Katalonien: Zwei Jahre nach dem Unabhängigkeitsreferendum

Sozialistische Politik und Strategie nötig

Am 1. Oktober jährte sich zum zweiten Mal das Unabhängigkeitsreferendum, das von der katalanischen Regierung ausgerufen wurde. Dies war eine Folge der zunehmenden Forderung nach Unabhängigkeit, die durch die repressive, neoliberale Partido Popular (PP)-Regierung Mariano Rajoys ausgelöst wurde. Die PP-Regierung wandte brutale Repressionsmaßnahmen an, die an die Diktatur der Franco-Ära erinnerten, blockierte Verfassungsreformen und weigerte sich, die Forderung eines Referendums anzuerkennen, um zu versuchen, diese Bewegung einzuschüchtern und zu zerschlagen.

Von Tony Saunois, Generalsekretär des Komitees für eine Arbeiterinternationale (engl. CWI, internationale Organisation, der die Sol angehört)

Der Kampf war geprägt von einer Massenbewegung aus Millionen von Menschen mit starken revolutionären Elementen. Massenproteste von Arbeiter*innen und der Mittelschicht, Streiks, der Aufbau von lokalen Kampfkomitees auf kommunaler Ebene (Komitees zur Verteidigung der Republik) und Spaltungen innerhalb des Staatsapparates haben allesamt stattgefunden. Am katalanischen Nationalfeiertag – Diada – am 10. September 2017 gingen schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen, die die Unabhängigkeit unterstützten, in Barcelona auf die Straße. Tausende wurden verletzt, als die spanische Staatsmaschinerie während des Referendums brutal repressive Kräfte einsetzte, das Internet abschaltete und Wahlurnen beschlagnahmte.

Trotz der Entschlossenheit und Kampfbereitschaft der katalanischen Massen erlitt die Bewegung jedoch mit der Verhaftung einiger der katalanischen nationalistischen politischen Führer*innen eine Niederlage. Der ehemalige katalanische Präsident Puigdemont floh aus dem Land und befindet sich weiterhin im selbst auferlegten Exil.

Kapitalistische nationalistische Führer wie Puigdemont sind nicht in der Lage, den Kampf um die Unabhängigkeit zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Um einen Sieg zu erringen, wäre es notwendig gewesen, dass der Kampf für ein unabhängiges Katalonien mit einem Programm für eine sozialistische Republik verbunden worden wäre. Dies hätte diejenigen Teile der Arbeiter*innen und Einwanderer*innen in Katalonien erreichen können, die der Unabhängigkeitsbewegung ablehnend gegenüberstanden, aber auch unter der Sparpolitik und den Kürzungen gelitten hatten, die die kapitalistischen katalanischen nationalistischen Führer*innen wie Puigdemont und seine Partei PDeCAT durchgeführt haben. Diese kapitalistischen Führer*innen konnten keinen Kampf gegen die Kapitalistenklasse im Rest des spanischen Staates führen, die nie ein unabhängiges Katalonien akzeptieren wird.

Vereinter Kampf

Ein unabhängiges sozialistisches Katalonien würde die sprachlichen und kulturellen Rechte für diejenigen aus anderen Teilen des spanischen Staates und anderen Ländern, die in Katalonien leben, garantieren müssen. Ein Kampf für ein sozialistisches Katalonien hätte die Arbeiter*innenklasse Kataloniens vereinen und die Arbeiter*innenklasse im gesamten übrigen spanischen Staat auffordern können, sich im Kampf gegen die reaktionäre PP-Regierung zusammenzuschließen. Sie hätte auch an alle Arbeiter*innen des spanischen Staates, Portugals und ganz Europas appellieren können, eine freiwillige, demokratische sozialistische Föderation zu bilden.

Gleichzeitig wurde die Bewegung von der PSOE, der prokapitalistischen spanischen sozialistischen Partei, verraten. Dieser Verrat wurde von der linkspopulistischen Partei PODEMOS, die aus der Bewegung der “Indignados” hervorgegangen war, unterstützt. Sie lehnte den Kampf um die Unabhängigkeit ab. Ihr Führer, Pablo Iglesias, wollte das Recht auf Selbstbestimmung für das katalanische Volk nicht unterstützen.

Seit der Niederlage dieser Bewegung hat sich die Entschlossenheit der spanischen herrschenden Klasse, kein unabhängiges Katalonien zu akzeptieren, durch anhaltende Repressionen gezeigt. Elf nationalistische Führer*innen, die wegen Aufwiegelung und Missbrauchs öffentlicher Gelder angeklagt sind, warten noch auf ihre Verurteilung. Neun von ihnen wurden der Rebellion angeklagt, was zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren führen kann. Diese Anklagen sollen die katalanischen Massen warnen und einschüchtern. Drei der nationalistischen Führer*innen, die in das Europäische Parlament gewählt wurden, durften nicht ihre Sitze einnehmen.

Neue Anschuldigungen

Jetzt, im Vorfeld der Urteile die am 10. Oktober verkündet werden, hat die Polizei eine “terroristische Gruppe” “entdeckt”, die angeblich Anschläge in Barcelona geplant hat. Alle Verhafteten sind Mitglieder des Komitees zur Verteidigung der Republik, das zuvor friedliche zivile Protestaktionen verteidigt und organisiert hat. Sehr passend wurde diese terroristische Verschwörung entdeckt, wo die Verkündung der Verurteilung bevorsteht. Damit der Vorwurf der “Rebellion” nachgewiesen werden kann, sind Verbindungen zu gewalttätigen oder terroristischen Aktivitäten notwendig.

