Parteivorsitzender Meuthen schlägt zuerst Spaltung vor und rudert dann zurück
Gäbe es nicht die Coronakrise, wäre es vielleicht die Nachricht schlechthin. Jörg Meuthen, einer der zwei Bundesvorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD), hat seiner Partei geraten, sich in eine rechtsextreme und eine rechtskonservative Partei zu spalten. Andererseits wäre die Ansage Meuthens ohne Coronakrise wohl unwahrscheinlich gewesen.
Von Steve Hollasky, Dresden
Laut einer Meldung des Deutschlandfunks vom 3. April sieht der Politikwissenschaftler Hajo Funke die Rechtspopulisten nach dem rassistisch motivierten Anschlag von Hanau und der Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland im dauerhaften Niedergang begriffen. Der Abwärtstrend begründe sich nicht zuletzt daraus, dass die AfD keine Antworten für die aktuellen Herausforderungen habe. Und so dürfte die Krise der Gesellschaft als Brandbeschleuniger der Krise in der AfD wirken.
Der Streit mit dem „Flügel“
Bisher galt innerhalb der AfD: Wer sich mit Björn Höcke, dem Führer des völkischen „Flügels“, anlegt, der stellt seine politische Existenz in Frage. Bernd Lucke, der Parteigründer, und Frauke Petry, seine Nachfolgerin im Amt des Bundessprechers, wurden im Ergebnis ihrer Auseinandersetzungen mit Höcke aus der Partei gedrängt.
Dass nun ausgerechnet Jörg Meuthen sich anschickt der dritte im Bunde zu sein, zeigt, wie tief die Zerwürfnisse in den Reihen der Rechtspopulisten immer noch sind.
Zuletzt war es vor allem die vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) angekündigte Beobachtung des „Flügels“ unter Höcke und Andreas Kalbitz, die innerhalb der Partei für Debatten sorgte. Mit 12 Ja- und nur einer Nein-Stimme verabschiedete der Bundesvorstand der AfD daraufhin eine Vorlage, die den Flügel zwar nicht formal rügte oder seine Unvereinbarkeit mit der Partei feststellte, wohl aber dessen Selbstauflösung forderte.
Dem kamen die Führungspersonen schließlich nach. Allerdings nutzte Björn Höcke das zugleich zu einer Kampfansage. Der rechte Verleger Götz Kubitschek, der zweifellos als Stichwortgeber des völkischen AfD-“Flügels“ gelten darf, veröffentlichte in seinem Blog ein Interview mit dem Thüringer Landesvorsitzenden der Rechtspopulisten. Darin erklärte dieser, der „Flügel“ sei ohnehin überholt und man brauche einen über den Flügel hinausgehenden Impuls.
Nicht allzu weit hergeholt dürfte in Anbetracht dessen die Feststellung des Nachrichtenportals tagesschau.de sein, nach der Höcke und Kalbitz „ihren Einfluss nun auf die gesamte AfD ausdehnen“ wollen. Dass dies mehr als inhaltsleere Drohungen im Angesicht der eingestandenen Niederlage sein könnten, zeigen auch Meuthens Reaktionen auf Höckes prahlerische Ankündigungen.
Jörg Meuthens „strategische Überlegung“
Dass die Auflösung des Flügels mehr als bloße Rhetorik ist, bezweifelt bei Weitem nicht nur der niedersächsische Verfassungsschutzchef Bernhard Witthaut. Auch wenn Meuthen den „Flügel“ im Interview mit dem neurechten Magazin „Tichys Einblick“ am 1. April als „Partei in der Partei“ bezeichnete, war dieser nie eine formale Struktur. Zugehörigkeit war nicht von einem Aufnahmeprozedere abhängig, sondern vom Gefühl politischer Übereinstimmung. Informelle Strukturen lassen sich aber nicht auflösen. Insofern werden Höcke und Kalbitz auch weiterhin auf ihre Hausmacht zurückgreifen können.
