Italien: Aufstieg und Fall der Rifondazione Comunista

Ausschnitt aus dem Buch „Die Linke international“

Das Buch kann hier bestellt werden.

Die Geburt der Rifondazione Comunista (PRC oder RC) im Jahr 1991 geht auf den zwanzigsten Parteitag der PCI (Kommunistische Partei Italiens) zurück. Die einst mit zwei Millionen Mitgliedern größte „kommunistische“ Partei Westeuropas stimmte infolge des Zusammenbruchs des Stalinismus in der Sowjetunion für die Entledigung ihrer kommunistischen Vergangenheit. Symbolisch änderte sie ihren Namen in PDS (Partito Democratico della Sinistra). Obwohl die PCI schon lange zuvor einen pro-kapitalistischen, reformistischen Weg eingeschlagen hatte, bedeutete dieser Akt einen wichtigen qualitativen Schritt in ihrem Übergang zu einer kapitalistischen Partei. Die RC ging als linke Abspaltung aus ihr hervor. Ein Viertel der PCI-Mitglieder waren nicht bereit, den „Kommunismus“ hinter sich zu lassen. Innerhalb weniger Monate sammelten sich um die 150.000 Mitglieder unter ihrem Banner – einschließlich vieler ArbeiterInnen und Jugendlicher von außerhalb der PCI.

Von Christine Thomas, Italien)

Die Geburt der RC, die eine klassenkämpferische, antistalinistische und kommunistische Partei hätte werden können, war von enormer internationaler Bedeutung. Hier gab es eine von ihrer Größe her beträchtliche Arbeiterpartei, welche offen bereit war, die Ideen des Kommunismus bzw. Sozialismus in einer Zeit zu verteidigen, in der diese Ideen infolge des Zusammenbruchs des Stalinismus von massiven ideologischen Angriffen der internationalen Bourgeoisie bedroht waren. In ganz Westeuropa ließen ehemalige Arbeiterparteien den Sozialismus bzw. Kommunismus hinter sich, akzeptierten den kapitalistischen Markt und „verbürgerlichten“. Die RC hingegen ragte als kompromisslos antikapitalistische Partei heraus und wurde deshalb zum Anziehungspol und Bezugspunkt für tausende ArbeiterInnen und Jugendliche – sowohl innerhalb als auch außerhalb Italiens.

Das große Potenzial wird verspielt

Indem sie die besten KlassenkämpferInnen in sich vereinigte, besaß die RC das Potenzial, sich zu einer revolutionären Massenpartei der ArbeiterInnen zu entwickeln. Diese wäre in der Lage gewesen, die Arbeiterklasse zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft zu führen. In den frühen 1990er Jahren befanden sich das politische System und der italienische Staat in Aufruhr. Die Magistratur enthüllte einen tiefgehenden Korruptionsskandal, welcher den ganzen Staatsapparat durchdrang und tausende Politiker und Unternehmer belastete. Der Einschlag des sogenannten Tangentopoli-Skandals (dt: “Stadt der Schmiergeldzahlungen” – bezogen auf Mailand; Anm. d. Ü.) war so heftig, dass er die bedeutendste kapitalistische Partei Democrazia Christiana (DC) zerschmetterte. Die PSI (Partito Socialista Italiano) zerfiel ebenso wie viele kleine Parteien. Nicht eine politische Partei ging unbeschadet aus dieser Krise hervor.

Die daraus folgende Stimmung gegen das korrumpierte politische System führte zum Sieg von Silvio Berlusconi bei den Parlamentswahlen 1994. Mit seiner neu gegründeten Forza Italia (Vorwärts Italien) präsentierte er sich als frisches Gesicht: ein Self-Made-Unternehmer (damals der reichste in Italien) von außerhalb des politischen Establishments, der in der Lage wäre, Italien so erfolgreich zu machen wie er selbst. Seine Regierung überlebte lediglich neun Monate. Im „heißen Herbst“ 1994 traten Millionen von ArbeiterInnen in den Streik. Millionen ArbeiterInnen, RenterInnen und Jugendliche zogen auf die Piazzas gegen Berlusconis geplante Rentenreform.