Die andauernde Unterdrückung seit den revolutionären Ereignissen vor zwei Jahren erfolgt ungeachtet eines Regierungswechsels in Spanien. Jetzt leitet Pedro Sanchez von der PSOE eine Übergangs-Minderheitsregierung, welche die PP-Regierung ablöste. Obwohl er bereit ist, mit der nationalistischen Führung in Katalonien zu sprechen und zu verhandeln, hat er deutlich gemacht, dass er ein Unabhängigkeitsreferendum nicht tolerieren oder unterstützen wird und ein unabhängiges Katalonien definitiv nicht akzeptieren wird.

Die Niederlage der Bewegung in Katalonien hat neue Spaltungen innerhalb der nationalistischen Bewegung eingeleitet. Es gibt weit verbreitete Kritik an PdeCat, der kapitalistischen Gruppierung von Puigdemont, und an dessen Amtsnachfolger als Präsident, Joaquim Torra. Die Führer des ERC (Republikanische Linke Kataloniens) und von JxCat (Gemeinsam für Katalonien) gießen kaltes Wasser über die Bewegung und argumentieren, dass der Unabhängigkeitskampf noch nicht gewonnen werden kann und haben die Illusion, dass es möglich ist, ein Abkommen mit der PSOE auszuhandeln.

Die Minderheitsregierung von Sanchez wurde zur größten Partei bei den Parlamentswahlen im April, jedoch ohne eine allgemeine Mehrheit. Der rechte reaktionäre Block, bestehend aus der PP, Cuidadanos und der faschistischen VOX, scheiterte eine Mehrheit zu gewinnen.

Pro-kapitalistische Politik

Seitdem haben Sanchez und seine Minister, trotz einiger kosmetischer Schaufenstermaßnahmen, ihre prokapitalistische Politik offengelegt. Sie werden die Forderungen der EU nach weiteren Kürzungen um 15 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren und einer Reform des öffentlichen Rentensystems akzeptieren. Sanchez hat nicht erklärt, dass er die Angriffe der PP auf Arbeitsrechte oder Bildung aufheben wird. Die kosmetische Präsentation einer “neuen” und “modernen” Regierung mit einer Mehrheit von Frauen und zum ersten Mal in Spanien einem schwulen Minister in der Regierung ist nicht gleichbedeutend mit einer Politik und einem Programm, das den Kapitalismus herausfordert und die Interessen der Arbeiter*innenklasse verteidigt.

Bei den Wahlen im April wurde der rechte Flügel in Katalonien massiv besiegt. Die Hauptgewinner waren die ERC – Katalanische Republikanische Linke – eine Partei der städtischen Mittelschicht, die nun eine gewisse Unterstützung unter der Arbeiter*innenklasse gewonnen hat. Doch diese Partei hat frühere prokapitalistische katalanische Regierungen unterstützt, die Kürzungen und Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse durchgeführt haben. Der ERC bietet keine Alternative für die Arbeiter*innenklasse.

Veranschaulichend, wie weit sich PODEMOS und Pablo Iglesias nach rechts bewegt haben, schlugen sie eine Koalition mit der PSOE vor und forderten, mit Ministerpositionen in die Regierung einzutreten. Sanchez lehnte diesen Vorschlag ab. Nicht, weil er oder der spanische Kapitalismus Iglesias fürchten, sondern weil sie befürchten, dass dies Erwartungen bei der Arbeiter*innenklasse wecken könnte, die zu Forderungen nach Reformen und Zugeständnissen seitens der Regierung führen würden. Neuwahlen scheinen nun wahrscheinlich für November angesetzt zu sein. Der Kuhhandel zwischen den verschiedenen Parteien in Spanien und ihre Unfähigkeit, eine Regierung zu bilden, spiegeln, wie in anderen europäischen Ländern, eine Polarisierung und die Notwendigkeit einer mutigen sozialistischen Alternative wider, die PODEMOS nicht angeboten hat.

Lehren

Heute ist die Forderung nach der Unabhängigkeit Kataloniens nach der Niederlage der Bewegung erlahmt. Dies spiegelte sich in der diesjährigen Teilnahme an der Diada wider, an der nur etwa eine halbe Million Menschen teilnahmen. Dies kann sich jedoch schnell ändern, vor allem, wenn harte Urteile gegen die nationalistischen Führer*innen ausgesprochen werden.

Es ist notwendig, die Lehren aus der Bewegung in Katalonien und den Kämpfen der Arbeiter*innenklasse und Jugend im gesamten spanischen Staat zu ziehen. Es ist notwendig, eine Partei der Arbeiter*innenklasse in Katalonien und im spanischen Staat aufzubauen, die für den Bruch mit dem Kapitalismus kämpft. Ihr Programm müsste Forderungen nach der Freilassung aller politischen Gefangenen und der Einstellung sämtlicher Anklagen gegen sie enthalten; nach dem Recht auf Selbstbestimmung für das katalanische, baskische und alle anderen Völker; nach einem unabhängigen sozialistischen Katalonien; nach einem Ende der Spar- und Kürzungsprogramme; nach der Aufhebung aller arbeiter*innenfeindlichen Gesetze und einem gemeinsamen Kampf der Arbeiter*innenklasse gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Alternative.

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