaftsleistung zu erbringen. Auch ist der private Reichtum in den Händen einiger weniger in diesem Land so gigantisch, dass die durch AsylbewerberInnen anfallenden Kosten problemlos zu bezahlen wären. Der Abbau der Sozialleistungen hat auch nichts mit den Asylbewerberzahlen zu tun, denn dann hätten diese ja in den Jahren sinkender Asylbewerberzahlen, wieder ausgebaut werden müssen. Das Gegenteil war der Fall. Öffentliche Haushalte sind klamm und es werden Sozialleistungen gekürzt, weil die Banken, Konzerne und Vermögenden immer weniger Steuern zahlen, die so genannten Lohnnebenkosten gesenkt werden – alles Entscheidungen von deutschen Politikern und nicht türkischen Bauarbeitern oder syrischen Flüchtlingen!

Asylrecht auch für Sinti und Roma!

In einer Pressemitteilung des Bundesamtes für Migration vom 10. Januar 2014 heißt es: „Stärkstes Herkunftsland im Jahr 2013 bei allen Asylanträgen war – wie schon im Vorjahr – Serbien … davon mehr als 90 Prozent Roma … Aufgrund regelmäßig nicht vorliegender Asylgründe lag der Anteil der Flüchtlingsanerkennungen an den Entscheidungen zu serbischen Asylanträgen bei null Prozent.“ Und über Mazedonien steht dort: „Eine Flüchtlingsanerkennung erfolgt im Regelfall nicht, da die Voraussetzungen dafür jeweils nicht vorhanden waren. 76 Prozent der Antragsteller gaben als Volkszugehörigkeit ‚Roma‘ an.“ (viii)

Inzwischen hat die Große Koalition das Asylrecht weiter verschärft. Nun gelten Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien als „sichere Herkunftsländer“. Völlig zu Recht kritisierte die LINKEN-Bundestagsabgeordnete, Ulla Jelpke: „Dieser Gesetzentwurf verharmlost rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung.“ Sinti und Roma sind in diesen und anderen Ländern, wie Ungarn, Opfer systematischer Diskriminierung und Verfolgung. Diese Länder als für sie „sicher“ zu bezeichnen ist zynisch und kommt einer faktischen Unterstützung dieser Diskriminierung und Verfolgung gleich.

Arbeitsmigration aus den Ländern der EU

Anders als in den frühen 1990er Jahren, wird von Seiten bürgerlicher Politiker heute aber weniger Stimmung durch die Neuauflage einer „Asyldebatte“ gemacht, sondern mit der Frage von Arbeitsmigration im Zuge der sogenannten „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ innerhalb der EU. 75 Prozent der neu in das „Ausländerzentralregister“ aufgenommenen Personen kamen aus Mitgliedsstaaten der EU. (ix)

Hier bilden sich zwei Entwicklungen ab: 63.719 Zuwanderer kamen aus den südeuropäischen Krisenländern der EU (Italien 23.526, Spanien 15.308 und aus Griechenland 18.077, Portugal 6.808). Der Hauptteil der Zuwanderung, 196.137, kamen aus den osteuropäischen EU-Ländern, Polen: 77.480 , Rumänien: 62.372, Bulgarien: 28.069 und Ungarn: 28.216. (x)

Deutschland profitiert von der europäischen Integration wie kaum ein anderes Land. „Wir sind darauf angewiesen, dass Arbeitskräfte zu uns kommen.“, so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am 26. Januar gegenüber BILD. (xi)

Wen Schäuble mit „wir“ meint, verdeutlicht ein Bericht des Nachrichtensenders n-tv vom 1. April. Unter der Überschrift: „Arbeitsmigration zur Erntesaison“ berichtet der Sender, dass „90 Prozent“ der über 300.000 „ErntehelferInnen“ auf deutschen Spargel- oder Erdbeerfeldern aus dem europäischen Ausland – „die meisten von ihnen aus Osteuropa“ – kommen. Weiter heißt es, die Landwirte „sorgen sich derzeit wegen der geplanten Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro, den sie auch Saisonarbeitskräften zahlen müssen.“ Ihre Sorgen wurden erhört und für ErntehelferInnen eine der vielen Ausnahmeregeln beim Mindestlohn beschlossen.