Die RC hatte sich bereits als kämpferische Partei in den Auseinandersetzungen gegen vorangegangene Angriffe der Regierungen Amato und Ciampi etabliert. Dabei ging es um Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, Privatisierungen, Erhöhung des Rentenalters und die Abschaffung der scala mobile (dt: Lohngleitklausel; Anm. d. Ü.), welche die Löhne der ArbeiterInnen der Inflation anpasste. Mit klarer, revolutionärer Politik und Taktik hätte die RC aus der riesigen Bewegung gegen die erste Berlusconi-Regierung als Massenarbeiterpartei hervorgehen und die Machtfrage stellen können. Laut Parteisatzung war die RC von den Werten des Marxismus inspiriert und stand für die Abschaffung des Kapitalismus und die Umwandlung der Gesellschaft. Doch obwohl das Programm der RC auf dem Papier revolutionär erschien, hatte die Führung keine Vorstellung, wie dafür Massenunterstützung unter den ArbeiterInnen zu gewinnen war. Die Mehrheit der RC-Führung sah die Massenstreiks lediglich als gegen die Rentenreform und Kürzungen gerichtet und nicht als einen Kampf, der geeignet war, die Arbeitermassen für die Idee des revolutionären Wandels zu gewinnen. Die RC forderte Berlusconi zum Rücktritt auf, aber stellte kein konkretes Programm auf, um die Streikbewegung voranzubringen – verbunden mit der Forderung nach einer Arbeiterregierung. Stattdessen agierte sie als Cheerleader des Streiks. Sie unterstützte unkritisch die Gewerkschaftsführung auch dann, als diese einen geplanten zweiten Generalstreik absagte.

Das grundlegende Problem der RC-FührerInnen war, dass sie nicht wirklich mit dem „Etappen“-Ansatz, also der Zusammenarbeit mit „progressiven“ kapitalistischen Parteien, brachen, welchem die PCI 1944 nach der Wende von Salerno folgte. Dieser wurde durch den „historischen Kompromiss“ mit den Christdemokraten in den 1970ern bekräftigt. Dieses Erbe bedeutete, dass die RC kein einheitliches, sozialistisches Programm vertrat, sondern die Trennung von „Maximal-“ und „Minimalforderungen“ beibehielt. Somit verfolgten sie auch weiterhin die Position des „kleineren Übels“, insbesondere bei der Unterstützung mehrerer Vorhaben der L‘Ulivo (Der Olivenbaum) genannten Koalitionsregierungen in den späten 1990ern und später dann als Teil der Prodi-Regierung 2006.

Eine entscheidende Möglichkeit, die Partei in eine Massenkraft zu verwandeln, wurde vertan. Dennoch profitierte die RC von ihrer Opposition gegen die erste Berlusconi-Regierung bei den Wahlen 1996. Auf nationaler Ebene wuchs sie auf 8,4 Prozent an und in einigen Gegenden kletterte sie noch höher – zum Beispiel von 8,8 Prozent auf 24,7 Prozent in Florenz. Ihre Wahlergebnisse stiegen seit ihrer Gründung. In Turin, Industriestadt im Nordwesten Italiens und Heimat des riesigen Auto-Konzerns Fiat in Mirafiori, erzielte die Partei bei den Kommunalwahlen 1993 mehr Stimmen als die große PDS (15 Prozent gegenüber 10,5 Prozent). Und dennoch: Bei den Parlamentswahlen im April 2008 wurden die Wahlerfolge der Partei wieder ausradiert. Die RC wurde vernichtet – sie erhielt ganze drei Prozent der Stimmen als Teil des Bündnis Sinistra Arcobaleno (Regenbogenlinke) und verlor alle ihrer 66 Abgeordneten und Senatoren. In Turin bekam sie lediglich vier Prozent der Stimmen und somit weniger als die rechtspopulistische Lega Nord. Laut Il Manifesto, einer unabhängigen linken Zeitung, waren von den 15.000 ArbeiterInnen in Mirafiori lediglich neun eingetragene Mitglieder der PRC vor der Wahl.

