Die vergessene Revolution

Vor hundert Jahren: Generalstreik gegen Kapp-Putsch

Im März 1920 verhinderten Millionen Arbeiter*innen durch Generalstreik und Organisierung in Räten den reaktionären Kapp-Putsch. Die Abwehr des rechtsradikalen Abenteuers mündete in einen Neuaufschwung der Revolution in Deutschland. Und trotzdem scheinen diese Ereignisse heute weithin vergessen.

von Steve Hollasky, Dresden

Es war eine Szene wie aus einem schlechten Film, als am 10. November 1918 der Vorsitzende der MSPD, Friedrich Ebert, in dem von ihm bezogenen Büro in der Berliner Reichskanzlei ein klingelndes Telefon suchte. Die Ereignisse hatten ausgerechnet ihn an die Spitze der Revolutionsregierung gespült, obwohl er stets zu sagen pflegte, er hasse den Aufstand „wie die Sünde“…

SPD

Was sich im Deutschland dieser Tage abspielte, lief Ebert gegen den Strich. Arbeiter*innen und Soldaten rebellierten. Einheiten und Fabriken wählten Vertreter*innen. Das erinnerte ihn und manch anderen an Russland, wo solche Sowjets die Macht übernommen hatten. Ebert störte sich schon daran, dass der Kaiser wenige Stunden zuvor gestürzt worden war.

Zwar war seine Partei SPD einst gegründet worden, um den Kapitalismus zu überwinden. Aber das hatte sich geändert. Schon 1914 hatte sie den Kriegskurs des Kaisers mitgetragen und die Arbeiter in den Schützengraben geschickt, statt den Krieg zu bekämpfen. Drei Jahre später hatten die Kriegsgegner die Partei verlassen. Während sich die MSPD, die „Mehrheitler“, immer mehr an den Staat anlehnte, sammelten sich in der USPD, den „Unabhängigen“, Linke vieler Schattierungen. Auch die Spartakusgruppe, angeführt von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Zur Jahreswende 1918/19 ging aus ihr die Kommunistische Partei Deutschlands, die KPD, hervor.

Eberts Pakt 

…Irgendwann fand Ebert den lärmenden Apparat. Am anderen Ende erklang die Stimme des Chefs der Obersten Heeresleitung (OHL), General Wilhelm Groener. Was der dem heimlichen Liquidator der deutschen Revolution anzubieten hatte, konnte der kaum ablehnen. Wann immer Ebert der Hilfe der Reichswehr bedürfe, würde er sie erhalten. Nun hatte Ebert das Werkzeug in der Hand, das es ihm ermöglichen würde die Revolution zum Teufel zu jagen. Ebert machte von diesem Pakt redlich Gebrauch.

Die Bedingung der Waffenhilfe war die Zusage, das Offizierskorps unangetastet zu lassen. Das war das Todesurteil für die gewählten Soldatenräte.

Rechte Freiwilligenverbände

Allerdings gingen die meisten Wehrpflichtigen nach vier Jahren des Tötens und Sterbens in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs einfach nach Hause. Es fehlte an Truppen, die bereit waren gegen Revolutionär*innen aufzumarschieren.

Umso drängender wurden die Aufrufe sich sogenannten Freikorps anzuschließen. In Halle warb man mit einem Plakat, auf dem ein stilisierter Kleinbürger eine Handgranate auf einen Arbeiter warf, darunter die Parole: „Bürger erwache!“ Selbst im „Vorwärts“, der Zeitung der MSPD, wurden ganzseitige Anzeigen von Freikorps geschaltet.

Als die MSPD den linken Polizeipräsidenten Emil Eichhorn im Januar 1919 entließ, reagierte die Arbeiter*innenklasse Berlins mit Massendemonstrationen und der Besetzung öffentlicher Gebäude. Gustav Noske vom MSPD-Vorstand war als Reichswehrminister für die Niederschlagung des „Spartakusaufstandes“ verantwortlich und ließ den reaktionären Freikorps freie Hand. Die Folge war ein Blutbad. Zwei ihrer Opfer waren die Vorsitzenden der gerade erst gegründeten KPD: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Als sich im Januar 1919 mit der KPD sympathisierende Arbeiter*innen in Wilhelmshaven erhoben, bildete der Marineoffizier Hermann Ehrhardt ad hoc eine Brigade aus gedienten Offizieren. Sie stürmten die „1000-Mann-Kaserne“ und beendeten so den Aufstand in Wilhelmshaven. Braunschweig, München – wo immer Freikorps gegen Arbeiter*innen vorgingen war die Marinebrigade Ehrhardt nicht weit.