Die scheint Jörg Meuthen mehr und mehr zu fürchten. Im bereits angeführten Interview erklärte er, der „Flügel und dessen maßgebliche Exponenten“ würden der AfD „ganz massiv“ Stimmen im bürgerlichen Lager kosten. Andersherum könne auch der „Flügel“ sein „staatspaternalistisch geprägtes Wählermilieu“ nicht komplett abrufen.
Gäbe es diese „wechselseitige Hemmung“ nicht, würde man die Bedeutung der „Lega von Matteo Salvini“ und der „Fratelli d´Italia“ erlangen, so Meuthen weiter.
Deutlicher kann man durch die Blume kaum sagen: „Lieber Flügel, verschwinde!“ Was im Mantel einer strategischen Überlegung zur organisatorischen Spaltung aus Vernunftgründen daherkommt, ist nur ein weiterer Schritt im Kampf um die AfD.
Zwei Konzepte – ein Feind
Neben zahlreichen persönlichen Querelen und der Konkurrenz um innerparteiliche Macht stehen sich auch zwei verschiedene politische Konzepte gegenüber. Exemplarisch zeigte dies die sich ausgedehnt hinziehende Debatte um ein Rentenkonzept in der AfD.
Dort schlug Meuthen eine Abkehr vom bisher geltenden Umlageverfahren und der staatlich organisierten Rentenversicherung vor: Zukünftig sollte lediglich eine Mindestrente steuerfinanziert werden, während alle, die über das absolute Mindestmaß hinaus abgesichert sein wollten, sich privat versichern sollten. Im Grunde nichts anderes als ein neoliberales Kürzungsprogramm, welches auch dem Großteil der AfD-Anhänger*innen im Falle seiner Umsetzung schwere Probleme bereiten dürfte.
Im parteiinternen Streit unterlag Meuthen jedoch Anfang März mit seinem Konzept gegen einen Entwurf aus der Landtagsfraktion Thüringen, der eindeutig Höckes Handschrift trägt. Die Vorlage kommt in bemerkenswerter Weise sozialdemagogisch daher. Auch Beamt*innen und Selbstständige sollten demnach zukünftig in die Rentenkassen einzahlen. Für jedes neugeborene Kind sollten Eltern Rentenbeiträge in Höhe von 20.000 Euro erstattet bekommen. Der Gebäranreiz soll durch die zugesagte monatliche Zahlung von 100 Euro pro Kind auf ein Spardepot noch erhöht werden. Finanziert werden sollen diese Mittel durch den Staat. Und – vom „Flügel“ kaum anders zu erwarten – lehnt die „Höcke-Rente“ Zuwanderung ab.
Stellt sich die Frage, woher der Staat den finanziellen Spielraum für diese Gaben gewinnen soll. Eine stärkere Besteuerung höherer Einkommen oder großer Vermögenswerte sieht Höckes Entwurf nicht vor. Einfacher gesagt: Mit den Reichen und Superreichen der deutschen Gesellschaft wollen sich Höcke und der „Flügel“ trotz vor sich her getragener sozialer Versprechen nicht anlegen – wenigstens das haben sie mit Meuthen gemein.
Zudem hält die „Höcke-Rente“ bei genauerem Hinsehen noch nicht einmal das, was sie verspricht. Das Renteneintrittsalter soll flexibilisiert werden. Wer länger arbeitet soll mehr Geld bekommen. Oder – anders formuliert – wer sich erdreistet, früher den Lebensabend arbeitsfrei genießen zu wollen, der dürfte mit empfindlichen Einbußen rechnen müssen. Außerdem sollen, nach Höckes Vorstellungen, beileibe nicht alle Beamt*innen die Rentenkassen mit ihren Beiträgen füllen. Wer staatshoheitliche Aufgaben zu erfüllen hat, etwa Polizist*innen und Richter*innen, wird, wenn Höckes Pläne zum Gesetz würden, weiterhin aus Steuern finanzierte Pensionen beziehen.
Insofern stehen die Pläne von einerseits Meuthen und andererseits Höcke und Kalbitz für zwei Konzepte innerhalb der AfD. Der Bundesvorsitzende steht für neoliberale und die Führungsfiguren des „Flügels“ für sozialdemagogische Positionen. Für eine Spaltung der Partei sind die Gräben an sich tief genug.