Gleichgewicht der Kräfte

Das Erdbeben der Parlamentswahlen im April 2008 kann vor allem durch die zwei vorangegangen Jahre (2006-2008) erklärt werden, in welchen die RC an der kapitalistischen Regierung von Romano Prodi beteiligt war. Der Prozess, auf Teilnahmen an bürgerlichen Regierungen zu orientieren, begann jedoch viel früher. Vor dem Sieg von Berlusconi 1994 befürwortete die Mehrheit der RC-Führung eine Politik der „progressiven“ politischen Allianz mit der PDS im Namen der „Einheit der Linken“. „Isolation“ sollte dadurch verhindert und die „Rechten gestoppt“ werden. Die PDS selbst bewegte sich rasant nach rechts, unterstützte offen Privatisierungen und die neoliberale Agenda der kapitalistischen Klasse. Nichtsdestotrotz unterstützten viele ArbeiterInnen weiterhin die Partei. Das Ziel der RC hätte darin bestehen müssen, die ArbeiterInnen durch Aktions- und Kampfeinheit an konkreten Beispielen wie der Rentenreform für sich zu gewinnen. Zeitweise hätten taktische Wahlbündnisse durchaus eine gerechtfertigte Rolle in diesem Prozess spielen können, um ArbeiterInnen von der PDS herüberzugewinnen. Gleichzeitig hätte die politische Unabhängigkeit und Autonomie der RC gewahrt werden müssen. Das war jedoch nicht das Ziel der Führungsmehrheit der RC. Während diese immer noch revolutionär über die „Abschaffung des Kapitalismus“ sprach, wollten sie Massenaktionen durch Allianzen von oben mit „progressiven“ kapitalistischen Parteien ersetzen.

In den Parlamentswahlen 1996 trat die RC zwar unabhängig an, doch ist sie Wahlabkommen mit Prodis Ulivo-Bündnis eingegangen, welches kapitalistische Parteien mit einschloss. Als Ulivo die Wahlen gewann, trat die RC nicht der Koalitionsregierung bei. Sie erklärte, dass sie sich gegen jede Maßnahme gegen die Arbeiterklasse stellen würde, aber stimmte nicht dafür, die Regierung zu verhindern. Mit 35 Abgeordneten hielt die RC faktisch das Gleichgewicht der Kräfte.

Zu Beginn der Prodi-Regierung war das nicht notwendigerweise eine falsche Herangehensweise. Berlusconi konnte man gerade erst loswerden und die Massen der ArbeiterInnen waren sich noch nicht über den Klassencharakter des Ulivo im Klaren. Sie dachten, man könnte ihn durch Druck dazu bringen, in ihrem Interesse zu handeln. Hätte die RC sofort den Zusammenbruch der Regierung und damit die Rückkehr Berlusconis verursacht, wäre das nicht verstanden worden. Es hätte dem Ansehen der Partei unter ArbeiterInnen und Jugendlichen geschadet. Jedoch warnte die RC-Führung im Voraus nicht ausreichend vor der kapitalistischen Natur der Regierung und der neoliberalen Maßnahmen, die jene vorbereitete. So zeigte sie Illusionen in die Regierung und untergrub ihre Unterstützung.

Das Hauptziel Prodis war die Vorbereitung des italienischen Kapitalismus für den Euro-Beitritt. Um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, strich die Regierung die sozialen Ausgaben zusammen, führte eine Euro-Steuer ein und vollzog einige der größten Privatisierungen in Europa. Sie setzte ebenso das „Treu-Paket“ um, welche „prekäre“ Arbeitsverhältnisse etablierte (Niedriglohnjobs mit befristeten Verträgen und wenigen Rechten). Die RC-Führung scheiterte nicht nur damit, die ArbeiterInnen auf diesen Ansturm vorzubereiten – sie unterstützte die Politik im Parlament trotz Verbalopposition.

Sobald die wirkliche Natur der Regierung klarer wurde, weitete sich der wachsende Unmut über die Prodi-Regierung aus und führte zu sinkender Unterstützung für die RC und Unruhen in der Partei. Das war der Hintergrund, vor dem die RC 1998 schlussendlich der Regierung die Unterstützung versagte und die Prodi-Administration zu Fall brachte. Doch diesen Bruch hatte die RC nicht vorbereitet. 1997 beispielsweise entzog sie bereits einem Kürzungshaushalt der Regierung die Unterstützung. Eine Woche später machte sie eine Kehrtwende und stimmte ihn doch durch, nachdem Prodi einige kleine Zugeständnisse erlaubte. Das rief riesige Verwirrung unter der PRC-Basis und den UnterstützerInnen hervor. Als die RC schließlich im Folgejahr tatsächlich der Regierung die Unterstützung entzog, ging es um einen Haushalt, der sehr viel weniger heftig ausfiel, als der „Blut und Tränen“-Haushalt, den sie noch 1996 unterstützt hatte.