Der Putsch

Anfang 1920 bestanden die Alliierten darauf, die deutschen Truppen auf die im Friedensvertrag von Versailles vorgesehenen 100.000 Mann zu reduzieren. Das bedeutete das Ende für die Freikorps. Die waren durch die Alliierten geduldet worden, weil sie im Kampf gegen die Revolution ebenso skrupellos wie erfolgreich waren.

In der Marinebrigade Ehrhardt sorgte das für Unruhe. General Lüttwitz, eine Art Schutzpatron der Freikorps und als Mitglied der „Nationalen Vereinigung“ auch Verschwörer gegen die Republik, forderte am 10. März 1920 gegenüber Reichspräsident Ebert und Reichswehrminister Noske den Fortbestand der Truppe.

In einem lautstarken Streitgespräch in Eberts Dienstzimmer verlangte Noske den Rücktritt des Generals, während derselbe Neuwahlen von Parlament und Reichspräsident einforderte.

Als Lüttwitz, zum Putsch entschlossen, den Raum verließ, um mit der Marinebrigade das weitere Vorgehen abzusprechen, ließ Noske ihn gehen anstatt ihn zu verhaften.

Auf einer eilig in der Nacht vom 12. zum 13. März zusammen gerufenen Sitzung der Reichswehrgrößen hieß es dann rundheraus, die Gefahr, die von dem bevorstehenden Putsch ausgehe, sei nicht so groß wie die, die von der zu erwartenden Gegenreaktion von links ausgehe. Man müsse die Reichswehr jetzt zusammenhalten. Und „eine Felddienstübung mit scharfer Munition“ sei diesem Ansinnen sicherlich nicht allzu dienlich. Weniger geschwollen formuliert erklärte die Reichswehr einfach, dass sie nicht vorhabe den Putsch zu verhindern. Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr!

Streik

Schutzlos flohen die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder am Morgen nach Dresden. Unterdessen marschierte die Marinebrigade Ehrhardt in Berlin ein.

Bürger*innen in feiner Kleidung winkten den Soldaten zu, deren Gesang ihr Feindbild klar benannte: „Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-rotes Band – die Brigade Ehrhardt werden wir genannt – Arbeiter, Arbeiter – was wird Dir gescheh‘n – wenn die Brigade Ehrhardt wird einst in Waffen steh‘n – die Brigade Ehrhardt schlägt alles kurz und klein – wehe Dir, wehe Dir, Du Arbeiterschwein!“ Lüttwitz übernahm das Kommando über die Truppen und Generallandschaftsdirektor Kapp ernannte sich selbst zum Reichskanzler.

Derweil blickten Ebert und seine Minister in Dresden etwas verunsichert auf einen Zettel, den ihnen General Maercker präsentierte. Ulrich Rauscher, Pressechef der Regierung, hatte noch in Berlin ein Schreiben aufgesetzt, das zum Generalstreik aufrief. Ebert hatte, wohl ohne es zu lesen, unterzeichnet. Die Unterschriften der Minister waren per Bleistift ergänzt worden.

Nicht ohne Grund stritten nun alle ab das Schriftstück zu kennen, immerhin drohte der General im Falle ihrer Autorenschaft mit Verhaftung.

Doch das spielte keine Rolle. Seit den frühen Morgenstunden überfluteten Menschenmassen die Berliner Innenstadt. Züge rollten nicht mehr, selbst die Straßenbahnen standen in den Depots.

Die Arbeiter*innen reagierten sofort und entschlossen, um die drohende Militärdiktatur zu Fall zu bringen.

KPD übt sich in Zurückhaltung

Sowohl die USPD- als auch KPD-Führung lehnten zunächst einen Eintritt in die Streikfront ab. Hier zeigte sich die fatale Schwäche der noch jungen KPD. In der Berliner Zentrale der KPD machte man sich darüber lustig, dass nun gerade Carl Legien, der Chef des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), den Generalstreik verlangte. Der Mann, der gegenüber Rosa Luxemburg vor dem Ersten Weltkrieg behauptet hatte, Generalstreik sei “Generalunsinn”.

Die Führung der KPD war mehrheitlich der Meinung, dass man nicht denen helfen sollte das Militär loszuwerden, die genau dieses Militär der Revolution immer wieder auf den Hals gehetzt hatten.

An der Basis der KPD sah man das vielfach anders. Gerade einfache Mitglieder der KPD führten vielerorts den Streik an. Im Vogtland bewaffneten KPD-Mitglieder Arbeiter*innen und befreiten politische Häftlinge. Im Ruhrgebiet beteiligten sich viele von ihnen an der Aufstellung der Roten-Ruhr-Armee. Die 50.000 Mann starke Truppe vertrieb Reichswehr und Freikorps aus dem Industriegebiet. Räte organisierten in Eigenregie Verwaltung und Versorgung und mancherorts sogar die Produktion.