Schaut man genauer hin, haben beide den gleichen Feind: Die lohnabhängig Beschäftigten, denn auf die eine oder andere Weise sind beide bereit deren Lebensstandard infrage zu stellen. Und auch hier gilt wieder: Wer den Reichen nichts nimmt, kann den Armen nichts geben. Und den Reichen will weder Höcke noch Meuthen etwas nehmen.
Steht nun die Spaltung bevor?
Auf seiner privaten Facebook-Seite legte Meuthen am 2.April noch einmal nach: Bis zum Jahresende wolle er Klarheit über die Frage, ob sich seine Partei spalten solle. Der Bundesvorsitzende ist zu sehr Machtpolitiker, als dass er diese Idee nicht vorher mit anderen innerhalb der Führungsriege durchgesprochen hätte. Gerade deshalb überrascht es, dass er nun allein auf weiter Flur zu stehen scheint.
Sein Co-Vorsitzender Tino Chrupalla zeigte sich gegenüber den Medien über Meuthens Aussagen „einigermaßen überrascht und menschlich enttäuscht“, wie tagesschau.de schon am 2. April zitierte. Alexander Gauland, noch immer Chef der Fraktion seiner Partei im Bundestag, bewertete Meuthens Positionen als „wenig zielführend und extrem unpolitisch“. „Töricht und verantwortungslos“ nannte Björn Höcke Meuthens Thesen zur weiteren Entwicklung der AfD. Den dürfte es freuen, dass sich der Bundesvorsitzende verrannt hat. Was wiegt schon die Scheinauflösung des „Flügels“ gegen die Selbstdemontage seines einflussreichsten innerparteilichen Kritikers? Und auch Alice Weidel äußerte öffentlich, man dürfe sich vor den anstehenden Wahlen nicht zerlegen, sonst hätte man „alles verspielt“.
Dass er mit dem Szenario der Spaltung spielt, zeigt, dass sich Meuthen in der AfD mehr und mehr in die Ecke gedrängt sieht. Die Absetzbewegungen der AfD-Führungsriege malen nun ein deutliches Bild der politischen Situation Meuthens. Dessen Niederlage in der Rentenfrage lässt seinen Stuhl wackeln. Ob er wirklich die Spaltung seiner Partei will, ist allerdings eher zu bezweifeln. Noch immer gilt der Satz, dass sich die Rechtsextremen und die Neoliberal-Nationalkonservativen innerhalb der AfD gegenseitig brauchen.
Meuthens Hoffnung könnte auch sein, dass sich der „Flügel“, vor die Wahl gestellt, sich entweder von der Partei abzulösen oder weniger offensiv aufzutreten, letzten Endes doch unterwirft. Aber genau darin könnte sich Meuthen verrechnet haben: Ein Parteivorsitzender, der aus geschwächter Position heraus, die Spaltung seiner eigenen Partei medienwirksam aufs Tablett stellt, spielt ein gefährliches Spiel, wenn er nicht schon längst begonnen hat, am eigenen Ast zu sägen.
„Meuthen macht den Lucke“, titelte unlängst „Die Zeit“ und könnte damit recht behalten. Ähnlich deutlich wird am 4. April auch das „Neue Deutschland“ und spekuliert, dass es an „ein Wunder grenzen“ würde, wenn Meuthen sein „Manöver als Parteichef unbeschadet überstünde“. Sein „Abgang“, so das ND, sei nur noch „eine Frage der Zeit“.
Meuthen passt
Nachdem Jörg Meuthen über mehrere Tage hinweg ohne jede Unterstützung in der Frage der von ihm vorgeschlagenen Spaltung der Partei blieb, machte er in einem neuerlichen Interview, diesmal in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, schon am 4. April die Rolle rückwärts. Es habe sich beim Vorschlag, der „Flügel“ solle die AfD verlassen, nur um „einen strategischen Denkansatz“ und nicht um „eine konkrete Forderung“ gehandelt, heißt es dort. Aber selbst dort legte er wert auf die Feststellung, der „Flügel“ sei stark genug, um allein als Partei zu überleben.