Aufgrund ihres Versagens, Ereignisse vorherzusehen und die Arbeiterklasse vorzubereiten und zu mobilisieren, aufgrund ihres widersprüchlichen Auftretens und vor allem aufgrund ihrer Unterstützung für kapitalistische Politik verlor die RC massiv an Unterstützung unter jenen, die sie mit Prodis Attacken verbanden. Gleichzeitig musste sich die Partei vorwerfen lassen, dass sie Berlusconi den Weg zurück ebnete. Die Mehrheit der RC-Führung hat offensichtlich nichts aus dieser Erfahrung gelernt. 2006 trat die Partei wieder einer kapitalistischen Regierung bei, wieder unter der Führung Prodis. Sie verschlimmerte ihre früheren Fehler und setzte in der Tat ihre Existenz aufs Spiel.

Gesteigerte Klassenkämpfe

Die Entwicklung der RC verlief dabei jedoch nicht geradlinig Richtung Abgrund. Das Ergebnis ihrer Unterstützung für die Ulivo-Regierung waren sinkende Wähler- und Mitgliederzahlen. Hinzu kam eine Rechtsabspaltung unter der Führung des ehemaligen Vorsitzenden Armando Cossuta, welcher die Prodi-Regierung weiterhin unterstützte. Die neu gegründete PdCI (Partito dei Comunisti Italiani) nahm 10 Prozent der Mitglieder und 65 Prozent der Abgeordneten mit.

In dieser Situation versuchte die Führungsmehrheit um Fausto Bertinotti die soziale Basis der RC mit einem “Linksschwenk” wieder zu stärken. Bertinotti war ein respektierter, charismatischer Gewerkschaftsführer. Er galt als ehrlicher Klassenkämpfer, trat der RC 1994 bei und wurde schließlich ihr Generalsekretär (obwohl er sich ursprünglich gegen die RC-Gründung eingesetzt hatte). Seine beeindruckenden Reden nahmen häufig Bezug auf Marxismus und Revolution – in der Praxis blieb er jedoch Reformist. In den frühen 2000er Jahren borgte er öfters einzelne Floskeln bei Leo Trotzkis Kritik am Stalinismus während er gleichzeitig die RC in der Tagespolitik nach rechts führte. Bertinotti blieb ebenfalls der Tradition der Nachkriegs-PCI-Führer treu und lehnte Wahlbündnisse mit kapitalistischen Parteien nicht ab. Im Gegenteil ging die Partei in Kommunalregierungen mit der PDS und setzte dort Kürzungen mit um.

Auf nationaler Ebene war die Partei allerdings in der Opposition als sich die objektive Situation dramatisch zu ändern begann. Berlusconi wurde 2001 (aufgrund der Desillusionierung mit der Ulivo-Regierung) wiedergewählt. Das löste eine Welle von Generalstreiks aus, um Artikel 18 des Arbeitsrechts – Schutz der ArbeiterInnen vor willkürlichen Entlassungen – zu verteidigen und die Angriffe auf die Renten abzuwehren. 2001 wurden die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua brutal von der Polizei attackiert. 2002 beteiligten sich zwölf Millionen ArbeiterInnen an einem Generalstreik und drei Millionen an einer Demonstration in Rom. Die Anti-Globalisierungs-Bewegung und die Bewegungen gegen die Kriege in Afghanistan und Irak mobilisierten ebenfalls hunderttausende Jugendliche und ArbeiterInnen. In jener Situation – geprägt von verstärkten Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen – wäre es für die RC möglich gewesen, eine Massenkraft zu werden und an die Macht zu kommen. Doch das war nie das Ziel der Mehrheit der Führung. Für Bertinotti und Co. waren die Bewegungen gegen Krieg und Globalisierung sowie die Streiks der ArbeiterInnen nur eine Möglichkeit, ihre Reihen wieder aufzufüllen und an Wahlunterstützung zu gewinnen. Sie strebten nach einer stärkeren Position in zukünftigen Regierungskoalitionen mit “progressiven” kapitalistischen Parteien.

Die RC stürzte sich ins Getümmel der “Bewegung der Bewegungen” ohne die Schwächen und Unzulänglichkeiten dieser zu benennen. Verständlicherweise waren viele der jungen Menschen in der Antiglobalisierungsbewegung gegen politische Parteien. Statt geduldig zu erklären, warum eine unabhängige Partei der ArbeiterInnen und Jugendlichen unerlässlich war, um gemeinsam Verbesserungen und “eine andere Welt” zu erkämpfen, wurde die RC zur Apologetin der Bewegung. Sie versagte vollkommen, das Bewusstsein und Verständnis der tausenden Jugendlichen und ArbeiterInnen zu heben, auf die sie in den Kämpfen traf. Wieder einmal schlug sie keine Strategie vor, um die Streiks und Kämpfe auszuweiten. Für die Mehrheit der Führung wurde die Idee des Klassenkampfs und die zentrale Bedeutung der Arbeiterklasse abgelöst durch vage Bezüge auf “die Bewegungen” und “Gewaltfreiheit”.

