Gegen Waffenlieferungen – aber warum?

Ein Kommentar zum Aufruf „Wider eine militärische ‘Lösung’ des Ukrainekriegs“

Eine interessante Autoren-Gruppe bestehend aus dem Herausgeber der „Zeitung gegen den Krieg“, Winfried Wolf, Matthias Schindler und drei Mitgliedern von SAV und ISO (Heino Berg, SAV, sowie Thies Gleiss und Jakob Schäfer, beide ISO) haben unter dem Titel „Wider eine militärische ‘Lösung’ des Ukrainekriegs“ einen Diskussionsbeitrag veröffentlicht, der sich erfreulicher-, aber nicht überraschenderweise gegen Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung ausspricht. In dieser Schlussfolgerung stimmen wir mit den Autoren überein. Mit der Herleitung nicht, denn sie stellt Form über Inhalt, was bei der Herleitung einer sozialistischen Position grundsätzlich ein Fehler ist.

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Die Argumentation der fünf Genossen lässt sich relativ leicht zusammen fassen. Der militärische Widerstand gegen die russische Invasion erhöht die Opferzahlen und die Gefahr einer, möglicherweise sogar atomaren, Eskalation des Konflikts. Die zentrale Botschaft lautet: „Schutz und Erhaltung von Menschenleben müssen das oberste Gebot sein. Deswegen war die militärische Reaktion auf die Invasion ein Irrweg.“ Deshalb wird der militärische Widerstand nicht unterstützt, sondern werden Formen zivilen Widerstands vorgeschlagen: „Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht, Kundgebungen, Demonstrationen, Streiks, gegebenenfalls auch Sabotageaktionen“.

Kein Wort zur Frage, wer den Widerstand – in welcher Form auch immer – mit welchem politischen Programm führen soll. Diese ist aber entscheidend. Für die Autoren ist der reaktionäre und prokapitalistische Charakter der Selenskyj-Regierung und die Tatsache, dass dieser Krieg auch ein Stellvertreterkrieg der imperialistischen Großmächte auf ukrainischem Boden und auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ist, nur ein „verschärfend hinzu“ kommender Faktor, nicht aber Ausgangspunkt ihrer Argumentation. Daraus kann man nur schlussfolgern, dass die Genossen auch gegen einen militärischen Widerstand wären, wenn in Kiew eine sozialistische Arbeiter*innenregierung diesen führen können würde. Und man muss leider daraus schließen, dass sie einen von einer reaktionären Regierung geführten zivilen Widerstand unterstützen würden (jedenfalls stellen sie an eine Unterstützung keinerlei inhaltliche Bedingungen).

Dabei gibt es im Text einzelne Formulierungen, die auch andere Schlussfolgerungen nach sich ziehen könnten, was aber nichts an der Kernaussage ändert und leider nur als widersprüchliche Argumentation erscheint.

Der Logik der Autoren folgend hätte die Rote Armee nachdem die erfolgreiche Oktoberrevolution durch den Einmarsch imperialistischer Armeen bedroht wurde, keinen militärischen Widerstand leisten dürfen und hätten Arbeiter*innen weltweit nicht Waffenlieferungen an den jungen Arbeiter*innenstaat befürworten dürfen – denn „bekanntlich führen mehr Waffen zu mehr Kriegen“. Und hätte eine Akzeptanz der Nazi-Besatzung Europas und der Sowjetunion statt militärischen Widerstands die Zahl der Todesopfer möglicherweise nicht verkleinert im Vergleich zum militärischen Widerstand? Und was ist mit dem Spanischen Bürgerkrieg? Vietnam? Korea? Was ist mit Rojava?

Form und Inhalt

Die Frage der Form des Widerstands ist nicht zu trennen von der Frage des Inhalts dieses Widerstands, also der politischen Zielsetzung und der Klassenkräfte, die ihn führen. Die Autoren schreiben zurecht, dass Angegriffene das Recht haben, sich zu verteidigen. Man könnte hinzufügen, dass sie auch das Recht auf Kapitulation haben. Die Frage ist: wer entscheidet? In der Ukraine entscheidet eine von Oligarchen gelenkte und am Tropf von EU und USA hängende reaktionäre, korrupte Regierung diese Frage. Sie hat vom ersten Tag des russischen Einmarschs an, einen erfolgreichen Propagandakrieg begonnen und mit der Einführung des Kriegsrechts nicht nur die männliche Bevölkerung der Ukraine für den Krieg zwangsrekrutiert und die Flucht verboten, sondern auch vermeintlich pro-russischen Parteien und Medien verboten.