Noch einmal zwei Tage darauf räumte Meuthen in einer Sitzung des Bundesvorstands seiner Partei ein, er habe „Fehler“ begangen und wischte seinen „strategischen Denkansatz“ vom Tisch. Dafür, dass er während des Beginns der Auseinandersetzung nicht müde wurde darauf hinzuweisen, man müsse in der AfD nicht wie alte „Sozialistenkader“ das Lied der Einheit singen, sondern könne sich ruhig trennen, wirkt sein Fehlergeständnis wie der Versuch eines stalinistischen Führungskaders per Selbstkritik seinen Posten doch noch zu retten. Ob ihm das auf diese Weise gelingen soll, bleibt dennoch fraglich.
Warum tut Meuthen das?
Jörg Meuthen wollte in diesem Jahr, nach eigenem Bekunden, die AfD in die Regierungsfähigkeit führen. Die durch den Verfassungsschutz erfolgte Einstufung des „Flügels“ als verfassungsfeindlich, konnte da nur kontraproduktiv wirken. Aber längst nicht Meuthen allein drängt es zu den Fleischtrögen der Regierungsbänke. Es dürfte einige geben, die den „Flügel“ als Gefahr auf dem Weg in die Landeskabinette sehen. Und dort wollen die Rechtspopulisten, trotz aller zur Schau gestellter Feindschaft gegenüber dem Establishment, zweifelsohne hin.
Meuthen könnte geglaubt haben in dieser Situation und nach der scheinbaren Niederlage des „Flügels“ durch die Auflösungsforderung des Bundesvorstandes eine Mehrheit hinter seiner Idee versammeln zu können. Stimmt diese Rechnung, haben sich – sehr zu Meuthens Verdruss – viele seiner Parteifreunde überlegt, dass eine offene Positionierung gegen Höcke und Co. das Ende der eigenen Parteikarriere sein könnte. So blieb Meuthen allein und ist nun geschwächt, der „Flügel“ hingegen gestärkt. Weitere Höcke-Gegner haben bereits ihren Rückzug aus der Politik angekündigt.
Druck aufbauen!
Fakt bleibt, dass die AfD auf absehbare Zeit ihre Rhetorik zur Spaltung der arbeitenden Bevölkerung in Hiergeborene und Zugewanderte; in Mann und Frau und entlang religiöser Linien fortsetzen wird. Damit wird sie nicht nur Menschen aufeinander hetzen und Bevölkerungsgruppen zu Sündenböcken machen, die nichts für den Abbau von Betten in Krankenhäusern oder das sinkende Rentenniveau können; sie wird diese Menschen damit auch daran hindern für Verbesserungen zu kämpfen. Automatisch wird sie damit Großunternehmen und Reiche schützen.
Doch gleichzeitig befindet sie sich in einer tiefen Krise: Der eingangs angeführte Politikwissenschaftler Hajo Funke liegt nicht falsch, wenn er erklärt, die AfD habe in der aktuellen Krise keine Antworten.
Es gilt das deutlich zu sagen: wer nicht bereit ist, in dieser Krise sich mit den Reichen anzulegen; für Umverteilung von Vermögen zu Gunsten der Armen, der Beschäftigten und der Rentner*innen zu kämpfen; wer das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht infrage stellt und stattdessen rassistisch hetzt; der hat der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung, die unter dieser Krise leidet, nichts zu bieten!
Gerade vor diesem Hintergrund ist es einmal mehr notwendig den Zusammenhalt der Lohnabhängigen zu betonen; sie über nationale, ethnische und religiöse Grenzen hinweg zu den jetzt schon und in Zukunft wieder möglichen Aktionen zu mobilisieren. Und das heißt gemeinsam Druck zu machen für ein öffentliches Gesundheitswesen unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten, egal welcher Herkunft, und gegen ein profitorientiertes, kapitalistisches System, das Phänomene wie die rassistische AfD oder den Pflegenotstand zu verschulden hat.