Als die CSU im letzten Jahr und dieses Jahr im Europawahlkampf eine Debatte um eine angebliche „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ lostrat, war die Wirtschaft davon wenig begeistert. Der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, äußerte sich ziemlich verärgert in der Zeit-online vom 4. Januar: „Die Zuwanderung insgesamt darf nicht durch eine aufgeheizte politische Diskussion in ein schlechtes Licht gerückt werden“. Weiter wird er zitiert: „Deutschland brauche angesichts der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren bis zu 1,5 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, um ‚Wachstum zu sichern…‘“. (xii)

Hans-Werner Sinn vom Institut für Wirtschaftsforschung bläst ins selbe Horn: „Die Migration versorgt die deutsche Wirtschaft mit dringend benötigten Arbeitskräften. Viele Immigranten, gerade aus Polen, Tschechien, der Slowakei oder Slowenien, sind gut ausgebildet und integrationswillig. Die Migration ist ein Gewinn […] für die Deutschen, weil die neuen ausländischen Arbeitnehmer die Produktion mehr steigern, als sie kosten“. (xiii)

Kapitalistische Notwendigkeit

Die britische Sozialistin Hannah Sell schrieb im Sommer 2012 „Kapitalismus, Globalisierung und Migration“: „Die größere Freizügigkeit der Arbeitskräfte ist ein Aspekt der Globalisierung. Es ist die Freiheit des Kapitalismus durch den Wettlauf um niedrigste Standards die Ausbeutung aufs Äußerste zu treiben und die Profite durch Lohndumping zu maximieren.“ (xiv)

Es ist schon interessant für den Unternehmer, ob er 2,90 bis 3,50 Euro die Stunde zahlt, oder 28 Euro und ob acht Stunden oder zwölf Stunden dafür gearbeitet wird. Um diese Zahlen ging es, als im Sommer letzten Jahres nach dem Tod zweier rumänischer Arbeiter bei der Mayer-Werft in Papenburg das ganze Ausmaß des Lohndumping durch Werkverträge rauskam. (xv) Andres Beispiel: Unter dem Titel „Ohne die Illegalen funktioniert Pflege kaum noch“ berichtete Die Welt am 12.12.2010, dass schätzungsweise rund 150.000 Pflegekräfte aus Osteuropa illegal in deutschen Haushalten – sicher kaum in Arbeiterhaushalten – leben und für ca. 1.000 Euro im Monat pflegen, putzen, einkaufen, Kinder hüten etc. Eine Apothekenbesitzerin sagt: „Der Pflegedienst kostet mindestens fünf Mal so viel wie eine Polin. Da verpulvert man in einem Jahr den Wert einer kleinen Eigentumswohnung.“ Ähnlich wie bei den Werkverträgen wurden die „Haushaltshilfen“ über ein verschachteltes System von Agenturen, die die KollegInnen wiederum an andere Agenturen vermittelten, angeworben. Jeder profitiert davon – nur nicht die, die arbeiten. Gleichzeitig werden Tarife und Arbeitsbedingungen völlig unterlaufen.

Kapitalistischer Wahnsinn

Der Kapitalismus ist nicht nur nicht in der Lage jedem ein vernünftiges Auskommen zu sichern, sondern führt auch zu der absurden Situation, dass medizinisches und oder pflegerisches Personal aus Ostdeutschland, sowie dem ländlichen Raum und Kleinstädten abwandert und in den Westen, in Großstädte oder gar in die Schweiz geht. Und als Ersatz dafür wird Gesundheitspersonal aus Polen angeworben. In Polen wiederum ergab eine Untersuchung letztes Jahr, dass dreißig Prozent aller Praxen ohne Arzt oder Krankenschwester dastehen – also versucht die polnische Regierung Kranken- und Pflegepersonal, Rettungssanitäter und SpezialistInnen aus der Ukraine und Weißrussland anzuwerben. (xvi)

Aber im Kapitalismus hat alles einen Sinn: Löhne und Arbeitsbedingungen drücken, damit maximale Profite raus springen. Das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ frohlockte schon 2002: „Die Kluft zwischen den Löhnen in den armen und den reichen Ländern, selbst wenn es um so niedere Tätigkeiten wie Küchendienste geht, stellt die Kluft zwischen den Preisen für Handelswaren aus den verschiedenen Teilen dieser Welt in den Schatten. Die potenziellen Erträge [Profite] aus einer Liberalisierung der Migration würden daher jene in den Schatten stellen, die aus einer Aufhebung der Welthandelsbarrieren resultierten“. (xvii)

