Umweltbewegung darf Beschäftigte und lokale Bevölkerung nicht vor den Kopf stoßen
Während Fridays for Future für den 29. November anlässlich der UN-Klimakonferenz in Madrid erneut zum globalen Streik aufruft, plant Ende Gelände am selben Wochenende erneut eine direkte Massenblockade von Kohleinfrastruktur. Doch in der Lausitz, deren Kohlerevier das Ziel der Blockaden ist, wird eine andere Situation herrschen als bei den Ende-Gelände-Aktionen im rheinischen Revier im vergangenen Sommer.
von Tom Hoffmann, Berlin
Der Aufruf des Blockade-Bündnis drückt die verständliche Wut in der Klimabewegung über die komplette Unfähigkeit der Bundesregierung aus, auch nur irgendeine glaubhafte und nachhaltige Maßnahme zur Reduzierung der CO2-Emissionen beizutragen. Der „Kohlekompromiss“ der Kohlekommission, an dem neben Regierungs- und Wirtschaftsvertreter*innen auch Greenpeace und BUND beteiligt waren, ist eine Farce. Gleichzeitig scheinen auch die größten Mobilisierungen von Fridays For Future, wie zum Beispiel am 20. September, nicht auszureichen, um genügend Druck für konkrete und ernsthafte Verbesserungen aufzubauen.
Unter dem Motto „Klimagerechtigkeit selber machen“ und „Kohleausstieg bleibt Handarbeit“ will Ende Gelände nun in der Lausitz den Druck mit Massenblockaden erhöhen. Viele, gerade auch junge Aktivist*innen der Umweltbewegung werden sich diesen Blockaden mit dem Gefühl anschließen, dass die Aktionen gegen Klimazerstörung eben radikaler werden müssen, wenn sich nichts verändert. Doch zuallererst muss geklärt werden, mit welchen politischen Programm man den Kampf gegen Klimazerstörung führen will.
Die Sol stellt in den Mittelpunkt all ihrer Aktivitäten ein sozialistisches Programm, welches die größtmögliche Einheit von Beschäftigten, Jugendlichen und sozialen Bewegungen für die gemeinsamen Interessen mobilisieren kann. Aus unserer Sicht sind gemeinsame soziale Kämpfe für die eigenen Interessen auch der beste Weg, um reaktionäre Ideen wie Rassismus oder Klimawandelleugnung zurückzudrängen. Leider ist das nicht der Ansatz beim Aufruf von Ende Gelände für die Lausitz-Aktionen.
Welches Programm?
Der Text benennt als einzige konkrete Forderung den sofortigen Ausstieg aus der Kohle. Doch das beantwortet nicht die massiven Abstiegsängste in den Regionen, die seit Jahrzehnten von dieser Industrie abhängig sind. Gerade in Ostdeutschland und in der Lausitz haben die Beschäftigten in den letzten 30 Jahren erlebt, wie die Wiedereinführung des Kapitalismus zur Zerschlagung von Großbetrieben und Infrastruktur geführt hat und die Menschen heute bereits massenhaft abgewandert sind. Die Umweltbewegung muss wahrnehmen, dass der alleinige Ruf nach Braunkohleausstieg im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems für diese Menschen Arbeitslosigkeit und massive Zukunftsangst bedeuten. Das betrifft ca. 8200 Menschen direkt, inklusive der Zulieferer sind es 25.000 Menschen plus deren Familien. Deshalb ist es notwendig, dass die Umweltbewegung für alle Betroffenen Ersatzarbeitsplätze in zum Beispiel nachhaltiger Produktion bzw. garantierte Fortzahlung der Löhne auf gleichem Niveau fordert und die Gewerkschaften zum gemeinsamen Kampf für Umweltschutz, Arbeitsplätze und massive soziale Investitionen in die Pflicht nimmt.
Ende Gelände macht zurecht das kapitalistische Wirtschaftssystem für die Umweltzerstörung in ihren Stellungnahmen verantwortlich. Doch die Frage bleibt nach dem Lesen des Aufrufs, wie ein alternatives Gesellschaftssystem sich davon unterscheiden soll und wie man dahin kommt? Das Problem im Kapitalismus ist nicht, dass es ein endloses Wachstum (der Produktion) an sich gibt. Viele schädliche Wirtschaftsbereiche, wie Rüstung, Werbung oder umweltschädliche Produktion werden im Zuge der Überwindung des Kapitalismus überflüssig und eingestampft. Die freiwerdenden Ressourcen könnten hingegen für eine massive Ausweitung nachhaltiger Produktionsmethoden verwendet werden, um Hunger, Elend und Umweltzerstörung von dieser Welt zu verbannen. Das Problem am Kapitalismus ist vielmehr der endlose Zwang zum Profite machen der Kapitalisten, die die großen Banken und Konzerne besitzen. Die Konkurrenz um immer größere Profite zwischen den Unternehmen führt zu Wirtschaftskrisen, Kriegen und Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen. Um Umweltzerstörung zu stoppen und um allen Menschen ein gutes Leben ohne Angst vor dem Verlust des Jobs, der Wohnung etc. zu garantieren, ist es stattdessen nötig die Kontrolle und Verwaltung der Banken und Konzerne in die Hände der Beschäftigten zu legen. Das ist der erste Schritt zu einer demokratischen und rationalen Planung der Wirtschaft nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt und die sozialistischen Alternative zum Kapitalismus.
