Rechter Terroranschlag in Halle

Volle Aufklärung und Schutz vor rassistischen Übergriffen liefert nur die Selbstorganisation der arbeitenden Bevölkerung

Es ist beileibe nicht die erste Bluttat faschistischer Gewalttäter in Deutschland. Viel mehr reiht sich Stephan Balliets Amoklauf in Halle in Sachsen-Anhalt in eine kaum zu übersehende Zahl von Vorfällen ein, die schockieren und wütend machen. Seit 1990 bezahlten 169 Menschen in Deutschland rechten Terror mit ihrem Leben, wie die „Zeit“ in einer fortlaufend geführten Statistik bekanntgibt. Eine auch nur annähernd vollständige Aufzählung wäre kaum in einem Artikel zu bewältigen. Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und andere Formen von Rassismus sind dabei die Triebfeder der Täter, wie auch der Hass gegen Linke, Antirassist*innen oder LGBTQ+-Menschen.

Von Steve Hollasky, Dresden

Am 22. Juli 2016 ermordete David S. in einem Münchener Einkaufszentrum neun Menschen und tötete dann sich selbst. Seine Opfer wählte S. nach rassistischen Gesichtspunkten aus. Im selben Jahr prügelt ein Filialleiter eines Berliner Supermarkts mit einem Quarzhandschuh einen Moldawier in seinem Laden zu Tode und verschickt mit seinem Handy aufgenommene Bilder der Tat mit rassistischen Kommentaren an Bekannte weiter. Und erst in diesem Jahr wurde Walter Lübcke (CDU), Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel, Opfer eines rechten Mordanschlags. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung vom 3. September diesen Jahres ereigneten sich allein in Ostdeutschland 2018 nicht weniger als 1789 rechte und rassistische Übergriffe, wie Opferverbände herausgefunden haben. Was wir erleben ist nichts Anderes als eine rechte Terrorwelle!

Stephan Balliets Tat ist Teil dieser Terrorwelle. Im Laufe des Mittwochs versuchte der Radioelektroniker zunächst eine Synagoge im Hallenser Paulusviertel zu stürmen. Als es ihm nicht gelang, die Türe zu öffnen, tötete Balliet eine zufällig anwesende Passantin mit einer seiner mutmaßlich selbst gebauten Schusswaffen. Nachdem ihm das Eindringen in die Synagoge nicht gelang, fuhr der Täter zu einem türkischen Imbiss, warf eine Granate hinein, die glücklicher Weise nicht detonierte. Danach erschoss Balliet einen Mann im Laden und floh mit seinem Mietwagen. Nach einem Unfall stellte ihn die Polizei auf der Autobahn. In dem von ihm für den Anschlag verwendeten Fahrzeug fand die Polizei später vier Kilogramm Sprengstoff. Balliet wollte ein Blutbad anrichten.

Geistige Brandstifter

Inzwischen ist vom „Tag der Schande“ die Rede. Politiker*innen von Merkel (CDU) bis Höcke (AfD) drücken ihr Bedauern über diesen Anschlag aus. Doch die Wahrheit ist, dass Verbrechen wie jene von Stephan Balliet nicht denkbar wären ohne die geistige Brandstiftung eines Herrn Höcke. Sein Gehetze gegen Geflüchtete, seine antisemitischen Äußerungen wie die öffentliche Solidaritätsbekundung mit der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck am 28.10.2016 auf einer Demonstration in Gera und sein ständiges Gerede davon, dass Deutschland und das deutsche Volk in seiner Existenz bedroht seien – all das schafft für Menschen wie Balliet eine Scheinlegitimation für ihre Verbrechen und liefert ihnen die Opfergruppen für ihr Tun. Im Fall Balliets waren es Jüdinnen und Juden und Muslima und Muslime.

Doch auch die Bundesregierung ist in ihrer Weise nicht unschuldig. Wenn der Bundesminister des Innern Horst Seehofer (CSU) von einer angeblich auf Deutschland zurollenden Flüchtlingswelle spricht. Wenn er auch noch erklärt, sie würde noch größer als jene von 2015 ausfallen und er es für nötig erachtet Deutschland davor zu schützen und sich dabei auf die Unterstützung der Bundeskanzlerin verlassen könne, wie er sagt; dann schürt die Bundesregierung bewusst Ängste. Und Bundesregierung und etablierte kapitalistische Parteien betreiben solche Propaganda seit Jahren. Diese Art der Spaltung passt in das Weltbild von Balliet und anderen.