Dennoch wurde die Partei zwischen 2001 und 2003 zum Anziehungspunkt, insbesondere unter Jugendlichen. Das Wachstum fiel aber deutlich hinter das Potenzial der Situation zurück. Zusätzlich scheiterte die Partei daran, die neu gewonnen Mitglieder zu halten. Jedes Jahr verließen Zehntausende die Partei bei einem konstanten Mitgliederschwund von durchschnittlich 30 Prozent per annum.

Drängen bei der Koalitionsfrage

Auf dem Parteitag in Venedig 2005 stimmten 60 gegen 40 Prozent der Delegierten für eine Resolution, welche eine zukünftige Regierungsbeteiligung an einer kapitalistischen Regierung unterstützte. Diese Entscheidung rief enorme Unzufriedenheit hervor. Viele Mitglieder erinnerten sich an die Schäden, die die Unterstützung für den Ulivo der Partei gebracht hatte. Die vielen Argumente dafür waren mittlerweile bekannt. Es war jetzt nötig, sich “gegen Berlusconi zusammenzuschließen” und die “Isolierung” oder sogar den “Zusammenbruch” der RC zu verhindern.

Ähnliche Argumente wurden und werden zukünftig eine Rolle spielen, um an anderer Stelle den Druck auf neue Arbeiterorganisationen zu erhöhen, in Koalitionen mit kapitalistischen Parteien zu gehen. Die negativen Erfahrungen der RC sollten dabei starke Argumente gegen den Eintritt in kapitalistische Regierungen darstellen.

Ohne Zweifel gab es 2006 bei den Wahlen einen starken Wunsch unter ArbeiterInnen, sich zusammenzuschließen um Berlusconi zu schlagen. Das hätte durch ein zeitlich befristetes Wahlabkommen beantwortet werden können. Doch gleichzeitig hätte die RC ihr unabhängiges politisches Programm beibehalten müssen. Sie hätte außerhalb der kapitalistischen Prodi-Regierung bleiben, die ArbeiterInnen vor den bevorstehenden Angriffen dieser Regierung gegen sie warnen und die Jugend und ArbeiterInnen für den Kampf dagegen und für ihre Interessen organisieren müssen. Nichts davon ist geschehen.

Nach dem Sieg von Prodis “Unione” im April 2006 wurde Bertinotti Sprecher des Unterhauses und Paulo Ferrero Minister für Wohlfahrt und Soziales. Die Mehrheit der RC meinte, durch den Eintritt in die Regierung wäre es möglich, mehr Einfluss auf jene zu haben und sie “nach links zu drücken”. Es wurde sehr schnell klar, dass stattdessen die Arbeitgeberorganisation Confindustria den Haupteinfluss darstellen würde – nicht die RC. Durch den Eintritt in die Regierung wurde dafür die RC von den ArbeiterInnen und Jugendlichen als mitverantwortlich für höhere Steuern, Angriffe auf Renten und Soziales, für prekäre Beschäftigung, niedrige Löhne, steigende Preise und eine Außenpolitik im Interesse des US-Imperialismus angesehen.

Die Führung argumentierte weiterhin, dass die RC gleichzeitig sowohl Regierungs- als auch Widerstandspartei war. Doch der Verbleib in der Regierung hatte absoluten Vorrang. Als Antwort auf jene, die die RC zum Rückzug aus der Regierung aufforderten, erklärte die Parteispitze, dass dies das Ende der RC wäre, weil damit ihr Einfluss verloren ginge. Verhasst war die Idee, dass die Partei und ihr Einfluss durch Massenkämpfe aufgebaut werden könnte. Selbstverständlich sprachen sich Vertreter der RC gegen Prodis Maßnahmen aus, teilweise erschienen sie sogar auf Demonstrationen. Doch in den Augen der ArbeiterInnen und Jugendlichen waren sie dafür verantwortlich, dass die gegen sie gerichteten Maßnahmen im Parlament durchgestimmt wurden.