Angesichts der profitablen Vorteile spricht sich zur Zeit der größte Teil der deutschen Unternehmerschaft gegen die Stimmungsmache der CSU aus. Auch aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit stehen die ökonomischen Vorteile der Arbeitsmigration im Vordergrund. In der Zeit vom 21. August lobt der Chef des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, IAB, Herbert Brücker, dass der Staat so die Bildungsausgaben spare (wir würden hinzufügen: und die Unternehmer die Ausbildungsausgaben). Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass die Rentenversicherung davon profitiere, weil die Zuwanderer eine „günstige Altersstruktur“ haben. Brücker: „Sie zahlen in die umlagefinanzierte Rentenversicherung ein, der Anteil der Rentenbezieher ist aber verschwindend gering. Natürlich erwerben auch Migranten Rentenansprüche. Sie zahlen jedoch über ihr Leben gerechnet mehr ein als sie am Ende herausbekommen.“ Er lobt so den Betrag zur Rentenversicherung als „erheblich“ und dass dieser Vorteil „die Ausgaben für Sozialleistungen deutlich [übersteige]“. Und schlussfolgert: „Die Bilanz fällt umso positiver aus, je besser die Zuwanderer qualifiziert sind und je besser sie in den Arbeitsmarkt integriert sind. Gegenwärtig dürften wir von der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien erheblich profitieren…“. (xviii)

Migration und Rassismus

Lassen wir mal außer acht, dass führende Kräfte der CSU, der rechtspopulistischen AfD und die Faschisten, ein sehr ausgeprägtes nationalistisches und gegenüber AusländerInnen generell ein vorurteilsbehaftetes Weltbild haben, so stellt sich die Frage: Wenn die deutsche Wirtschaft eine „Willkommenskultur“ für migrantische Arbeitskräfte aus Osteuropa fordert, warum gibt es dann auch von den bürgerlichen Parteien der Mitte immer wieder rassistische Stimmungsmache? Warum schlugen CDU und SPD im letzten Jahr und zu Jahresanfang in die selbe Kerbe der angeblichen „massenhaften Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ durch rumänische MigrantInnen? Warum wurde schon wieder das Asylrecht verschärft? Warum tritt die Hamburgische SPD so hart gegen die Lampedusa-Flüchtlinge auf? Und warum ruft ein Grünen-Bezirksstadtrat in Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg die Polizei um die von Flüchtlingen besetzte Gerhard-Hauptmann-Schule räumen zu lassen?

Die bürgerliche Politik und die deutsche Wirtschaft wollen eine Migration von Arbeitskräften nach knallharten ökonomischen Gesichtspunkten. Ihr Blick richtet sich auf qualifizierte und gut ausgebildete Zuwanderung für die Wirtschaft. Je höher die Qualifikation um so „willkommener“ sind MigrantInnen. Bund, Länder und die Wirtschaft sparen sich so die Ausbildungskosten. Also sind qualifizierte ArbeitsmigrantInnen – noch dazu aus entwickelten oder halbwegs entwickelten EU-Ländern – willkommen, während „klassische“ Flüchtlinge, wie zum Beispiel Roma oder Tschetschenen, die vor Verfolgung, Ausgrenzung und Diskriminierung fliehen, eben deshalb eine geringere Qualifikationen haben und somit für die deutsche Wirtschaft nicht so „brauchbar“ sind.

Ablenkung und Spaltung

Der gleiche Hans-Werner Sinn, der am 2. Januar in der Wirtschaftswoche die Migration als „ein Gewinn“ für „die deutsche Wirtschaft“ bezeichnet, unterstützte einen Monat zuvor in der FAZ die rassistische Stimmungsmache der CSU gegen ein massenhaftes „Einwandern in unsere Sozialsysteme“. Wörtlich sagte Sinn: „Wer diese [gemeint sind Sozialleistungen] in seinem Heimatland in Anspruch nehmen kann, kann nicht in einem anderen Land die Hand aufhalten…“ (xix) Das ist keine Schizophrenie, sondern Kalkül. Schon der römische Kaiser Cäsar verfuhr nach der Logik „Divide et impera“ („Teile und Herrsche“) und wusste, wie man die Bevölkerung spaltet und dadurch seine Macht behält. So verfahren auch heute noch die herrschenden Klassen. Die bürgerliche Politik behält sich immer auch die rassistische Karte vor. Zum einen, wenn es für die deutsche Wirtschaft nicht mehr so gut läuft wie bisher, kann man so schneller Beschäftigte mit migrantischem Hintergrund aus Deutschland wieder loswerden, ohne langwierige Arbeitslosen- und Sozialkosten zu haben. Zum anderen nutzt rassistische Stimmungsmache auch immer als ein gutes Mittel um sozialen Unmut gegen „die da oben“ auf „die Ausländer“ abzuwälzen. Und zum Dritten, hilft ein Schüren von Vorurteilen gegen MigrantInnen auch in Betrieben selbst, um zu verhindern, dass einheimische und aus dem Ausland kommende Beschäftigte gemeinsam für tarifliche Bezahlung mit gleichen Löhnen und Arbeitszeiten für alle kämpfen.