Sozialist*innen sollten den Mut haben, offen auszusprechen, dass sie dieser Regierung aufgrund ihres Charakters und ihrer Politik die Unterstützung verweigern. Deshalb ist die Sol gegen Waffenlieferungen und stimmt nicht in den #StandWithUkraine-Chor ein. Wir haben aber auch erklärt, dass ein, auch militärischer, Widerstand, organisiert durch demokratische Komitees der Arbeiter*innenklasse und mit einem Programm, dass das Recht auf Selbstbestimmung der Bevölkerung auf der Krim und im Donbass anerkennt, sehr wohl von Sozialist*innen unterstützt werden würde. Ob dieser dann sinnvoll ist oder ein rein ziviler – proletarisch-sozialistischer! – Widerstand nach einer militärischen Kapitulation erfolgversprechender wäre, würde zu einer taktischen, aber nicht prinzipiellen Frage. Die Logik des Textes von Winfried Wolf und Genossen verbaut aber diese Möglichkeit und stellt daher eine politische Sackgasse dar, die die Autoren, ob gewollt oder nicht, in einen Pazifismus führt, der die Option militärischen Widerstandes durch die Arbeiter*innenklasse ausschließt.

Tatsächlich haben wir einige der Genossen vor genau dieser Logik gewarnt, als wir in einem völlig anderen Kontext Meinungsverschiedenheiten hatten – bei der Frage, mit welchem Programm Linke auf die Corona-Pandemie reagieren sollen. Winfried Wolf und andere wurden im Verlauf der Pandemie zu begeisterten Verfechtern der #ZeroCovid-Kampagne, die einen allumfassenden, zeitlich unbegrenzten Lockdown zur Auslöschung des Virus propagierte. Auch hier war die Logik: Gesundheit und Leben aller Menschen muss alles andere untergeordnet werden. In den damaligen Debatten haben wir die Genoss*innen darauf hingewiesen, dass diese Logik eine Unterstützung für bewaffnete Kämpfe von Unterdrückten faktisch ausschließt.

Als Sozialist*innen streben wir eine Welt ohne Krieg an, eine Welt ohne Hungersnöte und vermeidbare Krankheiten. Eine Welt, in der das Leben der Menschen und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen im Mittelpunkt politischen Entscheidungen steht. Diese Welt muss erkämpft werden. Mit allen notwendigen Mitteln – angesichts der Gewalt der kapitalistischen Mächte in der Verteidigung ihrer Ordnung und bei der Unterdrückung der Völker, können wir hier einen Verzicht auf Gewalt bzw. auf militärische Mittel nicht zum Prinzip erklären. Entscheidend wird jedoch sein, dass die Arbeiter*innenklasse starke Organisationen schafft und mit einem sozialistischen Programm bewaffnet wird, das Spaltungen entlang nationaler, religiöser und anderer Linien überwindet. Der Aufbau einer massenhaften, internationalistischen, einigen sozialistischen Arbeiter*innenbewegung ist der beste Garant für die Verhinderung kapitalistischer und unnötiger Gewalt.

PS: In dem Text der fünf Genossen gibt es Abschnitte zur Einschätzung des Ukraine-Kriegs und der aus ihm erwachsenen Folgen, denen wir teilweise zustimmen und die wir teilweise falsch finden. Wir sind unter anderem der Meinung, dass die Analyse der Genoss*innen einen gewissen eurozentristischen Blick ausdrückt, da weder die Rolle des aufsteigenden chinesischen Imperialismus als Teil des Hintergrunds des Ukraine-Kriegs erkannt wird noch die Auswirkungen des Kriegs auf die neokoloniale Welt Beachtung findet.Doch diese sind weder die wesentliche Botschaft des Textes noch sind sie entscheidend für die Schlussfolgerung der Genossen, weshalb wir darauf verzichten, diese zu kommentieren.

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