In den Kommunalwahlen im Mai 2007 verlor die Partei zwei Drittel ihrer Stimmen – ein eindeutiges Zeichen, dass die Regierungsbeteiligung die Wahlunterstützung gravierend untergrub. Am 9. Juni wurden zwei konkurrierende Anti-Kriegs-Proteste gegen George Bushs Italien-Besuch in Rom abgehalten. Während sich 150.000 Menschen am von der Anti-Kriegs-Bewegung No Dal Molin (gegen eine US-Basis am Flughafen Dal Molin) und der Basisgewerkschaften – insbesondere der Cobas (Confederazione del Comitati di Base) – organisierten Protest beteiligten, floppte die zeitgleiche Veranstaltung der PRC und anderen “linken” Parteien der Prodi-Regierung. Nur eine Hand voll Menschen tauchten auf. Die RC war dabei, jegliche Glaubwürdigkeit unter den Schichten zu verlieren, die sie einst als eine entschlossene, kämpferische, antikapitalistische Partei gesehen hatten.

Schlussendlich zeigte das katastrophale Ergebnis der Parlamentswahlen von 2008 den restlosen Bankrott der Führungsmehrheit und ihrer Politik. Eine Taktik, die doch die Rechten schlagen sollte, ebnete einem dritten Berlusconi-Sieg den Weg, ließ eine Verdopplung der Unterstützung für die rechtspopulistische Lega Nord zu – die Wählerwanderungen von der RC selbst verzeichnete – und bedeutete die Wahl eines “post-faschistischen” Bürgermeisters in Rom. Eine Taktik, die den Zusammenbruch der RC verhindern sollte, beschleunigte ihren Niedergang, sobald sich die RC mit den Angriffen der Prodi-Regierung gegen die Arbeiterklasse die Hände schmutzig machte.

Die Lehren ziehen

Das Desaster, welches die RC als erste nachstalinistische, neue Arbeiterpartei ereilte, zeigt anschaulich, dass das Überleben neuer Arbeiterorganisationen nicht garantiert ist. Sie können aufsteigen und sogar Massenunterstützung erlangen, doch wenn die Führung eine falsche Politik verfolgt, können sie schnell wieder zusammenbrechen, ihre soziale Basis und jede Bedeutung verlieren. Der Zusammenbruch der RC ist ein Rückschlag für die Arbeiterklasse in Italien und international. Die Auswirkungen waren weit über die italienischen Grenzen hinaus zu spüren. Ihr Schicksal sollte mahnendes Beispiel für andere Formationen sein.

Obwohl es die RC formal noch gibt, sind ihre Wahlerfolge Geschichte, steckt sie in einer finanziellen Krise und stellt sie nicht länger einen Orientierungspunkt für ArbeiterInnen und Jugendliche auf der Wahlebene da. Ohne klassenkämpferische Massenpartei stehen die ArbeiterInnen Italiens in einer Zeit da, in der sich die ökonomische und soziale Krise wieder zuspitzt. Zusammen mit dem Bankrott der Führungen der großen Gewerkschaften kann man damit erklären, warum in Italien keine massenhaften Streiks und sozialen Bewegungen stattfanden – anders als in vielen anderen südeuropäischen Ländern infolge der Weltwirtschaftskrise von 2008. Das Versagen der RC wurde genutzt, um den Kommunismus bzw. Sozialismus zu diskreditieren und die Möglichkeit, neue Arbeiterparteien aufzubauen, zu untergraben.

Doch sogar Niederlagen können eine positive Seite haben, wenn die Gründe dafür verstanden und nicht wiederholt werden. Wie in vielen anderen europäischen Ländern steht die Arbeiterklasse Italiens vor der Aufgabe, eine neue Arbeiterpartei aufzubauen, die in der Lage ist, Massenunterstützung zu gewinnen. Das Land durchlebt eine langwierige und tiefe Wirtschaftskrise – das Wirtschaftswachstum ist das niedrigste in ganz Europa. Selbst die herrschende Klasse fürchtet, dass die Wut der ArbeiterInnen ohne eine parlamentarische, politische Vertretung auf den Straßen und Betrieben explodieren wird.