Außerdem verschleiert die Debatte um eine angebliche „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ noch etwas anderes: nämlich wie niedrig die Löhne sind. Der Kölner Sozialforscher, Professor Christoph Butterwegge, schreibt in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ (2/14), dass von den 27.000 Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen aus Rumänien und Bulgarien die meisten „Aufstocker“ und keine Vollbezieher sind, weil sie trotz Vollzeitjob so wenig verdienen, dass sie aufstocken müssen. Bisher zeigen ohnehin alle Untersuchungen, dass es die „Einwanderung in die Sozialsysteme“ nicht gibt. Im Freistaat Bayern gab es 2012 ganze zehn Fälle von „Sozialbetrug“ bei Rumänen und keinen bei Bulgaren. (xx)

Eine sozialistische Antwort

Als SozialistInnen erklären wir am Arbeitsplatz, auf der Straße, in der Partei DIE LINKE und Gewerkschaften immer und immer wieder: Nicht Flüchtlinge oder ArbeitsmigrantInnen nehmen hier Jobs weg, drücken Löhne oder sind für Sozialabbau verantwortlich, sondern es sind die Unternehmer und die bürgerliche Politik, die die Profitbedingungen und Wettbewerbsfähigkeit mit billigeren Arbeitskräften und geringeren Kosten für die Kapitalisten steigern wollen!

Gleichzeitig verstehen wir die Sorge von „einheimischen“ KollegInnen, die befürchten, dass ihr Job morgen von polnischen oder rumänischen KollegInnen gemacht wird, oder dass die Löhne insgesamt ins Rutschen kommen. Solche Sorgen oder auch Vorurteile zu haben, macht jemanden noch nicht zum Rassisten. Es geht darum, solchen Lohnabhängigen zu erklären, dass auch ihre Interessen am besten durch einen gemeinsamen Kampf gegen Niedriglöhne, Sozialabbau und für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden können und dass gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen sowohl die Möglichkeit gemeinsam zu kämpfen verbessern, als auch den Kapitalisten weniger Möglichkeit geben, MigrantInnen zu Hungerlöhnen auszubeuten.

Deshalb ist der Kampf für soziale Verbesserungen für alle der beste antirassistische Kampf: gegen die Ausnahmen beim Mindestlohn und für einen höheren Mindestlohn von zwölf Euro; Leiharbeit und Werkverträge müssen umgewandelt werden in reguläre tariflich bezahlte Verträge; für Flächentarifverträge und Verteilung der Arbeit auf alle durch Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn und Personalausgleich. Eine solche Herangehensweise hilft am besten nicht nur Dumpinglöhnen einen Riegel vorzuschieben, sondern auch rassistische Vorurteile in der hiesigen Bevölkerung abzubauen.

Daher treten wir auch dafür ein, dass die Gewerkschaften sich mehr als bisher in den Kampf gegen Rassismus und für die Rechte von Flüchtlingen und migrantischen ArbeitnehmerInnen einschalten. Eine Zusammenarbeit mit der Flüchtlings- bzw. antirassististischen Bewegung könnte dabei nicht nur eine viel größere gesellschaftliche Wirkung erzielen, sondern auch viel breitflächiger in Betrieben und Wohngebieten rassistische Vorbehalte oder Vorurteile zurückdrängen.

Neben den Forderungen nach gleichen und guten Löhnen für alle, ist die Forderung nach gleichen Rechten für alle genauso wichtig. Denn egal ob „ArbeitsmigrantIn“, Flüchtling oder „Illegaler“ – solange bestimmte Gruppen von Menschen weniger Rechte haben oder gar rechtlos sind, werden alle Lohnabhängigen direkt oder indirekt darunter leiden. Denn Rechtlose sind leichter erpressbar, wehren oder organisieren sich nicht. Für die Kapitalisten sind solche Menschen leichte Opfer, um sie als LohndrückerInnen einzusetzen. Gleichzeitig können diese als „Sündenbock“ und zur Kanalisierung von Wut dienen. Deshalb fordern wir die Wiederherstellung des Asylrechts, Bleiberecht für alle, einen Abschiebestopp und gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen.