Spätestens als am 15.03., einem Montag, der Generalstreik seine volle Wucht entfaltete, steuerten USPD und KPD um und beteiligten sich vorbehaltlos. Räte wurden gebildet, in einigen Gebieten war der bürgerliche Staatsapparat nicht mehr in der Lage einfache Verwaltungstätigkeiten auszuführen. Große Teile der Beamtenschaft weigerten sich Weisungen der Putschregierung weiterzureichen.

Die war am 17.03. am Ende. Die Marinebrigade Ehrhardt zog aus der Hauptstadt ab. Nicht ohne allerdings am Brandenburger Tor völlig grundlos auf Arbeiter*innen zu schießen.

Bielefelder Abkommen

Nach dem Putschende ebbte der Streik nicht ab. Ebert versuchte den Generalstreik per Order abzusagen – es half nichts. Legien erklärte ihm gegenüber, man könne „die Arbeiterschaft nicht aus dem Kampf nehmen, wenn wir nichts zeigen können.“ 

In seinem Neun-Punkte-Programm forderte Legien neben der Verstaatlichung der Montanindustrie auch die Bildung einer Arbeiter*innenregierung aus MSPD und USPD mitsamt den Gewerkschaften. Für Ebert war das nicht verhandelbar. Stattdessen versuchte er die kämpfenden Arbeiter*innen zu spalten.

In einem am 24./25. März in Bielefeld zwischen Reichsregierung einerseits und Gewerkschaften und USPD andererseits geschlossen Abkommen, wurde die schnellstmögliche Sozialisierung der dafür reifen Wirtschaftsbereiche versprochen. Auch sollten rechte Wehrverbände entwaffnet und die Putschisten hart bestraft werden.

Das Abkommen war nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben stand. Die Putschisten blieben unbehelligt. Vergesellschaftungen gab es nicht und die rechten Wehrverbände standen weiterhin Gewehr bei Fuß.

Viele Arbeiter*innen gingen frustriert über die Haltung ihrer Führung nach Hause. Die Rote-Ruhr-Armee zerfiel. 

Am 29. März, übergab Ebert die vollziehende Gewalt an Reichswehrgeneral Seeckt, der mit regulären Truppen und Freikorps im Ruhrgebiet einmarschierte. Dem Terror von Reichswehr und Freikorps fielen gut 1500 Menschen zum Opfer. 

Rolle der KPD

Die MSPD stürzte in eine tiefe Krise: Bei den Wahlen zum ersten Reichstag 1920 verlor sie fast die Hälfte der Wähler*innen. Zusammen erhielten USPD und KPD fast zwanzig Prozent der Stimmen und lagen damit beinahe gleichauf.

Die Ereignisse zeigten die enorme Stärke der Arbeiter*innenklasse. Eine bis an die Zähne bewaffnete und zu allem entschlossene Soldateska wurde durch die kollektiven Aktionen der Arbeiter*innenklasse in die Knie gezwungen.

Doch allein dieser mutige Kampf war nicht genug, um den Herrschenden die Macht zu nehmen. Die reaktionären Kräfte konnten sich wieder sammeln.

Was fehlte war eine Partei, die in der Lage gewesen wäre die verschiedenen Kampfherde zusammenzufassen, die Bildung von Räten und deren überregionale Vernetzung voranzutreiben. 

Viele KPD-Mitglieder spielten eine sehr wichtige Rolle bei der Abwehr des Kapp-Putsches. Doch die ultralinke Politik der KPD-Führung in diesen Tagen bedeutete, dass die Partei nicht in der Lage war,  allgemeine revolutionäre Losungen mit konkreten Forderungen für die nächsten notwendigen Schritte im Kampf gegen die Reaktion zu entwickeln, und darauf aufbauend auch die Notwendigkeit für den vollständigen Bruch mit dem Kapitalismus, den Sturz der Regierung und die Machtübernahme durch die Arbeiter*innen und Soldatenräte deutlich zu machen. Dabei musste sie auch mit der Tatsache umgehen, dass trotz Verrat noch immer ein großer Teil der Arbeiter*innenklasse unter dem Einfluss der Sozialdemokratie stand und noch durch konkrete Erfahrungen für das revolutionäre Programm gewonnen werden musste. Auf dem dritten Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1921 wurden die Schlussfolgerungen aus den Fehlern gezogen und die Taktik der Einheitsfront diskutiert, auf deren Grundlage die KPD tatsächlich zur nächsten revolutionären Situation 1923 zunächst zur stärksten Partei werden konnte.