Die ersten Anzeichen, dass sich die brodelnde Frustration in Arbeitskämpfe verwandelt, konnte man im Transport- und Kommunikationssektor und der Gig-Economy feststellen. Es sind zersplitterte und hauptsächlich Abwehrkämpfe, doch sie sind Vorboten der zukünftigen ökonomischen und gesellschaftlichen Kämpfe, die die Basis für die wirkliche “kommunistische Wiedergründung” sein werden, das heißt für den Aufbau einer kämpferischen, antikapitalistischen Massenarbeiterpartei, einer Partei, die Klassenkollaboration ablehnt und mit einem sozialistischen Programm bewaffnet ist, welches die täglichen Kämpfe der Arbeiterklasse mit der Aufgabe der revolutionären Veränderung der Gesellschaft verbindet.

Es gibt zweifelsohne viele AktivistInnen, die müde sind; die nach der Niederlage der RC kein Vertrauen in den Aufbau einer neuen Alternative setzen. Doch es gibt andere, die bereit sind zu kämpfen. Jene, die gewillt sind zu kämpfen und eine revolutionäre Alternative in Italien aufzubauen, müssen ihre Kräfte auf die ArbeiterInnen, Jugendlichen und frischen Schichten orientieren, die in die nächsten Kämpfe ziehen werden. Das wird nicht einfach und unkompliziert. Die Lehren aus dem Aufstieg und Fall der RC zu ziehen, wird ein wesentlicher Teil dieses Prozesses sein.

Exkus: Die Opposition innerhalb der PRC

Die Rolle, die Oppositionsgruppen innerhalb der RC von ihrem Aufstieg und bis zu ihrem Niedergang gespielt haben, sind äußerst lehrreich. Bei ihrer Gründung war die RC eine sehr demokratische Partei, in welcher es allen politischen Strömungen erlaubt war, ihre eigenen Ideen vorzustellen – intern als auch öffentlich. Programmatische “Bereiche” bekamen finanzielle Unterstützung durch die Partei und bis in die späten 1990er Jahre wurden ihnen Sitze in nationalen Gremien durch eine Form der proportionalen Repräsentation zugewiesen.

Zwei der größten Oppositionsgruppen der trotzkistischen Tradition waren Progetto Comunista, heute organisiert als PCL (Partito Comunista dei Lavoratori), und die italienische Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale, Bandiera Rossa/Sinistra Critica. Hätten diese Organisationen eine korrekte Politik und Taktik angewandt, als sie noch in der RC waren, wären sie heute in einer starken Position, den Aufbau einer wirklichen, klassenkämpferischen, antikapitalistischen Arbeiterpartei zu beeinflussen. Begründet durch ihre Fehler war der Oppositionskampf innerhalb der RC leider geschwächt. Sie haben heute nicht die Kräfte, das Programm oder die Taktik, die ihnen eine Schlüsselrolle im Aufbau einer neuen Arbeitermassenpartei erlauben würde. Als sie zu den Wahlen im April 2008 (separat) angetreten sind, bekamen sie zusammengenommen lediglich ein Prozent der Stimmen.

Die Art und Weise, wie sie die RC verlassen haben, ist ein Indikator für ihre falsche Herangehensweise. Die Kräfte der Vierten Internationale verließen die Partei 2007, als ihr Senator Franco Turigliatto ausgeschlossen wurde. Er hatte zuvor gegen die Außenpolitik der Regierung gestimmt, inklusive der Truppenfinanzierung in Afghanistan. Sinistra Criticas Entscheidung, die Partei zu verlassen, war ausschließlich auf subjektive Anliegen der eigenen Organisation und nicht auf die objektive Situation, das Bewusstsein der ArbeiterInnen oder den Klassenkampf zurückzuführen. Ihr Senator wurde ausgeschlossen, also waren alle “Turigliatti” und mussten aus Solidarität austreten. Das bedeutete, dass Sinistra Critica die RC verließ, ohne einen wirklichen Kampf gegen den Ausschluss zu führen. Es geschah zudem zu einer Zeit, in der eine bittere und wichtige Schlacht um die Zukunft der Partei geführt wurde.

Warum sie die RC verlassen hat, konnte nicht voll nachvollzogen werden. Die Truppenfinanzierung in Afghanistan war eine wichtige Frage, doch wurde sie von der Mehrheit der ArbeiterInnen nicht priorisiert. In einer Umfrage aus der Zeit gaben lediglich sechs Prozent der Menschen an, dass das für sie ein Hauptthema war. Weitaus wichtiger waren wirtschaftliche Sorgen um die Themen Löhne, Arbeitsplätze und Renten.

