„Die Kapazitäten reichen hinten und vorne nicht“

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Interview mit einer Intensivpflegerin des Klinikum Kassels

Hochrangige Politiker wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind voller Lob für die Beschäftigten in den Krankenhäusern. Unter extremen Bedingungen stellen die Kolleg*innen in den Kliniken sich dem Covid 19-Virus entgegen. Soweit es geht, wird versucht eine allgemeine gesundheitliche Versorgung aufrechtzuerhalten. Doch schon vor der Corona-Krise herrschte in der Pflege der Notstand. Welche Konsequenzen die Kürzungspolitik von Spahn und Co. haben, wird jetzt immer deutlicher. Solidarität sprach darüber mit einer Intensivpflegerin (Name ist der Redaktion bekannt) aus dem Klinikum in Kassel.

Wie hat Corona deinen Arbeitsalltag verändert?

Es hat damit angefangen, dass wir auf den Stationen nicht mehr genug Schutzmaterialien hatten. In China war schon die Krise in vollem Gange und darauf hätten die da oben sich auch schon hier vorbereiten sollen. Sie hätten die Gefahr schon im Dezember 2019 ernst nehmen müssen. Stattdessen wurde lange nichts unternommen. Es haben Leute aber schon Panik bekommen und auf einmal fehlten überall im Krankenhaus Desinfektionsmittel, Masken und Handschuhe. Der Zugang hierzu ist nun sehr eingeschränkt worden.

Was mich mittlerweile am meisten beunruhigt ist, dass ich nicht weiß, was mich erwartet, wenn ich zur Arbeit gehe. Jetzt noch weniger als zuvor. Wird die Intensivstation in eine Covid-Station umgewandelt? Werde ich auf eine andere Intensivstation versetzt? Wird eine Kollegin krank? Man lebt in ständiger Unsicherheit und wird nur wenig darüber informiert, was als nächstes passiert. Und wir stehen erst am Anfang der Krise. Was wenn hierzulande italienische Verhältnisse herrschen?

Die Kolleg*innen auf der Covid-Station sind sehr angespannt. Vor Betreten des abgesperrten Bereichs muss man sich etwa zwanzig Minuten vorbereiten: Sich umkleiden, Desinfektion, Schutzkleidung anlegen. Dann durch die Schleuse. Während der Schicht auf Toilette zu gehen, Wasser oder Kaffee zu trinken ist nur schwer möglich, geschweige denn Pause zu machen und die Station zu verlassen. 

Wie machen sich die Missstände, die es auch vor der Corona-Krise gab, jetzt bemerkbar?

Der auch in den letzten Jahren herrschende Personalmangel schlägt nun voll durch. Wenn ich frei habe, oder mir Urlaub nehme, muss ich ständig erreichbar sein und mich drauf einstellen, einzuspringen. Es wird auch mehr als zuvor erwartet, von einem Tag auf den anderen von Spät- auf Frühschicht zu wechseln oder andersherum. Da ist der Druck auf jeden Fall gestiegen.

Im Krankenhaus herrscht ein Ausnahmezustand. Es gibt viel Angst, sowohl beim Personal, als auch bei den Patient*innen. Es ist natürlich sinnvoll, dass es ein Besuchsverbot im Klinikum gibt. Aber dadurch haben wir auch mehr Arbeit, weil wir mehr Angehörigenarbeit leisten müssen (wenn diese besorgt bei uns anrufen) oder den Patient*innen mehr beistehen müssen, weil diese keinen Besuch mehr bekommen können. Obwohl dies eigentlich zu unserer Arbeit gehören müsste, haben wir dafür aber keine Zeit.

Was empfindest du, wenn du die mediale Berichterstattung über die Situation in den Krankenhäusern verfolgst?

Es ist schon interessant, welche Aufmerksamkeit die Pflege jetzt bekommt. Wir hatten schon immer einen schwierigen Job. Wir haben auch vor Corona tagtäglich unter schwierigsten Bedingungen auf der Intensivstation um das Überleben der Patient*innen gekämpft. 

Im Klinikum Kassel und in vielen anderen Einrichtungen wurden immer wieder wegen Personalmangel Betten gesperrt, auch dauerhaft. Ich mache diesen Job gerne, aber es muss sich dringend etwas ändern. Immer wieder haben wir Überlastungsanzeigen aufgegeben, aber das hat nichts gebracht. Wir sind immer wieder auf die Straße gegangen und es hat sich nur wenig getan. 

Jetzt schauen alle auf uns. Applaus und warme Worte helfen uns aber nicht. Wir brauchen dringend mehr Personal und angemessene Personalschlüssel, die auch eingehalten werden. Und nicht zuletzt auch eine bessere Bezahlung.

Machst du dir selber Sorgen, krank zu werden?

Im Krankenhaus ist das Infektionsrisiko hoch, auch trotz Schutzmaßnahmen. Es ist für mich momentan belastend, dass ich meine nahen Angehörigen zum Teil nicht mehr sehen kann, weil diese zur Risikogruppe zählen und bei denen Corona auch zum Tode führen kann. Ich gehe zur Arbeit, dann nach Hause und muss alle sozialen Kontakte meiden.

Für Beschäftigte werden leider keine Corona-Tests angeboten. Unser Labor ist auch vollständig überlastet. Die Kolleg*innen dort  – das sind wahre Helden! Aber auch sie sind völlig überlastet. Denn die Kapazitäten reichen auch hier hinten und vorne nicht. 

Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich selber an Corona erkranke. Aber es bleibt das Problem, dass nicht genügend Kapazitäten vorhanden sind, das Personal zu testen. Das hinterlässt ein sehr mulmiges Gefühl.

Organisieren lohnt sich!

Die jahrelange Kampagne für mehr Personal in den Krankenhäusern hat in einigen Orten zu kämpferischen Strukturen von aktiven Kolleg*innen geführt. Diese sind gerade wichtig, um in der aktuellen Krise eigene Forderungen zu stellen und Druck aufzubauen.

In Berlin fordern Kolleg*innen von Vivantes und der Charité, sowie von den jeweiligen Tochtergesellschaften VSG und CFM direkte Verhandlungen mit dem Senat für Forderungen wie ausreichende Versorgung mit Schutzkleidung SOFORT, die Einstellung von neuem Personal, engmaschige Testung der Beschäftigten, die Versorgung des Personals mit Essen vor Ort, die Rückführung der Tochterunternehmen. 

Im Uniklinikum Augsburg wird eine Gefahrenzulage von 300 Euro für alle Beschäftigtengruppen gefordert. Im Saarland fordern Kolleg*innen Zuschläge von fünfzig Euro pro Schicht. Leider gibt es in einigen Kliniken gerade auch eine Offensive der Arbeitgeber, wie mit dem Aussetzen von Dienstvereinbarungen. Eine starke Vernetzung in den Gewerkschaften für eine kämpferische Antwort auf die Krise ist nötig. 

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