Iran: Wütende Proteste nach Benzinpreiserhöhung

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Der Wiederaufbau der Arbeiter*innenbewegung geht weiter

Der Iran wurde durch eine landesweite Protestwelle erschüttert, nachdem die Regierung über Nacht den Anstieg des Benzinpreises um fünfzig Prozent bekannt gegeben hatte. Gleichzeitig wurde die Menge der ermäßigten Spritabgabe von 250 auf 60 Liter pro Fahrzeug reduziert. Diese Maßnahmen waren wie ein Funke, der sprichwörtlich ein Feuer entfachte: Wütende Protestierende griffen Banken und andere Gebäude an.

Von Robert Bechert, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Die nächtliche Bekanntgabe des Preisanstiegs rief unmittelbare Proteste im ganzen Land hervor: Demonstrationen, Straßenblockaden und Angriffe auf Regierungsgebäude. Die staatlich gelenkten Nachrichten berichteten von 88.000 Teilnehmer*innen an Protesten in 100 Städten, bei denen 100 Banken und 57 Geschäfte angezündet oder geplündert wurden. Alleine in Isfahan gingen 69 Banken in Flammen auf.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete: „Hunderte Iraner*innen – Jugendliche und Angehörige der Arbeiterklasse – verliehen ihrer Wut über sinkende Lebensstandards, staatliche Korruption und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich Ausdruck.“ Das verzweifelte Regime versuchte die immer größer und breiter werdenden Proteste mit brutaler Repression zu unterdrücken und sperrte das Internet. Laut Amnesty International wurden mindestens 106 Menschen, überwiegend Demonstrant*innen, während der Proteste getötet.

Neben der Repression versuchte das autoritäre Regime die Opposition zu entschärfen. Der iranische Vize-Finanzminister sagte: „Der Präsident besteht darauf, dass sämtliches Mehreinnahmen an das Volk zurückgezahlt werden sollen.“

Für die ärmsten sechzig Millionen der insgesamt 82 Millionen Iraner*innen wurden zusätzliche monatliche Hilfsgelder angekündigt. Obwohl die Benzinpreiserhöhungen als Änderung der Subventionspolitik und nicht als Maßnahme zur Erhöhung der Staatseinnahmen dargestellt wurden, riefen sie unmittelbare Reaktionen hervor. Der erste Teil der Hilfsgelder (monatlich zwischen 13 und 48 US-Dollar pro Person) wurde zügig auf die Konten der ärmsten sechzig Millionen eingezahlt.

US-Sanktionen

Trumps Wiedereinführung von Sanktionen hat die iranische Wirtschaft hart getroffen. Trotz der Gerüchte von einer gegenwärtigen Stabilisierung schrumpft die Wirtschaft weiter. Der Internationale Währungsfonds sagt für 2019 einen Einbruch des iranischen Bruttoinlandsprodukts um 9,5 Prozent voraus, die Weltbank geht etwas weniger pessimistisch von 8,7 Prozent aus. Das Sinken der Inflation von 52,1 auf 28,3 Prozent seit Mai ist durch eine Kombination von Währungsstabilisierung und Wirtschaftsabschwung begründet.

Die Arbeitslosigkeit ist ebenfalls auf 10,5 Prozent gesunken – aber dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das iranische Regime (wie viele andere Regierungen) dazu übergegangen ist, alle, die mindestens eine Stunde pro Woche arbeiten, nicht mehr als arbeitslos zu zählen. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt jedoch immer noch 26 Prozent. Während der aktuellen Proteste lautete ein verbreiteter Sprechchor: „Wir sind arbeitslos! Wir haben keine Zukunft!“

Die Art und Weise, wie sich diese Proteste spontan und gleichzeitig im ganzen Land entwickelt haben, stellt eine neue Qualität dar. Ihre geografische Ausdehnung war größer als die der Arbeiterproteste und Streiks von November 2017 bis Anfang 2018. Die Bewegung der Arbeiter*innen der letzten zwei Jahre ist jedoch extrem bedeutsam, weil sie eine neue Phase im Aufbau von Arbeiter*innenorganisationen eingeläutet hat. Das hat beide Flügel des Regimes, der „Hardliner“ und der „moderaten Reformer“, mit Angst erfüllt.