Gegen Spaltung
Radikalere Aktionsformen, wie Blockaden, sind im Kampf gegen den Kapitalismus kein Wert an sich. Linke Aktivist*innen müssen sich immer fragen, ob eine bestimmte Aktionsform dazu geeignet ist, die eigenen Forderungen der breiten Masse der Bevölkerung verständlich zu machen und sie für das eigene Programm zu gewinnen. In der Lausitz werden die Blockaden von großen Teilen der lokalen Bevölkerung und den Beschäftigten als Angriff auf ihre soziale Existenz verstanden werden. Anders als zum Beispiel im Hambacher Forst gibt es keine lokalen Initiativen und Unterstützung aus der Bevölkerung vor Ort. Eine Betriebsbesetzung und -blockade von den Beschäftigten selbst ist eine ganz andere Sache als einen Betrieb von außen gegen den Willen der Beschäftigten und ohne irgendein Verständnis dafür in der lokalen Bevölkerung zu blockieren. Der von Ende Gelände Mitte November verteilte Brief an die lokale Bevölkerung zeigt einen späten Versuch, mit der Bevölkerung einen Dialog zu beginnen. Die Motivation dahinter ist sicherlich zu begrüßen, allerdings beantwortet auch dieser Brief nicht die mit einem sofortigen Kohleausstieg verbundenen sozialen Ängste. Trotz allgemeiner Versprechen, dass man dafür ist, dass die „geplanten Strukturhilfegelder nicht den Konzernen, sondern den in der Lausitz lebenden Menschen zugute kommen und sie bei der Verteilung der Gelder einbezogen werden“, gibt es keine konkreten Forderungen, für die man gemeinsam kämpfen könnte. Es ist zu befürchten, dass Anwohner*innen und Aktivist*innen vor Ort in Konflikte geraten und die Spaltung zwischen Umweltbewegung und Beschäftigten vertieft wird. Bis auf eine Podiumsdiskussion in Cottbus im Vorfeld scheinen keine Diskussionsveranstaltungen vor Ort in der Lausitz geplant zu sein, wo wo man über gemeinsame Interessen und Forderungen in den Dialog treten könnte. Ein wütender Leserbrief in der Spremberger Rundschau, der als Antwort auf eine Reportage über Klimaaktivist*innen eingegangen ist, ist zum Beispiel ein Indiz für die Stimmung vor Ort. ( https://www.lr-online.de/nachrichten/lesermeinungen/lesermeinung-ende-gelaende-_-das-sind-marodierende-horden-40302217.html ) Er signalisiert auch die Stimmung, die es der AfD erlaubt, in diesen Orten mit Abstand stärkste Kraft zu werden und teilweise 35 bis über 40 Prozent einzufahren.
Blockaden, die die Spaltung zwischen Bevölkerung und Umweltbewegung verstärken, sind nicht der richtige Weg, um eine starke Bewegung gegen Klimazerstörung aufzubauen. In der Lausitz wäre es stattdessen nötig, gemeinsam mit Gewerkschaften, den Beschäftigten und der Bevölkerung vor Ort demokratisch einen nachhaltigen Wirtschaftsplan für die Region zu erarbeiten, der den Kohleausstieg mit der Garantie nach Arbeitsplätzen in anderen nachhaltigen Industrien und einem staatlichen Investitionsprogramm in die Region verbindet. Der DGB und seine Untergliederungen sollten im Rahmen der Aktionstage eigene Massenproteste organisieren, bei denen die Forderung nach gleichwertigen Ersatzarbeitsplätzen für alle Beschäftigten mit der Forderung nach dem sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle verbunden wird. Die Gewerkschaften haben gegenüber ihren Mitgliedern und allen Beschäftigten die Verantwortung, nicht nur diese Forderungen zu erheben sondern auch Bereitschaft zum Kampf zu zeigen – für eine Energiewende im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung und auf Kosten der Konzerne. Auch der ver.di-Bundeskongress hatte sich zuletzt „ausdrücklich gegen die geplante Rodung des Hambacher Forsts sowie die generelle Zerstörung von Dörfern und Natur für den Braunkohleabbau“ ausgesprochen. Umweltaktivist*innen und Linke sollten sie beim Wort nehmen und Taten fordern. Dafür zu kämpfen und das zu organisieren, wäre auch die Aufgabe der LINKEN als Partei mit sozialistischem Anspruch.