In der Flüchtlingsbewegung setzen wir uns dafür ein, dass mehr als bisher über die engen Grenzen der antirassistischen/antifaschistischen bzw. linken Szene hinaus mobilisiert wird. Wir schlagen vor, dass – wie in Kreuzberg geschehen – AnwohnerInnen über die Lage der Flüchtlinge aufgeklärt und in die Bewegung einbezogen werden. So können auch hier Vorurteile und Ängste vor Verdrängung oder weiterem Abstieg des Viertels etc. entgegengewirkt werden. Gleichzeitig bekäme solch eine Herangehensweise auch eine breitere gesellschaftliche und politische Wirkung. Die Partei DIE LINKE hat in einer Erklärung vom Juli 2014xxi viele richtige Forderungen aufgestellt. Sie sollte aber ihre gesellschaftliche Stellung noch stärker nutzen, um in Bewegungen, Stadtteilen und Parlamenten den Zusammenhang von Lohndumping, Rassismus und kapitalistischer Verwertungslogik zu erklären und sich durch Regierungsbeteiligung nicht mitverantwortlich für Abschiebungen und die menschenunwürdige Unterbringung von Flüchtlingen machen.

Fazit

Die Flüchtlingsbewegung hat mit ihren offensiven und mutigen Aktionen schon eine ganze Menge bewirkt. Wenn Gewerkschaften die Frage der migrantischen ArbeitnehmerInnen verbinden mit einem Kampf für gleich hohe Löhne für alle und DIE LINKE diese Bewegungen unterstützt und den Kampf auf eine politische Ebene hebt, dann könnte nicht nur für die MigrantInnen die Lage verbessert werden, sondern auch für Millionen einheimischer Beschäftigter und Armer. Letztlich ist die Lage für Flüchtlinge und MigrantInnen, wie für alle Lohnabhängigen, aber nicht im Rahmen der kapitalistischen Verhältnisse dauerhaft zu lösen. Wir setzen uns deshalb ein für eine sozialistische Gesellschaft ein, die die Banken und Konzerne in öffentlichen Besitz nimmt und in der Betriebe, Banken und Bildungseinrichtungen demokratisch von Belegschaften bzw. Lernenden und Lehrenden, sowie der Öffentlichkeit geleitet, werden. Solch eine Gesellschaft könnte mittels eines demokratisch ausgearbeiteten Plans nicht nur den gesellschaftlichen Reichtum zum Wohle aller einsetzen, sondern es wäre auch möglich die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen, so dass Arbeit nicht mehr Plackerei, Stress und Arbeitsplatzangst bedeutet, sondern es für alle leichter wird und für die Gesellschaft insgesamt ein Gewinn ist.

René Henze ist seit über 25 Jahren aktiv in der antirassistischen und antifaschistischen Bewegung in Rostock. Er war Stadtverordneter unserer Vorgängerorganisation SAV in der Rostocker Bürgerschaft und ist Mitglied der Partei DIE LINKE und der Antikapitalistischen Linken (AKL).

(i) www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/index.html

(ii) www.rp-online.de/panorama/leute/die-model-millionaerinnen-bid-1.1935087

(iii) www.faz.net/aktuell/sport/michael-und-ralf-schumacher-schwere-vorwuerfe-wegen-steuerflucht-130638.html

(iv) www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten.html

(v) www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/20140612-0017-pressemitteilung-bmi-asylzahlen-mai.html?nn=1366068

(vi) de.statista.com/statistik/daten/studie/164786/umfrage/ausgaben-fuer-asylbewerber-in-deutschland/

(vii) de.wikipedia.org/wiki/Verteidigungsetat#2013_2

(viii) http://www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/20140110-0001-pressemitteilung-bmi-asylzahlen-dezember.html

(ix) Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 7. März

(x) www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/03/PD14_081_12521.html

(xi) www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Interviews/2014/2014-01-27-http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Interviews/2014/2014-01-27-bams.html?view=renderPrint

(xii) www.zeit.de/politik/deutschland/2014-01/zuwanderungsdebatte-eu-andor-seehofer

(xiii) www.wiwo.de/politik/deutschland/eu-freizuegigkeit-csu-ist-im-zuwanderer-streit-isoliert-und-desinformiert/9277956.html

(xiv) Sozialismus.info Nummer 17

(xv) www.spiegel.de/karriere/berufsleben/leiharbeiter-tod-auf-meyer-werft-kampf-um-werkvertraege-a-913422.html

(xvi) www.derwesten.de/politik/aerztemangel-in-polen-fuehrt-schon-zu-todesfaellen-id7834768.html

(xvii) ebd.

(xviii) www.zeit.de/wirtschaft/2013-08/mythos-armutszuwanderung

(xix) FAZ, 1. Dezember 2013

(xx) www.berliner-zeitung.de/politik/zuwanderung-viel-laerm-um-wenig-sozialbetrug,10808018,26666456.html

(xxi) www.die-linke.de/partei/organe/parteivorstand/parteivorstand-2014-2016/beschluesse/solidaritaet-mit-den-gefluechteten-wiederherstellung-des-grundrechts-auf-asyl/

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