Das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (Committee for a Workers‘ International, CWI; internationale Organisation, der die Sol angehört) schrieb damals: „Eine neue revolutionäre Flut erfasst den Iran. Obwohl der Großteil der beteiligten Menschen nach der Revolution von 1979 geboren wurde, wird die heutige Generation immer noch von den glorreichen Tagen dieser Revolution inspiriert. Die iranischen Arbeiter*innen standen in der ersten Reihe bei den Protesten, die im November 2017 begannen. Es ist von Bedeutung, dass viele ihrer Forderungen nicht nur ökonomisch und sozial, sondern auch politisch sind. Sie fordern etwa das Recht, unabhängige Arbeiter*innenorganisationen zu gründen, die Wiederverstaatlichung privatisierter Unternehmen und bestimmte Formen der Arbeiterkontrolle.“

Die Antwort des Regimes war, besonders nach dem Abebben der Bewegung von 2017/2018, andauernde Repression. In den Monaten vor den aktuellen Benzinpreis-Protesten hat es Streiks und andere Arbeiter*innenproteste gegeben. Dabei ging es um Lohnhöhe, nicht ausgezahlte Löhne, Schikanen und das Recht zur Gründung von Gewerkschaften, die unabhängig von staatlicher Kontrolle sind. Gleichzeitig wurden mehr Gewerkschafter*innen und andere Aktivist*innen zu Gefängnis- und Prügelstrafen verurteilt.

Aber diese Repression konnte die neueste Rebellion nicht verhindern. Der Iran brodelt und kann jederzeit wieder überkochen. Die Financial Times sprach von Irans „zunehmend ruheloser Bevölkerung“ und einem „Gefühl der Ungerechtigkeit und Desillusionierung“ im Land. Es gibt viel Skepsis gegenüber dem Regime, Wut auf Korruption und den Willen, zu kämpfen. Diese Mischung vertieft einmal mehr die Gräben und Konflikte zwischen den verschiedenen Flügeln des Regimes, die gegeneinander manövrieren und sich im Vorfeld der Parlamentswahlen im Februar gegenseitig der Korruption beschuldigen.

Zunächst hatten einige „Hardliner“ als Teil ihrer Opposition gegen Präsident Rohani zur Rücknahme der Benzinpreiserhöhung aufgerufen. Jedoch nahmen sie davon Abstand, nachdem der „Oberste Führer“ Ajatollah Khamenei, offenbar verängstigt durch das Tempo und die Intensität der Proteste, seine Unterstützung für die Preiserhöhung erklärt hat.

Die völlig heuchlerischen Unterstützungserklärungen der Trump-Administration für die jüngsten Proteste sind ein plumper Versuch, von diesen zu profitieren. Sie hatten keine direkten Auswirkungen, sind aber ein Beispiel dafür, wie der Imperialismus interveniert, um zu verhindern, dass sich eine Bewegung der iranischen Bevölkerung in Richtung antikapitalistischer oder sozialistischer Positionen entwickelt.

Der Umstand, dass in der aufstrebenden iranischen Arbeiter*innenbewegung die Diskussionen über Wiederverstaatlichung und Arbeiter*innenkontrolle beginnen, macht allen herrschenden Klassen Angst – besonders denjenigen im Nahen Osten bzw. denen, die dort eingreifen.

Arbeiteror*innenganisationen aufbauen

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, unabhängige Arbeiteror*innenganisationen zu stärken und Verbindungen zwischen den Arbeiter*innenorganisationen und breiteren Schichten der unorganisierten Arbeiter*innen, einschließlich der Arbeitslosen und der Armen, herzustellen.

Die jüngsten Proteste scheinen sich dem Ende zuzuneigen, aber es ist klar, dass neue Kämpfe ausbrechen werden. Darum ist es wichtig, eine Bilanz der Erfahrungen von Kampf und Revolution im Iran und weltweit aufzustellen. Aus Sicht von Sozialist*innen beinhaltet eine solche Bilanz Forderungen für die kommende Periode, die Frage nach der Organisationsform des Kampfes und die Notwendigkeit, dass sich die Arbeiter*innenbewegung nicht in ein Bündnis mit kapitalistischen Kräften begibt.

Solche Schritte, verbunden mit dem Aufruf zum Aufbau einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei und sozialistischen Schlussfolgerungen, sind nicht nur die Basis für den Erfolg der unvermeidlichen künftigen Kämpfe im Iran, sondern würden auch die Grundlage dafür legen, die Macht in die Hände von wirklichen Vertreter*innen der Arbeiter*innen und der Armen zu legen. Eine starke sozialistische Regierung könnte das korrupte kapitalistische System hinwegfegen und mit dem sozialistischen Wiederaufbau des Landes beginnen – und damit eine Inspiration für den Nahen Osten und darüber hinaus bieten.

Dieser Text erschien am 22. November 2019 auf Englisch auf www.socialistworld.net.