Innerhalb der RC schwankte Sinistra Critica/Bandiera Rossa von Opposition zu opportunistischer Unterstützung für die Führungsmehrheit und wieder zurück zur Opposition. Auf dem vierten Parteitag (März 1999) – nachdem die RC der ersten Prodi-Regierung die Unterstützung entzog – wurde sie unkritischer Teil der Bertinotti-Mehrheit. Während der Anti-Globalisierungs-Bewegung veröffentlichte sie ganze Reden von Bertinotti ohne politische Kritik. Nicht gerade überraschend konnte sich Sinistra Critica an der Basis nicht groß aufbauen und verließ die Partei mit wenigen hundert Mitgliedern. Seitdem hat sie sich in zwei Gruppen gespalten, welche die Notwendigkeit einer revolutionären Partei ablehnen.

Im Gegensatz zu Sinistra Critica stand Progetto konsequent gegen die Führungsmehrheit – und zwar in jeder Frage. Doch ihre Kritik wurde nicht von einem konkreten alternativen Programm begleitet, welches das Bewusstsein der Arbeiterklasse berücksichtigte. Während der ersten Berlusconi-Regierung riefen sie zum Beispiel zum unbefristeten Streik auf. Doch sie antworteten nicht auf die Frage, die sich die ArbeiterInnen darauf offensichtlich stellten: “Wenn Berlusconi geht, was wird ihn ersetzen?” Sie stellten dem nicht die Alternative einer Arbeiterregierung entgegen.

Einen ähnlichen Fehler machten sie auf dem Parteitag 1998, als sie einen Oppositionsantrag für das Ende der Unterstützung der Prodi-Regierung einbrachten. Der Antrag berücksichtigte nicht die Stimmung der Mehrheit der ArbeiterInnen, welche zu dieser Zeit eine Rückkehr der Rechten fürchteten und die Regierung nicht stürzen sehen wollten. Stattdessen hätte man fordern können, dass die PRC zunächst weiterhin die Regierung an der Macht hält, aber jede Maßnahme gegen die Arbeiterklasse kritisiert und selbige dagegen mobilisiert. Da sie das Denken der ArbeiterInnen nicht in Betracht zogen, gaben sie Bertinotti eine mächtige Waffe gegen die Opposition. Der Progretto-Antrag bekam 16 Prozent der Stimmen. Bei einer korrekten Position hätte er sehr viel mehr bekommen können.

Die Unfähigkeit, bei der Aufstellung von Programm und Taktik das Bewusstsein der Arbeiterklasse zu berücksichtigen, bestätigte sich aufs Neue, als sie die Partei verließen. Die größere Progretto-Gruppe (sie hatten sich bereits zuvor gespalten) beschloss 2006, die Partei zu verlassen – gerade als die Prodi-Regierung an die Macht kam. Sie hatte ihren Austritt nicht politisch vorbereitet und den ArbeiterInnen vorher ihren Schritt erklärt. Zudem war der Zeitpunkt des Austritts so gewählt, dass er nicht nachvollzogen werden konnte. Obwohl es keine riesigen Illusionen in die Prodi-Regierung gab, waren sich viele ArbeiterInnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht des Klassencharakters der Regierung bewusst. Ihr Bewusstsein änderte sich rapide als die Regierung anfing, neoliberale Politik umzusetzen. Doch Progretto hatte bereits den Fehler gemacht, die eigene Taktik auf das eigene Bewusstsein zu gründen und nicht auf das der Arbeiterklasse. Jetzt ist Progretto zur PCL geworden. Mit ein paar hundert Mitgliedern beansprucht sie, selbst die neue Arbeiterpartei zu sein.

Weder Sinistra Critica/Bandiera Rossa noch Progretto agierten als einheitliche, organisierte, revolutionäre Oppositionsgruppen mit klarem Programm und klarer Taktik, welche in der Lage gewesen wären, die Basis der PRC für sich zu gewinnen und unter der Arbeiterklasse und Jugend eine Massenbasis aufzubauen. Ihr Versagen hat zur Schwächung der Arbeiterklasse Italiens beigetragen. Diese strebt hingegen danach, ihre eigene unabhängige politische Vertretung wiederaufzubauen.

Das Buch „Die Linke international“ ist im Manifest-Verlag erschienen und enthält Beiträge zu linken Parteien und Bewegungen in verschiedenen Ländern Europas,, Nord- und Südamerikas. Es kann hier bestellt werden.

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