Die Wahrheit ist, dass Deutschland als viertreichstes Land der Erde genug Wohlstand angehäuft hat, um allen hier lebenden Menschen und auch einreisenden Geflüchteten ein gutes Auskommen zu ermöglichen. Nur ist dieser Wohlstand, dieser Reichtum eben völlig ungleich verteilt. Zuwanderung könnte sogar genutzt werden, um die viele Beschäftigte krank machende Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, die Arbeitszeit zu verkürzen und das Lebensniveau von allen zu erhöhen.

Rassismus spaltet die Arbeiter*innenklasse

Stattdessen spalten Aussagen wie jene von Seehofer die arbeitende Bevölkerung. Denn in einem kapitalistischen System, in dem es um Profit und Effizienz geht, in dem der Profit zählt, macht es keinen Sinn Arbeit zu verteilen. Dafür macht es innerhalb dieses System viel Sinn Menschen zu spalten und gegeneinander in Konkurrenz zu setzen.

Und so ist die Bluttat von Balliet in Halle ein Ausdruck dieses Systems. „Du kannst keinen Kapitalismus ohne Rassismus haben“, erklärte einmal der afro-amerikanische Menschenrechtsaktivist Malcolm X. Und so bleibt es widersinnig, wenn beispielsweise der sächsische Innenminister Roland Wöller zu einer Kundgebung vor der Dresdner Synagoge aufruft, wenn das Land Sachsen weiter abschiebt und die sächsischen Versammlungsbehörden Daten von Anmelder*innen antirassistischer Aktionen an den Verfassungsschutz weitergeben.

Der Kampf gegen Rassismus, gegen rechte Übergriffe und Mordtaten muss ein Kampf für ein System sein, in dem es nicht um Profit für Banken und Konzerne, sondern um die Bedürfnisse und Unversehrtheit der Bevölkerung geht. Er ist ein Kampf gegen Abschiebungen und für Bleiberecht; für gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen, gegen Mietenwahnsinn und Pflegenotstand.

Antirassismus geht nur unabhängig vom Staat

Wenn wir erfolgreich gegen Rassismus kämpfen wollen, dann müssen wir die arbeitende Bevölkerung unabhängig von Hautfarbe, Sprache, Herkunft und Religion organisieren. Auf den Staat können wir uns dabei nicht verlassen. Der Verfassungsschutz, der angeblich vor rechten Übergriffen schützen soll, hat nicht nur die Tat von Halle nicht verhindert, er ist tief verwickelt in den Skandal um die rechte Terrorgruppe NSU. Und das ist nur ein Beispiel für Verbindungen zwischen so genannten Sicherheitskräften und Faschisten bzw. Rechtspopulisten.

Und ohne die Organisation der arbeitenden Bevölkerung drohen auch die Recherchen der Polizei schnell im Sande zu verlaufen. Inwieweit war Balliet Teil rechter Netzwerke? Wie stark war er von rassistischen Parolen, wie der der AfD, beeinflusst? Wie wählte er genau seine Ziele aus? Gab es Tathelfer?

Antworten auf diese Fragen sind entscheidend für die Beurteilung von Balliets Tat. Aber sie werden womöglich erst dann gegeben werden können, wenn die Untersuchungen nicht durch den kapitalistischen Staat, sondern unabhängig und von unten stattfinden. Wenn Kommissionen, besetzt von Gewerkschaften, Migrant*innenorganisationen, der jüdischen Gemeinde und antirassistischen Gruppierungen die Recherchen überwachen und auch selbst Nachforschungen anstellen. Gewerkschaften und LINKE sollten die Forderung nach solchen unabhängigen Untersuchungskommissionen aufstellen bzw. solche selbst initiieren.

Der Anschlag von Stephan Balliet zeigt einmal mehr, wie gefährlich militante Rechte sind. Sie zu stoppen bleibt die Aufgabe von Gewerkschaften, der LINKEN, antirassistischen Bewegung. Demonstrationen anlässlich der Bluttat von Halle sind dazu der unmittelbar nötige Schritt, dabei darf es aber nicht bleiben. Nötig ist der Aufbau einer Bewegung, die nicht nur die Empörung und Wut über faschistische Gewalt zum Ausdruck bringt, sondern auch die gesellschaftlichen Ursachen und geistigen Brandstifter benennt und sich zum Ziel setzt, massenhaften soziale Gegenwehr von unten und eine linke politische Alternative aufzubauen, die den Rechten den Boden entzieht.

Print Friendly, PDF & Email