AfD: Keine Partei der kleinen Leute

Sächsischer AfD-Chef spricht Klartext in Olbernhau

Alexander Gauland hat vor fünf Jahren behauptet, seine Partei sei “im Moment die Partei der kleinen Leute”. Dass das Gegenteil davon der Fall ist, hat sich inzwischen hier und da herumgesprochen. Unlängst bemühten sich seine sächsischen Parteifreunde darum, den inzwischen zum “Ehrenvorsitzenden” der AfD aufgerückten Gauland zu widerlegen.

von Steve Hollasky, Dresden

Bereits am 23. Januar hatte die AfD Markus Krall, Vorstand der Degussa-Goldhandel GmbH, nach Olbernhau, eine Kleinstadt im Erzgebirge, eingeladen. Der Volkswirt betätigt sich auch als Publizist und ist in dem in Deutschland sehr lebendigen Milieu marktradikaler Fanatiker ein kleiner Star. In Olbernhau sprach mit Jörg Urban auch der wenige Wochen später wiedergewählte Chef der sächsischen AfD. Mitschnitte der Reden kursieren nun in den “sozialen Netzwerken”. Krall, der bereits mehrfach bei Veranstaltungen der AfD gesprochen hat, trug an diesem Tag zum Thema “Wer rettet Europa?” vor. Er warb in seiner gut halbstündigen Rede für eine “bürgerliche Revolution” und warnte vor dem “Kulturmarxismus”.

Immer wieder von Applaus unterbrochen, stellte Krall unter anderem fest, dass die CDU von Sozialisten geführt werde. Ziel seiner “bürgerlichen Revolution” ist eine weitgehende “Reform” des Grundgesetzes, damit “das erneuerte freiheitliche und demokratische, marktwirtschaftliche Grundgesetz” in der Lage sei, “den immer wieder zu erwartenden Angriff des Sozialismus auf unsere Freiheit abzuwehren”.

Vor den gut 80 Zuhörenden entwickelte Krall sein neoliberales Maximalprogramm. Staatliche Regulierung verbrauche “zwei Prozent des Umsatzes der Unternehmen”, im Wohnungsbereich sei durch die Mietpreisbremse im “sozialistischen Berlin” die “Marktwirtschaft abgeschafft”. Im von Privatisierungen und unzureichender Personalausstattung gebeutelten Gesundheitssystem machte Krall “ein einziges sozialistisches Tohuwabohu” aus. Die Staatsquote solle durch “Privatisierungen” und “massive Deregulierung” auf 25 Prozent zurückgefahren werden.

Auch zum Thema Wahlrecht hatte Krall ein paar Ideen anzubieten: Alle Deutschen müssten zu Beginn einer Legislaturperiode die Entscheidung treffen, entweder “das Wahlrecht auszuüben oder Staatstransfers zu bekommen”. Würde dieser Vorschlag umgesetzt, wären damit alle Bezieherinnen und Bezieher staatlicher Leistungen – ganz egal, ob es sich um Kindergeld, Arbeitslosengeld II, Wohngeld, Sozialhilfe, Bafög oder Elterngeld handelt – vor die “Wahl” gestellt, entweder diese oftmals existentiell wichtige Unterstützung weiter zu beziehen oder weiter an Wahlen teilzunehmen.

Diesen unverhohlenen Angriff auf das Wahlrecht vor allem der einkommensschwachen Schichten kommentierte der sächsische AfD-Chef Urban im Anschluss mit den Worten, dies sei zwar »anspruchsvoll«, aber da müsse man “als Partei auch noch dran arbeiten”. Das sei “leicht gesagt”, man müsse da aber “schon ein dickes Brett” bohren, so Urban. Er sei aber “da gerne bereit auch weiterzudenken”.

Nicht überrascht von dem eklatanten Widerspruch zwischen der Selbstdarstellung der AfD und den Aussagen in Olbernhau zeigte sich Susanne Schaper. Die Landesvorsitzende der sächsischen Linkspartei hielt fest, dass sich “in der AfD Marktradikale, Vertreter der Industrie und Adelige” versammeln würden, die “alles andere als kleine Leute” seien, so Schaper. In der aktuellen Legislaturperiode hätten die AfD-Abgeordneten im Landtag bislang keine “sinnvollen sozialpolitischen Vorstöße” unternommen.

Entsetzt über Kralls Äußerungen zum Gesundheitswesen zeigte sich die Sprecherin der “Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften”, Angelika Teweleit, am Mittwoch. In den Krankenhäusern herrsche “genau das Gegenteil von Sozialismus”. Die “Einführung der Gewinnorientierung” habe dort zu “eklatantem Personalmangel” geführt. Wenn vor diesem Hintergrund auf einer AfD-Veranstaltung “mehr Privatisierungen” gefordert würden, reiße sich diese Partei “selbst die Maske vom Gesicht”.

In den 1960er Jahren warnte Martin Luther King vor den “Übeln des Rassismus” und den “Übeln des Kapitalismus”. Die AfD, das wird gerne übersehen, scheint für beide zu stehen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Tageszeitung junge welt.